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Folge 99

Cover mit NewFrohmanntic-Schriftzug und Bild von Kater Laser, am Rand einer Mauer liegend

Vorweg

Am 3.11. gehe ich, weil ich auch gern dazulerne, zum Steady Growth Day und werde dort bestimmt hören, dass es eine furchtbar schlechte Idee ist, beim NewFrohmanntic 1. nur ein einziges Bezahl-Abo anzubieten, 2. noch dazu ohne ordentliches Abogeschenk und 3. das auch noch mit einer – je nach Perspektive – leicht unheimlichen oder zumindest merkwürdigen Betragshöhe. Ich werde es vermutlich trotzdem nicht ändern, 1. weil ich gern eine unabhängige Kultur etablieren möchte, in der Gernmitlesende, wenn sie gerade genug Geld haben, für eine Weile ein Abo abschließen, und wenn es sich ändert oder sie gerade keine Lust mehr haben, ohne jede Unbehaglichkeit kündigen. Es ist immer großartig, wenn ihr unabhängige Kultur unterstützt, nicht nur meine und egal, ob es einmal mit drei Euro über Paypal ist oder ihr über Jahre hinweg jeden Monat eine größere Summe gebt. 2. ist der Newsletter selbst das Geschenk, er ist ja kostenlos, und manche Menschen zahlen freiwillig dafür. Ich stelle Inhalte von mir selbst grundsätzlich immer auch frei zugänglich ins Netz, weil ich es richtig finde; ich will doch nicht nur für Leute mit Geld schreiben! Es ist realistisch, im Laufe der Zeit so viele Bezahl-Abos »zu schaffen«, dass ich von da an nicht mehr über Geld reden muss. Darauf freue ich mich, denn das wäre für mich Freiheit. 3. amüsiert mich die Vorstellung, wie Menschen sich winden, bevor sie etwas abonnieren, was 6,66 Euro kostet. Es hat so etwas Peinliches und Unseriöses, genau wie die »Selbstbezeichnung« der PGExplaining als Hexen. Das ist Absicht, denn ich möchte euch nichts einfach zu Konsumierendes unterjubeln, keine behaglichen Images erzeugen, nur um besser zu verdienen. NewFrohmanntic ist an jeder Stelle ein gemeinsamer Prozess des Umsehenlernen. Mal witzig, mal heilend, mal nervig, mal fordernd. Glaubt mir, ich kann Marketing, aber ich will, dass ihr mir ohne Bullshit Geld gebt, weil ihr es sinnvoll und fair findet und wenn ihr gerade könnt. Aus keinem anderen Grund.

Die Verlags-Abos werde ich demnächst auch auf reine Soli umstellen, aber zuvor noch alle offenen Abogeschenke verschicken und -mailen. Es ist einfach das passendere Prinzip für meine publizistische Arbeit, und ich weiß, dass ihr das mittragt. Umgekehrt soll es auch mehr open access bei den Verlagspublikationen geben, aber dazu bald Genaueres an anderer Stelle.

Ich schimpfe seit Jahr und Tag heftig über Menschen, die ekligen Journo- oder Polit-Clickbait quer durchs ganze Netz verteilen.

Vergissmeinnicht mit Textband: Clickbait will kill us allTweet mit Bild von sauer blickender Katze, der vor Clickbait warnt

Aber das Phänomen, ungefragt und unbezahlt an Projekten mitzuarbeiten, gibt es auch in schön: Es sind buchstäblich ein paar Dutzend Personen, die mit Geld onder Kommunikation in sozialen Medien den Verlag mittragen. Viele davon seit vielen, vielen Jahren. Mit keiner dieser Personen bin ich befreundet, die meisten habe ich noch nie im Leben gesehen. Sie tun es einfach, das ist eine ganz neue Form von Liebe. Danke dafür. Würde ich systematisch versuchen, mehr solcher Menschen »an mich zu binden« (Markenbildung >>> Personenkult >>> BÜNDNIS CHRISTIANE FROHMANN), wäre der Verlag längst wirtschaftlich stabil und ich könnte mich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren. Aber das wäre wieder Bullshit. Es muss ohne gehen, und es wird.

Etwas Altes: Katzenvideos

Es ist nicht übertrieben, ich bin eine Expertin für Cat Content, für Katzen als Internetfüllung. Bereits 2013 veröffentlichte ich dazu, 2019 durfte ich zum ersten Todestag einen verspäteten Nachruf auf Grumpy Cat in der Frankfurter Rundschau (Öffnet in neuem Fenster) schreiben und lange schon plane ich ein weiteres Buch über [Cliffhanger]. Mit The Laser Canon (Öffnet in neuem Fenster) habe ich 2019 einen random Kanon auf der Grundlage von Katzenfotos veröffentlicht.  

