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Es ist 23:14 Uhr. Mein Handy erinnerte mich bereits vor 44 min daran, schlafen zu gehen. Nun bin ich aber gerade von der Wand gefallen und fand so großen Gefallen daran, dass ich entschied, diesen Moment aufzuschreiben. Dass ich das vor einer Woche noch nicht hätte tun können, liegt auf der Hand. Dass ich unzuverlässig oft hier schreibe, liegt eben genau daran. Ich bin an die Wand gefahren und gerade jetzt, auf dem Rückweg von der Toilette ins Bett, da erkannte ich das und fand es plötzlich ganz und gar: still. Es ist so schön ruhig. Endlich. Oder auch: wenigstens mal kurz.

Plopp, machte ich beim Herabfallen. Nichts weiter. Den Aufprall spürt man nicht. Der ist schon etwas her. In acht Monaten getrennten Elterndaseins und einem Nebenjob - vielen Nebenjobs - aber einem recht intensiven, da blieb es nicht aus, dass ich Federn lassen musste. Es ist der mentale Aderlass aller Mittdreißiger, die sich mit Kindern trennen. Eigentlich ist das Leben in den Dreißigern insgesamt eine Panne. Es ist eine Beleidigung aller jugendlichen Visionen, die man mal hatte. Ich erlebe mich häufiger unpässlich, dem Leben gegenüber. Irgendwie ist das eher ein Verlustgeschäft. Jetzt ist es 23:28 Uhr. Die Zeit vergeht, meine Freunde. Schlafanzug oder Schlafentzug? Ja, was denn. 

Schlaf ist wichtig. Vor allem heute, denn ich bin krank. Habe eine Angina. Das gehört dazu, zum an die Wand fahren. Seit zwei Wochen hat sich nämlich eine ungewohnte Entspannung in mein Leben geschlichen und ich wurde natürlich richtig krank. Ich war, ob dieses charakteristischen Verlaufs meiner Überlastung regelrecht erheiert. Endlich Normalität. Endlich Ruhe. Oder auch: wenigstens mal kurz.

So sieht es also aus, das Leben so mittenmang. Als alle Ungerechtigkeit der Welt nur daraus bestand, wer die größere Hälfte der Kinderschokolade bekommt, waren wir Kinder. Fest stand: Wenn wir groß sind, kriegt jeder ne ganze Packung. Das galt es zu erreichen, da wollten wir hin. Die tägliche Enttäuschung über den Apfel in der Frühstücksbox, statt dem Nutella-Toast - sie würde enden, dann, wenn unsere Zeit gekommen ist. Dann, wenn wir endlich die sein würden, die die Regeln machen. One way Ticket to Schlaraffenland. Die Zeit zog sich wie Karamba, endlose Schleifen, lang und dünn. Sommer um Sommer nicht gleich nach der Pommes ins Wasser, auf dem Geburtstag nur ein Stück Kuchen und dann aber ins Bett. Wir verstanden nicht, aber folgten - denn bald: Endlich kein Kind mehr. Aber schon auf den letzten Metern verlor das Ziel seinen Glanz. Irgendwie ahnte man, da gibt es mehr als halbe Schokoriegel und limitierte Fernsehzeit. Und die äußere Stimme der Eltern übergab das Kommando so schleichend an die inneren Stimme, dass man plötzlich da stand und wusste: So geil ist das ja doch nicht, die Welt der Großen. Kurz übertüncht die Euphorie das fahle Innere der Praline. Es ist die erste Fahrt am Steuer, der Schnaps im Supermarkt, der Eintritt in die richtig dreckigen Läden, die Nächte ohne Ende, die Freiheit. Es sind Chips zum Abendessen vor dem TV, Frühstück um 16 Uhr, es sind Strandurlaube, Rülpsen am Tisch, Sticker am Kühlschrank, Rauchen im Auto. Die Unvernunft, die endenden Vorwürfe, der fehlende Druck, die eigenen Entscheidungen. Kurz geil. Ein kurzer F*** mit dem Fake. Fake, du A*******. Du hast es uns versprochen. Aber die Welt ist echter als du. Und die hat uns nicht mal lieb - sie ist radikal ehrlich, sie ist streng, sie sieht alles. Just risk, no fun. Die Eltern plötzlich leise, die Welt so laut. Willkommen im Reality Ressort mit All-You-can-stand Buffet.

Als alle Ungerechtigkeit der Welt nur daraus bestand, wer die größere Hälfte der Kinderschokolade bekommt, waren wir Kinder. Sie schmeckt noch fast wie damals. Nur fehlte damals der fade Beigeschmack über die Ungerechtigkeit der großen Welt. Der Großen-Welt.

Gute Nacht.

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