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Queerfeindlichkeit 

ist real und aktuell. Da kann man denken, in Deutschland herrschten im Vergleich mit manchen anderen Ländern relativ gute Verhältnisse. Bis zu einem gewissen Punkt mag das auch stimmen, allerdings bedeutet es nicht, dass es hierzulande keine Rechtsverletzungen stattfinden oder Gewalt- und Straftaten gegenüber queeren Menschen ausgeübt werden. Ganz im Gegenteil.

Auch in Deutschland gibt es viel Luft nach oben: Schwule und bisexuelle Männer werden bis heute von der Blutspende ausgeschlossen (Öffnet in neuem Fenster), wenn sie im letzten Jahr Sex mit einem Mann hatten. Trans Menschen sind de facto nicht gleichgestellt und werden ständigen Angriffen ausgesetzt. Gleichgeschlechtliche Paare, trans und cis, sobald sie ein Kind bekommen, werden zur Adoption ihres eigenen Kindes gezwungen, weil eine*r der beiden Elternteile sonst nicht auf der Geburtsurkunde des Kindes stehen darf. Damit gehen zudem Zwangsberatungen, Heiratszwang, ein Berg an Bürokratie (u.a. polizeiliches Führungszeugnis) und spontane Besuche des Jugendamtes einher. All das während alles, was cis und hetero Paare machen müssen, um ein Kind zu bekommen, ungeschützten Sex zu haben ist.

Das Problem mit der Geburtsurkunde des Kindes ist bei trans Menschen umso gravierender, weil sie mit Deadname und falschem Geschlecht eingetragen werden, was die Verleugnung ihrer Identität bedeutet und eine Gewalttat darstellt. Meine Kollegin Felicia Ewert, mit der ich den monatlichen nd-Podcast "Unter anderen Umständen (Öffnet in neuem Fenster)" (Spotify (Öffnet in neuem Fenster)) aufnehme, beschreibt diesen Zustand in unserer ersten Folge über das sogenannte Transsexuellengesetz wie folgt: "In der Geburtsurkunde meines Kindes steht an der Stelle, wo ich stehen sollte als Mutter, ein nicht existenter Mann als Vater eingetragen." Wie das genau aussieht und inwiefern trans Menschen in Deutschland nicht gleichgestellt sind, erfahrt ihr in derselben Folge. Außerdem könnt ihr auch Felicias Buch "Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung" (Edition Assemblage) bestellen und lesen, falls ihr euch ausführlicher informieren wollt.

So wie bei allen anderen Kämpfen für Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung muss auch der Kampf gegen Queerfeindlichkeit immer weiter geführt und gepflegt werden. Rechte werden erkämpft und sie können entnommen werden. Die queerfeindlichen Entwicklungen in anderen europäischen Ländern gehen uns was an, und sie beeinflussen auch die deutsche Gesellschaft. Solidarität ist und bleibt essenziell.

Was können hetero und cisgeschlechtliche Menschen genau machen? Einiges. Zum Beispiel: Zeigt Gesicht. Widersprecht. Nutzt eure Plattforme, um andere sicht- und hörbarer zu machen und euch zu solidarisieren. Unterstützt Kampagnen gegen diskriminierende Gesetze. Unterstützt Gesetze, die für mehr Gleichberechtigung sorgen sollen. Positioniert euch öffentlich für queere Anliegen. Kauft und lest Bücher von queeren Autor*innen, ob diese Sachbücher oder Fiktion sind, spielt keine Rolle. unterstützt queere Künstler*innen, geht zu queeren Veranstaltungen (sofern diese keinen Safespace darstellen). Schaut Filme und Serien von und mit queeren Protagonist*innen, Cast und Crew. Folgt queeren Accounts in den sozialen Netzwerken. Spendet Geld für queere Organisationen. Nutzt eure Privilegien, um andere, die weniger privilegiert sind, zu unterstützen. Denn wofür sind diese Privilegien sonst da, wenn nicht genau dafür?

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Die Kolumne des Monats schrieb Zeynep "Zey" Alpay (Öffnet in neuem Fenster) über die eigene Vergangenheit als queeres Kind in der Türkei. Zey lebt heute in Düsseldorf, arbeitet als Künstler*in (Öffnet in neuem Fenster) und engagiert sich politisch. Doğa Dinçel aus Leipzig übersetzte Zeys Text aus dem Türkischen.

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Ein Selbstgespräch mit meinem kleinen Ich

Von Zeynep "Zey" Alpay

Ich war ein glückliches Kind, ich hatte kein Problem mit mir selbst.

Für mich war das Geschlecht nie bestimmend für Liebe und Sexualität. Früher verknallte ich mich in all die Musiker:innen oder Schauspieler:innen, die ich im Fernsehen und in den Zeitungen sah und gern mochte, unabhängig davon, ob es Männer oder Frauen waren. Ich träumte von ihnen, phantasierte herum. Manchmal war ich so wie sie, manchmal mit ihnen zusammen.

Eigentlich dachte ich nie, dass ich anders bin als alle anderen. Für eine lange Zeit dachte ich sogar, dass alle so sind wie ich. Meine Lehrer:innen, Verwandte und Freund:innen verliebten sich doch auch sicherlich in anderen. Was hatte das Geschlecht mit Anziehung zu tun?

