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Patriar-Chat ist keine neue Messenger-App für echte Männer, sondern das vielleicht größte Hindernis auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit. Warum das so ist und wie wir patriarchale Strukturen überwinden können, erfährst du jetzt.

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#42 #Essay #Feminismus #Klimagerechtigkeit

Der Klimakrise (he/him)

Obwohl vor allem Männer die Klimakrise verursachen, leiden Frauen stärker unter den Folgen. Um Klimagerechtigkeit zu erreichen, führt kein Weg an feministischen Lösungen vorbei. ~ 7 Minuten Lesezeit

Wie vielen Menschen bin ich schon begegnet, denen unser Planet am Herzen liegt, und die deshalb weniger Fleisch essen oder seltener fliegen. Noch kein einziges Mal habe ich gehört: „Ja, schlimm mit dem Klima, deswegen bin ich Feminist*in.“ 

Aber warum eigentlich? Die Zusammenhänge zwischen Patriarchat und Klimakrise liegen auf der Hand und die Lösungen auf dem Tisch. 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Männer immer noch eine systematisch bevorzugte Stellung genießen – ja, auch in Deutschland. In patriarchalen Strukturen werden Konzepte wie Aggression, Dominanz und Selbstüberschätzung belohnt, obwohl sie unterm Strich allen (inklusive den Bevorteilten selbst) schaden.

Insbesondere leiden darunter Frauen, Kinder, Menschen im globalen Süden und die Natur. Auf dem Weg zu stabilen Erdsystemen und Klimagerechtigkeit führt also kein Weg daran vorbei, diese patriarchalen Strukturen zu überwinden.

Männer, die auf Männer starren

Seitdem ich es das erste Mal gesehen habe, geht mir ein Foto nicht mehr aus dem Kopf. Es entstand im Februar 2022 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die MSC ist eine hochkarätig besetzte, internationale Tagung, auf der außen- und sicherheitspolitische Themen besprochen werden. Unter anderem mit dabei: Antonio Guterres, Bill Gates und Olaf Scholz. Auch eingeladen waren zahlreiche CEOs und Vorstände führender Konzerne, die sich an einem der Abende zu Merlot und Vier-Gänge-Menü trafen.

Auf dem Foto des Dinners: keine einzige Frau. Keine einzige.

Das undiverseste Dinner seit dem letzten Abendmahl. 📸: Michael Bröcker

Wie kann es sein, dass im Jahr 2022, nach all den Bekundungen für mehr weibliche Vorstände, für mehr Frauenrechte, für Gleichberechtigung auf allen nationalen und internationalen Ebenen dieses Dinner stattfindet? Ein Dinner, auf dem nicht nur alle Konzern-Chefs männlich sind, sondern auch fast alle weiß und auf eine aufsummierte Dioptrie von -250 kommen. Ähnlich kurzsichtig dürften wohl jegliche Gespräche in diesem Raum verlaufen sein, ohne Beteiligung von Frauen.

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Dieses Foto ist leider keine traurige Ausnahme. Es ist ein Sinnbild – für westliche Gesellschaften, die weit davon entfernt sind, die Bedürfnisse und Ansichten von männlichen und nicht-männlichen Personen im gleichen Maße in der Politik abzubilden. Für einen Bundestag, in dem nicht mal ein Drittel der Abgeordneten weiblich ist. Für eine UN, die nie eine Generalsekretärin hatte. Für nur 16 Prozent (Öffnet in neuem Fenster) Frauen in Vorstandspositionen der 100 größten deutschen Unternehmen. Für CDU-CEO Friedrich Merz, der 1997 noch dagegen stimmte (Öffnet in neuem Fenster), Vergewaltigung in der Ehe zu einem Straftatbestand zu machen und im vergangenen Jahr spöttisch über feministische Außenpolitik herzog (Öffnet in neuem Fenster).

Ja, es gibt viele positive Trends bezüglich Gleichstellung in den letzten Jahren. 2009, als ich Abitur gemacht habe, waren gerade einmal 0,9 Prozent der Konzern-Vorstände Frauen. Dennoch leben wir immer noch in einer patriarchalen (Öffnet in neuem Fenster) Gesellschaftsordnung. Besonders deutlich werden die Ungleichheiten bei den Gründen und Folgen der Klimakrise.

