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Folge X, Y, Z oder: Ein New Frohmanntic in Romanlänge

Cover mit New-Frohmanntic-Schriftzug und per App verschwurbeltem Foto einer Person

Vorweg

Ich wollte gar keine Pause machen, die Pause ist einfach passiert.

Dabei klöpple ich den New Frohmanntic meist ziemlich locker zusammen, ich brauche dafür selten mehr als einen ganzen Tag. Für dieses Lockerschreiben wird aber eine entspannte Grundhaltung benötigt. Eine entspannte Grundhaltung lässt sich leider nicht erzwingen, das muss wohl nicht erklärt werden. 

Das erinnert mich ans Tennis, wo der Trainer meine Spielpartnerin und mich jeweils mindestens hundertmal pro Stunde ermahnt:

»Nicht so verkrampft, gaaaaanz locker.«

Eigentlich müssten wir dann jedes Mal rufen: »Wie soll das gehen im Patriarchat? Wie soll das gehen im Kapitalismus!?!«

Das wäre aber nicht hilfreich, denn der Trainer ist ein ganz okayer Dude und Tennislernen ist eine der wenigen kalkulierbaren Sachen, die mich aktuell entkrampfen, lockern. Offensichtlich ist das aber von außen nicht sichtbar.

Neulich war ich so locker, dass ich mir beim Üben von Rückhand Longline mit dem rechten Daumennagel eine Ader am linken Handgelenk aufgeschlitzt habe. Von wegen kein Kampfgeist, ich schlage sogar mich selbst.

Wunde am Handgelenk

Tennis-Stigmata

Ach ja, Tennis. Mein Mann meinte vor ein paar Tagen, öffentliche Tennis-Erwähnungen aka Instastorys mit Tennis-Liebeserklärungen könnten schlecht für mein Image sein. Weil Tennis dann doch immer noch der Inbegriff des Bürgerlichen sei. Letzteres stimmt, Ersteres glaube ich nicht bzw. kenne ich diesen Kritikmodus nur von Personen, die sowieso jederzeit bereit sind, eher ungnädig über mich zu urteilen, weil ihre Sympathie oder zumindest ihre Neutralität mir gegenüber im Grunde ihres Herzens nicht echt ist.

Alle anderen werden es mir einfach gönnen, dass ich zum ersten Mal ein Hobby habe. (Tennis als erstes Hobby ever aufzufassen, habe ich von Jovana Reisinger auf Insta übernommen.) Aber was ist mit Lesen und Gartenarbeit? Nein, das sind eher Wesenslagen. Tennis ist mein erstes Hobby. Ausgerechnet der Luxussport aus der Zeit meiner Kindheit? Perfekt, mein Armes-Kind-in Bad-Homburg-Ich feiert es. Der Mitgliedsbeitrag in meinem Pankower Club kostet außerdem nicht viel mehr als ein random Turnverein, weil »bei uns« nirgendwo dezent Angestellte mit Gartenschlauch im Hintergrund agieren. »Bei uns« müssen Mitglieder mehrmals im Jahr richtig ackern, damit die Anlage benutzbar bleibt. So stelle ich mir, nicht nebenbei bemerkt, Vereine vor, wenn es schon Vereine geben muss. Hier »bei uns« in Ost-Berlin werden gemeinschaftlichen Arbeitseinsätze traditionell gern Subbotnik genannt, aber ich kann den Ausdruck nicht leiden.

Neben Trampolinspringen und Rollschuhlaufen ist Tennis der einzige Sport, der mich wirklich glücklich macht. Image ist nicht alles. Das Gegenteil ist sogar wahr, wenn IDGAF, dann ist Image nichts. Also Schluss mit falscher linker Tennisscham. I LOVE TENNIS! Und Goldschmuck. Loop.

Zurück zur Pause. Immerhin ist das große Verlagsaufräumen jetzt fast geschafft, hoffentlich ist danach noch Verlag übrig. Mindestens ein weiteres Programm verspreche ich aber. Und sollte der Frohmann Verlag danach verschwinden, merken das eh nur etwa hundert Personen (ihr), und es rücken bestimmt gleich drei neue Verlage von je ein bis zwei total sympathischen Dudes nach, die es spätestens nach drei Jahren geschafft haben, Kulturredaktionslieblinge sind, Preise gewinnen usw. usf.

Vielleicht gründen ja ein paar bierchenbefreundete Übergriffelos demnächst einen Verlag namens metoo. Wooooow, waaaaaas für eeeeeiiiiin Skaaaandaaaal. Das wäre der totale Knaller, da könnte selbst Kiwi einpacken.

Wann erscheint das Anti-metoo-Buch von Sophia Thomalla mit Cover von Till Lindemann bei Kiwi ?

Im Print-Tagesspiegel waren heute Bilder von Sophia Thomalla und Valentin Moritz und jede Menge Texte über die AfD, darunter einer, der sagte: Selbst schuld, wenn ihr AfD-Wähler nicht respektiert, sondern völlig übertrieben Nazis nennt. – Alles daran ist falsch. Redaktionelle Minus-Ethik.

Mit dem Tagesspiegel-Lesen bin ich jetzt also schon wieder durch. Ich dachte ja, es würde mir mal ganz guttun, NICHT NUR INNERHALB DER BUBBLE ZU LESEN. Piefige Kolumnen mit viel Weißraum auf der Seite hätte ich in diesem Kontext okay gefunden, aber es ist leider doch zu arg. Übrigens sind in fast jeder Ausgabe auf jeder Seite mehrere Tippfehler. Herr Lehrer, die deutsche Sprache stirbt nicht wegen Social Media, sondern wegen der Printzeitung.

Falls ihr wissen wollt, wie es in einer wirklich seriösen Redaktion aussieht, hier kein Symbolbild:

Katze liegt neben Bett. Im Bett sieht man Laptop.

