In dieser Woche sind gleich zwei Dinge zu Ende gegangen: Die Pandemie und die Legislatur der Bundesregierung.
Wie, stimmt gar nicht?
Wenn man sich gerade draußen umschaut und die öffentlichen Debatten verfolgt, dann sind *wir* mit dem Corona-Alltag bald durch. In Niedersachsen wurde sogar kurz überlegt (und dann zurückgerudert) die Maskenpflicht im Einzelhandel auszusetzen – auch wenn erst 13 Prozent der Deutschen vollständig geimpft sind und knapp 40 Prozent das erste Mal, was noch keinen vollständigen Schutz vor Infektion, Erkrankung und Weitergabe des Virus bedeutet.
Am Donnerstag sind 241 Menschen nach einer Covid-19-Infektion gestorben.
Vom Ziel sind wir also noch ein ganzes Stück weit entfernt und wenn man die Pandemie als globalen Gesundheitsnotstand begreift – was sie deutlich besser beschreibt als eine nationale Krise – dann ist das Ziel nicht einmal in Sichtweite. Die gute Nachricht: Das Europa-Parlament hat in dieser Woche einer vorübergehenden Aussetzung (Öffnet in neuem Fenster) der Impfstoffpatente zugestimmt. Für die globale Impf-Kampagne (Öffnet in neuem Fenster) könnt ihr zum Beispiel über Unicef spenden.
„None of us is safe until we all are.“ (Öffnet in neuem Fenster) Diese Erkenntnis sollten wir alle präsent behalten bei unserem eigenen Verhalten in den nächsten Monaten, denn die Solidarität mit denjenigen, die noch nicht geimpft sein werden, wird noch lange gebraucht.
In Deutschland sind das zum einen jüngere Kinder, für die eine Impfstoffzulassung noch viele Monate dauern wird, die älteren Kinder und Jugendliche, die zwar bald geimpft werden sollen, aber noch unklar ist, wann das geschehen kann – zumal der einzig für sie zugelassene Impfstoff noch immer an Menschen verimpft wird, die andere nehmen könnten – aber auch die vielen Erwachsenen, die nicht wissen, wann sie einen Impf-Termin bekommen können. Es gibt nach wie vor weniger Impfstoff als Menschen, die sich gern impfen lassen würden und die Hausarzt-Praxen äußern sich zunehmend entnervt vom Ansturm der Patient_innen, die ihre Telefonleitungen und Mail-Postfächer überlasten und denen sie absagen müssen.
Die sinkenden Inzidenzen führen einmal wieder zu einem Wirrwarr der Maßnahmen in den Bundesländern, die entweder Schulen weiterhin im Wechselunterricht halten wollen, während Gastronomie oder Fitnessstudios öffnen dürfen, oder wie zum Beispiel in NRW schon in einigen Tagen ganz in den Präsenzunterricht wechseln möchten und damit suggerieren, im Unterricht in voller Klassenstärke sei das Infektionsrisiko mittlerweile gering. Durch die zahlreichen Öffnungsschritte wird eine Rückkehr zum Leben ohne Corona angetäuscht und sie bringen zum Glück ein Stück Unbeschwertheit zurück, aber die Pandemie wird mit den Öffnungen eben nicht automatisch beendet. Wieder einmal sind die Entscheidungen der Bundesländer nicht konsistent und stiften Unsicherheit bei den einen, Zuversicht bei den anderen.
Dass die Berliner Schulen noch weiterhin im Wechsel in halber Klassengröße unterrichten, ist für manchen Schüler*innen und Eltern beruhigend, zum anderen bedeutet dies aber auch, dass diese Eltern weiterhin mit ihren Kindern Zuhause sein werden und das Homeschooling begleiten oder Kinder mit Schnupfnasen Zuhause lassen, während vielleicht Vorgesetze und Kolleg_innen mit Unverständnis reagieren, warum sie noch immer nur eingeschränkt arbeiten können. Denn Geschäfte oder Cafés die öffnen, brauchen Mitarbeiter_innen – und unter ihnen sind nun einmal viele Eltern.
Dass es noch länger dauern wird, bis möglichst viele Menschen sich impfen lassen konnten und niedrige Inzidenzen das Infektionsrisiko deutlich verringern, fordert von uns, diese Komplexität und die unterschiedlichen Situationen weiterhin mitzudenken. Vor einigen Monaten waren die Risiken und die Belastungen ähnlicher, nun nehmen die Unterschiede weiter zu zwischen geimpften und ungeimpften Menschen.
