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Praxistipps Populismusbekämpfung

Willkommen im Newsletter der Superredaktion – die monatliche Ration konstruktive Perspektiven, positive Botschaften und konkrete Anpackmaterialien für Menschen mit Lust auf Zukunft, heute mit Populismus.

Ein kleiner Exkurs, bevor wir zum regulären Programm übergehen: Die Unterschriftensammlung zum Hamburger Zukunftsentscheid (Öffnet in neuem Fenster), der die Stadt mit verbindlichen Klimazielen auf dem Weg in die Klimaneutralität bis 2040 versehen will, läuft noch bis einschließlich Samstag. Wenn du in Hamburg lebst und schreiben kannst: Unterschreibe! Wenn du nicht in Hamburg lebst und/oder nicht schreiben kannst: Bitte andere zu unterschreiben! Danke. Exkurs Ende.

Froher werden

Deutschlandticket wirkt

Eine Studie (Öffnet in neuem Fenster) des Forschungsprojektes Projekt Ariadne, in der anonyme Mobilfunk- und Bewegungsdaten ausgewertet wurden, beziffert erstmals auf solider empirischer Grundlage die Klimawirkung des 49-Euro-Tickets: In den 12 Monaten seit seiner Einführung im Mai 2023 ist die Zahl der Zugfahrten über 30 Kilometer um über 30% gestiegen, 7,6% der Autokilometer wurden eingespart, 6,7 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verhindert. Das entspricht fast 5% der Emissionen im gesamten Verkehrssektor. Die Auswirkungen der angekündigten Preiserhöhung um neun Euro für nächstes Jahr haben die Forschenden dabei gleich mitbeziffert: Sie rechnen mit einer einer Halbierung der positiven Auswirkungen des Angebots. Was soll man sagen?

Verbieten geht

Aus der Kategorie Undenkbar, bis es jemand einfach macht: Als erste Stadt der Welt verbietet (Öffnet in neuem Fenster) Den Haag fossile Werbung im öffentlichen Raum – und meint damit nicht nur Benzin und Diesel, sondern das ganze Programm: Kreuzfahrten, Flugreisen und allerlei andere Güter und Dienstleistungen mit übergroßen CO2-Fußabdrücken. Werbetreibende in Den Haag und anderswo: Öl ist so over, verkauft uns andere, bessere, zeitgemäßere Sehnsüchte! Geld verdienen kann man damit doch bestimmt auch.

Besser sprechen hilft

Auf einem großen interdisziplinären Kongress in Graz entstand eine neue Charta (Öffnet in neuem Fenster) der Klimakommunikation. „In immer drastischerer Form vor den bedrohlichen Veränderungen des Klimasystems zu war­nen, greift zu kurz. Zu häufig lähmt, verunsichert und polarisiert solche Kommunikation, insbesondere wenn sie Probleme und Risiken nur benennt, ohne Lösungen und Handlungsoptionen aufzuzeigen“ – noch ein paar halbseidene Wortspiele mit rein, und die Formulierung hätte von uns stammen können. Erstunterzeichnet haben um die 80 Persönlichkeiten aus Klimaforschung, Psychologie, Medien, Kunst und Kultur. Wir unterstützen das Anliegen vollumfänglich und freuen uns, wenn möglichst viele Menschen auf diesen Zug aufspringen - öffentlich mitzeichnen können und sollten Willige hier (Öffnet in neuem Fenster).

Wie man die Pöbler schwächt

  • Das Aufgreifen populistischer Rhetorik schwächt Populisten nicht

  • Öffentliche Diskurse prägen die Wahrnehmung von Realität, im Guten wie im Schlechten

  • Investitionen in Infrastuktur führen zu weniger Wählerstimmen für rechtsextreme Parteien

Die Wahlergebnisse in Sachsen, Thüringen, Brandenburg sind finster, aber sie sind ja erstmal bloß Zahlen und als solche abstrakt. Was diese Zahlen in der Praxis bedeuten, eine Vorschau gleichsam, haben wir bei der konstituierenden Sitzung (Öffnet in neuem Fenster) des Thüringer Landtags gesehen, die von den Rechtsextremen gekapert und mit voller Absicht in ein Schmierentheater zur Rufschädigung der Demokratie verwandelt wurde. Die Analyse dazu im Polit-Podcast Lage der Nation (Episode 400 (Öffnet in neuem Fenster), ab Minute 11), inklusive eines vor der Löschung geretteten O-Tons, in dem der von der AfD gestellte Alterspräsident des Landtags einem rechtsextremen Blogger brühwarm erzählt hat, wie genau dieser Ablauf von langer Hand geplant war, ist absolut hörenswert. (Der direkt darauf folgende Beitrag über das Für und Wider eines Verbotsantrags gegen die AfD ebenso.)