Etwas Altes: Durchwachte Nächte

In letzter Zeit bin ich in sehr alte Gewohnheiten zurückgefallen und habe Nächte durchgearbeitet. Zum einen, weil ich mich nachts, wenn die Umwelt kaum visuelle oder inhaltliche Ablenkungen bereithält, besser konzentrieren kann. Dann kann ich mich sogar hervorragend konzentrieren. Zum anderen – bisschen peinlich –, weil es mir einen Kick gegeben hat, dass ich es immer noch kann: komplett drogenfrei 36 h aufbleiben. Meine alte Superkraft, die mich früher Mitraver*innen immer etwas suspekt erscheinen ließ. Mein 90er-Jahre-Berlin-Roman würde deshalb auch Spaßbremse heißen. (Titelschutz! Ihr seid meine Zeug*innen.) Um jetzt nicht Straight Edge rüberzukommen: Ich habe im Leben schon ab und zu Drogen genommen, aber ich musste es halt nicht so um jeden Preis, und ich wollte es sehr oft auch nicht. Funfact: Als »Spaßbremse« bezeichnete mich 1999 ein zugekokster Weltkonzern-Erbe von moralischer Komplettverkommenheit,– es ist deshalb in meinen Augen ein Ehrentitel.

Noch etwas Altes: Linke Prekariatsmaskerade

Mein öffentlich unverhohlenes Tennisglück ist mir selbst noch ein bisschen unheimlich, denn, ohne dass darüber groß gesprochen wird, ist es in bürgerlich linken Kreisen eher üblich, sein finanzielles Licht unter den Scheffel zu stellen. »Es« hat sich eingebürgert (der wirklich passende Begriff!), als Linke zu vertuschen, was am eigenen Leben privilegiert ist. Nicht nur die Herkunft (bei mir: geht so), die Ausbildung (bei mir: top), sondern auch das Eigentum und der Besitz, und zwar auch im Sinne von Eigentum und Besitz, auf die sich aus der zweiten Reihe zugreifen lässt.Ich nenne das »Prekariatsmaskerade«. Bisschen weniger arg als eine aufmarginalisierte Familiengeschichte, aber schon auch fragwürdig. Das Folgende mag sich jetzt lesen wie ein Nonmention-Austeilen gegen ganz bestimmte Individuen, tatsächlich aber kenne ich persönlich mindestens ein Dutzend Menschen, auf die es zutrifft, und in einigen Aspekten geißele ich mich auch offiziell selbst.

Bestimmt habe ich in einer früheren Folge schon mal über »Tomatenbrotlegenden« geschrieben. Darunter verstehe ich von wohlhabenden Menschen gern erzählte Anekdoten, wie sie mal drei Sekunden lang in ihrem Leben kein Geld hatten und deshalb drei Sekunden lang (okay, vielleicht auch drei Monate oder drei Jahre lang) nur Tomatenbrote oder täglich eine Tafel Schokolade zu essen hatten oder nur ein einziges Paar Schuhe besaßen oder aus Geldmangel eine Windel fürs Kind bei der Nachbarin schnorren mussten ... ihr versteht schon. Wichtig ist, dass diese Geschichte deutlich gerührt von der eigenen Entbehrung erzählt und am besten noch einer Person aufgedrückt wird, die man aktuell unbezahlt für sich arbeiten lässt, obwohl man selbst deutlich gut lebt. Für eine Tomatenbrotlegende muss man nicht links sein, Tomatenbrotlegenden einen die Dominanzgesellschaft.

Tomatenbrotlegenden sind aber keine richtige Prekariatsmaskerade, sie sind nur etwas schmierig und vor allem krass cringe.

Die linke Prekariatsmaskerade hingegen wird von nicht armen Menschen performt, die aktuell oder dauerhaft wenig Geld zum Ausgeben haben, also von Leuten wie mir.

Faktencheck: Ich verdiene in einem normalen Jahr unter zweitausend Euro brutto im Monat und habe deshalb nach Abzug aller Fixkosten relativ wenig Geld zur Verfügung. Meine zu erwartende Rente wird gerade mal ausreichen, um Lasers Katzenfutter zu bezahlen, meine Altersversorgung ist eine Katastrophe, ich erwarte auch kein Erbe. Mein Mann verdient etwas mehr und trägt auch mehr von den Kosten. Trotz unserer nicht sehr üppigen Einkünfte leben wir in einem eigenen Haus mit großem Garten. Es ist möglich, dass der Endzeitkapitalismus uns über dieses unbewegliche Eigentum noch zu Millionär*innen machen wird. Unser Haus ist klein, von außen oll und trotzdem mittlerweile so übertrieben viel wert. Dieser Umstand will nicht in meinen Kopf rein, denn ich hatte nie viel Geld und habe auch nicht danach gestrebt. Das Haus haben wir sehr günstig gekauft, auf Kredit mit kleinen Raten und ohne geerbtes Geld, vermutlich in der letzten Sekunde eines heute kaum noch vorstellbaren Berlins. Eine Kombi aus Umständen, die sich für uns glücklich zusammenfügten: Mein Mann arbeitete damals ein paar Jahre lang in Viel-Geld-für-die-Firma-machen-heißt-viel-Geld-von-der-Firma-bekommen-Jobs und verdiente wirklich unverschämt viel Geld. Irgendwann konnte er die Umstände menschlich nicht mehr aushalten und stieg aus. Es war aber in dieser Zeit hoher Einkünfte – quasi unsere Anti-Tomatenbrot-Zeit –, dass ich das Haus auf Immoscout entdeckte und »wir« den Kredit bekamen, nur sehr knapp, aber knapp ist auch geschafft. Faktisch sind wir also mittlerweile reich, auch wenn sich dies nicht in Geld, das wir konkret zur Verfügung haben, ausdrückt. Reich fühle ich mich wegen des Hauses und des Gartens insofern, als dass unser Leben hier Ruhe und Freiheit ermöglicht. Aber, und hier greift meine Prekariatsmaskerade: Ich fühle den finanziellen Reichtum nicht und sage oft, dass ich das Eigentum nur schätze, weil ich so zur Miete nie wohnen könnte, weil es zu teuer wäre. Aber, das ist doch letztlich nur frivoles Blabla, denn wen interessiert das? Was interessiert, ist, dass ich bekommen habe, was andere nicht mehr oder nie bekommen konnten. Ich bin reich, auch wenn mir das im klassischen Sinne nicht so erscheint. Ich bin reich, obwohl ich es mir sachlich betrachtet ökonomisch immer noch nicht leisten kann und nie leisten konnte, einen Indieverlag zu betreiben. – Ich bin reich, weil ich einen Schutzschirm habe: das Haus. Wenn alles reißt, kann das Haus beliehen oder verkauft werden. Keine schöne Vorstellung, aber eine reelle Möglichkeit.