Dass es nicht so war, musste ich durch viele schlechten Erfahrungen lernen. Manchmal durch Träume anderer, die auf mich projiziert wurden, manchmal durch ein einfaches “Gut gemacht”, manchmal durch abgezogene Noten, durch das peinliche Getadeltwerden in der Öffentlichkeit, durch Erwachsene, die mich als ein schlechtes Vorbild für ihre Kinder betrachteten. Und manchmal sogar durch psychischen und physischen Missbrauch. Im Laufe der Zeit lernte ich, mich zu verstecken. Als meine beste Freundin eines Tages herausfand, dass ich in das Mädchen aus der Parallelklasse verliebt war und sie die Freundinnenschaft zu mit kündigte, verbitterten all die Gefühle, die ich in mir verbarg.

Dabei hatte sie mir doch erzählt, dass sie als Scherz ein anderes Mädchen geküsst habe. Sie hatte dabei gelacht. Aber bei mir lachte sie nicht. Ihr Blick änderte sich plötzlich. Und sie sprach nie wieder ein Wort mehr mit mir.

Danach verbitterte die selbstzufriedene kleine Zeynep in mir, die ich so sehr liebte. Und all meine Gefühle vergrub ich ganz tief.

Das Gefühl von Wertlosigkeit, das durch meinen Groll entstanden war, konnte ich jahrelang nicht überwinden. Ich fand mich in toxischen Freund:innenschaften und problematischen Beziehungen wieder. Ich glaubte, dass ich nur bei ihnen Sicherheit und Wertschätzung erfahren könnte. Selbst als ich eine Reihe von schlechten Erfahrungen machte, für die ich Triggerwarnungen aussprechen müsste.

Es war erst in diesen düsteren Zeiten, als mir die selbstbewussten queeren Kommiliton:innen an der Uni aufgefallen sind. Was hatten sie, was ich nicht hatte? Sie sahen glücklich aus. Ich konnte unter meinen eigenen Freund:innen kaum atmen und bloß überleben, und sie blühten sie richtig auf, wenn sie zusammen waren.

Ihr Glück inspirierte mich so. Und nach all den Jahren der Depression und Angst konnte ich endlich wieder irgendwie zu mir selbst zurückfinden.

Auch wenn es sehr schwierig war, bin ich sehr dankbar, schwierige Zeiten überstanden zu haben. Dennoch möchte ich nicht, dass ein anderes Kind ähnliche Erfahrungen machen muss.

Liebe Eltern, schafft Raum für eure Kinder. Wenn ihr keinen Raum schaffen könnt, dann werdet keine Eltern. Das Leben muss nicht so schwer, so schmerzhaft für ein kleines Kind sein. Jedes verletzte Kind, das sich verstecken muss, bedeutet eine unglücklichere Welt. Außerdem, waren diese gemeinen, bekümmerten, für diese Welt schädlichen Erwachsenen nicht einst selbst genau diese Kinder mit gebrochenen Herzen?

Mit der Vorstellung einer Welt, in der Kinder nicht mit gebrochenem Herzen aufwachsen müssen, sondern im Gegenteil durch Bindungen, die sie eingehen, ihre Herzen erneut mit einer viel größeren Kraft öffnen können, umarme ich dich, kleine Zeynep.

Mein einziges Ziel im Leben ist es, mich irgendwann wieder so gern zu mögen, wie du es tust.

Zeynep "Zey" Alpay arbeitet in der bildenden Kunst und engagiert sich als Queer-Aktivist*in. Außerdem ist Zey Gründungsmitglied des Kollektivs cumming collective. Mit einem Bildungshintergrund in Soziologie, hat Zey eine Leidenschaft für die Arbeit zu Themen rund um Queer-Feminismus. Heutzutage kreiert Zey persönliche Kunstprojekte und nutzt Online-Wege, um Aktivismus auch während der Quarantäne zu verwirklichen.

Dieses Bild entstand 2015 in Istanbul während der Pride-Parade. Die Polizei attackierte den Marsch mit Wasserwerfern und aus Versehen verursachte einen Regenbogen :) Ich finde den Symbolkraft darin so groß: Mit Staatsgewalt versuchen jene Lebensrealitäten, die außerhalb der cisgeschlechtlichen, heterosexuellen Norm existieren, zu bekämpfen, zu zerstören. Aber der ganze Macht der Welt, der dir ja zur Verfügung steht, reicht nicht aus. 

Leider auch dieses Jahr entstanden ähnliche Bilder (Öffnet in neuem Fenster). Die türkische Regierung führt eine konsequent queerfeindliche Politik durch Repression und Gewalt.

Stellenausschreibung: Transgender Europe (TGEU) sucht "Research Officer" (Öffnet in neuem Fenster) in Berlin. 40h/W. Bewerbungsfrist 4. August 19:00 Uhr.

Online-Umfrage: LGBTIQ*-Wahlstudie (Öffnet in neuem Fenster) zur Bundestagswahl 2021 von LSVD.

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