Als ich heute Abend auf dem Nachhauseweg schon Menschen vor Restaurants sitzen sah und Lust auf ein Glas Rosé auf dem Gehsteig bekam, fiel mir gleichzeitig ein: „Ach, für mich ändert sich eh wenig. Ich habe ja ein Baby Zuhause.“ Wenn ihr also schon geimpft seid und heute das erste Bier mit Freund_innen genießt, denkt an die Alleinerziehenden und die anderen Menschen mit Care-Aufgaben Zuhause, mit denen ihr befreundet seid und bietet an, mindestens einmal auf ihre Kinder aufzupassen, damit sie ebenfalls die Erleichterung spüren können, an einem Frühlingsabend noch draußen etwas zu unternehmen. Das sollte schon unter normalen Umständen etwas sein, das man regelmäßig anbietet, wenn man seine Zeit auf diese Weise verschenken kann, aber gerade jetzt ist es umso schöner, die eigenen Privilegien zu teilen.
Nun zur Legislatur, die zumindst für ein Ressort für vorzeitig beendet erklärt wurde.
Die Bundesministerin für Familie, Senior_innen, Frauen und Jugend ist in dieser Woche wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Promotionsarbeit zurückgetreten. Da alle Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag vermeintlich abgearbeitet sind, soll es keine neue Ministerin geben. Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wurde heute zusätzlich zur Familienministerin vereidigt, da es formal eine Ministerin braucht. Auf den letzten Metern der Pandemie darf Lambrecht noch einmal auf politischer Ebene erleben, was es bedeutet, zwei volle Jobs gleichzeitig erledigen zu sollen.
Mein Tipp: Wenn es zu viel wird, Kinderkrankengeld beantragen und sich um das Ministerium kümmern, was gerade die meiste Zuwendung braucht und beim anderen Bescheid sagen, dass man die nächsten Tage nicht kommt.
Die Entscheidung, das Ministerium nicht neu zu besetzen, könnte man als weiteren Hinweis darauf werten, dass die Pandemie vorbei ist, dass es sie vielleicht gar nicht gegeben hat, denn ein Punkt im Koalitionsvertag, der hätte abgearbeitet werden müssen, war sie jedenfalls nicht.
Unerwartete Ereignisse kann ein Koalitionsvertrag nicht vorwegehmen. Daher müssen Minister_innen tatsächlich ein wenig mehr tun als das. Das Signal also: Frauen, Kinder, Familien und Senior_innen brauchen in den Monaten bis zur Wahl und nächsten Regierungsbildung keinerlei politische Unterstützung mehr. Das passt weder zum Pandemieverlauf, noch dazu, dass Olaf Scholz (SPD) gerade in jedem Interview verkündet, das mit der Kanzlerschaft für ihn sei so gut wie sicher.
Franziska Giffeys (SPD) Entscheidung, das Amt niederzulegen, haben andere Journalist_innen aus meiner Sicht richtig als klug kalkulierten bzw. abgebrühten Schritt (Öffnet in neuem Fenster) eingeordnet. Denn die Entscheidung von Franziska Giffey ist früh genug, um bis zur Berlin-Wahl im September einigermaßen vergessen zu sein, bei der sie für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidiert. Ihr wurde schon in den letzten Wochen vorgeworfen, ihre Tätigkeit als Bundesministerin leide darunter, dass sie zeitgleich im Wahlkampf sei – nun hat sie freie Bahn, um sich darauf zu konzentrieren. Besonders ungelegen kommt es für Giffey also nicht, die Familienministerium abgeben zu dürfen. Der Berlin-Wahlkampf weckt in ihr mehr Leidenschaft als ihr Ministerium – so wirkt es zumindest.
Giffey hat sich erst vor etwa vier Wochen einen Twitter-Account zugelegt, der explizit als Wahlkampf-Account anlegt wurde. Anders als andere Bundesminister_innen wählte sie in ihrer Legislatur, die 2017 begonnen hat, Twitter nicht als Kanal für Dialog und Debatten, obwohl die Themen des BMFSFJ auf Twitter von all den unterschiedlichen Gruppen, für die das Ministerium Politik machen soll, schon seit Jahren dort intensiv diskutiert und vorangebracht werden. Die feministischen Bewegungen wie #Aufschrei und #MeToo begannen auf Twitter. Instagram und TikTok wurden erst später zu Plattformen für politische Diskurse. Zumindest zu Beginn von Giffeys Amtszeit hätte es keine bessere Social-Media-Plattform als Twitter gegeben, um Themen zu setzen, sie aus den feministischen Gruppen aufzunehmen und sich als Politikerin zu zeigen, die feministische Anliegen teilt.