Die Ursachen der Klimakrise sind männlich

Historisch haben vor allem Männer politische und wirtschaftliche Entscheidungen getroffen. Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass trotz 1,2 Grad Erderhitzung die Emissionen weiterhin steigen, statt rapide zu sinken. Es klingt zwar etwas platt, aber die Klimakrise ist zum Großteil das Werk von Männern. Das Problem liegt jedoch viel tiefer als nur in schlechten männlichen Entscheidungen.

Ausgabe #41 (Öffnet in neuem Fenster): Claudia Kemfert im Treibhauspost-Interview. 

Farah Daibes, die bei der Friedrich-Ebert-Stiftung im Bereich Politischer Feminismus arbeitet, trifft es mit ihrer Analyse (Öffnet in neuem Fenster) ziemlich auf den Punkt: Durch patriarchale Strukturen würden all die Eigenschaften abgewertet und als nachrangig eingestuft, die als stereotypisch weiblich begriffen werden – Mitleid, Sanftheit, Empathie oder Demut. Diese seien jedoch wesentlich, um Kontakt zur Natur zu halten, sie zu bewahren und mit ihr im Einklang zu leben.

„Je patriarchaler eine Gesellschaft ist, desto wahrscheinlicher beutet sie die Umwelt aus“, schreibt auch Kristina Lunz in ihrem Buch Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Lunz ist Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy in Berlin und hat dazu beigetragen, dass sich das Außenministerium einem Ansatz verschrieben hat, der den Schutz und die Gleichstellung von nicht-männlichen Personen priorisiert. Laut ihr geht die Unterdrückung von Frauen und von Mutter Natur Hand in Hand. Das zeigt sich zum Beispiel in den Zahlen des Umweltbundesamts: Frauen sind über alle Milieus hinweg im Schnitt umweltbewusster als Männer. Es ist also kein Zufall, dass die bekanntesten Gesichter der Klimabewegung nicht Luis, Gert und Carl heißen.

In manchen wissenschaftlichen Papern ist sogar vom „White Male Effect“ die Rede. Dieser beschreibt eine höhere Risikoaffinität von weißen Männern, auch bezüglich der Folgen der Klimakrise. Hinzu kommt: Insbesondere konservative Männer (zumindest amerikanische) leugnen signifikant häufiger den menschengemachten Klimawandel, wie eine Studie der Michigan State University herausfand: Ganze 30 Prozent von ihnen geben an, dass die Erderhitzung keinerlei Auswirkung haben werde.

Die Klimafolgen treffen insbesondere Frauen

Es ist wenig überraschend, dass diejenigen, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben und sie am häufigsten leugnen, auch diejenigen sind, die am wenigsten von den Auswirkungen betroffen sind. Es ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens (Öffnet in neuem Fenster), dass besonders Frauen unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden, insbesondere im Globalen Süden.

Ausgabe #17 (Öffnet in neuem Fenster): Du (als weißer, männlicher Vorzeige-Lobbyist) gegen den Rest der Welt.

Ein paar Beispiele: Durch Dürren und Hitze wird Wasser knapper. Da es, dank patriarchaler Arbeitsteilung, in Ländern wie Äthiopien oder Indien häufig Aufgabe der Frauen ist, Wasser zu holen, müssen sie weitere Wege gehen. Diese wiederum bedeuten ein höheres Risiko, Gewalt von Männern ausgesetzt zu werden.

Gleiches gilt auf der Flucht. Laut dem UNHCR (Öffnet in neuem Fenster) lösen Naturkatastrophen (die durch die Erderhitzung häufiger und extremer werden) mehr als dreimal so viele Vertreibungen aus wie bewaffnete Konflikte. Allein 2021 mussten laut dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) 23 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Naturereignissen verlassen. Auf der Flucht besonders gefährdet sind Frauen und Mädchen, da häufig rechtsfreie Räume in Flüchtlingslagern oder auf dem Weg dorthin entstehen.

Ein letztes Beispiel: Durch Ernteausfälle infolge der Klimakrise kommt es verstärkt zu Armut und Lebensmittelknappheit. Aus Not werden Mädchen häufiger zwangsverheiratet, wodurch sie nicht mehr in der eigenen Familie ernährt werden müssen.