Kleiner Einschub, weil so etwas vielleicht gar nicht allen bekannt ist – ich wusste es früher jedenfalls nicht: Wenn du irgendwie hinbekommst, dass dir eine Bank den Immobilienkredit gibt, zahlst du danach monatlich oft deutlich weniger ab, als die Miete deiner Wohnung vorher gekostet hat. Diese eine Kreditzusage ist wirklich wie die Erlaubnis zum Reicherwerden.

Wohnen im Eigentum ist nicht kostenfrei, aber die Kosten bewegen sich im Rahmen einer moderaten Miete und nicht einer realen Berliner Phantastik-Miete. Vermutlich werden wir, um das Haus halten zu können, auch als alte Personen weiterarbeiten, Reiche sein, die ein eher bescheidenes Leben führen. Daran nervt aber nur, dass wir es ökonomisch müssen, denn im Grund stehen wir auf ein einfaches Leben mit gelegentlichen hedonistischen Ausbrechern. Wir haben buchstäblich alles, was wir brauchen und schön finden: selbstbestimmten Wohnraum, Garten zum Niestillsitzen (beide) und Pflanzenanstarren (Ich), Katze, genug Raum, um sich auch gegenseitig in Ruhe zu lassen, genug Raum, um temporär Menschen, die es gerade brauchen können, zum Bleiben einladen zu können.

– Bei anderen nicht wirklich Armen mit relativ wenig Geld zur Verfügung sehe ich andere Ausprägungen der Prekariatsmaskerade. (Seid nicht sauer auf mich, ich bin ja, wie beschrieben, nicht besser.) Menschen haben kein Geld und buchen Tickets für Flugzeuge oder Züge grundsätzlich kurzfristig, was unnötig enorme Zusatzkosten erzeugt. Sie haben kein Geld und nehmen fast immer ein Taxi, was zehnmal teurer als die U-Bahn ist. Sie haben kein Geld und kaufen nie im Discounter ein. Sie sehen so selbstverständlich nicht aufs Preisschild, wie wirklich arme Menschen immer aufs Preisschild sehen. Ja, ich weiß, dass auch manche wirklich armen Menschen pathologisch über ihre Verhältnisse leben, aber das meine ich nicht. Ich meine Personen, die durch Achtlosigkeit unnötig viel Geld ausgeben, weil auch bei ihnen ein unsichtbarer Schutzschirm wirkt. Sie haben wohlhabende Elternteile oder Partner*innen, die ihnen immer wieder aus der finanziellen Scheiße helfen und sind sich ihres Reiche-Leute-Lifestyles oft nicht einmal bewusst.

Eine weitere Variante der Prekariatsmaskerade ist, wenn linke Personen in Eigentumswohnungen leben, es aber nicht aussprechen, nicht mal vor Freund*innen, niemals. (Sie werden ausnahmslos immer von irgendwem verpetzt.) Auch das gibt es häufig, ich kannte mal eine Bankdirektorstochter, die ihre Eigentumswohnung in einem schnieken Bezirk Berlins untervermietete und selbst zur Miete in einer abgefuckten Wohnung mit Hausbesetzer-Charme lebte. Natürlich musste sie im Studium nicht jobben, aber sie sah in ihren abgerissenen Vintageklamotten zehnmal mehr so aus als ich, die es musste.

Ich habe kein Problem damit, dass Linke, darunter auch Aktivist*innen manchmal aus wohlhabendem bis reichem Hause kommen. Aber ich glaube, die Linke wäre weniger zerrissen, wenn Menschen ihre im Vergleich kuscheligere Ausgangslage transparent machen würden. Nicht nur »Mein Haus, mein Auto, mein Pferd« ist ekliges Distinktionsgepose, auch das Verschweigen von eigenem Haus, Auto, Pferd kann es sein.

Wirklich arm sind Menschen, die monatlich nicht genug Geld für ein würdiges Leben und keinen privaten Rettungsschirm zur Verfügung haben. Wenn wirklich arme Menschen »über ihre Verhältnisse leben« und sich mal gönnen, was sie sich nicht leisten können oder aus Überforderung verpeilen, Rechnungen zu bezahlen, obwohl das Geld gerade ausnahmsweise noch da wäre, sind sie wirklich am Arsch, nachhaltig, oft für immer.

Wenn die mit dem Rettungsschirm das machen, wird es auch unangenehm, hässlich, peinlich. Da muss Papa gefragt werden, mit dem es Issues gibt, Mama, zu der Abstand gehalten werden möchte. Die Partnerperson, die »Schon wieder ... immer ... warum« sagt. Aber dann wird gerettet aka überwiesen, geklärt, geregelt. Nach der Rettung fühlt die nicht wirklich arme Person sich schlecht, fährt dann aber zumeist fort mit dem reichen Lifestyle, den sie zwar nicht weniger verdient als ein Machtknilch wie Christian Lindner, der sie aber diesem strukturell näherstehen lässt als der wirklich armen Person.

Ich bin auch nicht frei davon, mich wie die reiche Axt im Walde zu benehmen, nicht in Sachen Konsumverhalten, sondern bei der Unternehmensführung. Mein Sterntaler-galore-Wirtschaften würde gut zu einer Charity-Lady passen, die nicht aufs Geld sehen muss. Ja, und dann ist wieder großes Drama, und ich muss mir Geld leihen, um es wieder in Ordnung zu bringen. Zum Glück gibt es nahe Menschen, die es mir leihen, wenn auch zu Recht schimpfend. Danach stottere ich das Geld ab, vergesse allmählich, was war, und dann geht es wieder von vorne los. Aber auch wenn ich es immer wieder vergesse und so unnötige Fehler wiederhole, betrachte ich den Fail als mein eigenes Werk und nicht als Ungerechtigkeit der Welt. Ich bin nicht arm, sondern entscheide mich frei dafür, in einer Gesellschaft, die ein gutes Leben nicht selbstverständlich ermöglicht, gut und frei aka selbstbestimmt zu leben. Dafür bezahle ich mit Wenig-Geld-haben, es ist nicht optimal, aber es geht. Wirklich arme Menschen können dieses relativ gute Leben im Unguten meiner Einschätzung nach aktuell nicht erreichen. Deshalb ist es unsolidarisch, sich selbst als prekär lebend zu verorten, während andere Menschen dort verortet werden und festsitzen.