Pöbeln durch Pöbeln bekämpfen

Aus gegebenem Anlass also: Was hilft tatsächlich gegen Populismus? Ist es… Populismus? Gute Idee eigentlich. Wenn die mit dem Rumbrüllen allzu einfacher Schuldzuweisungen so erfolgreich sind, warum machen wir das dann nicht einfach auch? Wenn ich nur genug rumpoltere, sind die Leute doch froh, dass sie mich jetzt wieder wählen können und sich nicht mehr gezwungen sehen, zu den ursprünglichen Polterern überzulaufen.

Um zu überprüfen, ob diese Rechnung aufgeht, gibt es zwei Stellen, auf die man schauen kann, mit unterschiedlich großer Aussagekraft. Zum einen ist da die Praxis, mit den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, in deren Vorfeld die Hauptstrategie einiger der Kontrahenten war, sich nicht nur die von der extremen Rechten gesetzten Themen anzueignen, sondern sich auch in der Tonalität anzunähern. Schaut man sich die Wählerwanderungsgrafiken (Öffnet in neuem Fenster) für die drei Landtagswahlen an, muss man konstatieren: In keiner der Wahlen hat die AfD signifikant Stimmen in Richtung der demokratischen Parteien verloren; den stärksten Zulauf erhält sie in allen drei Fällen von ehemaligen Wählenden der CDU.

Da kann man jetzt sagen: Anekdotisch, wer weiß woran das liegt, Einzelfälle. Da kann man aber auch sagen: Issue ownership. Und das ist dann auch die zweite, gewichtigere Stelle, auf die man den Blick richten sollte: Die Wissenschaft nämlich.

Issue ownership, also in etwa “Eigentum an einem Thema”, ist ein Konzept aus der Politikwissenschaft und beschreibt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmte Themen mit spezifischen politischen Akteuren verbunden sind und diesen Akteuren für diese Themen die größte Kompetenz zugesprochen wird. Wird ein solches Thema in der Öffentlichkeit groß gemacht, egal von wem, stärkt das in der Regel den Zuspruch für den Besitzer des Themas, nicht für den Sender der Botschaft. Wir haben dazu durchaus spezifische Daten: Eine wissenschaftliche Studie (Öffnet in neuem Fenster) von 2022 hat die Strategien von mehr als 350 Parteien in Wahlen in ganz Europa von 1976 bis 2017 untersucht und dabei die Frage gestellt: Schwächt die Übernahme migrationsfeindlicher Haltungen durch Mainstream-Parteien die radikale Rechte? Gefunden haben die Forschenden keinen einzigen Fall, in dem das funktioniert hätte - im Gegenteil, vielfach profitierten die Rechtsextremen sogar.

Vielleicht könnte das mal wer an die Parteizentralen weitersagen? Wäre doch gut, wenn die das wüssten? Haben die denn kein Beratungspersonal, das sie auf sowas hinweist, was ist da los?

“Medial hergestellte Vorstellung von Realität”

Zumal, von wegen Migration Migration Migration:

Die Zahl der Asylanträge ist im Vergleich zu 2023 massiv zurückgegangen (Öffnet in neuem Fenster). Die Zahl der Gewalttaten in Deutschland ist, nachdem sie lange beständig gesunken ist, zuletzt wieder etwas gestiegen (Öffnet in neuem Fenster) - auf das Niveau der angeblich goldenen Zeiten von ca. 2007.

Und da wir diese Quellenverweise vom ihm geklaut haben, können wir Christian Stöcker auch gleich direkt zitieren, wie er im SPIEGEL schreibt (Öffnet in neuem Fenster):

“Und dennoch ist – innerhalb von etwa 20 Monaten – die Angst vor Migration zum politischen Aufregerthema Nummer eins in Deutschland aufgestiegen. Bis Anfang 2023 lag die Anzahl der Menschen, die den Themenkomplex »Ausländer, Migration, Flüchtlinge« für das »wichtigste Problem in Deutschland« hielten immer irgendwo zwischen neun und elf Prozent (Öffnet in neuem Fenster) . Am 27. September 2024 waren es 42 Prozent.”

