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Friedrich Merz, der AfD-Macher

Die ÖVP will Marxistenverfolgung, die CDU sieht im Aufstieg der Rechtsextremisten den Auftrag, die Grünen zu bekämpfen.

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Die ÖVP in Wien hat nun wieder einmal mit einer ihrer „originellen“ Aktionen aufhorchen lassen. Nachdem man in den vergangenen Monaten von einem städtischen Markt zum nächsten gezogen ist, um dort „fremdländische“ Marktstandbetreiber zu beschimpfen (wir lernen: Ausländer, die arbeiten, sind offenbar noch schlimmer als Ausländer, die nicht arbeiten), will sie nun Andersdenkende verfolgen. Wer in Wien Förderungen bekommen will, der müsse einen „Marxismus-Check“ unterzogen werden, so die jüngste Forderung. Das war einigermaßen missverständlich formuliert, die ÖVP will natürlich nicht, dass man für Förderungen einen Marxismus-Test bestehen muss, sondern umgekehrt, wer in Marxismus-Verdacht steht, solle von Förderungen ausgeschlossen sein. Genauere Vorschläge zur Vorgangsweise, wie man Marxisten auf die Spur kommen sollte, die zwecks Förderungsabsicht ihr Marxisteln verbergen, sind bisher noch nicht am Tisch. Aber man kann sich da ja beim erfolgreichen Wirken des seinerzeitigen rabiat-antikommunistischen US-Senators Joseph McCarthy bestimmt viel abschauen. Ein „Ausschuss für anti-österreichische Umtriebe“ wäre doch etwas.

Ergänzen könnte man die Pläne der ÖVP durch einige flankierende Maßnahmen, wie etwa ein Aufführungsverbot für Stücke von Bertolt Brecht oder Elfriede Jelinek, öffentliche Gesinnungstribunale für Marxismus-Verdächtige, Grenzkontrollen an Flughafen und in der Bahn zwecks Aufspürens verbotener Literatur. Dann wird reisen endlich wieder ein Nervenkitzel, so wie seinerzeit, wenn man in die DDR ein paar Ausgaben des „Spiegel“ schmuggelte. Auch öffentliche Verbrennungen der Werke von Marx und Engels können erwogen werden.

Morgen macht die ÖVP dann sicherlich wieder eine Aussendung gegen die woke „Gesinnungsdiktatur“ oder grüne „Verbotspolitik“.

Es ist übrigens dieselbe ÖVP, die in Niederösterreich, Salzburg und Oberösterreich mit den rabiatesten Rechtsextremisten der FPÖ koaliert, die gewaltbereiten Identitärenfreunderln die Türen zum Regierungsapparat öffnet und diese Allianz des Grauens auch noch als Bündnis für die „Normaldenkenden“ bezeichnet.

Man sieht, wie weit der klassische Konservatismus, der vor ein paar Jahren noch in der Traditionslinie einer moderaten Christdemokratie stehen wollte, aus der Spur geraten ist.

Und dabei reden sie sich wahrscheinlich auch noch ein, dass sie mit dieser Form der Selbstradikalisierung den „rechten Radikalismus“ bekämpfen, indem sie ihm die Themen wegnehmen. Was nur leider nicht stimmt. Sie machen mit jedem Unfug die Themen des Rechtsextremismus stärker, führen die Verrücktheit in die politischen Diskurse ein und zerstören Schritt für Schritt die liberale Demokratie. Wenn Sie sich die Frage stellen: „Wie Demokratien sterben?“, dann sehen wir hier die schlichte Antwort: So nämlich.

Mag man die Sonderlichkeiten der ÖVP in Wien, die für ihre Schrulligkeiten bekannt ist, noch als relativ belanglos abtun können, so sehen wir die selben Tendenzen auch bei den Konservativen und einstigen Liberalen der FDP in Deutschland, und da hört sich der Spaß dann leider auf. Gerade sind ja in Deutschland alle ganz aufgeregt, weil die AfD in Umfragen um die 20 Prozent rangiert, und bei einer Landratswahl im thüringischen Sonneberg erstmals einen Kandidaten mit absoluter Mehrheit durchbrachte. Der Gegenkandidat von der CDU fiel durch, obwohl er die Unterstützung aller anderen demokratischen Parteien hatte, also etwa auch der SPD und der Grünen.