Viele Menschen, ich auch, sind sich ethisch und sozial zu fein, bestimmte Arbeiten zu übernehmen, mit deren Bezahlung die Haushaltskasse deutlich besser gefüllt würde. Ich wäre zum Beispiel eine exzellente Werbetexterin, arbeite aber nicht als eine. Das ist mein gutes Recht und das anderer Menschen auch. Aber meine mitmenschliche Pflicht ist es, dazu zu sagen, dass sie und ich in einem bestimmten Rahmen – bis zur gläsernen Decke, von wo aus einem dann weiße cis Männer zuwinken – eine Wahl haben, die andere Menschen nicht haben. »Ich würde jederzeit bei Aldi an der Kasse arbeiten« ist schnell gesagt, aber wirklich in solchen Jobs oder gar in der Fabrik gearbeitet haben nur meine Freund*innen ohne wohlhabende Eltern.

Und weil ich wirklich nicht gern über Geld nachdenke und spreche, schreibe ich jetzt auch noch den Rest auf. Wo lasse ich mein Geld?

Ich lebe in vielerlei Hinsicht bescheiden und gebe wenig Geld aus. Kaum Restaurantbesuche, kaum Alkohol, keine anderen Substanzen. Aber das ist kein Verdienst, es zieht mich einfach nicht dazu hin. Ich liebe schöne Klamotten, aber trage immer für längere Zeit im Wechsel dieselben zwei Kleider, die dann irgendwann durch zwei neue ersetzt werden müssen. Als figürlicher Normi mit Sinn für Styles, die andere hängenlassen, shoppe ich von jeher günstig bei Zara oder H&M. Käufe von einzelnen Stücken für über hundert Euro, etwa für Stiefel, fallen mir mental schwer, was praktisch ist, denn ich kann sie mir tatsächlich nicht oft leisten. Etwas richtig Teures für 500 Euro oder mehr kaufe ich nur etwa alle zehn Jahre, wenn ich an nichts mehr anderes denken kann als an diese WARE, zuletzt war es eine Chanel-Brille. Diese, meine erste Brille überhaupt, hat wirklich schwindelerregend viel Geld gekostet, aber sie ist wunderschön, auch erhaben und steht mir gut – ich werde sie ohne jeden Zweifel bis zu meinem Tod tragen, außer, ich zerstöre sie vorher versehentlich. Ich habe auch noch zwei etwas teurere Sonnenbrillen, aber die sind schon alt und auch für immer. Teuer meint über hundert Euro, nicht teuer wie eine Chanelbrille. Abgesehen von systemsprengenden Ausgaben für Chanel-Brillen brauche ich ungefähr 500 Euro pro Jahr für Kleidung. Ein relativ stabiler Stil spart tatsächlich Geld >>> klingt gut, ist aber nur innerhalb der Nicht-richtig-arm-Logik wahr. (Der Popperdude von der WELT, dessen Namen ich nicht mehr nenne, hat mal gesagt, dass teure Designerkleidung kaufen letztlich billig wäre, weil sie länger hält. Augenrollsmiley.)

Kosmetik ist bei mir ein ganz niedriger Finanzposten: Ja, ich trage immer den gleichen teuren YSL-Lippenstift, davon brauche ich zwei pro Jahr, aber sonst nur Billig-Lotion, -Concealer, -Deo, -Shampoo. Zu besonderen Anlässen weißen 3-EUR-Glitter aus dem Bastelladen auf die Lider. Das Döschen reicht für zehn Jahre. Mein immer gleiches Parfum lasse ich mir alle zwei, drei Jahre schenken. Alles zusammen Ausgaben unter 150 Euro im Jahr. Auch hier gilt: Ich bin nicht so low key, weil ich das ethisch toll finde, sondern weil ich keinen besonderen Sinn dafür habe. Ohne die genannten Produkte würde ich mich schrecklich fühlen, aber mehr wäre auch irgendwie Stress.

Oh, aber das Gold, mein nicht weniger Goldschmuck, wartet, ich gehe ihn mal wiegen. ... Rechnet man grob die Legierungen ein, besitze ich ungefähr 50 Gramm reines Gold. So doll ist das auch nicht. Suchmaschint. Ich bekäme heute dafür ungefähr 2.500 Euro. So viel kostet eine viertel Birkin Bag, mickrigste Ausführung. Trotzdem wäre mein Goldschmuck das einzige Gut bei uns im Haus, das Einbrecher*innen mitnehmen würden. Okay, und jetzt vermutlich noch die Chanelbrille. Obwohl wir gefühlt und vermutlich auch buchstäblich alles haben und das meiste in schön. Aber alles ist ein bisschen oll oder hat Risse, Abplatzungen, aber nicht als gewollter Shabby Chic, sondern als Resultat von Leben.

Im Haushalt verursache und trage ich 1.000 Euro Kosten. Also für Essen, Strom, Wasser, Müll, Grundgebühren, Haus-Instandhaltung etc. Das meiste freiwillig von mir ausgegebene Geld schluckt der Verlag, weil Verlegen viel kostet und in der Zeit des Verlegens nicht anders Geld verdient werden kann. Verlegen ist der einzige Posten, der mich jährlich mehrere tausend Euro kostet, selbst jetzt, wo ich länger schon keinen neuen Titel veröffentlicht habe.

Ungefähr dreihundert Euro im Jahr gebe ich für Bücher und Magazine aus, eine ähnliche Summe für Streaming-Abos. Ein bisschen günstiger ist das Tennis. Ansonsten kaufe ich mir eigentlich nur noch ab und zu mal ein Eis. Also knapp tausend Euro für Hobbyfreizeitsportunterhaltung. Nicht richtig wenig, nicht richtig viel.