Der nächste Satz gehört hervorgehoben:

“So ein Anstieg hat nichts mit realweltlichen Erfahrungen zu tun – sondern mit medial hergestellter Vorstellung von Realität.”

Und das alles, während inzwischen wöchentlich Jahrhundertstürme, Jahrhundertfluten, Jahrhundertbrände, Jahrhundertdürren durch die Welt fegen und der Themenkomplex “Klima, Energie, Versorgung” statt wie Anfang 2023 von 44 nur noch von 17 Prozent der Befragten für eines unserer wichtigsten Probleme gehalten wird.

Wenn man viel von einer Sache spricht, macht man sie groß.

Wenn man zuviel von einer Sache spricht, macht man sie zu groß und nützt dabei meist den Falschen.

Und dabei machen gerade zu viele mit, von denen wir Besseres gewohnt sind. Von denen wir Besseres dringend brauchen.

(Wer diesen Befund übrigens nochmal mit mehr Leidenschaft, Ausführlichkeit und Eloquenz im Bewegtbild erläutert und eingeordnet haben möchte, bewege sich in Richtung YouTube-Kanal (Öffnet in neuem Fenster) der ukrainisch-deutschen, jüdischen Politikerin Marina Weisband.)

Cui bono?

Und wer lacht sich darüber ins Fäustchen, außer den Rassisten und Antidemokraten natürlich? Diejenigen (Öffnet in neuem Fenster), die davon profitieren (Öffnet in neuem Fenster), dass in Sachen Fossilität die wesentlichen Dinge so bleiben, wie sie sind, während wir uns damit beschäftigen, uns über Probleme mit unverhältnismäßig viel kleinerer Alltagsrelevanz aufzuregen.

Diejenigen, die sehr viel Geld (Öffnet in neuem Fenster) dafür ausgeben, dass solche Botschaften die größtmögliche Reichweite und Wirksamkeit bekommen, die dabei helfen, Zweifel und Zwietracht (Öffnet in neuem Fenster) zu säen und so den Wandel verlangsamen, die Gesellschaft spalten, die Demokratie schwächen.

Und da schließt sich dann der Kreis.

Gut, also kein Populismus gegen den Populismus. In unserem Bestreben, berühmt oder idealerweise sogar berüchtigt dafür zu sein, nach Lösungen zu suchen anstatt nach Problemen, stellen wir pflichtgemäß die Folgefrage: Was, himmelhergott, hilft denn dann?

Den Menschen Perspektiven geben

Wovon jedenfalls niemand gesprochen hat in diesem Wahlkampf (also außer uns (Öffnet in neuem Fenster) natürlich): Was im Osten besser geworden ist. Wo engagierte Menschen ihre Regionen nach vorne gebracht haben. Auf welchen Wegen man weiter in die Zukunft gehen möchte.

Laut einer Erhebung (Öffnet in neuem Fenster) des Instituts für Demoskopie Allensbach ist mit 59% der Ostdeutschen eine Mehrheit der Meinung, die Mehrheit der Ostdeutschen fühlten sich als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse. Fragt man sie, ob sie selbst sich denn auch als Bürger zweiter Klasse fühlen, antworten jedoch nur 32% mit Ja - eine deutliche Minderheit also, und übrigens deutlich weniger als die 57%, die noch 2002 diese Frage bejahten.

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Das ist ein Fall von pluralistischer Ignoranz, also einer Mehrheit, die nicht weiß, dass sie eine Mehrheit ist. Gefühlte Mehrheiten und Minderheiten sind ein wesentlicher Faktor für die Entscheidungen, die ein Individuum trifft – womöglich auch für Wahlentscheidungen. Anselm Hager, Professor für Internationale Politik an der Humboldt-Universität in Berlin, hat auf Basis dieser Daten kurz vor der Wahl in Brandenburg ein Experiment (Öffnet in neuem Fenster) durchgeführt: Ein Teil der Teilnehmenden an seiner Umfrage wurden informiert, dass eine Mehrheit der Ostdeutschen sich nicht als Bürger zweiter Klasse fühlen; alle anderen erfuhren nichts.

Das Ergebnis: Unter den Informierten wurde eine deutlich geringere Bereitschaft gemessen, rechtsextrem zu wählen als unter den Nicht-Informierten.

