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Folge 20

Etwas Altes: Troll-Wissen 

Wer auf Twitter eine halbwegs oder wirklich große Reichweite hat und einen Tweet von einer Person mit bissigem Drüberkommentar retweetet bzw. einen Screenshot von dem Tweet postet, tut dies im Wissen, dass diese Person danach mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit getrollt wird.

Es ist ein Machtspiel mit unabsehbaren Folgen für die vorgeführte Person und ein absolut unmoralisches Verhalten. Egal, wie sehr einen die Aussage des anderen Accounts genervt hat, wie unzutreffend man dessen Urteil über einen findet, wie beleidigt man sich gerade fühlt – ES IST NICHT AKZEPTABEL, PERFORMATIV DIE TROLLE LOSZUSCHICKEN. Wer das tut, trägt die Schuld daran, wenn in den nächsten Stunden, Tagen, Wochen ein Individuum, ein lebender Mensch, übelst beleidigt und oft genug mit Vergewaltigung und Tod bedroht wird. Dass es so läuft, ist nicht die Ausnahme, sondern die allgemein bekannte Regel.

Es geht im Netz längst auch ganz stark um persönliche Verantwortung. Als Inhaber*in eines Accounts mit Reichweite muss man seine Impulse und Affekte unbedingt (wieder) kontrollieren lernen. Aber auch als vermeintlich unbeteiligte*r Beobachtende*r sollte man sich sofort einmischen, wenn man einen Trollangriff anheben sieht. Durch Melden missbräuchlicher Tweets und Entfolgungen bzw. Blocken der Attackierenden kann man den Getrollten solidarisch beistehen. – Entfolgen und Blocken zeigt einerseits, dass man solche Troll-Aktionen zutiefst missbilligt und schmälert andererseits auch die faktische Wirkungskraft besagter Accounts.

Warum man sich einmischen sollte? Es ist nicht »nur das Internet«. Das Internet ist ein wesentlicher Teil der Gesellschaft.

Außerdem: Hast du der Person nicht zugehört, als sie von ihren sich häufenden Problemen mit Trollattacken berichtete? Sollte sie deiner Meinung nach halt einfach nicht die Klappe so weit aufreißen? Geht sie dir eh auf den Sack und du findest es irgendwie auch ein bisschen witzig? Fallen Trollangriffe für dich unter Meinungsfreiheit?

Sorry, aber coole, vernünftige, sachliche, professionelle – wie auch immer man das nennen mag – Zurückhaltung hört auf, wenn jemand sagt »Ich werde angegriffen, bitte helft mir«.

Wenn man den hinlänglich bekannten Auslösenden von Trollattacken weiterhin folgt und sich bei konkreten Fällen raushält, wirkt man m. E. zumindest fahrlässig mit an der zunehmenden Gewaltausübung in Sozialen Medien.

Es ist nachvollziehbar, dass man sich das mit dem Trollen nicht vorstellen kann, solange man es selbst noch nicht erlebt hat. Aber wenn man plötzlich auch Personen nicht mehr zuhört, glaubt, vertraut, denen man sonst zuhört, glaubt, vertraut? Dann wirken wohl andere Kräfte auf einen ein und dies muss man eigenverantwortlich beobachten und ändern, wenn man wirklich aufgeklärt handeln will.

Vermeidet beim Reden über Trolle und deren Attacken bitte unbedingt Opfer-Täter-Umkehr. Ihr erkennt Trolle ganz einfach, und ihr wisst es. Macht einfach die Augen auf. Gebt getrollten Menschen keine ungefragten Ratschläge, wie sie sich zu verhalten haben, sie sind nicht diejenigen, die etwas falsch machen. »Don’t feed the troll« ist als pauschale Social-Media-Empfehlung 2019 außerdem ungefähr so sinnvoll und hilfreich wie »Sollen sie doch Porsche fahren«. Macht lieber Trollen das Leben im Netz schwer, entfolgt, blockt, meldet sie.

Klarnamenspflicht würde das Problem nicht lösen, sie geht wie so oft davon aus, dass alle Menschen, weil es schließlich im Grundgesetz steht, frei und gleich sind. Mit Klarnamen würden Trolle aber immer noch anwaltsberaten am Rand des Legalen hetzen und gleichzeitig Menschen in heiklen Lebenssituationen sich nicht mehr im Internet aussprechen können. Die Impressumspflicht ist einfach wunderbar für Personen, die auf Trollen und Stalken stehen. Schöne Grüße von meinen Freund*innen, bei denen immer wieder Menschen bedrohlich vor der Haustüre rumlungern.

