Einordnung: Waffenstillstand mit der Hisbollah
Und plötzlich wachen wir mit einem Waffenstillstand im Libanon auf.
Ad hoc und schlaftrunken möchte ich einige Stichpunkte anbringen. Bevor sich nachher jemand wundert.
Meta Ebene:
Verhandelt wurde hinter verschlossenen Türen. Es wurde nicht einmal gemeldet, dass verhandelt wurde. Das sickerte höchstens durch. Schon vor etwa zwei Wochen.
Das bedeutet, da haben jetzt nicht viele Journalisten etwas vor Ort recherchiert. Diese Meldungen kommen jetzt von den Agenturen, denen die Story auf den Tisch kam. Vermutlich von US-amerikanischer Seite. Aber auch, weil das israelische Sicherheitskabinett gestern Abend darüber abgestimmt hat. Der US-Präsident Biden hat es dann verkündigt.
Gesehen hatte ich international die AP und in Deutschland die dpa.
Die Redaktionen der besseren Medien bereiten das nun auf. Die Washington Post bringt beispielsweise detailliertere Berichte von Redakteuren.
Das nur zum medialen Informationsfluss vorab, der wichtig ist halbwegs zu verstehen.
Die Verhandlungen
Verhandelt wurde nicht zwischen Israel und der Hisbollah.
Verhandelt haben die USA mit dem Libanon. Und das schwächt die ganze Sache ganz enorm.
Denn der Libanon ist im Grunde ein Failed State. Die Regierung ist derzeit nur „geschäftsführend“.
Die Hisbollah hat im Süden des Libanon und im Süden der Hauptstadt Beirut de facto einen Staat im Staate aufgebaut. Ebenso im Osten, wo die Waffen über Syrien hereingeschmuggelt wurden.
Dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen abliefen, ist – wie auch bei der Hamas – ein Entgegenkommen. Um denen einen gesichtswahrenden Rückzug zu ermöglichen. Ein diplomatisches Zugeständnis.
Die Regierung des Libanons muss jetzt auf die Hisbollah einwirken. Sie ist mit ihr verknüpft, die Hisbollah sitzt auch offiziell als Partei im Parlament. Die Regierung ist aber nicht die Hisbollah. (Erklärender Artikel dazu: klick… (Öffnet in neuem Fenster))
Persönlich gehe ich davon aus, dass sie es der Hisbollah schmackhaft machen wird beziehungsweise schon gemacht hat. Sonst wäre keine Einigung verkündigt worden. Trotzdem halte ich es falsch, dass die Medien das nicht weit oben genau so kommunizieren. Denn es wirft ein anderes Licht.
Die Einigung
Geeinigt hat man sich auf einen Waffenstillstand für zwei Monate.
In diesen zwei Monaten soll die Hisbollah sich aus dem Süden des Libanons zurückziehen, bis hinter den Fluß Litani. Der verläuft parallel zur israelisch-libanesischen Grenze und schneidet den Süden des Libanons bis nach Syrien ab.
Bild: Aus Gründen nur eine Skizze, um welche Zone es geht.
Damit soll also der Zustand hergestellt werden, der bereits seit der UN-Resolution 1701 seit 2006 gefordert wurde. Und den der Libanon nie umgesetzt hat. Weil er nicht konnte, aber auch nicht wollte.
Das sagt eigentlich zwei Dinge.
Zum ersten war die Position Israels und der USA schlicht: „Ihr macht das jetzt endlich“. Es ist nur ein Beharren auf das, was international seit fast zwanzig Jahren gefordert wurde. Ich denke, das muss man sich vergegenwärtigen.
Zum zweiten, dass die Verhandlungsbasis der Hisbollah so geschwächt war, dass sie diese aus ihrer Sicht Maximalforderung eingehen musste. Überhaupt darüber verhandeln zu müssen, offenbart eine große Schwäche.
Ich bin sehr sicher - auch wenn das uns als Zeitgenossen so nicht bewusst ist - führt diese Waffenruhe zu einem dauerhaften Frieden, wird der Kampf gegen die Hisbollah als schneller Enthauptungsschlag von den Historikern besprochen und in die Geschichtsbücher eingehen werden.
Innerhalb weniger Tage wurde mit der Pager-Operation den Kommandeuren und der Kommunikation die Hand abgehackt, im wahrsten Sinne. (Berichte: klick… (Öffnet in neuem Fenster) und klick… (Öffnet in neuem Fenster))
Und nur zehn Tage später, am 27. September, wurden der Generalsekretär Hassan Nasrallah (Öffnet in neuem Fenster) zusammen mit über zwanzig führenden Kommandeuren bei einem Präzisionsschlag gegen das Hauptquartier in Beirut getötet. Wobei auch mehrere hochrangige Kommandeure des Irans umgekommen sind, die sich zu einer Besprechung dort aufhielten.
Beide Operationen tragen die unverkennbare aber unbestätigte Handschrift des israelischen Nachrichtendienstes Mossad.
Durch diese indirekt offenbarte Schwäche der Hisbollah sehe ich daher gute Chancen, dass die Waffenruhe halten könnte.
Foto: Nach dem Haftbefehl des IStGH gegen Netanyahu und Gallant betreibt das Regime in Teheran großflächig Propaganda.
Es bleibt heikel
Die Hisbollah soll sich nun also aus diesem südlichen Zipfel zurückziehen.
Gleichzeitig soll die libanesischen Streitkräfte in das Gebiet einrücken. Und zusammen mit den Blauhelmen das Gebiet sichern.
Die libanesischen Streitkräfte haben bereits angekündigt, heute damit zu beginnen. Das ist wiederum ein Zeichen, dass die libanesische Seite sich ihrer Sache recht sicher ist. Und dass im Vorfeld bereits geplant wurde.