Dazu sei gesagt, dass es sich dabei bisher nur um einen Feldversuch handelt - das Ergebnis ist nicht im selben Maße belastbar wie die anderen hier verlinkten, bereits offiziell veröffentlichten und teilweise peer-reviewten Forschungsergebnisse. Aber die Anregung möchten wir doch gern aufnehmen: Wer sichtbar macht, dass die Dinge besser stehen als die Populisten und diejenigen, die sie absichtlich oder “aus Versehen” dabei unterstützen, den Menschen weismachen wollen – wer also zum Beispiel über Lösungen spricht anstatt über Probleme – geht einen wichtigen Schritt, dem Populismus den Nährboden zu entziehen, auf dem er am besten gedeiht.

Den Menschen Geld geben

Aber es geht auch noch etwas handfester: Geld in die Hand nehmen, um den Leuten greifbar das Leben leichter zu machen, das hilft nachweislich. Das renommierte Kiel Institut für Weltwirtschaft hat dazu im April eine interessante Untersuchung (Öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht, nach der in Regionen, die Infrastruktur-Fördergelder von der EU erhalten haben, die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien wegen dieser Fördermaßnahmen zurückgegangen ist, und zwar um satte 20%. Die Kieler Forschenden gehen sogar so weit, ein Preisschild an diesen Zusammenhang zu heften: Ein Prozentpunkt weniger Wählerschaft für rechtspopulistische Parteien kostet 200 Euro pro Kopf an Infrastrukturförderung in der entsprechenden Region. Und die bessere Infrastruktur bekommt man für das Geld ja auch noch gleich mit dazu, das scheint also ein so schlechtes Geschäft nicht zu sein.

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Populisten hingegen, auch das ein Forschungsergebnis (Öffnet in neuem Fenster), das sich weiterzuerzählen lohnt, auch und gerade am Stammtisch, kosten ein Land nach 15 Jahren an der Regierung im Schnitt eine Verminderung des Bruttoinlandsproduktes um etwa 10%.

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Eine Reihe von repräsentativen Umfragen (Öffnet in neuem Fenster) der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt: 36 Prozent der Befragten haben “große” oder “sehr große” Angst vor Zuwanderung nach Deutschland; das sind 13 Prozentpunkte mehr als noch 2021.

Aber zwei Dinge, vor denen sich die Deutschen in weit größerer Zahl fürchten, nämlich jeweils zu über 60% , sind andere:

Die wachsende Fremdenfeindlichkeit, und dass die AfD das Sagen in Deutschland bekommt.

Freunde treffen

“Ich habe mich mit Klimaforschern, Gletscher-Experten und Meeresbiologen unterhalten. Alle waren frustriert, weil ihre Ergebnisse die Öffentlichkeit nicht erreichten. Und sie sagten: Menschen verstehen nur Geschichten. Daten verstehen sie nicht.”

Das schreibt der isländische Autor Andri Snær Magnason, und er spricht uns aus der Seele. Unsere Versuche, mit diesem Sachverhalt umzugehen, sind dieser Newsletter, und unsere Initiative Planet Narratives (Öffnet in neuem Fenster), und alles andere, was die Superredaktion tut, um die richtigen Daten auszuwählen und zu guten, packenden, zum Weitererzählen und Handeln anregenden Geschichten aufzupolieren. Magnasons Antwort ist Wasser und Zeit (Öffnet in neuem Fenster).

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Es handelt sich dabei um ein wundervolles Buch, in dem er versucht, mit den Mitteln der Kunst eine Sprache zu finden, die die schwer zu fassenden, abstrakten und gewaltigen Dimensionen der Klimakrise auf menschliche Maßstäbe herunterbricht, mit Bedeutung auflädt und auf eine Art begreifbar und fühlbar macht, die die Daten allein uns nicht bieten können.

Zum Beispiel in einem Gespräch mit seiner zehnjährigen Tochter Hulda über seine eigene 94jährigen Urgroßmutter und Huldas zukünftiges, noch lange ungeborenes Ur-Enkelkind:

Stell dir mal vor! 262 Jahre! Das ist die Zeitspanne, mit der du in Verbindung stehst. Du kennst Menschen aus dieser gesamten Zeitspanne. Deine Zeit ist die Zeit von jemandem, den du kennst, den du liebst und der dich prägt. Und deine Zeit ist auch die Zeit von jemandem, den du kennen und lieben wirst, die Zeit, die du gestalten wirst.

Du kannst 262 Jahre mit bloßen Händen berühren.

Ein schönes Schlusswort.