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Was ist Liebe?

Mit dieser Frage beschäftigen sich Menschen schon sehr, sehr lange. bell hooks, eine US-amerikanische Schriftstellerin und eine der wichtigsten feministischen Stimmen unserer Zeit, glaubt, Liebe sei kein passiver Zustand, sondern eine aktive Handlung. Sie sei nicht etwas, die unkontrolliert und unkontrollierbar passiert, sondern sei viel mehr eine Reihe Entscheidungen, die wir kurz- und langfristig treffen. Vieles, was wir für Menschen, die wir lieben, oder für uns selber, machen, sei Teil der Liebe als Handlung. Demnach muss man Liebe aktiv gewährleisten: Durch Verantwortung, Fürsorge, Pflege, Denkarbeit und viel mehr.

Ich stimme bell hooks zu: Liebe muss man aktiv gewährleisten. So wie viele anderen musste auch ich erst lernen, wie man liebt und das auch zeigt. Es ist ein Prozess, eine lange Auseinandersetzung, das schafft man nicht über Nacht.

Wer cishet Männer datet, weiß sehr wahrscheinlich aus Erfahrung, dass Liebe zu bekommen, aktiv geliebt zu werden, nicht selbstverständlich ist. Cishet Männer lernen nämlich durch alle gesellschaftlichen Zahnräder, dass Liebe etwas sei, das ihnen selbstverständlich per Geburt zusteht, auf das sie einen Anspruch haben, das sie selber aber nicht gewährleisten müssen. Die vielen toxischen Beziehungsformen, die von Vernachlässigung und Manipulation geprägt sind, in denen cishet Männer involviert sind; die vielen toxischen Verhaltensweisen von cishet Männern im Umgang mit ihren Partner*innen, zeigen das deutlich.

Und wir müssen nicht mal so weit denken. Selbst in der einfachen Aussage "Ich suche etwas Unkompliziertes", die Menschen, die cishet Männer daten, heutzutage zu hören oder auf Tinder-Profilen zu lesen bekommen, steckt so viel drin. Ich habe zwar nicht gezählt, aber ich wette, dass auf dem Datingmarkt mehr cishet Männer sich "etwas Unkompliziertes wünschen" als umgekehrt. Woher kommt das, was hat es damit auf sich?

Wenn cishet Männer in Bezug auf romantische Beziehungen von Komplexität sprechen, dann meinen sie eigentlich, dass ihr Gegenüber bloß Ansprüche hat. Dass sie sich kümmern müssen. Dass sie Verantwortung für ihre Beziehung übernehmen müssen. Dabei haben sie ihr gesamtes Leben lang durch die Filme, die sie schauen, die Bücher, die sie lesen, im Elternhaus von ihren Eltern, gelernt, dass sie sich bloß entspannt zurücklehnen können und die Liebe von alleine zu ihnen kommt. Wie eine geschälte, zerstückelte Birne, die magischerweise ihren Weg in ihren Mund findet, ohne dass sie das Frucht selber schälen und schneiden müssten (hat natürlich die Mutter gemacht, aber das sehen sie ja nicht und sind fest davon überzegt, dass es die selbstverständliche Aufgabe der Birne sei, sich selbst zu schälen und zu schneiden und in ihren Mund hineinzulaufen).

Also die Mutter 1) denkt daran, dass ihr Sohn eine Birne essen soll, 2) geht arbeiten und verdient Geld, damit sie die Birne kaufen kann, 3) kauft die Birne, bringt sie nach Hause, 4) wäscht, schält, schneidet sie 5) legt in einen Teller und bringt zu ihrem Sohn, damit er diese isst. Also sie macht zwar die ganze Arbeit, bleibt für den Sohn dabei aber absolut unsichtbar. Das hat was damit zu tun, dass wir diese mehrstufige Arbeit für eine Selbstverstädnlichkeit halten, die die Mutter leisten muss. Einen Scheiß muss sie. Dennoch erwartet der Sohn später genau dasselbe auch von seinen sexuellen bzw. romantischen Partner*innen. Wer das Ganze nicht ohne Fragen erledigt, sei kompliziert.

