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Soll man Rassisten umerziehen? Ja, was denn sonst!

Schließlich wollen die Rechtsextremen die Menschen auch zu Grausamkeit erziehen. 

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Bevor ich Sie heute auf einige Gedankengänge von Kickl bis Hegel, von Goethe bis Rorty mitnehme, hier noch ein paar Hinweise. Stefan Wally von der Salzburger Robert-Jungk-Bibliothek hat mit mir ein Gespräch über mein Buch „Das Große Beginnergefühl. Moderne, Zeitgeist, Revolution“ geführt, ich rede in 15 Minuten über 200 Jahre moderne Kunst. Ziemlich gedrängt, aber es klappt. 

https://www.youtube.com/watch?v=gBGNlk8ob2A&t=1s (Öffnet in neuem Fenster)

„Wie kommt das Neue in die Welt?“, war die Fragestellung. Dieser Tage wurde mein Freund Milo Rau als Intendant der Wiener Festwochen bestellt, und ihm ist zuzutrauen, Schwung und Beginnergefühl in manche Saturiertheiten zu bringen. Warum ich das so sehe, beschreibe ich hier: 

"Der angewandte Surrealismus des Milo Rau." (Öffnet in neuem Fenster)

Und hier noch die jüngste Ausgabe meiner Videoshow FS Misik, die ich seit Herbst auf dem Portal zackzack.at betreibe. Die Älteren von Ihnen wissen ja: von 2007 bis 2019 wurde sie vom Standard ausgestrahlt und hatte so etwas wie Kultstatus.  

https://www.youtube.com/watch?v=Rn2Kq-7macE (Öffnet in neuem Fenster)

In Österreich hat die rechtsextreme Freiheitliche Partei in Umfragen mal wieder Höhenflüge, jene FPÖ, die unter ihrem radikalen Anführer Herbert Kickl immer ärgere Pirouetten in einem Überbietungswettbewerb hinlegt, diesem Überbietungswettbewerb von extrem zu noch extremer. Sie ist in einer Spirale der Selbstradikalisierung. Kickl, ein verkrachter Philosophie-Student, diente sich in den neunziger Jahren bei Jörg Haider an, prahlt aber bis heute gerne mit seinen Lektüregewohnheiten. Schiller, Kant, Hegel, Rousseau hat er gerade in der Parlamentsbibliothek gestapelt, als Leseempfehlung, und er lässt freudig durchblicken, dass er mit Vorliebe antiquarische Ausgaben der großen Philosophen lese, in Frakturschrift. Vielleicht sollte es Kickl auch einmal mit Goethe versuchen, da kann er sich womöglich in einigen Zeilen wiederkennen: 

„Ich bin der Geist der stets verneint! … / So ist denn alles was ihr Sünde / Zerstörung, kurz das Böse nennt / Mein eigentliches Element.“

Kickl mobilisiert die vorhandene Unzufriedenheit, verwandelt sie in Wut, und die Wut wiederum in Zorn und Hass, in ein fundamentales Dagegensein, in einen Furor der Zerstörung. Halten sie das, was ich hier sage, nicht für Polemik. Das ist nicht trivial. Denn die Unzufriedenheit gibt es, die legitime Wut, die Erregung der Revolte und diese Empfindungen sind ja in vielerlei Hinsicht berechtigt. Wenn ich sage, das ist keineswegs trivial, dann meine ich damit: Es ist natürlich eine leichte Sache, das in eine Kraft der Zerstörung umzuwandeln. Wer unter bedrückenden Verhältnissen lebt, der will sie vielleicht einfach kurz und klein schlagen. Durchaus verständlich. Wer Bedrängnis ausgesetzt ist, das Gefühl hat, dass sich für ihn und seine Probleme nicht einmal mehr jemand interessiert, dass er von einem „System“ quasi an den Rand gedrängt wird, der will dieses System zerschlagen, das Establishment, das er dafür verantwortlich macht, auf den Knien sehen. Wie gesagt: durchaus verständlich.

Die Kunst, die Aufgabe bestünde freilich darin, diese Emotionen in eine Kraft der Veränderung, der Verbesserung zu verwandeln. In einer „List der Geschichte“, um bei Hegel zu bleiben, die aus dem Dagegensein ein Dafürsein macht. Womöglich sieht sich Kickl ja sogar als so einer, als Agenten dieser List der Geschichte, wenn er sich in ruhigeren Momenten in seiner Phantasie ein rosiges Selbstbild zurechtschustert. 

