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Liebe Übonnentin, lieber Übonnnent,

Susanne Gaschke, als Politikerin gescheitert und als Journalistin bei der „Welt“ gelandet, kann es nicht fassen: Menschen tragen immer noch Masken! Obwohl sie es gar nicht müssen!! Und obwohl Corona gar nicht mehr so tödlich ist!!!

Die Kolumnistin hat neulich (Öffnet in neuem Fenster) einen Blick „in die gesamte rot-grüne Samstagsvormittags-Bio-Einkaufsszene Deutschlands“ geworfen, und es schauderte sie: „Da sind alle durch [Karl Lauterbachs] Angst-PR schockgefrostet, da trägt immer noch jede(r) Maske!“

Und Gaschke nimmt das persönlich. „Da sind alle ‚Taz‘-LeserInnen und Hyper-Vorbildliche längst dabei, maximalen moralischen Druck auf diejenigen auszuüben, die Freiheit und Eigenverantwortung anders verstehen – und ohne gesetzliche Vorschrift eben keine Maske mehr tragen wollen.“

Anscheinend sind freiwillig getragene Masken für Gaschke noch schwerer zu ertragen als staatlich verordnete Masken. „Die Mehrheit der Deutschen hat sich an den Pandemie-Ausnahmezustand anscheinend nicht nur gewöhnt, sie hat ihn liebgewonnen“, behauptet sie. „Sonst würden sie nicht jetzt, da die Maßnahmen wegfallen, mit sozialem Druck neue Zwänge aufbauen.“

Viele Monate lang sah es so aus, als würden Gaschke und ihre publizistischen Mitstreiter gegen die Corona-Maßnahmen für eine Freiheit von staatlichem Zwang kämpfen. Tatsächlich kämpften sie für die Freiheit vom Anblick von Masken.

Es reicht ihnen nicht, dass Menschen sich in den meisten Bereichen jetzt aussuchen können, ob sie Masken tragen oder nicht. Jede freiwillig getragene Maske verstehen sie als Affront; als Vorwurf gegen sich selbst, die sie keine Masken tragen. Offenbar täuschte das ganze Gerede, dass sie für Eigenverantwortung anstelle staatlicher Übergriffe sind: Sie halten es nicht aus, wenn Menschen sich aus freien Stücken vorsichtig verhalten, vielleicht aus der schlichten Abwägung heraus, dass das Tragen einer Maske ein relativ kleiner Preis ist, um die Gefahr einer Infektion zu reduzieren – selbst wenn diese Infektion einen erheblichen Teil ihres Schreckens verloren hat.

Gaschkes Kollege Jörg Phil Friedrich, der ebenfalls vor allem für die „Welt“ schreibt, hat in einem Tweet (Öffnet in neuem Fenster) vor ein paar Tagen in erstaunlicher Offenheit sein erschreckendes Unbehagen mit der neuen Freiheit ohne Maskenzwang formuliert:

„Eine Woche ohne Maske in Münster. Wir sind wenige. Nein, man wird nicht schief angeschaut, alle sind nett wie immer. Aber es belastet doch, offensichtlich zu einer Minderheit zu gehören. Es bindet das Denken. Man spürt, dass man durchhalten muss, und das ist merkwürdig.“

(Jens Scholz hat das in einem Thread gut eingeordnet (Öffnet in neuem Fenster).)

Diese fanatischen Vorsichtsmaßnahmengegner müssen nicht einmal schief angeschaut werden, um sich als Opfer zu fühlen. Es reicht schon, sehen zu müssen, dass andere Menschen bei einer Risikoabwägung zu anderen Ergebnissen kommen als sie selbst, und dass das sogar womöglich die Mehrheit ist. Diese Freiheitskämpfer ertragen die Freiheit nicht, und weil sie das natürlich nicht zugeben können, unterstellen sie den anderen, dass sie den Zwang internalisiert und sich in der bequemen Unfreiheit eingerichtet haben. Und dass sie durch sozialen Druck diesen Zwang an die anderen weitergeben, so dass nicht einmal sie ihre Freiheit genießen können.