Einst schaute ich eine Reportage über Sexarbeit. Der Reporter begleitete eine Sexarbeiterin über mehrere Tage und sprach viel mit ihr über ihre Arbeit und ihr Leben. Ich kann nicht vergessen, dass der Reporter der Sexarbeiterin mehrfach sagte, er hätte ein Riesen Problem damit, wenn er Geld für Sex bezahlen müsste. Ihm sei nämlich wichtig zu wissen, dass die Frau nicht wegen Geld mit ihm vögelt, sondern weil sie Lust auf ihn hat :) Der Pascha-Reporter also möchte 1) kein Geld für Sex bezahlen, weil er glaubt, einen Anspruch auf kostenlosen Gratis-Sex zu haben, der ihm 2) lustvoll und breitwillig zur Verfügung gestellt werden soll. Außerdem glaubt er, dass 3) Sex und Lust sich gegenseitig ausschlißen müssten, aber das ist vielleicht ein anderes Thema.

Auch dieses Verhalten stammt aus demseben Loch: Die Birne aus der unsichtbaren Hand der Mutter. Die Mutter muss die Birne für ihn zubereiten wollen, sonst schmeckt ihm die Birne nicht.

Wer Bedürfnisse und Ansprüche hat, wer sich nicht schlecht behandeln lässt, wer sich etwas Gutes, etwas Schönes wünscht, wer Wertschätzung erleben möchte, weil er*sie es auch verdient (denn wir alle verdienen es), wer nicht vernachlässigt werden möchte, sei demnach kompliziert. Die Liebe kommt aber nicht gratis daher und Menschen dürfen nicht wie Gegenstände behandelt werden, die bloß dafür da sind, um die Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Die Liebe ist kompliziert aber das ist okay. Wer sich eine "einfache" Liebe wünscht, die von alleine ohne jegliche Bemühung zustande kommen soll, muss ihre*seine Ansprüche überdenken.

In der Sauren Kolumne geht es diesmal um Dating mit weißen cishet Männern. Geschrieben hat Yassamin Boussaoud, die ihr vermutlich aus Instagram kennt: Dort schreibt sie unter @minaandherchaos (Öffnet in neuem Fenster). Sie schildert wertvolle Gedanken über Rassismus, Fettenfeindlichkeit und Misogynie, mit denen fette Women of Color beim Dating konfrontiert werden.

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Ayran-Man und ich wünschen eine gute Lektüre!

DIE SAURE KOLUMNE

Von Yassamin "Mina" Boussaoud

"Magst du mir ein Bild von deinem Körper schicken?" – da ist sie, die Nachricht vor der mir, beim Online Dating, am allermeisten graut. Denn mein Körper ist ein Körper, der in keine Norm passt. Braun, dick_fett, assymetrisch. Und eigentlich kenne ich nur zwei Szenarien, die auf ein Bild meines Körpers folgen. Und beide sind hochgradig diskriminierend. Fetischisierung oder Dehumanisierung. Ja, das sind sie. Die zwei Optionen, die ich als Braune, dick_fette Millenial in der Welt des Datings erwarten darf. "Ich wollte schon immer mal so eine exotische BBW. Du hältst bestimmt so richtig viel aus", oder "Sorry, aber sowas wie du geht gar nicht. Da krieg ich keinen hoch", zählen auf jeden Fall zu den "freundlicheren" Entgegnungen. Ich erfahre selten so offene, intersektionale Diskriminierung wie beim Dating. Menschen wie ich gelten in einer weißen, patriarchalen Gesellschaft nicht als wertvolle Partner*innen. Wir sind der "schmutzige Fetisch" aus dem Hinterzimmer, die fette Monica, die Lachnummer, das „Vorher“-Bild.

Umfragen zeigen, dass die größte Angst heterosexueller cis Frauen in Bezug auf Online Dating ist, dass sie von ihrem Date ermordet werden. Cishet Männer haben Angst davor, dass ihr Date dick_fett ist. Ich bin 30 Jahre alt und seit vier Jahren alleinerziehende Single Mutter. Ich habe ein spannendes Leben, kann sehr gut alleine sein. Aber ich möchte es nicht langfristig. Denn ich glaube an Beziehungen. Nicht an die perfekte oder die Eine. Aber daran, dass sie wichtig und wertvoll sind und für mich, zu einem erfüllten Leben dazu gehören.