Ich habe gerade das neue Buch von Armen Avanessian gelesen, mit dem Titel „Konflikt“. Kaum ein Begriff ist heute so oft gebraucht, aber auch so unachtsam und unscharf benützt wie der des Konfliktes. Überall nehmen Konflikte überhand (interessant übrigens, da man ja viele Jahre lang zu viel klebrigen Konsens beklagt hat), innere Konflikte, Polarisierung, ein Kampf der Kulturen wird in den Gesellschaften, aber auch in globaler Perspektive konstatiert (man erinnere sich an Huntington), planetarisches Ringen um Dominanz beherrscht die Kommentarspalten, und natürlich allen voran der Großkrieg, den Russland vom Zaun brach. Dabei sind Konflikte natürlich unvermeidbar, Kriege und unversöhnliche Spaltungen aber gewissermaßen Konflikte, die aus dem Ruder laufen. Konflikte können produktiv sein, wir haben sogar das System „des Rechts“, also das System der Jurisprudenz etabliert, das die Konflikte nicht bloß löst, sondern sie in gewisser Weise erst ermöglicht, weshalb Avanessian sie eine „Konflikte überhaupt erst herstellende Kategorie“ nennt. Im System Recht verwandeln sich konfrontative Zusammenstöße in eine Bearbeitung des Eigenen und des Anderen. In der Theoriegeschichte ist der Konflikt eine zentrale Kategorie, man denke hier noch einmal an Hegel, der die Dynamik der Geschichte nicht nur in der Überwindung des Überlebten durch das Neue sah, sondern in Konflikten wie dem Herr-Knecht-Gegensatz, in dem der Unterdrückte in seinem Kampf um Anerkennung letztlich die treibende Kraft ist, auch, weil der Herr eigentlich keine sonderliche produktive Funktion hat und vom Knecht abhängig ist. Das Motiv wird Karl Marx später aufnehmen, indem er in den Klassenkämpfen den Motor der Geschichte und des Fortschritts sah. Der Konflikt setzt Energien frei, die zur Überwindung des Überlebten führen. Der Konflikt ist in dieser Anschauungsweise nicht Kraft der Zerstörung, sondern Produktivkraft. Welthistorisch ist immer beides möglich: Wir kennen Zusammenstöße, die eskalieren und nur mehr rauchende Ruinen zurücklassen, wir kennen aber auch Zusammenstöße, die produktive Resultate zeitigen. Und selbst in den schlimmsten Katastrophen sind oft Elemente von beidem am Werke. Selbst die Nazi-Barbarei hatte einen Fortschritt des internationalen Rechtes, der Menschenrechte und einer, wie beschränkt und unvollkommen auch immer, Weltinnenpolitik zur Folge. Ohne Wannseekonferenz keine Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, salopp formuliert. Selbstverständlich ist das nicht, woran wir Maß nehmen sollen. Denn von der „Produktivität“ dieser Prozesse haben Millionen Menschen nichts, die vorher umgebracht wurden. Auch die Demokratie gibt es nicht ohne Konflikt. Sie ist die Art, wie wir mit gesellschaftlichen Konflikten umgehen, zugleich bleibt eine Demokratie ohne Konflikt nicht lange eine Demokratie. Konsenssoße ist Gift für die Demokratie.

Hier der Link zum Buch. (Öffnet in neuem Fenster) 

Westentaschen-Mussolinis wie Kickl können nicht beantworten, was eigentlich am Ende, nach Polarisierung, nach der Wut- und Hassbewirtschaftung, nach dem von ihnen so leidenschaftlich betriebenen Zerstörungswerk stehen soll. Nicht einmal sie selbst können auch nur im Entferntesten eine Idee der Verwandlung in Verbesserungsenergie angeben. Das ist letztendlich auch ihr größter Schwachpunkt. Denn auch ihre verbiestertesten Anhänger wissen das. Sie wissen das insgeheim: Dass am Ende des Zerstörungsfurors nicht Verbesserung, sondern Verschlechterung steht. 

Sie machen nicht nur die Gesellschaft schlechter, sie machen die Menschen schlechter. Eine der großen Fehlannahmen ist ja, dass der rechte Radikalismus nur das Potential an Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft aufnehme, umgarne, sichtbar mache. Dass er nur spiegle, was ohnehin da ist. Das ist natürlich nicht gänzlich falsch, insofern er an Vorhandenes appelliert, aber auch nicht gänzlich richtig, denn er ist auch eine Umerziehung. Eine Umerziehung zur Grausamkeit, eine Einübung in die Schlechtigkeit. Diese Pointe sollte man nicht übersehen, gerade, weil ja eine Propagandafloskeln der Rechtsextremen lautet, die linken, liberalen und sonstigen „Gutmenschen“ würden die Menschen umerziehen wollen, zu Antirassisten, zu Migrantenfreunden, zu Feministen, zu Homosexuellen-Tolerierern oder was auch immer. Dabei verschweigen die Rechtsextremisten gerne, dass sie die Menschen auch umerziehen wollen, sie durch das tägliche Gift der Verrohung in grausamere Menschen verwandeln wollen, ihnen jede Empathie abgewöhnen wollen, usw. 