Der Eindruck, der sich aber bis zuletzt bei Giffey gehalten hat, war dass sie feministische Themen und die Lebenswelten von Frauen und queeren Menschen nur oberflächlich interessieren. Interesse qua Amt. Der Ministerinnenposten war für sie eine Brücke zu ihrem eigentlichen Karriere-Ziel. Schon als sie das Amt in der Bundesregierung bekam, war bekannt, dass sie bei der nächsten Wahl gern Bürgermeisterin werden würde. Als leidenschaftliche Frauenpolitikerin, geschweige denn Feministin, ist Giffey weder vorher noch als Ministerin aufgefallen. Besonders eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist mir die gemeinsame Teilnahme an der Anne-Will-Sendung zum Informationsverbot für Abtreibungen vor zwei Jahren (Link zur Sendung (Öffnet in neuem Fenster)), in der sie einer klaren Positionierung zum Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren und der Berufsfreiheit von Ärzt_innen auswich und den damals geschlossenen Kompromiss mit der Union als Fortschritt verkaufte.
Wie mehrere Urteile im Nachgang der Minimalreform von §219a gezeigt haben, – wie das Urteil erst diese Woche (Öffnet in neuem Fenster) gegen den Arzt Detlef Merchel – hat die Zusammenarbeit von SPD, CDU und CSU bei diesem Thema keine Verbesserung für Ärzt_innen und Schwangere bewirkt. Was mich damals wie heute etwas ratlos zurückließ, war, dass eine SPD-Politikerin – eine Politikerin von einer Partei, die sich immer wieder darauf beruft, die Partei der Emanzipation zu sein – sich offenbar nicht als entschiedene Kämpferin für Frauenrechte zeigen wollte und sich nicht bewusst zu einer feministischen Politik bekennen wollte.
Wenn sie in Reden von Gewalt gegen Frauen sprach, verwies sie so gut wie immer auf ihre Erfahrungen „bei uns in Neukölln“, und suggerierte darüber, häusliche Gewalt sei milieuspezifisch, dabei ist schon lange erforscht, dass diese Gewalt überall auftritt und ganz unterschiedliche Frauen trifft. Die Hilfeangebote erreichen u.a. ältere Frauen und akademisch ausgebildete Frauen schlechter als andere, da ihre Betroffenheit weniger bekannt ist und sie sich von Kampagnen und Informationsangeboten nicht angesprochen fühlen.
Giffeys Argumentation für Kinderbetreuung und Vereinbarkeit war stets wirtschaftsnah, statt von den Bedürfnissen von Kindern und Eltern aus zu argumentieren und zur Debatte zu stellen, ob das, was für die Wirtschaft gut ist, genauso gut ist für Familien. Damit war das, was sie sagte, oft konservativer als man es von einer sozialdemokratischen Politikerin erwarten würde – und zu wenig feministisch.
Die Möglichkeit, über feministische Politik zu sprechen, gibt es selbst dann, wenn mit dem Koalitionspartner eine solche Politik nicht zu machen ist. Es wäre darüber hinaus auch für die Bundes-SPD wahlkampftaktisch klug, um klar zu machen, dass die SPD für eine feministische Alternative bereit stünde, wenn die Regierungskonstellation einmal anders wäre. Aber auf dieses klare Profil wollte oder konnte Giffey sich nie einlassen, weil Feminismus offenbar nicht ihr ,cup of tea‘ ist und sie vielmehr im Berlin-Wahlkampf darum bemüht ist, ein möglichst konservatives Publikum zu bedienen, um auch für CDU-Wähler_innen eine Option zu sein.