Reisen reizt mich aktuell null, vermutlich weil ich insgeheim darauf hinarbeite, ganz nach Italien zu ziehen. Meloni soll sich, damit mein noch offener Lebenstraum nach Tennis wahr werden kann, bitte asap mit von der Leyen nach Nordkorea verpissen. – Ihgitt, habt ihr das Foto gesehen, wie sie sich so einträchtig niederträchtig an den Armen halten: Komm, Schwester, lass uns zusammen postfaschistisch Leute sterben lassen. – Ich muss nicht reisen, weil es bei mir zuhause und im Garten superangenehm ist. Früher habe ich eine Menge Geld für Pflanzen ausgegeben, aber mittlerweile ist der Garten so, wie ich ihn schön finde und alles wächst von selbst nach. Nein, unbekannter Protestanten-Boomer, es ist nicht langweilig, wenn maus alles hat, es ist schön. Ich bin ja auch nicht wunschlos glücklich, möchte zum Beispiel noch ganz unbescheiden eine gewaltfreie Welt. Der Garten ist jetzt also günstig, aber nur, weil er früher teuer war. Es gibt überhaupt eine Menge Stellen in meinem Leben, die ich am heutigen Tag als super nachhaltig und günstig vermarkten könnte – Image, GFY –, aber es ist eben wichtig, den Weg dorthin in die Lebens- und Lifestyle-Bilanz miteinzubeziehen. Beispielsweise würde ich, wenn früher irgendwann das Geld dafür gereicht hätte, ganz sicher einen sandsteingefassten Pool besitzen, für den ich mich neuerdings schämen würde. Mit diesem Wissen über sich hält so eine Generation-X-Person wie ich echt einfach besser den Mund und beschränkt sich darauf, Jüngere bei ihrem Weg dezent zu unterstützen.

– Ach, ist das schön, endlich wieder schlaufenförmig instantan zu schreiben. –Was ich sagen wollte: Auch ohne ausdrückliches Hedonismus-Label sollten Linke kommunikativ ein bisschen weniger unaufrichtig mit ihrem Haben und ihren Gönnungen sein, denn für die gemeinsame Sache zählt der Blick in die gleiche Richtung, nicht das Stehen auf der gleichen Position. Ersteres ist auch viel besser machbar, wenn Letzteres nicht vorgetäuscht wird.

Es ist mir eine Weile lang richtig schwergefallen, in Gesprächen nicht dezent auszulassen, dass »unser Haus« wirklich unser Haus ist. (Positiv betrachtet zeigt das, dass ich nicht nur mit anderen weißen cis het Akademiker*innen am Stadtrand abhänge.) Mittlerweile kommt mir diese Unbehaglichkeit längst wieder absurd vor. Umsehen lernen ist nicht nur ethisch richtig und sozialpolitisch wichtig, sondern auch persönlich befreiend.

Etwas Altes: Pool- und Purzelbaumfüchse

Jedes Jahr leben wir für einige Wochen mit jungen Stadtlandfüchsen, die mindestens zweimal am Tag durch den Graben im Garten rennen, meist allerdings machen sie sehr viel mehr. Sie lungern bei uns rum und treiben Unfug.

Unter den menschlichen Mitgliedern des Haushalts verursacht dies jedes Jahr wieder die gleiche emotionale Entwicklung:

Phase 1: »Wie cuuuuuuuute!«

Kleiner Fuchs im Garten

Phase 2: »Hahaha, sieh mal, sie sind wieder nebenan am Pool.«

Phase 3: »Die sollen aber bitte den Kater nicht stressen ...«

Phase 4: »Wenn die noch mal auf die Wiese kacken, raste ich raus.«

Phase 5: »So, jetzt reicht es auch mal wieder, ihr seid groß genug, verpisst euch, sucht euch woanders ein Revier.«

Phase 6: »Geeeeeeeeeeeeh weeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeg.«

Über die Jahre haben wir gelernt, in dieser Zeit draußen besser keine Schuhe stehen- und Gartenhandschuhe liegen zu lassen. Die bei uns abgelegten Schuhe und Handschuhe der Nachbar*innen sind kein akzeptabler Tausch. Coffe-to-go-Becher und Brötchentüten sollten ebenfalls bitte nicht einfach bei uns in den Garten geworfen werden, das muss doch nicht sein.

Coffe-to-go-Becher und Brötchentüte im Garten

Auch sorgen wir uns um Laser, obwohl Füchse eher tote Katzen fressen und nur kleine, kranke und altersschwache Katzen angreifen. Er ist immerhin schon 14, wenn auch sehr fit. Aber Laser ist relativ klein. Deshalb sieht er sich in der Fuchszeit lieber einmal mehr um. Nachbars erhabener, leider jung verstorbener, Freddy of Diamond Castle, Gött*innen haben ihn selig, hatte sicherlich weniger Grund zur Fuchsvorsicht.

Riesige Katze mit orangen Augen hinter Zan

Freddy (†), Opfer der Überzüchtung, aber nicht der Füchse

Vor ein paar Wochen diskutierten mein Mann und ich darüber, was der bislang niedlichste Gartenmoment gewesen sei. Seiner: »Als ich aufgrund der Geräuschlage erwartete, im Dunkeln einem Monster zu begegnen und mich im Schein der Taschenlampe oben über den Zaun das allerniedlichste Waschbärbaby anstarrte.« Meiner: die in der umgestürzten Weide Purzelbäume schlagenden Disney-Füchse.

Am gleichen Tag noch rannten mein Mann und ich wie ein lebendig gewordenes Meme durch den Garten und machten uns vor den Füchsen, Laser und uns selbst komplett lächerlich, indem wir mit flackernden Augen gegen Metallgießkannen schlugen, mit dem Schlauch durch die Gegend spritzten und ksch ksch schrieen, während wir möglichst furchteinflößend auf den Boden stampften. Unser »Gegner« dachte, wir wollten mit ihm spielen und kam lieb äugelnd immer weiter auf uns zu. Der Kater saß unbewegt daneben und sah noch genervter als sonst aus.

»Ich rufe jetzt den Jäger an, der erschießt die nicht, der fängt die nur.«

»Neeeeiiiiin, das ist ein Nazi mit Runenschrift auf der Visitenkarte, der fängt die und erschießt sie dann zuhause.«

(Der Jäger hatte im letzten Jahr geklingelt, nachdem ein besonders elend aussehender Fuchs in die nahegelegene Kita gelaufen war. Er bot an, wir könnten immer anrufen, und er würde sich dann bei uns im Garten auf die Lauer legen.)