Das wirft nun einige Aspekte auf, die aber nur wirkliche Fachleute werden verlässlich einschätzen können.
(In den deutschen Medien kenne ich derzeit niemanden, dem ich eine solche Expertise zutraue. Nur um das klar zu sagen. Da müssten ausgemachte Spezialisten aus dem Bereich der Nachrichtendienste mit diesem Fachbereich ran. Und die sitzen nicht in Talk Shows.)
Nicht weit entfernt gibt es in Syrien Truppen des islamischen Widerstandes (Öffnet in neuem Fenster), die von Syrien aus operieren. Diese sind ebenfalls Proxys des Iran. Es kann also heikel werden, wenn diese nun versuchen, diesen Prozess durch Angriffe in das Gebiet zu beeinflussen.
Im Osten des Libanons, außerhalb des Gebietes um das es hier geht, liegen die sog. Sheeba Farmen. Eine Kleinigkeit, die ausführlich zu besprechen hier den Rahmen sprengen würde. Sie waren immer der „offizielle“, völkerrechtliche Grund für den Libanon, keinen Friedensvertrag mit Israel zu unterzeichnen. Und damit für die Hisbollah, ihre Angriffe auf Israel zu argumentieren.
Es wird also abzuwarten sein, wie die libanesische Seite und die Hisbollah sich dazu verhalten. Ob sie sich auch dort zurückziehen. In den derzeitigen Medienmeldungen steht dazu nichts.Das iranische Regime hat den Waffenstillstand offiziell begrüßt. Ich erlaube mir skeptisch zu bleiben. Obwohl auch das sicher diplomatisch unter der Hand besprochen wurde. Dennoch halte ich es für möglich, dass der Iran das nun offiziell akzeptiert, aber im Hintergrund versucht weiter, die Hisbollah zu stützen.
In der nächsten Zeit rechne ich mit verstärkten Aktivitäten an der Grenze zwischen dem Libanon und Syrien.
In der Nacht hatten die USA im Süden Syriens bereits Milizen angegriffen, diese hatten am Montag die US-Truppen angegriffen. Und kurz vor Beginn der Waffenruhe hat Israel massive Luftschläge an der Grenze geflogen.
Dort liegen die Versorgungsadern der Hisbollah aus dem Iran. Es bleibt also abzuwarten, was sich dort entwickelt. Diese Nebenkriegsschauplätze halte ich aber nicht für entscheidend für ein Gelingen oder Scheitern der Waffenruhe.Heute Morgen meldet die Tagesschau, dass Libanesen versucht haben, in eine Sperrzone im Süden des Libanons einzudringen. Diese wurden beschossen und haben sich zurückgezogen. Was auch immer der Hintergrund war: solche Aktionen halte ich für sehr viel Entscheidender, ob die Waffenruhe halten kann.
Die Hisbollah ist zwar deutlich hierarchischer strukturiert, als die Hamas. Dennoch ist es keineswegs sicher, dass alle innerhalb der Hisbollah und der anderen Widerstandsgruppen so einverstanden sind.
Sollte die Waffenruhe in einen Frieden übergehen, würde das die verbliebene Macht der Hamas enorm schwächen. Nicht unbedingt militärisch, aber nachhaltig.
Als Pendelreaktion rechne ich aber damit, dass die internationale Propaganda wieder aufflammen wird.
Denn in den letzten Wochen gab es wenige neue Meldungen aus dem Gazastreifen. Der Fokus der Öffentlichkeit verschob sich zunehmend auf den Libanon, was den militärischen und realistischen Relationen entsprach. Das war auch daran abzulesen, dass es kaum neue „Skandalmeldungen“ aus dem Gazastreifen (Öffnet in neuem Fenster) gab. Die Propagandamaschinerie, von Trollen in Katar und der Türkei bis zu Berliner Studenten, arbeitete sich an den gleichen, alten Themen ab.
Fällt die Hisbollah, werden diese Akteure gar nicht anders können, als noch mehr die Opfer-Narrative der Palästinenser zu unterstreichen.
Insgesamt habe ich aber den persönlichen Eindruck, dass der arabische Rückhalt noch weiter schwindet. Auch wenn Erdogan aus der Türkei heute schon gepoltert hat, Israel müsse Entschädigung zahlen. Das ging an seine Wähler, mehr als an Israel.
Inzwischen hat Katar die Führung der Hamas rausgeschmissen, die im arabischen Raum wichtige Führungspersönlichkeit Sinwar (Öffnet in neuem Fenster) hat ein Loch im Kopf, die USA werden im Jemen aktiv, der Libanon verhandelt mit den USA… Sehr simplifiziert würde ich sagen, die eher skeptischen Gegenspieler des Irans und seine Sympathisanten gehen in immer weitere Distanz.
Ein Treppenwitz der Geschichte:
Abgesehen von gefallenen, israelischen Soldaten haben die Angriffe der Hisbollah auf israelischer Seite bisher mehr zivilen Arabern als Juden das Leben gekostet. (44)
Denn im Norden Israels, dort, wo die Raketen mit kurzer Reichweite hinkommen, leben fast ausschließlich Araber, Drusen und Beduinen. Ganze Dörfer sind arabisch, mit arabischer Schrift über den Geschäften.
Die Hisbollah hat also die getötet, die im propagandistischen Narrativ die eigenen Leute sind. Ein Faktum, das in der europäischen Öffentlichkeit gar nicht so wirklich verstanden zu werden scheint.
Und während ich dies Tippe, kehren die ersten Libanesen in die evakuierten Zonen im Süden zurück. Entgegen der Warnungen.
Allen ist zu wünschen, dass es gut geht.
Ich erlaube mir, skeptisch abzuwarten um mich später nicht zu wundern.