Steht getrollten Menschen bei. Ächtet Trollen im Netz. Achtet auf andere Menschen, achtet auf euch. Lasst euch nicht mehr erzählen, niemand würde etwas dafür können, was die Follower*innen machen. Dies ist im beschriebenen Fall einfach nicht wahr.

(Zuerst 2019 gebloggt.)

Etwas Neues: Chat-Ende 

Vielleicht geht es nur mir persönlich so, aber ich komme nicht mehr klar mit dem schnellen Wechsel von Überaffirmation und enttäuschter Abwendung, der aktuell viele soziale Beziehungen, vor allem die überwiegend digital stattfindenden kennzeichnet. Direkt davon betroffen bin ich eher selten, weil ich seit einiger Zeit zurückhaltender beim Intensivieren von Freund*innenschaften bin, aber ich finde auch das ständige Miterleben als Sozialkontakt zweiter Odnung sehr zehrend. Obwohl ich Befürworterin einer absichtlich uncoolen, freundlicheren Art miteinander zu sprechen und umzugehen bin, finde ich es ratsam, lieber ein paar Herzchen weniger auf neue Bekannte zu werfen und sie dann vielleicht nicht einige Zeit später, weil sie den Erwartungen, die man full blast in sie projiziert hat, nicht entsprechen, enttäuscht in die Wüste zu schicken. Weil ich mit vielen Menschen relativ nah verbunden bin, erlebe ich dieses Phänomen der rasend schnellen Anziehung und Wiederabstoßung gerade wie rund um mich herum umstürzende Dominosteinreihen. Manchmal stürzen auch zwei unterschiedliche Dominoreihen ineinander, dann wird es richtig schlimm. 

Im letzten Jahr habe ich oft überlegt, ob mein Entschluss, keine Emojis zu benutzen, mir verwehrt hat, in Chats als mitfühlende Person wahrgenommen zu werden, ich habe sogar etwas angestrengt plötzlich welche benutzt. Allerdings hatte ich davor über Jahre hinweg mit Freund*innen viel gechattet, ohne dass sich die Emojilosigkeit problematisch anfühlte, im Gegenteil. Mein Eindruck ist, dass aktuell sehr viele, auch enge soziale Beziehungen von einer Art Erwartungshaltung, enttäuscht zu werden, überschattet bis vergiftet sind, was man immer durchspürt, auch wenn es nicht wörtlich dasteht. Dadurch bekommt Kommunikation ungewollt etwas hässlich Manipulatives. Ich empfinde das als äußerst unangenehm und zerstörerisch, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Chatten unter dem Pendel des Todes. Deshalb lasse ich es, ich werde nicht mehr chatten. Mein Smartphone schmeiße ich trotzdem nicht weg, und ich plane auch keinen kulturkritischen Artikel im Feuilleton. 

Wer sich mit mir treffen oder etwas Sachliches wissen will, kann mir gern eine Mail schicken. Telefonieren mochte ich leider noch nie.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»When I fight neoliberalism, I lose. When I don't fight, I am lost. Hence the dilemma.« – Maha El Hissy auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster)

Etwas Uncooles: Eine kaputte Beobachtung 

Alles ist immer kaputter,
weil alle so kaputt sind. 

Rubrikloses

Kaputt, aber doch noch irgendwie zu retten

Au revoir, kleine Geisterkatze. Du hast meine Mutter glücklich gemacht und warst ein durch und durch liebes Wesen. Laut Postkarte von der Tierärztin bist du nun im Katzenhimmel – ich wünsche es dir.

Wer sich kein eigenes Humboldt-Forum leisten kann, darf jetzt preisgünstig kolonialistisch gärtnern. 

#WeirdeWaren

Bald gibt es das auch für soziale Medien:
TWITTERN SIE WIE @NICHTSCHUBSEN

#WeirdeWaren

Letzte Woche in München habe ich gleich dreimal die Literaturwissenschaftlerin und unfassbar nette Person Maha El Hissy getroffen, zweimal zusammen mit Asal Dardan. Der letzte Abend endete damit, dass ich um zwei Uhr morgens mit Maha auf einem Minitrampolin herumhüpfte, das war außerordentlich schön. 

Guerlica

Zurück zu den Entpuppten, wir sehen uns in einer Woche wieder.

– Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

FrauFrohmann

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