Nach diesem Ergebnis erklärte CDU-Chef Friedrich Merz, von nun an müsse es einen schärferen Kurs gegen „die Grünen“ geben, diese seien „der Hauptfeind“.

Die bizarre Absurdität der Aussage, dass nämlich die Partei, die einen unterstützt hat, der Hauptfeind sei, aber nicht die antidemokratische Partei, gegen die der eigene Kandidat gerade verloren hat, muss man auch erst einmal hinbekommen. Aber in ihrem Tunnelblick fällt den Konservativen diese Paradoxie wohl nicht einmal mehr auf.

Wenn man die Dinge einigermaßen nüchtern betrachtet, sieht die Sache so aus: die radikalisierten Konservativen übernehmen die Themen, die Rhetorik der rechten Extremisten, begeben sich mit diesen in einen Überbietungswettbewerb, versuchen in der Wutbewirtschaftungen mitzumachen, im falschen Glauben, damit die Ultrarechten zu schwächen. Wie aber jeder mit ein paar Neuronen im Kopf leicht erkennen kann, stärkt man dann die rechten Themen, trägt zur Hegemonie ihrer Rhetorik bei, ja, im Grunde bestärkt man sogar die Radikalisierungsspirale, da ja in einem Überbietungswettbewerb dann alle noch einen Zahn zulegen müssen, weil es dann ja darum geht, wer der härtere Hund und der schrägere Radikalinski ist. Da es bei der Wutbewirtschaftung auch nur mehr um die schrillere Schlagzeile geht, leidet außerdem das, was den demokratischen Wettbewerb eigentlich produktiv macht, nämlich die Auseinandersetzung um bessere Lösungen. Wenn, beispielsweise, die Frage des technologischen Transformation zur Bekämpfung des Klimawandels zum Kampf um „die Heizungsideologie“ quasi religiösisiert wird, dann geht es ja nicht mehr um die Verbesserung des einen oder anderen Gesetzes, sondern um die Fundamentalopposition gegen die Idee selbst, dass man den Klimawandel bekämpfen muss. Kurzum: Vernunft wird durch Irrsinn ersetzt.

Fast noch ärger ist es bei dem Überbietungswettbewerb, wer nun der schrillere Kämpfer gegen „Wokeness“ ist. Denn bei den komplexen Themen der Umweltpolitik sind direkte Interessen und der Alltag von Millionen Menschen tatsächlich berührt. Von der Verkehrspolitik (Auto, Tempolimit etc.), über die Heizungstechnologie und die Frage, wer die Kosten trägt (Mieter:innen, Vermieter:innen, kleine Hausbesitzer, der Staat durch Subventionen…), all das sind ja wenigstens noch reale Fragen, und die Verunsicherungen, die dadurch entstanden sind, ja gut nachvollziehbar. Aber mittlerweile kampagnisiert man ja immer stärker „Probleme“, die ohne diese Kampagnen gar niemand hätte. „Feindbilder werden erfunden, Ideologien aus den USA importiert und über die sozialen Medien verbreitet“, beschrieb Nils Minkmar diese Politik der Paranoia unlängst in der „Süddeutschen Zeitung“. Er sieht bei den konservativen Akteuren „fehlenden Ernst“ und „die Bearbeitung mehr oder weniger erfundener Probleme“. Wenn US-Konservative in Florida heute gegen Mickey Mouse kämpfen, dann die hiesigen gegen Gendersternchen und gesetzliche Regelungen zum rechtlichen Status von Transsexuellen. Über all das kann man ja durchaus verschiedener oder besser: ambivalenter Meinung sein, aber letztendlich ist die Frage, ob jemand eher so oder so spricht oder schreibt oder wie die rechtlichen Regelungen sind, die höchstens ein paar tausend Leute betreffen werden, für den Alltag und die Leben der allermeisten Menschen völlig egal. Persönlich sehe ich da ja in etwa so, beispielsweise: Ob eine Person, die mit ihrer Genderidentität ein Leben lang gerungen hat, biologisch ein Mann oder eine Frau ist, ist mir relativ egal. Wesentlich ist doch eher, dass es diese Person in vielen Phasen ihres Lebens bestimmt nicht leicht gehabt hat und mit ihrem Ich-Bild in aller Regel kämpfen hat müssen (im Unterschied zu all jenen, die mit ihrer Identität kein „Problem“ haben), und dass man deshalb eher nicht auf diesen Leuten herumtrampeln sollte. Und dass, unabhängig von biologistischen Fragen, niemand diskriminiert werden soll. Aber in ihrem Alltag haben 99 Prozent der Menschen damit überhaupt nie ein „Problem“, es sei denn sie sind auf Twitter oder geraten in den Sog irgendwelcher Telegram-Kanäle. Aber weil die Rechtsradikalen vornehmlich Kulturkampf-Themen wie diese führen und sie schablonenhaft framen („Die Normalen gegen alle möglichen Devianten“), machen die Konservativen da mit. Es ist schon verständlich, warum sie dafür anfällig sind. Seit jeher sind sie, gerade in Fragen der „Familienpolitik“ (und damit in allen Fragen, die Partnerschaften, sexuelle Identität etc.) betreffen, auf Seiten einer irgendwie unterstellten „Normalität“ gegenüber allem, was ihnen als progressive Herausforderung desselben erscheint. Nur dass sich halt auch die Konzeptionen von „Normalität“ ändern. Früher war auch die Vergewaltigung in der Ehe für Konservative „normal“, weshalb sie gegen den „Richter im Ehebett“ kampagnisierten. Man kann deshalb auch sagen: Heute sind partnerschaftliche Ehen und selbst homosexuelle Partnerschaften auch für Konservative so weit „normal“, dass sie ihre Kampagnen gegen Transsexuelle führen müssen.