Obwohl wir nicht den Jäger riefen, war die Mischung aus Scheitern und Scham ziemlich unangenehm. Wir fühlten uns schäbig. Ich kam mir ein bisschen so vor wie ein frauenfeindlicher Fascho, der »unsere Frauen vor den fremden Männern« schützen will. Hatte Laser sich jemals ängstlich an mich gedrückt und so körpersprachlich um Schutz vor Füchsen gebeten? Nein. Ich kämpfte also gegen eine von mir selbst konstruierte Gefahr bzw. will ich, wenn ich ehrlich bin, Füchse nur für ein niedliches Foto im Garten haben und danach nicht mehr, weil ich selbst ein bisschen Angst habe. (Mich selbst bei solchen unschönen Mentalmechanismen zu ertappen, mag ich ganz gern, weil ich sie dann rational bearbeiten und potenziell überwinden kann.)

Die eigentliche Babyfuchsphase haben wir dieses Jahr leider nicht mitbekommen, sie sind hier gleich als Jugendliche aufgeschlagen. Hier bei der Poolparty in Abwesenheit der Nachbarin.

Junge Füchse auf Poolmauer

So ähnlich wie ich zu ihr hinüber (haha, wenn sie wüsste) muss sie im Mai 2022 herübergesehen haben, als in unserer Abwesenheit Jugendlichen-Dauerparty war. Was mich zu einem anderen Thema bringt, dazu gleich mehr.

Etwas (relativ) Neues: Auszeichnungsinflation

Cartoon, der Untergang Roms mit Lorbeerkranz-Inflation erklärt

Quelle: New Yorker, September 19, 2022

Obiger New-Yorker-Cartoon erinnerte mich daran, dass ich schon lange über ein kurioses kulturelles Phänomen schreiben wollte, das erst in diesem Jahrtausend aufgekommen ist: die Auszeichnungsinflation.

Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren, als meine Kinder noch klein waren, fiel mir auf, dass ihnen in Schule und auch zu Kindergeburtstagen sehr viele Auszeichnungen zuteil wurden: Pokale, Medaillen, Urkunden. Preise für alles mögliche. Das fand ich zunächst sympathisch, weil angenehm anders als früher, wo nur ganz wenige kompetitive, strebsame Leistungslichtgestalten Sport- und Bildungsauszeichnungen bekamen: Ehrenurkunden bei den Bundesjugendspielen, Medaillen und Pokale bei Vereinssport-Wettbewerben, Buchgeschenke für herausragende Leistungen am Ende des Schuljahres. Mit mir als Kind hatte das alles nichts zu tun, obwohl ich in der Schule und im Sport meistens ganz gut war, aber eben nur ganz gut, das war damals fernab von preiswürdig. Ich bekam ab und zu bei den Bundesjugendspielen eine Siegerurkunde, und einmal durfte ich zum städtischen Vorlesewettbewerb, aber für eine Urkunde hätte ich den gewinnen müssen und das tat ich nicht.

Meine Kinder häuften gefühlt bereits in den Windeln Preise und Auszeichnungen an, dabei waren sie genauso wie ich, immer ganz gut, aber zu faul und zu wenig ehrgeizig, um bei irgendwas das Feld anzuführen. Good for them, dachte ich, es schadet ja nicht, möglichst Vielen möglichst oft zu spiegeln, dass sie was können, und so handelte ich für eine Weile selbst in diesem Geiste.

Als mein eines Kind zum Geburtstag bowlen wollte, bestellte ich online kleine Pokale mit Marmorsockel, graviert mit dem Titel und Datum des Events. Ja, für alle eingeladenen Kinder, nicht zuletzt, damit der Jubilar ganz sicher einen Pokal abbekommen würde. Der Kaufpreis für die Pokale war ziemlich niedrig, und so war das Ganze nicht teurer als die sonst bei bei Kindergeburtstagen übliche Ration an mitgegebenen Süßigkeiten und Minispielzeugen, warum also nicht. Naja, aus heutiger Sicht wirkte ich damit einmal mehr an der Überflutung des Planeten mit unnötigem Mist mit, aber das ist ein anderes Thema. Im heutigen Kontext interessanter ist, dass die Kinder völlig unbeeindruckt von den Pokalen waren, nicht enttäuscht, sie nahmen sie gern an, aber ganz klar unbeeindruckt. Ihnen hatte das Bowlen gefallen, und der Pokal war eine Erinnerung daran. Mehr als eine Erinnerung war er ja auch wirklich nicht. Das Geburtstagskind, lustigerweise ganz von selbst auch der Sieger, bekam seinen Pokal, der im Vergleich nichts wert war, und die anderen Kinder einen, der das Konzept eines Pokals ad absurdum führte. Meinem Kind war der Pokal genauso leicht positiv schnuppe wie allen anderen. Genauso wie der Kunstpreis des Gymnasiums, den er später gewann, sogar zweimal. Beim zweiten Mal vergaß er, uns davon zu erzählen. Diese Kunstpreise hatte er verdient, seine Arbeit war wirklich toll gewesen. Natürlich hätten auch ein paar andere in den jeweiligen Jahren den Preis verdient gehabt, was zeigt, dass Preise an sich, weil unnötig exklusiv, aus vielen Kontexten besser verschwinden sollten. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass mein Kind keine sonderliche Freude über diese Preise empfand. Seine Reaktion war eher belustigt, weil selbst gar nicht begeistert von den ausgezeichneten Arbeiten. Vielleicht waren es für ihn solche Projekte gewesen, die kreative Nichtstrebsame ab und zu der Noten wegen extra so hinfrisieren, damit es Lehrer*innen gefällt. Ich selbst bekam einst für eine maximal cringe »gesellschaftskritische« Schleimarbeit (silbern angesprühte Installation: Dinosaurier neben einem Atomkraftwerk) meine einzigen 15 Punkte in Kunst ever.

Jedenfalls freute er sich über diesen aus meiner Sicht »echten« Preis genauso minimal berührt wie über die vielen Dumping-Preise. Die inflationär vergebenen Auszeichnungen brachten, zumindest in meinem sozialen Umfeld, eine Generation von Auszeichnungsabgestumpften hervor.

– Was ist denn jetzt los, neoliberale Kulturkritik bei Frau Frohmann, will sie ernsthaft echte Preise nur für echte Leistung?

