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Als ich vor einigen Wochen meinen Lebenslauf auf den neuesten Stand bringen wollte, dachte ich darüber nach, ob ich dort meine persönlichen Interessen auflisten sollte. Während man Hobbys in internationalen Lebensläufe selten findet, tauchen sie in deutschen häufig noch auf. Manche Personaler_innen finden das sympathisch, andere unprofessionell. Ich entschied mich dagegen – aus Platzgründen und auch, weil ich merkte, dass ich dort nicht die Dinge frei hinschreiben konnte, die mir wirklich Spaß machen. Viel komplizierter noch die Frage: Tue ich diese Dinge überhaupt regelmäßig?

In einer Bewerbung zu erwähnen, was man abseits des Berufs gern tut, hatte ursprünglich den Sinn, mehr über die Persönlichkeit zu erfahren. Vielleicht schreiben sogar heute noch Bewerber_innen hinein, was sie wirklich gern tun: Gärtnern, Tango tanzen, mit ihrem Hund durch den Wald laufen. Doch die meisten treibt etwas anderes: Wie kann ich über meine persönlichen Interessen herausstellen, warum ich die perfekte Person für den Job bin? Hobbys dienen dann der Selbstoptimierung. Sie sollen Charaktereigenschaften unterstreichen, Stärken betonen, aufwerten. Wer also angibt, Kampfsport zu machen, just for fun Programmieren zu lernen und philosophische Bücher zu lesen, möchte das Bild eines gesunden, durchsetzungsfähigen, wissbegierigen Menschens erfüllen. In jeder Minuten sind wir auf dem Weg zur „best version of myself“. Unnützes Tun ist tabu.

Diese Haltung zeigt einen ziemlich strengen Blick auf uns selbst und andere. Wir schauen weniger danach, was wir brauchen, als auf das, was wir glauben sein zu müssen. Genau das war es, was ich bemerkte, als ich darüber nachdachte, was meine Interessen über mich erzählen würden. Ich habe hohe Anforderungen an mich selbst und wie viele andere: zu wenig Zeit. Als Ausgleich zu einem Beruf, bei dem ich viel am Schreibtisch sitze, brauche ich Bewegung, um mich wohl zu fühlen. Aber nicht nur. Wie viele andere bin ich nicht frei davon, dass ich schlank und sportlich sein will. Egal wie lange ich ich damit auseinandergesetzt habe, warum das so ist und dass mein Wert sich nicht über meinen Körper bemisst, bleiben Reste dieses Ideals in meinem Kopf hängen. Auch wenn mir das regelmäßige Laufen den Kopf frei macht und ich dabei oft neue Ideen für Texte habe, ich mache es nicht nur aus diese Gründen. 

Ähnliches gilt für meine kulturellen Interessen. Warum lese ich wirklich so viele Bücher, warum gehe ich ins Theater, in Museen? Natürlich auch, weil mich die Kunst inspiriert und weil sich Gespräche darüber ergeben, aber auch, weil ich kulturell gebildet sein will und diese Art des Wissens von mir erwartet wird. Ich glaube, interessanter zu wirken, wenn ich erzähle, was ich in diesem neuen Buch dazu gelernt habe, als wenn ich erzähle, dass ich mit meinem Freund einen entspannten Abend auf der Couch hatte.

Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Töchter von ihren Müttern lernen (Öffnet in neuem Fenster), wie sie ihre Freizeit nutzen können. Mütter also, die sich keine Pausen gönnen, die immer „busy“ sind und ihren Kindern nur Hobbys gönnen, in denen Leistung das Wichtigste ist, bringen neue Erwachsene hervor, die nicht entspannen können. Als ich diese Erkenntnis mit meinen Freundinnen teilte, ging vielen von ihnen ein Licht auf: „Ach daher kommt es, dass ich immer rastlos bin.“

Nein, wir können nicht kreativ sein, wenn wir nur in Kategorien der Selbstoptimierung denken. Wir können nicht nachsichtig sein, wenn wir jede freie Minuten ,sinnvoll‘ nutzen wollen. Wir brauchen Pausen. Oder wie die Autorin Anastasia Umrik (Öffnet in neuem Fenster) es in ihrer Keynote beim EDITION F-Award (Öffnet in neuem Fenster) diese Woche sinngemäß sagte: Mehr Schlaf kann ein Weg aus einer Krise sein. Das ist kein blöder Selbstoptimierungstipp, sondern ziemlich wahr. Ich habe recht lange nicht verstanden, warum ich immer länger prokrastiniere und manchmal zwei Stunden um Schreibtisch sitze und nicht anfange zu arbeiten, bis mir aufgefallen ist, dass die Prokrastination sehr viel länger dauerte, je weniger ich geschlafen hatte. Ich hatte also gar keine Schreibkrise, sondern eine Schlafkrise. 

In John Crarys lesenswertem Essay „24/7 “ (Öffnet in neuem Fenster) steht zwar der Satz; „Im neoliberal-globalistischen Denken ist Schlaf etwas für Verlierer.“ Aber wir verlieren langfristig umso mehr (von uns selbst), je weniger wir schlafen. Und klar: Warum und wer häufig zu wenig schläft und wie es anders gehen könnte, ist noch mal ein anders Thema.

Ich höre regelmäßig aus meinem Freundeskreis, wie harmonisch Beziehungen plötzlich werden, sobald Partner_innen gemeinsam im Urlaub sind. Einmal von nichts getrieben zu sein, nicht performen und nichts darstellen zu müssen, verändert uns oft zum Guten. Zurück im Alltag wird der Umgang miteinander wieder grober, weniger verständnisvoll.

Mehr Zeit für Tätigkeiten, die nichts als Freude bringen, könnte also sowohl unsere persönlichen Beziehungen als auch das Miteinander in unserer Gesellschaft positiv verändern. Uns vor allem über Arbeit und Leistung zu definieren ist viel zu wenig. Bewusst zu leben, ein ganzer Mensch zu sein, bedeutet zu wissen, was uns gut tut, egal wie banal und unglamourös es ist. Nur zu wollen, was uns gut aussehen lässt gegenüber anderen und auf dem Papier, ist ein guter Weg in die Krise.

Wann ward ihr das letzte Mal faul? Wann habt ihr das letzte Mal etwas gemacht, das keinen Zweck erfüllte? Was vielleicht nur der eigenen Muße diente, der Erholung, was keinen anderen Sinn verfolgte, als im Moment zu verweilen und ganz bei sich zu sein? Welches Hobbys hattest du als Kind?

Bis dahin

Teresa

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(moderiert von mir)

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