Folge 91
Vorweg
Fast wieder pünktlich, yeah!
Etwas Altes und Neues: Demokratiestärkung durch Indie-Abos
Eigentlich ist es nicht neu, sondern mittlerweile schon wieder alt: die Erkenntnis, dass in sozialen Medien alle Publizist*innen sind, woraus Chancen und Verantwortlichkeiten entstehen. Auch nicht mehr neu ist der Umstand, dass Menschen über Abo-Plattformen ganz allein von einer sie schätzenden Crowd unterhalten werden können. Wie großartig ist das denn? Du machst dein Ding, obwohl dir kein Dude gnädig die Tür geöffnet hat und kannst davon leben. Das klappt schon ab und zu, sollte aber noch viel häufiger und vor allem stabiler funktionieren, denn es ist eine gigantische Stellschraube gegen Rechts. Da verdienen oft genau diejenigen Geld, die anderswo von rechten Trollen attackiert werden. Kein Zufall.
Aktuell geht es rechten Medien und Publizist*innen bombe (sorry) und Linken so la la bis schlecht. Das liegt daran, dass Rechte böse Milliardäre hinter sich haben und Linke nicht mal die Soli untereinander. Das muss sich ändern, haben wir kapiert, aber wie? Ein sehr zeitnah greifendes Mittel für den großen Turn ist es, mehr Geld in linke Medien zu pumpen. Sie brauchen es alle dringend und sagen das ja auch die ganze Zeit. Linke Publizist*innen verdienen scheiße, weil sie keine Scheiße, weil sie nicht marketinggetrieben, sondern inhaltsorientiert publizieren. Verachtet sie zu eurem eigenen Besten nicht mehr für »Bettelei« und »Gejammer«, das haben euch über die Hetzjahre Ulf und Don Adolpho beigebracht. Freut euch nicht jedesmal wieder, dass ihr gratis taz lesen könnt. Zahlt freiwillig (Öffnet in neuem Fenster). Erzählt nicht aufgeregt weiter, wie wenig die Redakteur*innen beim ND verdienen. Schließt ein Abo ab (Öffnet in neuem Fenster). Abonniert Missy (Öffnet in neuem Fenster), auch wenn ihr oft zu faul zum Lesen seid. Abonniert An.schläge (Öffnet in neuem Fenster), auch wenn euch mal ein Artikel nicht passt. Linke Medien sind wichtig. Wären sie weg, würden marginalisierte Gruppen noch weniger gesehen. Gebt ihnen das verdammte Geld.
Genauso wichtig sind die Newsletter von Journalist*innen und Autor*innen, die mit wenig klassischen Einkünften dafür bezahlen, dass sie sich trauen, professionell zu arbeiten und aktivistisch für Menschenrechte einzustehen. Es gibt Menschen, die sehr viele kostenlos zugängliche Inhalte posten, ohne irgendwo ein Angestelltengehalt zu beziehen. (Hust.) Wenn ihr solche wirklich freien Texte lesen wollt, bezahlt freiwillig dafür. Ihr sollt keine Unsummen aufbringen. Gebt, was ihr könnt. Wenn alle Linken mit etwas Geld Indie-Abo-Budgets einrichten und ausgeben, fliegt bald die Kuh im Widerstand, weil nicht mehr so viele Akteur*innen Tag für Tag ums Überleben kämpfen müssen. Eure paar Euros machen dann doch den Unterschied, weil sie mit denen von anderen zusammenwirken. Viele zusammen sind besser als jeder Drecksmilliardär.
Hexenwirken im Kapitalismus, nicht ganz ideal, aber sehr viel besser als nichts:
Überlege, welche linken Medien und Publizist*innen du gern liest oder einfach grundsätzlich für demokratisch wichtig hältst.
Lass von dem Gedanken ab, dass du als Zahl-Abonnent*in dann auch alles unbedingt lesen musst. Musst du nicht,– du ermöglichst die Publikation, das ist mega. Die persönliche Nutzung der Publikation ist dein Privatvergnügen. Stress dich bloß nicht damit, du brauchst deine Kraft für wirkliche Probleme.
Lege ein Budget fest.
Schließe Abos ab. Verteile das Geld auf mehrere unabhängige Projekte. Oder überweise monatlich wechselnden Menschen Geld, paypale es ihnen. Frag einfach bei ihnen nach, auf welchem Wege es gut ist, sie werden sich wie Bolle freuen. Es muss nicht Journalismus oder Literatur sein. Unterstütze, was dir wichtig ist: Musik, Kunst, Code, Theater. Hauptsache, die Arbeit läuft unabhängig.