Nein, keine Sorge. Ich plädiere nur für nicht inflationär vergebene Pokale in freiwillig kompetitiven Kontexten. Also echte Sieger*innenurkunden für Menschen, die es toll finden, Bundesjugendspiele zu machen. Beim Turnen, was mein selbst gewählter Kindheits- und Jugendsport war, hat es sehr, sehr lange gedauert, bis ich richtig gut war. Die einzige Medaille, die ich mal bei einem landesweiten Wettkampf gewann, war mir entsprechend viel wert. Zu den Bundesjugendspielen wäre ich vermutlich freiwillig nicht gegangen, auch nicht mit dem Wissen, vielleicht eine Urkunde zu bekommen. Ich wäre in der Zeit lieber zusammen mit den anderen Nichtleichtathlet*innen im Freibad gewesen, hätte freiwillig Sprünge vom Zehner gemacht und zwischendurch Pommes mit Mayo und Ketchup sowie drei Eis gegessen.

Also lasst Menschen, auch Kinder, selbst entscheiden, ob und wann sie Wettkämpfe machen möchten und werft dann da nicht mit zu vielen Preisen um euch.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

Till Lindemann hat die bislang beste Beschreibung des verlegerischen Konzepts von Kiwi geliefert.

»In den ersten Sekunden einer Ablegerversion des XXX-Clips, der sehr viel mehr Sex, in dem Fall vor allem Oralsex, von Till Lindemann zeigt und zum Teil unter dem Titel ›Till The End‹ im Netz kursiert, ist in den ersten Sekunden eine junge blonde Frau zu sehen, die ein von einem Dildo durchbohrtes Buch in der Hand hat. Dabei handelt es sich um In stillen Nächten. Im weiteren Verlauf sind weitere Frauen zu sehen, die sich liebkosen. Eine dunkelhaarige Frau wendet sich Lindemann zu, leckt ihm erst die Zehen, während er auf einem Tisch liegt, und hat später mit ihm sehr rüden Oralsex und auch Geschlechtsverkehr. Während der Dildo auch für andere Zwecke gebraucht wird, ist das durchstoßene Buch noch einmal in einer Sequenz zu sehen, in der darin mehr oder minder gelesen wird, bzw. zwei helle Augenpaare durch die Löcher hindurchschauen. Später ist es Unterlage für das Gemächt des Rammstein-Frontmanns, das er durch eines der Löcher gezogen hat, um dann Oralsex zu erhalten.«

(Zitat aus dem Rolling Stone-Artikel „Till the End“: Über diesen frauenverachtenden Porno von Till Lindemann sprechen jetzt alle (Öffnet in neuem Fenster))

Etwas Unheimliches: Social-Media-Blobs

Weil ich vor langer Zeit das mich persönlich belastendste Beispiel aus meinem digitalen Gesichtsfeld verbannt habe, ist mir das Phänomen Social-Media-Blobs beinahe in Vergessenheit geraten. Aber eben bin ich wieder auf einen Blob gestoßen, deshalb kurz zur Erinnerung. Ein Social-Media-Blob ist eine Person, die sich jedes Thema, mit dem sie seit einer Minute Berührung hat, instant aneignet und es dann, weil sie Reichweite hat, geldwert durchnudelt, um es dann einige Monate später später verblobbt, ausgehöhlt, verflacht, entwertet zurückzulassen. Bis dahin hat so ein Social-Media-Blob aber auf alle Fälle noch einen Medienpreis und einen Buchvertrag eingesackt. Menschen, die sich mit Themen etwas gewissenhafter beschäftigen oder schlicht länger als seit drei Minuten, stehen staunend bis schockiert daneben und werden noch beim Staunen von den Blobs bereits unsichtbar gemacht. Social-Media-Blobs blobben sich so gewaltig auf, dass sie wie eine Tarnkappe für alles in der thematischen Nähe wirken, schlimmer, auch für alle, auch für Menschen. Blobs machen ja keinen Unterschied zwischen Dingen und Menschen, alles wird Thema und illuminiert den Blob aufs Schönste. Ach, was der Blob nicht alles kann, Instrumente spielen, in Afrika Brunnen graben, backen, Leute beim Sterben begleiten, schreiben, Podcast machen, fotografieren, die Welt retten, beste cute Selfies machen, malen – so ein Tausendsassa. So schön, so begabt, so gut, so lieb, so strahlend. Das Leiden anderer Menschen möchte ein Social-Media-Blob aber nur vorgeblich lindern, in Wirklichkeit benutzt er es, um als Savior dazustehen. Menschen mit einigermaßen stabilen ethischen Werten lassen schon immer oder weil sie auf Twitter dazugelernt haben, die Hände von Sozialkitsch,– der Social-Media-Blob aber badet darin: »Als ich kürzlich meinem Lieblingsobdachlosen, obwohl ich niedergeschlagen war, ein Lächeln schenkte, sagte er zu mir: Wenn nur alle Menschen so wären wie du, die Welt müsste nicht gerettet werden.« Erfundenes Beispiel, aber ihr werdet das Prinzip erkennen. Menschen existieren für den Blob nur, damit der Blob sich in Beziehung zu ihnen als strahlend wunderbar präsentieren kann.

Fühlst du dich beim Lesen gerade schlecht, weil du selbst schon mal an und in einen Blob geraten bist? Musst du nicht, es ist nicht peinlich, auf Blobs reinzufallen, in einen Blobsog zu geraten, denn Social -Media-Blobs wirken unglaublich echt. Eine Erklärung dafür ist, dass sie als Teil ihrer Performance scheinbar sympathisch ehrlich, in Wirklichkeit aber social-media-gewieft kalkuliert auf persönliche Schwächen hinweisen: Oh, ich bin so putzig tollpatschig. Oh, ich bin so sympathisch undiszipliniert. Das sind im Blobkontext aber alles gar keine Schwächen, denn es zählt ja nur, dass alle dem Blog, äh, Blob folgen und den Blob feiern, nicht genug vom Blob bekommen können, gar nicht darüber nachdenken, ob das alles so Hand und Fuß hat, was der Blob so erzählt. Letztlich ist es sowieso ziemlich egal, was der Blob gerade erzählt, Hauptsache, in seiner digitalen Nähe fühlt es sich so gut, so kuschelig, so lebendig an. Sich lebendig fühlen, das können sehr viele Menschen tatsächlich nicht so gut aus sich selbst heraus.