Als alleinerziehende Frau wird mir jedoch nicht derselbe gesellschaftliche Wert beigemessen, wie nicht alleinerziehenden Frauen. Als Braune Frau werde ich anders betrachtet und bewertet, als weiße Frauen. Als dick_fette Frau werde ich eben anders, viel häufiger dehumanisiert und fetischisiert. Ich werde, vor allem im Dating-Kontext, sowohl Sexismus als auch Rassismus und Fatphobia ausgesetzt. Denn für ganz viele weiße, heterosexuelle cis Männer bin ich genau das, was sie sich nicht wünschen. Je mehr Diskriminierungsformen eine Person negativ betreffen, desto weniger Chance besteht, dass diese Person als wertvolle Partner*in in Betracht gezogen wird. Je weniger Privilegien, desto weniger Teilhabe. Das wird selten so deutlich wie im Kontext von Dating und Beziehungen. Und intersektionale Diskriminierungsformen werden selten so verharmlost und unter dem Deckmantel persönlicher Vorlieben verleugnet.

Intersektionaler Aktivismus darf nicht an dieser Stelle aufhören. Wie und ob wir eine Person als Partner*in in Betracht ziehen, ist nicht unabhängig von unserer Sozialisierung. Und diese umfasst alle intersektionalen Diskriminierungsformen. Dick_fette Menschen, marginalisierte Personen sind echte Menschen. Mit Bedürfnissen und Grenzen. Und wir verdienen Beziehungen, verdienen erfüllte Sexualität, verdienen Liebe. Die Devise sollte also heißen: #decolonizedating, #decolonizelove.

Yassamin "Mina" Boussaoud ist 30 Jahre alt und lebt mit ihren beiden Kindern in München. Sie studiert seit 2018 zunächst Philosophie und dann allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften. Mina ist Aktivistin für intersektionalen Feminismus, Autorin und schreibt am liebsten Lyrik. Wenn sie nicht schreibt singt sie oder sitzt mit Freund*innen an der Isar.

Lese- und Hörempfehlungen

Unbezahlte, unaufgeforderte Werbung. Die Empfehlungen können sich wiederholen.

In "Hunger" erzählt Roxane Gay die Geschichte ihres Körpers und ihres Hungers. Das Buch handelt von sexualisierter Gewalt, Essstörungen und viel mehr. Absolute Empfehlung. btb (Öffnet in neuem Fenster). 320 Seiten, 22 Euro. Taschenbuch kommt wohl auch bald.

Das Buch "All About Love" von bell hooks wurde endlich ins Deutsche übersetzt! "Alles über Liebe. Neue Sichtweisen" erscheint am 20. Juli bei Harper Collins (Öffnet in neuem Fenster). 288 Seiten, 20 Euro.

Wenn ihr schon auf der Website von Harper Collins seid, könnt ihr gleich "Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist" von Şeyda Kurt bestellen (Öffnet in neuem Fenster). 256 Seiten, 18 Euro.

Auch "Fa(t)shionista" von Magda Albrecht ist zum Thema Körper, Fettenfeindlichkeit und Misogynie unverzichtbar. Ullstein (Öffnet in neuem Fenster). 336 Seiten, 16 Euro.

Die taz-Kolumne "Bei aller Liebe (Öffnet in neuem Fenster)" der Journalistin und Podcasterin Anna Dushime ist diesbezüglich ein Schatz: Sie behandelt nicht nur Dating und romantische Liebe, sondern die Liebe mit all ihren Facetten. Erscheint alle zwei Wochen online und im Blatt.

"Die Kunst des Liebens" von Erich Fromm ist unverzichtbar. Für 11 Euro bei Ullstein (Öffnet in neuem Fenster) erwerbbar. 160 Seiten.

"Die schlechteste Hausfrau der Welt" der Autorin Jacinta Nandi ist eine Pflichtlektüre (Edition Nautilus (Öffnet in neuem Fenster)). 208 Seiten, 16 Euro.

Ta-Nehisi Coates schreibt seinem Sohn in "Zwischen mir und der Welt" über Rassismus. Warum, wenn nicht aus Liebe? Fischer (Öffnet in neuem Fenster), 240 Seiten, 12 Euro.

"Das Unwohlsein der modernen Mutter" von Mareice Kaiser macht die Dimensionen, was von Müttern erwartet und gefordert wird, klar sichtbar. Erschienen bei Rowohlt (Öffnet in neuem Fenster). 256 Seiten, 16 Euro.

"Nach der Flut das Feuer" von James Baldwin ist ebenso ein aus Liebe geschriebener, sehr wichtiger Text über Rassismus und dessen Folgen. Erhältlich bei DTV (Öffnet in neuem Fenster). 128 Seiten, 10,60 Euro.

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