Aus der (absolut legitimen und notwendigen) Diskussion, wann und wie sehr der Staat in die Freiheit seiner Bürger eingreifen darf, ist nach dem Wegfall der meisten Verbote in diesen Kreisen ein Kampf dafür geworden, in keiner Weise mit der Pandemie behelligt zu werden. Sei es durch den Anblick Maske tragender Menschen auf der Straße. Oder durch Appelle, zum Beispiel an Ostern vorsichtig zu sein und Abstand zu halten.

Die Radikalisierung war besonders eindrucksvoll beim „Bild“-Youtube-Talk „Viertel nach acht“ (Öffnet in neuem Fenster) zu sehen. Gastgeberin Nena Schink, die schon lange gegen das Tragen von Masken agitiert, hatte am Donnerstag Gleichgesinnte wie Gaschke und den früheren „Stern“-Journalisten Hans-Ulrich Jörges eingeladen, der schon 2020 gegen „Gesichtslappen“, „Zwangslappen“, „feuchte Fummel vorm Gesicht“, kurz: den „Maulkorb des Volkes“ wetterte. (Öffnet in neuem Fenster) Schink empörte sich, dass sie sich von Politikern und Ärzten gute Ratschläge anhören müsse: „Ich fordere die Politik auf, mich endlich und ein für alle Mal in Ruhe zu lassen, was Corona betrifft. (…) Mir reicht es, und ich bin ab jetzt auch raus.“

(Die sinnlos-dramatische Formulierung hat sie sich von ihrem Vorbild Jan Fleischhauer abgeguckt (Öffnet in neuem Fenster).)

Alle vier Gäste waren ihrer Meinung. Schon eine Empfehlung, eine Ermahnung, eine Erinnerung an Vorsichtsmaßnahmen ist für sie eine unerträgliche Zumutung.

Hier (Öffnet in neuem Fenster) haben wir ein paar Momente daraus zusammengeschnitten, die nicht nur angesichts des Sendungsmottos „Fünf Köpfe, fünf Meinungen“ bemerkenswert sind.

Die Runde redete dann auch noch kurz darüber, dass die Polizei eine Gruppe von Reichsbürgern und radikalen Gegnern der Corona-Politik zerschlagen hat, die die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant haben soll. Schink betonte, sie seien bei aller Kritik an Lauterbach natürlich gegen so etwas, und Jörges betonte, man müsse die Gefahr, die davon ausgeht, ernst nehmen.

Aber er stellte fest, dass diese Bedrohung doch eine positive Wirkung auf Lauterbach gehabt habe: 

„Er sagte in seiner Stellungnahme dazu, er sehe jetzt auch, wie tief gespalten die Gesellschaft sei, und er wolle etwas dafür tun, die wieder zusammenzubringen. Sowas hat er, glaube ich, noch nie gesagt, sondern er hat immer weiter zugespitzt und Holz gehackt. Und jetzt legt er vielleicht mal die Axt weg und wird ein bisschen, wie soll ich sagen, versöhnlerischer als er je war.“

Nena Schink glaubte das nicht: „Karl Lauterbach braucht Corona, um im Mittelpunkt zu stehen“, formulierte sie süffisant.

Jörges sah in den Entführungs-Plänen jedenfalls einen Vorteil für Lauterbach: Eigentlich sei der so gescheitert, dass er fast schon zurücktreten müsste. „Aber jetzt isser natürlich durch die geplante Entführung“ – hier kicherte Jörges ein bisschen – „isser irgendwie wieder zur Kultfigur und nicht anfassbar. Falls Scholz mal darüber nachgedacht hat, ihn auszuwechseln, das tut er jetzt bestimmt nicht mehr.“

Diese Woche neu auf Übermedien

Die Passion (Öffnet in neuem Fenster) | Cartoon von Hauck & Bauer.