Social-Media-Blobs sind, formal betrachtet, Influencer*innen, durchlässig für von allen Seiten strömenden Input und andere Menschen mitreißend, ich sage dazu »digitalcharismatisch«. Aber nichts gegen Influencer*innen, es gibt ja sehr viele, die tolle Arbeit machen, tolle Menschen sind oder, was auch schon genügt, keinen gesellschaftlichen Schaden anrichten. Viele meiner besten Freund*innen sind Influencer*innen, wirklich wahr. Social-Media-Blobs sind die unangenehmere Variante von Influencer*innen oder, besser gesagt, eine unangenehme Variante, denn es gibt ja auch rechte Influencer*innen, die sind auch sehr unangenehm.

Genug der Blobkunde. Wenn ihr Freude an einem bestimmten Social-Media-Blob habt, gönnt euch. Setzt nur nicht zu allzu hohe menschliche Erwartungen in ihn, dann wartet keine große Enttäuschung auf euch und ihr könnt jederzeit die Membran durchstoßen und zur Seite wegtauchen.

Denkt gern mal nach und überlegt, welchen Social-Media-Blobs ihr folgt.

Vielleicht bin ich ja auch einer ...

Emotional exvolviert dem Blobben einer Person, manchmal auch eines Paares oder einer Gruppe zuzusehen, ist sehr aufschlussreich und gedanklich anregend. Es kann sogar extrem unterhaltsam sein, weil mit nur ein bisschen Distanz alles ziemlich grotesk wirkt. Ich habe von jeder Person, die ich als Social-Media-Blob einordne, einen Screenshot von einer Art Blob-Implosion, wo sie etwas gepostet hat, das wegen des Ausmaßes von Selbstherrlichkeit, Unverfrorenheit und menschlicher Brutalität bei Follower*innen eigentlich zu Entsetzen hätte führen müssen. Aber es braucht wohl wirklich Distanz, um das sachlich wahrnehmen zu können aka das Kind aus dem Märchen Des Kaisers neue Kleider sein zu können, das sagt: »Aber er hat ja nichts an!«

Fairerweise muss gesagt werden, dass die Social-Media-Blobs meist wirklich viel können, also gar nicht komplett nackt dastehen müssten, wenn sie nur nicht derart berauscht von sich selbst irgendwann jedes Maß verloren hätten. Ach, ist ja doch das Gleiche wie im Andersen-Märchen, denn der Kaiser war ja auch Kaiser und hat es damit nicht bewenden lassen.

Also gönnt euch Blob Watching am besten nur aus der sicheren Distanz und auch nicht zu oft. In frei verfügbarer Zeit lieber mehrheitlich mit positiven Dingen beschäftigen und so Kräfte sammeln für die Revolution.

Unheimlich sind die Social-Media-Blobs nicht im klassischen, emotional spürbaren Sinne, sondern eher konzeptuell, weil ihre schädliche, Menschen objektifizierende Wirkung sich hinter einer besonders zugewandten, menschenfreundlichen Performanz verbirgt, vermutlich teilweise sogar für die Performer*innen selbst. Daran ist etwas Dämonisches.

Rubrikloses

Textkachel: Manchmal stelle ich mir vor, dass gute Freund*innen von mir auf Laseronia, meiner Insel im Spiel Animal Crossing, mit Villagern plaudern, die zu ihnen sagen: »Nein, hier hat sie sich auch seit Monaten nicht blicken lassen. Vielleicht sind es mittlerweile sogar schon Jahre.«

#VomLeben

Ich musste vor ein paar Wochen kurzfristig einen heimlichen Twitteraccount anlegen, um für ein Buch zu screenshotten. Und so wurde ich empfangen.

Screenshot mit Twitter-Folgeempfehlungen, die 1. Elon Musk, die 2. die Tagesschau, die 3. WELT.

Textkachel: Heute wird unser letztes Auto für uns Geschichte werden. Eine Straße weiter ziehen gerade Menschen in neu gebaute Einfamilienhäuser ein. Zu den Gebäuden im Baushausstil gehören je ein Carport und zusätzlich ein Parkplatz direkt vor dem Haus, diesseits des hohen Grundstückzauns.  Menschen haben da jetzt ihre eigene, zur Straße hin eingezäunte Mikro-Privatstraße, nur zum Parken. In meinem Kopf höre ich sie sprechen: »So sind wir auch vor den Klimaklebern sicher, Schatz.«

#BürgerlicheParallelgesellschaften

Wie viele Gregor-Samsa-Tweets Tag um Tag, Jahr um Jahr geschrieben wurden, und als es dann während der Pandemie wirklich passierte, dass Viele ihr altes Selbst verloren und verkäferten, wurde es kaum registriert und gesellschaftlich einfach hingenommen.

Ein Laser-Daumenkino oder: Ich habe genau gehört, dass ihr schon wach seid!

Durchs Fenster fotografierte Katze liegt abgewandt auf Veranda, schläft.Durchs Fenster fotografierte Katze liegt abgewandt, dreht den Kopf.Durchs Fenster fotografierte Katze steht auf, blickt empört.Durchs Fenster fotografierte Katze blickt empört Fotografin an, öffnet das Maul.Durchs Fenster fotografierte Katze sieht sehr wütend aus.Durchs Fenster fotografierte Katze erscheint mit Pfoten und Kopf auf der Fensterbank.Durchs Fenster fotografierte Katze steht mit weit offenem Maul und wütendem Blick auf der Fensterbank.

Ein neues Wort für euch

Mit sehr vielen Beschimpfungen beleidigt man Menschengruppen mit, die wirklich gar nichts dafür können. Das ist nicht gut. Ab jetzt verwendet als schlimme Beschimpfung bitte »Böson« (kurz für »böse Person«), ohne Artikel.

»Böson von nebenan hat gesagt ... ah, da haben sich ja zwei Bösonen gefunden.«

Gern geschehen.

Präraffaelitische Girls erklären #UmsehenLernen

Zurück zu Bösonen und Gierigen. Bis nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

XOXO,
FrauFrohmann

#BlobWatching #Böson #Bösonen #Prekariatsmaskerade #Poolfüchse #PGExplaining #SocialBlob #SocialMediaBlob #Tennis #TennisStigmata #Tomatenbrotlegende #Tomatenbrotlegenden

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