Kiste mit Katze darin, davor zwei Exemplare des Buchs "The Laser Canon"

Vielleicht überraschend, konsumierte ich selbst lange Zeit wenig Cat Content, ich fand es viel interessanter, über Katzen im Internet nachzudenken, als sie auf mich wirken zu lassen.

Das hat sich in den letzten Monaten geändert. Seit ich auf Insta doch wieder einen kleinen, geschlossenen Account habe, den ich, abgesehen von gelegentlichen Ausbrüchen nur zum Kontakthalten nutze, ballert mir der Algorithmus Katzenvideos rein, als wäre ich Internet-Ahnungslose, und ich bin hooked. Minutenlang scrolle ich durch lustige Katzen-Reels, markiere sie, um sie demnächst meiner Mutter zu zeigen, teile sie mit meinen Freundinnen F. und S., aber vor allem mit meinem Mann. Wir schicken uns mittlerweile täglich je ungefähr drei Katzenvideos, das ist eine derart unerwartete Entwicklung, dass es selbst wieder lustig und auch rührend ist. Weil wir buchstäblich fast immer zusammen sind, unseren gesamten Alltag miteinander verbringen, haben wir kaum Ambitionen, gemeinsam »etwas zu unternehmen«, was uns oft ein schlechtes Gewissen macht, aber nicht genug, um öfter als zweimal im Jahr ins Museum zu gehen oder eine Radtour zu machen.

Lass uns doch mal ins Kino gehen.
Hahaha.

Und nun sind wir, denen Coolness früher viel bedeutete und die fast schon immer im Internet arbeiten, vom uncoolsten und internet-altmodischsten Hobby der Welt erfasst worden: Katzenvideos. I like.

– Bald erzähle ich euch mal von der Urszene meines Lebens als Cat-Content-Expertin. Es hat mit einem Traditionsmedium und einem Facebookpost-Klau zu tun.

Etwas Neues: Ungewusster Aktivismus

Die mit Ausnahme ihrer Looks sehr bürgerliche Ü70-Nachbarin hat auf ihren knappen Shirts immer wieder Dinge stehen, die sie ganz offensichtlich nicht in ihrer Tragweite (deep) einordnen kann: Alle Mitglieder meines Haushalts hatten einen Sommer lang riesige Freude, wann immer Frau G. mit ihrem DOPE-Shirt auf der Veranda erschien. Zuletzt war sie unwissentlich als Trans-Aktivistin unterwegs: die Haare oben weiß, unten rosa, das Sweatshirt hellblau.

Spürt ihr auch, dass sich hier eine großartige Möglichkeit für performative Aufklärung eröffnet? Lasst uns der gefährdenden bürgerlichen Mitte einfach Looks mit progressiven Botschaften unterjubeln, mit denen sie sich dann gegenseitig subliminal influencen. Kann mir bitte jemand einen Kontakt zu Jack Wolfskin, Manufactum und KiK machen, danke.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Weit bin ich nicht gekommen.
Aber umkehren kann ich auch nicht mehr.
Ich hole tief Luft. Nein, umkehren kann ich nicht mehr, jetzt, da ich so viele Grenzen überschritten habe, militärische, geografische, physische, psychologische und mentale.«


– Adiana Shibli, Eine Nebensache (Öffnet in neuem Fenster), 79

Ein Zitat an dieser Stelle gilt als Leseempfehlung für das Buch.

Etwas Unheimliches: Doom-TL-ing

Früher mussten Menschen sich höchstpersönlich gehenlassen und doomscrollen, eine Katastrophenmeldung nach der anderen anklicken, um sich binnen zwei, drei Stunden komplett emotional abzuschießen. Dürre … Überschwemmung … Femizid … Dürre … Überschwemmung … MeToo-Skandal … Dürre … Überschwemmung … rechter Terroranschlag … Dürre … Überschwemmung … Amoklauf …

Oder noch schlimmer, wer täte es nicht ungefähr einmal im Jahr: selbstzerstörerisch googeln. Was macht Johnny Depp gerade Ekliges? Was der rechtsdrehende Ex-Kumpel? Mit welcher bedauernswerten Person ist der narzisstische Ex von ganz früher zusammen? Was hat der Springerknilch, dem ich auf keinen Fall jemals wieder freiwillig in sozialen Medien begegnen werde für ein Headerbild auf Bluesky? Ah, okay, in seinem Header sind heiße, vermutlich israelische Soldatinnen zu sehen, ja, es war ein Fehler, selbst schuld, dass mir jetzt schlecht ist.