Richard Rorty, der große pragmatische Philosoph, hat in seinen eben erschienenen, nachgelassenen Vorlesungen seine theoretischen Konzeptionen noch einmal durchbuchstabiert, insbesondere seine Ansicht, dass die Vollendung der Aufklärung bedeute, ohne große metaphysische Autoritäten auszukommen, ohne Letztbegründungen, und auch ohne Instanz, die „Wahrheit“ oder die eigentlichen Bedeutungen hinter den Erscheinungen freilegen kann. Dass bedeute aber für ihn als Hochsschullehrer auch, dass er seine Studenten „erziehen“ wolle, ihnen nahebringen wolle, sich für eine bessere Sache einzusetzen, meinte er. Er denke, äußerte Rorty, dass es für eine Gesellschaft als ganzes nützlicher sei, sich für liberale Werte und soziale Gleichheit einzusetzen, aber es gäbe nun einmal keine Instanz, die beglaubigen könne, dass dies ein höheres Motiv sei als jenes, für das sich etwa Lehrer einsetzten, die der SS angehörten. Natürlich wolle er als Hochschullehrer auch „erziehen“. So wie die SS-Männer die Hitlerjugend zu Grausamkeit erziehen wollten, wolle er seine Schüler und Schülerinnen zu demokratischen Subjekten „umerziehen“, die die Gleichheit hochhalten. So dekonstruierte Rorty alle Begrifflichkeiten metaphysischer Schwundformen wie Wahrheit, Erhabenes, „die Realität“ (letztere existiere ja auch nicht jenseits kommunikativer Praktiken) und andere Absolutheitsansprüche. Auch Menschenrechte seien eine Konstruktion, und die Behauptung, sie hätten immer schon existiert – also schon bevor man sie anerkannte – sei eine sinnlose Aussage. Was wir so salopp ein moralisches Gesetz nennen, sei ein „konkretes Geflecht sozialer Praktiken“. 

Rorty: 

Ich habe keine Mühe damit, diese Antwort zu geben, denn ich beanspruche nicht, die Unterscheidung zwischen Erziehung und Gespräch auf einer anderen Grundlage zu treffen als meiner Loyalität gegenüber einer bestimmten Gemeinschaft, und zwar einer Gemeinschaft, deren Interessen es 1945 verlangten, die Hitler-Jugend umzuerziehen, während sie es 1993 verlangen, die Kinder im südwestlichen Virginia umzuerziehen. Soweit ich sehe, hat meine Form des Umgangs mit meinen fundamentalistischen Studenten nichts »Herrschaftsfreies« an sich. Nach meinem Dafürhalten dürfen sich diese Studierenden glücklich schätzen, unter der »Herrschaft« von Personen wie mir zu stehen und der Herrschaft ihrer ziemlich furchterregenden und gefährlichen Eltern entronnen zu sein. Für Putnam und Habermas hingegen ist die Behandlung solcher Studenten vermutlich ein Problem. Ich bin, wie mir scheint, genauso provinziell und kontextgebunden wie die nationalsozialistischen Lehrer, die ihre Schüler den Stürmer lesen ließen. Der einzige Unterschied liegt darin, dass ich einer besseren Sache diene. Ich stamme aus einer besseren Provinz.

Eine Besprechung von Rortys Vorlesungen habe ich in der taz von diesem Wochenende geschrieben, hier der Link, falls es Sie interessiert (Öffnet in neuem Fenster)

Ich denke, Rorty trifft hier einen Punkt, den wir gerne übersehen. Die rechten Extremisten wollen die Menschen umerziehen, zur Grausamkeit erziehen. Leute wie Kickl wollen Menschen, die möglicherweise den intuitiven Impuls verspüren würden, leidgeprüften Menschen zu helfen, mit ihnen Mitleid zu empfinden, dazu bringen, dass sich diese die Empathie und das Mitleid abgewöhnen und in einem Flüchtlingskind mit zerrissener Kleidung nicht das hilfsbedürftige Geschöpf zu sehen, sondern den gefährlichen Eindringling, der abgewehrt werden muss. Die Rechten wollen die Menschen umerziehen, aber auch die Linken wollen die Menschen umerziehen. Sie wollen Rassisten umerziehen, damit sie keine Rassisten mehr sind, und Menschen mit grausamen Intuitionen zu Menschen mit Empathie. 

Was eigentlich sollte man mit Rassisten denn auch sonst tun? 

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