Ich halte es in vielen Ministerien, aber ganz besonders beim Ministerium für Frauen, Familien, Kinder, Jugendliche und Senior_innen für einen Fehler, das Minister_innenamt mit einer Person zu besetzen, die mit ihrem Herzen an einem anderen Ort ist. Die Gleichberechtigung in Deutschland voranzubringen – und dazu zählt unbedingt auch die Queerpolitik – ist nicht nur eine Herkulesaufgabe auf politischer Ebene, aber es geht auch schlicht um so viel. Oft geht es um Menschenrechte und deren Verletzung zu beenden. Für trans Personen (Öffnet in neuem Fenster) oder lesbische und andere queere Eltern macht es einen bedeutenden Unterschied, ob die Gesetzesänderung vier oder acht oder zwölf Jahre später kommt. Und es spielt bereits eine Rolle, ob ein_e Politiker_in sich zu diesen Themen äußert oder sie niemals von sich aus anspricht. Aus meiner Sicht ist es die Aufgabe einer Familienministerin, selbst dann, wenn die Themen im Justizressort liegen, diesen Ungerechtigkeiten Gehör zu verschaffen und zu versuchen, eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen oder zu verstärken. Ich kann mich an kein dezidiert feministisches Thema aus den letzten vier Jahren erinnern, bei dem Franziska Giffey versucht hätte, die Rolle einer Verstärkerin oder auch Impulsgeberin zu übernehmen, denn wie schon erklärt relativierte sie zum Beispiel bei der Diskussion um §219a die Einwände von Expert_innen, statt sich einmal klar zu positionieren, dass die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen dringend besser werden muss. (Die Frauenquote für die Wirtschaft zähle ich aus mehreren Gründen (Öffnet in neuem Fenster) nicht zu den drängendsten feministischen Themen.)
In der Pandemie hat es lange gedauert, bis Giffey die Dinge, die Kinder, Familien und Frauen besonders betrafen, öffentlich lauter vertreten hat. In den ersten Monaten hielt sie zudem Homeoffice plus Kinderbetreuung für zumutbar, bis sie später ihre Meinung dazu änderte, weil die Kritik und Erschöpfung der Eltern irgendwann wohl auch bei ihr ankam. Den wichtigen Hinweis, dass Ausgangssperren sowie die Länge der Pandemie-Einschränkungen insgesamt das Risiko dafür, Gewalt im häuslichen Umfeld zu erleben, stark erhöhen und damit Gesundheit und Leben der betroffenen Personen gefährden, gaben vor allem in den letzten Monaten Expert_innen wie Anwält_innen und Mitarbeiter_innen von Beratungsstellen, die Gewalt-Opfer vertreten. Die Ministerin meldete sich nicht zu Wort, um zumindest zu thematisieren, dass Ausgangssperren für manche Menschen gefährlich sein können und dass eine Niedrig-Inzidenz-Strategie, die schneller aus der Pandemie führt, am besten vor steigender Gewalt und auch vor den anderen Problemen von Familien und Kindern schützen würde. Mit all dem Wissen, was über die Auswirkungen der Pandemie bekannt war, wäre es die Rolle von Franziska Giffey gewesen, ein strikteres Pandemie-Management zu befürworten, das den eineinhalbjährigen Jojo-Lockdown verkürzt hätte und damit die Schäden, die er für Kinder, Jugendliche, Familien, Frauen und Senior_innen, verursacht hat, zumindest abzumildern.
Familienpolitik muss Geld kosten. Das hat Giffey sich in der Pandemie zumindest ein bisschen zu Herzen genommen und finanzielle Mittel bereitgestellt, auch wenn Finanzminister Olaf Scholz – nach eigener Aussage selbst Feminist – sich von Giffey nicht davon überzeugen ließ, die Finanzhilfen der Pandemie auf Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen. Aber lediglich Geld auf Probleme zu werfen, was im Falle des Kinderbonus, den Veränderungen beim Kinderzuschlag und dem Kinderkrankengeld zumindest manchen Familien geholfen hat, ist zu wenig. Ein feministisch positioniertes Ministerium müsste sich ganz unbedingt als Debattenort verstehen, das mehr will als einen Vertrag mit einem konservativen Koalitionspartner abzuarbeiten. Die ehemalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, ebenfalls SPD, hat solche Vorstöße gewagt, als sie beispielsweise 2016 die 32-Stunden-Woche für Eltern vorschlug und legte sich dafür sogar mit SPD-Parteichef Sigmar Gabriel an.
Für die SPD hätten solche Positionen in dieser Legislatur einen Wert gehabt, um mit ihrem Wahlprogramm daran anknüpfen zu können. Dass Giffey wenige Tage vor ihrem Rücktritt ein Statement zur sogenannten „Familienarbeitszeit“ an die Presse gab, das Teil der SPD-Wahlprogramms ist, wirkte da wie ein lustloses Namedropping einer Idee, für die Giffey sich selbst nicht begeistern konnte, aber immerhin die Autor_innen des Programms. Die SPD rätselt vermutlich gerade selbst noch, wer die Ideen aus dem Programm nun verkaufen soll.
