„Bitte betreuen Sie Ihr Kind morgen nach Möglichkeit zu Hause.“ Dieser Satz kommt seit Wochen verlässlich mindestens einmal pro Woche per Mail von der Kita, weil zu viele Erzieher_innen krank geworden sind, als dass es aus pädagogischer Sicht vertretbar wäre, alle Kinder der der Gruppe kommen zu lassen. Manchmal kommt ein oder zwei Tage nach der ersten Mail noch eine weitere, die noch einmal dringlicher darum bittet, das Kind irgendwie anders zu betreuen und man nur deuten kann als: Eigentlich müssten wir die Kita unter diesen Umständen schließen.
Ich habe ein schlechtes Gewissen den Erzieher_innen gegenüber, die ihre eigenen pädagogischen Standards, jedes Kind individuell zu fördern und rechtzeitig zu sehen, wenn ein Kind von der Rutsche springt, kaum erfüllen können. Die wie alle anderen über zwei Jahre pandemische Belastung mit sich herumtragen und nicht nur Corona bekommen, sondern auch für andere Krankheiten anfälliger sind. Dauerhafter Stress schlägt eben auch aufs Immunsystem.
Ich habe ein schlechtes Gewissen meinem Kind gegenüber, wenn ich es trotzdem in die Kita schicke, da ich möchte, dass sich wohlfühlt und mit einer Erzieherin kuscheln kann, wenn es das gerade braucht, statt nur verwahrt zu werden. Ich habe ein schlechtes Gewissen meiner Erwerbsarbeit gegenüber, die einmal wieder langsamer vorankommt und meinen eigenen Ansprüchen nicht genügt, da ich sie in weniger Zeit und mehr Müdigkeit quetsche. Ich habe ein schlechtes Gewissen meinen Freund_innen gegenüber, auf deren Nachrichten ich zu langsam antworte und keine Treffen vorschlage. Ich habe ein schlechtes Gewissen meinem Partner gegenüber, weil ich wieder an den Schreibtisch gehe, nachdem die Kinder schlafen, und weiterarbeite. Eigentlich habe ich gar kein schlechtes Gewissen.
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