Der radikalisierte Konservatismus besorgt das Geschäft der Rechtsextremisten. Friedrich Merz ist der größte AfD-Macher im Land. Claudius Seidl hat in der FAZ darauf hingewiesen, dass die Rhetorik der Konservativen ja nicht einfach die Thematiken der AfD übernimmt, sondern implizit und sogar explizit signalisiert, dass die Rechtsextremisten recht hätten. Wenn Merz formuliert: „Mit der AfD können die Bürgerinnen und Bürger heftige Denkzettel verpassen. Diese treffen derzeit vor allem die Grünen, die nur noch dann eigene Klientel erreichen, aber außerhalb davon mit ihrer Volkserzieherattitüde auf besonderen Widerstand stoßen“, dann ist das nicht nur eine Legitimierung von AfD-Positionen. Das ist von einem Wahlaufruf mit freiem Auge auch nicht mehr zu unterscheiden. Lustigerweise erwähnt er auch Bürgerinnen, was wiederum schon dem „Genderwahn“ nachgibt, aber das nur nebenbei. Sollten gerade angesichts der Botschaft, die Merz hier setzt, nicht auch Bürgerinnen mit dem generischen Maskulinum Bürger mitgemeint sein? Naja, er ist ja bekanntlich nicht die hellste Kerze auf der Torte.

Der zweitgrößte AfD-Macher im Land ist heute leider auch die einstmals liberale FDP, die nur mehr ökonomisch neoliberal ist und ansonsten den gesellschaftlichpolitisch antiliberalen „Normale“-Floskeln des rechten Extremismus nachläuft, sie zu kopieren versucht. Statt eine klare gesellschaftsliberale Kontur zu entwickeln, macht sie das Gegenteil und versucht, eine AfD-Light zu sein. Das ist deshalb fatal, da die FDP in der Ampel mitregiert. Das hat dann die logische Folge, dass die Regierung erstens als zerstritten erscheint, und zweitens die AfD-Ideologie ein trojanisches Pferd in der Regierung hat, und zugleich die Merz-CDU und die AfD als Opposition. Das macht die gesamte Spielanordnung des demokratischen Settings – hier Opposition, da Regierung – zu einer schiefen Ebene. Wenn selbst Regierungsparteien und die große konservative Opposition der AfD Recht geben, was soll dann so schlecht an der AfD sein – das ist die Botschaft, die logischerweise bei der Wählerschaft ankommt.

Die Gefährdung der liberalen Demokratie geht nicht von den Rechtsextremisten aus, die isoliert bleiben und deren Themen keine Zentralität erlangen würden, würden die konservativen und liberal-konservativen Parteien ihnen nicht dauernd in die Falle gehen und die Entwicklung eigener Politiken durch die Kopie des AfD-Jargons ersetzen.

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