Ohne eine Frauenministerin, selbst wenn Giffey diese Rolle kaum ausfüllte, klafft jetzt im Wahlkampf eine Leerstelle, für die es die Partei verpasst hat, Politiker_innen aufzubauen, die diese Themen öffentlich besetzen und diskutieren können. Sogar aus der Partei selbst bekommt Spitzenkandidat Olaf Scholz Tipps wie den, er „sollte gezielt mit starken Frauen auftreten“ (Öffnet in neuem Fenster), da die Partei weiß, wie schlecht sie bei den letzten Wahlen – und von Wahl zu Wahl schlechter – bei Frauen abgeschnitten hat, obwohl die Programme, wie auch dieses, mit linken Koalitionsparter_innen wirklich Fortschritte für Frauen und Familien und sogar in der Queerpolitik bewirken könnten. Ein Programm allein reicht jedoch nicht, um Wähler_innen zu überzeugen.
Frauen treffen ihre Wahlentscheidung zwar entlang von allen möglichen politischen Fragestellungen, aber Identifikationsfiguren sind durchaus relevant. Die CDU hat bei den letzten Wahlen vom Merkel-Effekt, der mehr Frauen für die Union stimmen ließ, profitiert. Auch deswegen attackiert die Union die Grünen-Spitzenkandidatin Annelena Baerbock gerade so vehement und teils niveaulos. Die Union fürchtet sich davor, Wählerinnen an die Grünen zu verlieren, die vorher von Merkel angezogen wurden.
Die SPD hat sicherlich kein Nachwuchsproblem und keinen Mangel an fähigen Politikerinnen. Eine feministische Politikerin ist gerade sogar Staatssekretärin im Außenministerium (das interessante Porträt über Michelle Müntefering (Öffnet in neuem Fenster) könnt ihr beim SZ-Magazin lesen). Die Justizministerin Christine Lambrecht hat sich vor einigen Monaten sogar mal die kleine feministische Provokation erlaubt, ein Gesetz im generischen Femininum (Öffnet in neuem Fenster) zu verfassen. Schade für die SPD, dass sie in dieser Legislatur nicht mal mit einem großen feministischen Thema provoziert hat. Denn das nun Friedrich Merz (CDU) einmal pro Woche über das Gendern Interviews gibt und Wolfgang Thierse die Identitätspolitik zu weit geht, sind nicht gerade die erhellendsten Diskurse.
Neben dem Problem, feministische Themen überhaupt zu besetzen, hat die SPD ein Problem dabei, (feministische) Frauen sichtbar zu machen, nach vorn zu stellen und langfristig zu unterstützen. Bis September nun Frauen aufzubauen, um für Wählerinnen ein bisschen attraktiver zu sein, ist kein wirklich realistisches Vorhaben. Damit muss man eher anfangen.
Das Problem, es den Frauen innerhalb der eigenen Partei nicht immer leicht zu machen und zu finden, dass Feminist_innen mit ihren Ideen und Forderungen übertreiben, passt wiederum zu einer Passage des Koalitionsvertrages, der laut Giffey und anderen SPD-Politiker_innen bereits abgearbeitet ist:
„Sexismus begegnet uns täglich und überall – in Medien und Kultur, in der Werbung, am Arbeitsplatz und in der Politik. Sexismus würdigt Menschen aufgrund ihres Geschlechts herab. In einer offenen, modernen und gleichberechtigten Gesellschaft hat Sexismus keinen Platz. Wir wollen Sexismus bekämpfen, Maßnahmen dagegen entwickeln und erfolgreiche Projekte fortführen.“
Vielleicht braucht die Bundesregierung ja bei diesem Punkt im Sommer ein Aufholprogramm. Nachsitzen, durchpauken und dann an der Tafel präsentieren, wo die politische Strategie gegen Sexismus ist und wann endlich ihre Umsetzung beginnt. Mir scheint dieses Thema so ganz und gar nicht gelöst, sondern eher wie ein riesiger Berg vor uns liegender Arbeit.
Mehr Newsletter-Themen arbeite ich in den kommenden Ausgaben ab. Gute Nacht und Guten Morgen.
Teresa
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