Wenn du kein Geld hast, abonniere kostenlos Newsletter und mache ab und zu Werbung für sie, vielleicht schließen dann andere Bezahlabos ab.
Erzähl anderen vom Konzept der Demokratiestärkung durch Abos, vom Abo-Hexenwirken.
Rede nicht über Rechte, wenn du doch in derselben Zeit unabhängige Linke (und die Demokratie) stärken kannst. Ist auch viel besser für den Blutdruck, für euch getestet.
Benutze das Hashtag #IndieAbos oder etabliere ein besseres eigenes Hashtag.
Sei endlich mal wieder zufrieden mit dir, denn du trägst etwas Sinnvolles bei.
Gesellschaftliche Derealisation
Auf Instagram ist eine sehr nette Person wieder aufgetaucht. Sie war Künstlerin in meiner früheren Galerie (maou-maou). Das mit der Galerie und mit mir darin fühlt sich als Erinnerung gar nicht mehr real an. So als wäre es ein Buch, in dem ich als Figur vorkomme. Ähnlich der Hello-Kitty-Laden (war Teil der Galerie) und fast noch mehr der Club (jeans club). Ich stolperte in all das damals irgendwie hinein, einfach, weil sich ständig überall Möglichkeiten auftaten. Eigentlich war ich als Person viel zu scheu und beobachtend für so etwas, aber es war keine Zeit der »eigentlich«s. Nicht unähnlich dem späteren Verwischen von Konsumieren und Produzieren in sozialen Medien. Eine Flowzeit im urbanen Raum. Dass es wirklich passiert sein muss, belegen nur Freund*innenschaften aus dieser Zeit, ein paar Kunstwerke bei uns zuhause, Bilder, Zeitungsartikel, Flyer und gelegentlich ein nostalgischer Post im Netz von Personen, die mal da waren. Ich selbst könnte es nicht beschwören, dass ich mal da war. Bei was? Die Neunziger und frühen Nuller sind so sehr zum Mythos stilisiert worden, dass, schwupps, die eigene Vergangenheit nicht mehr real wirkt. Mein Eindruck ist, dass es nicht nur mir so geht, sondern dass da eine Art gesellschaftlicher Derealisation stattgefunden hat.
Fühlen tun die Neunziger vermutlich nur noch die Dudes, die, seit es soziale Medien gibt, coole Fotos von damals posten, immer wieder die gleichen: Mann, Alter, waren wir cool. Die Jugend hat doch gar keine Vorstellung, wie frei wir waren. Keine Smartphones. Immer auf Pille. Aber diese Dudes sind vermutlich jetzt nicht da, sondern auf Facebook beim ewigen Rave-Abitreffen.
Aber bin ich jetzt da? Bist du es? Ist es nicht so, dass gerade sehr viel passiert, von dem unser Bewusstsein merkwürdig unberührt bleibt, so als wäre das Reale noch zu schlecht animiert und deswegen nicht so ganz ernst zu nehmen. Erinnert ihr euch an den ersten Jurassic Parc, wo die Saurier so als merkwürdig schlierenhafte Lage über, nein, vor der Landschaft laufen? So ist das Reale aktuell da, aber Menschen sagen sich noch: Also, nein, soooo ein Reales geht ja gar nicht, das soll erst mal stilvoller daherkommen, dann beschäftige ich mich vielleicht mit der Apokalypse.
Kleiner Stil-Exkurs: Ich habe in den letzten Monaten mehrfach Artikel in bürgerlichen Medien gesehen, die ernsthaft andeuteten, dass ein stilvollerer Umgang miteinander die Probleme auf der Welt lösen könnte. Moment, Zeit für ein stilvolles Meme.
Wie weiß, reich, Helmut Lang muss eine Redaktion sein, dass so eine Artikelrichtung nicht zur spontanen Selbstanzündung der Büroräume führt? Da möchte sich doch jeder anständige Laptop vor Fremdscham vom Egon-Eiermann-Tisch stürzen.