Ausgabe #10 (Öffnet in neuem Fenster): Wie funktioniert die Attributionsforschung, zu der Klimaforscherin Dr. Friederike Otto maßgeblich beigetragen hat?

In Earth for all, dem aktuellen Club of Rome Bericht, heißt es: „Wenn Frauen besseren Zugang zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten und menschenwürdigen Arbeitsplätzen [...] haben, führt dies zu gesunden, stärkeren, resilienten Gesellschaften.“ Diese Resilienz wiederum ist Grundvoraussetzung für eine gelungene Klimawende.

Klimagerechtigkeit geht nur ohne Patriarchat

Der Weg zu Klimaneutralität und Klimagerechtigkeit kann keiner Gesellschaft langfristig gelingen, in der die Hälfte der Menschen systematisch benachteiligt ist. So gesehen hat toxische Männlichkeit einen größeren Fußabdruck als alle Kohlekraftwerke der Welt zusammen.

Dass Dekarbonisierung alleine überhaupt ausreichen soll, um die Menschen auf diesem Planeten zu schützen, ist ein männliches Märchen. Es lässt die Konsequenzen der bis dahin eingeloggten Klimakatastrophe völlig außer Acht. Die schlechte Pointe dieses Altherrenwitzes sind absurde Technologie-Fantasien von Politikern, die selbst keine einzige Zeile Code schreiben können.

Wie häufig wird über technische Lösungen wie CCS und Kernfusion diskutiert – dabei wäre die Demontage der patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft die tausendmal wirksamere Maßnahme, um CO₂ einzusparen. Damit das gelingt, braucht es feministische Ansätze auf allen Ebenen. Eine kleine Auswahl an längst überfälligen Maßnahmen:

  • Eine konsequent (Öffnet in neuem Fenster) paritätische Besetzung für politische und wirtschaftliche Führungsämter.

  • Lehrpläne und Curricula, in denen Forschung und Ideen von Frauen und Männern gleichwertig an Lernende unterrichtet werden.

  • Eine ausreichend finanzierte, feministische Außen- und Klimapolitik.

  • Wissenschaftliches Arbeiten, in das weibliche Perspektiven noch viel stärker einfließen – im IPCC-Bericht 2021 waren nur 27 Prozent der Autor*innen Frauen.

  • Talkshows, in denen Frauen genauso lange ununterbrochen reden können wie Männer (Grüße in den Ruhestand, Frank Plasberg).

Was es vor allem auch braucht: Die Erkenntnis, dass Feminismus und Klimaschutz direkt miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig bestärken. Als Feminist*in bist Du fast automatisch auch Klimaschützer*in. Und umgekehrt? Es wäre nicht nur wünschenswert, sondern auch verdammt zielführend, wenn alle, die sich für das Klima engagieren (auch und vor allem Männer), diese Selbstverständlichkeit andersherum genauso wahrnehmen würden.

Und auch wenn die Klimakrise jetzt schon einen langen Schatten auf das Leben der Kinder wirft, die heute geboren werden – was freue ich mich für sie, dass sie sich von den Gedanken und Ideen der Maja Göpels, Emilia Roigs, Kristina Lunzes und Vanessa Nakates dieser Welt leiten und inspirieren lassen können. Welch wunderbare und befreite Zukunft stünde ihnen bevor.

Diesen Text wollte ich schon lange schreiben. Danke, dass Du ihn bis zum Ende gelesen hast. Es gibt noch so viel mehr zur Schnittmenge der beiden Dimensionen Klima und Feminismus zu denken und zu lernen. Deswegen würde ich dir gerne diese beiden Bücher empfehlen:

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Was denkt die Treibhauspost-Community?

Dieses Mal gibt es eine kleine Neuheit: Da so viele von Euch bei unserer Umfrage im Dezember teilgenommen haben und sich einige sogar explizit mehr davon gewünscht haben, gibt es ab jetzt jedes Mal eine Mini-Umfrage zum aktuellen Thema. Die Ergebnisse erfährst Du dann hier in zwei Wochen.

Die nächste Ausgabe bekommst du am 11. Februar. Es wird wieder um Klimagerechtigkeit gehen, dieses Mal bezüglich der klaffenden Ungleichheit zwischen sehr armen und sehr reichen Menschen.

Schönes Wochenende
Julien

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Kategorie Gerechtigkeit

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