Wie frei können Sie aus dem Ukraine-Krieg berichten? (Öffnet in neuem Fenster) | ZDF-Korrespondentin Kathrin Eigendorf sagt, man solle den Korrespondenten vor Ort mehr vertrauen. (Podcast) 

Vielleicht Völkermord (Öffnet in neuem Fenster) | Samira El Ouassil fragt sich, ob es richtig ist, den Begriff „Genozid“ so zögerlich zu verwenden, wie es die meisten Medien tun. (Ü)  

„Homefarming“ mit Judith Rakers: Durch die Höhen und Tiefen des Tomatenanbaus (Öffnet in neuem Fenster) | Podcast-Kritik von Larissa Vassilian (Ü)

(Ü): exklusiv für Übonnenten und Übonnentinnen

„Die Psychologie der Macht“ klingt als Titelgeschichte erst einmal nicht so speziell, aber was die österreichische Zeitschrift „News“ („Das österreichische Magazin von internationalem Format“) unter dieser Überschrift veröffentlicht hat (Öffnet in neuem Fenster), ist atemberaubend. Die Psychotherapeutin Monika Wogrolly hat für das Blatt die Persönlichkeiten von Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyi unter die „tiefenpsychologische Lupe“ genommen und bei beiden Indizien für „starke selbstüberschätzende Charakterzüge und seelische Verletzungen“ entdeckt.

Im ukrainischen Präsidenten sieht sie „Eigenschaften, die man einer histrionischen Persönlichkeit zuordnet“ und führt dann aus:

„Das Motiv des Histrionikers ist, seine innere Leere aufzufüllen; was er wie ein Vampir unablässig tun muss und das, indem er lügt und blendet, um sich selbst zu beweisen, wie großartig er ist. Showmaster zählen häufig zu diesem histrionischen Persönlichkeitstyp. Nachdem man in den Menschen Selenskyj nicht hineinschauen kann, lässt das vermuten, dass er – wie jeder berufene Schauspieler – auch jetzt seine politische Rolle perfekt zu erfüllen trachtet. Und möglicherweise, ohne sich selbst der Folgen und seiner damit einhergehenden Instrumentalisierung (durch den im Hintergrund agierenden Übervater, dem er gefallen will) bewusst zu sein. Triebfeder kann hier, wie gesagt, das psychologische Trauma der jüdischen Vorfahren und die Sehnsucht nach dem Einssein und Geliebtwerden mit und von einem scheinbar allmächtigen Vater sein.“

„Spiegel“-Kollege Anton Rainer, spricht angesichts dieser Zeilen von „Antisemitismus pur“ (Öffnet in neuem Fenster), aber mal abgesehen vom Antisemitismus (und es ist natürlich unmöglich, davon abszusehen): Was ist das für ein grotesker Unsinn alles?! Wie kommt man darauf? Und warum veröffentlicht man so etwas?

Bei Putin diagnostiziert die Autorin „eine Neigung zu depressiven Symptomen und gewissen soziophoben, also ängstlich vermeidenden Verhaltensweisen“:

„Er fühlt sich höchstwahrscheinlich medial und zwischenmenschlich unverstanden, abgewertet und ungeliebt, weil er schon jahrelang für die westliche Welt in der Rolle des Bösewichts manifestiert ist. Die Gefahr des Selbsthasses und eines erweiterten Suizids, der sich als atomarer Rundumschlag niederschlagen könnte, ist bei narzisstischen Kränkungen grundsätzlich nicht auszuschließen.“

Immerhin diesen Satz kann man unterschreiben: „Es bleibt zu hoffen, dass Staatsoberhäupter in guter fachärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung sind (…).“ Wenn dafür gerade Zeit bleibt, neben dem ganzen Krieg.

Als Lektüre für die Restfeiertage kann ich noch dieses Interview der „Augsburger Allgemeinen“ (Öffnet in neuem Fenster) mit unserem Redaktionsleiter Frederik von Castell empfehlen. Inklusive der Regel, die nach Christian Lindner klingt,  aber trotzdem nicht falsch ist: „Lieber nicht informieren als falsch informieren“!

Schöne Ostern,
Stefan Niggemeier

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