Stil im Sinne eines persönlichen Geschmacks, der sich zum Stil ausprägt, mag ich ja sehr. Auch Styles, mit denen eine diskriminierte Gruppe sagt: Fickt euch und euren Feine-Leute-Geschmack. Umso mehr verachte ich distinguierte Herrschaften mit Pop-Prägung, die 24/7 über Stil plappern, aber Ethik für uncool halten. Nein, ich möchte nicht wissen, wo du dieses und jenes stilvolle Getränk und Stöffchen bekommst, denn ich weiß, dass die Welt für dich immer noch ein Kolonialismuswarenhandel ist, und ich weiß auch, dass sich das in deinem Menschenbild niederschlägt und du ein übergriffiger Pinsel bist. Ich würde meinen Mittelfinger darauf wetten, dass dein Idol Bryan Ferry und deine Freundin/Frau mindestens 20 Jahre jünger als du ist. Dein Stil ist so berechenbar wie deine auf Vetternwirtschaft basierende Karriere.
Vorschlag: Anfangen, von »ethischer Stillosigkeit« zu sprechen, OMG, EIN RUCK GEHT DURCH DIE REDAKTIONSRÄUME VON ZEIT UND SZ. Für FAZ und NZZ muss man es ähnlich drehen, aber nicht über »Stil«, sondern über »aufgeklärtes Denken«. Das mache ich ein anderes Mal.
In den Fernsehnachrichten hebt aktuell jede zweite Meldung mit »Normalerweise ...« an, dabei ist die Klimakatastrophe längst die Norm, nur dass Menschen sich noch nicht daran gewöhnt haben. Mit der kollektiven Erinnerung an die Millenniumszeit in Berlin ist es andersrum: Was damals ein ziemlich normaler Tag nach dem anderen war, ist durch Mythenbildung als Ganzes ins Außerordentliche verschoben worden.
Mehr dazu in meinem ungeschriebenen Roman Spaßbremse. Ich habe mir seit letzter Woche ein komplett megalomanes Literaturprojekt ausgedacht, das ich ganz allein schreiben will, aber ich erzähle euch nicht weiter davon, weil ich mich sonst, ich kenne mich, sofort und für immer auf euren Vorschusslorbeeren ausruhen werde. Die einzige Lebenschance des Projektes ist dessen strikte Geheimhaltung.
Noch mal zu den Fernsehnachrichten: Es ist so absurd, wie eine Nachricht über klimawandelbedingte Probleme mit dem alpinen Wintersport direkt hinter der Nachricht über ein Seeunglück mit Flüchtenden kommt und einfach kein Kausalzusammenhang aufgemacht wird. So wie sie »Zum Sport« oder »Zum Wetter« sagen (sagen sie das noch?), müssten sie auch sagen »Zur Kolonialismus- und Klimakatastrophe«.
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Es spielt keine Rolle, ob Sie Stil, Ruf oder Geld haben, wenn Sie kein gutes Herz haben, sind Sie nichts wert.« – Louis de Funès
(Louis de Funès war ein ziemlich konservativer Typ, Royalist, aber meiner Einschätzung nach kein Arsch. Ich fand ihn als Kind sooooo lustig. Seine komplett hysterische Art, wie ein menschliches Emoji.)
Etwas Unheimliches: Zecken
Gibt es etwas Unheimlicheres als Zecken? Du bekommst womöglich gar nicht mit, dass sie an Bord deines Körpers gekommen sind, wenn du sie rausziehst, bleiben womöglich Teile drin, dann bekommst du womöglich einen roten Kreis auf der Haut und dann womöglich Borreliose oder du bekommst womöglich Gehirnhautentzündung.
Meine unheimlichste Angst aber, die, dass Zecken sich von Bäumen auf Menschen runterstürzen, ist Unsinn. Ich bin ganz ohne Grund die letzten zehn Jahre so gut wie nie den Weg im Garten unter den Bäumen entlang gegangen. Ihr könnt jetzt also auch beruhigt wieder in den Wald gehen. Von oben werfen sich nur Baumschlangen auf euch. Oder Waschbären. Zecken kommen von unten.
Rubrikloses
Dinge, die ich letzte Woche nicht bei Ebay gekauft habe:
Krone, Renaissance, 24ct Gold, Silber, ca. 600ct Edelsteinbesatz, 400 Perlen, rar (keinen Screenshot gemacht)
Avon-Parfümflasche aus den 1970ern in Gestalt einer Katze mit Schleife auf dem Kopf (wer hat da wen kopiert?)
Präraffaelitische Girls erklären
Zurück zu den Superreichen, die uns alle aus-xen werden. Wenn wir sie lassen.
Wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO,
FrauFrohmann