Neu und sehr unheimlich ist, dass die TL aktuell selbst doomed ist. Wo es nicht konkrete Katastrophenmeldungen in gefühlt noch mal zehnfach höherer Dichte als vor ein paar Wochen sind, zerlegen Menschen andere Menschen und sich selbst mit einer Vehemenz, die ich so nur in der Hochzeit der Trolle auf Twitter kurz vor Elon beobachtet habe. Nur dass es jetzt oft Menschen sind, die sonst gerade durch etwas mehr Menschlichkeit herausstachen. Der 7. Oktober ist nicht nur das historische Ereignis des Hamas-Terroranschlags und der sich anschließenden Kriegserklärung Israels gewesen, sondern auch Auslöser unterschiedlichster Formen von Betroffenheit weltweit. In Sozialen Medien war der 7. Oktober der gewaltige Tropfen, der das kommunikative und emotionale Fass zum Übergelaufen gebracht hat. Wurde seit Corona eine gesamtgesellschaftliche Depression beobachtet, könnte die aktuelle Lage im deutschsprachigen Kulturraum als gesamtgesellschaftlicher Meltdown beschrieben werden. Deshalb achtet bitte auf euch und geht behutsam mit anderen um, gerade wenn sie sich in euren Augen ungewohnt extrem verhalten.

Unbeirrbar Schmunzeltwitter durchzuziehen und alles Politische auszublenden, als wäre es 2012 und Bluesky Twitter, ist trotzdem nur eine neue Form von Decamerone (Öffnet in neuem Fenster). Ja, kann man machen, aber die Pest geht davon nicht weg, dass Einzelne vorführen, noch die zu Wahl haben, sich nicht mit ihr auseinanderzusetzen. Wusste schon Edgar Allan Poe, als er Die Maske des roten Todes (Öffnet in neuem Fenster) schrieb, und Herr Poe ist auch längst nicht mehr der Progressivste. Ja, es ist ein komplexes Unterfangen, mitfühlend, solidarisch, engagiert zu bleiben und sich trotzdem nicht durch Überbeladung mit Inhalten zu schreddern. Aber es gibt keine Alternative dazu, das immer neu auszubalancieren. Sehr dosierte Social-Media-Nutzung kann ich hingegen sehr empfehlen. Timer auf 30 min stellen, danach die Büchse der Pandora energisch zuklappen. Über zehn Jahre immer online sind genug. Trefft euch zur Abwechslung mal mit Menschen auf ein Heißgetränk.

Rubrikloses

Zu fröhliche Mail-Betreffs berühren mich ähnlich unangenehm wie eine aufgekratzte Ansprache durch Menschen vor meinem ersten Kaffee.

Beobachtung: Zurückfallen in diskriminierende Sprache beim Referieren auf ein sehr lange zurückliegendes Ereignis

Es gibt mehrere ominöse Gesellschaften zur Rettung der deutschen Sprache, die seit vielen Jahren all ihre Kraft dem Kampf gegen das Gendern widmen. Nie hört man etwas von ihnen, wenn ein ästhetisch und ethisch grausiger Neologismus wie »Abschiebungsgesetzespaket« auftaucht. 

Drogeriemarkt-Regal-Durcheinander von Katzenfutter und Menschenpflegeprodukten

Context matters.

Uralte, verwitterte Außenwerbungs-Außenwerbung, bei der der Preis noch in D-Mark angegeben ist

Doch mal in klassische Werbung investieren?

Gartenstrauß in hellblauer Kristallvase mit weißen Hortensien und violetten Lupinen

Etwas Schönheit

Präraffaelitische Girls erklären

Gemäldeausschnitt. Person sieht untergehendem Schiff zu. Hinzugefügter Text: Es war wirklich bedauerlich, dass Menschen sich nicht frühzeitig mit den 
 Übergängen von Performanz und Hermeneutik in sozialen Medien befasst hatten.

Zurück zu Performanz gegen Hermeneutik, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis. 

XOXO,
FrauFrohmann

Ich freue mich, wenn ihr für 6,66 EUR im Monat ein Bezahlabo (Öffnet in neuem Fenster) abschließt oder über Paypalme (Öffnet in neuem Fenster) einmalig etwas zahlt. Wer wenig Geld hat, liest bitte allezeit mit bestem Gewissen kostenlos mit.

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