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Seit Wochen 

streiken in NRW die Pflegekräfte, was zur Folge hat, dass viele Kliniken schließen oder den Betrieb herunterfahren mussten (Öffnet in neuem Fenster). Ein Streik ist ein legitimes Mittel und als Recht muss es unberührt bleiben. Wir wissen seit Jahren von der Pflegekrise und als Gesellschaft haben wir nichts dagegen getan. Selbst während der Corona-Pandemie bewegt sich absolut nichts außer unsere klatschenden Hände – eine zynische Geste, wenn man darüber nachdenkt, wie echte Unterstützung aussähe. Die Pflegekräfte werden mit ihren enormen Problemen im Stich gelassen. Natürlich streiken sie – was bitte bleibt ihnen übrig?

Eigentlich sollten wir hoffen, dass die Forderungen der streikenden Pflegekräfte getroffen werden, eigentlich sollten wir sie in ihrem Kampf unterstützen. Die Gesellschaft als Ganzes würde nur davon profitieren, wenn Pflegekräfte bessere Arbeitsbedingungen hätten. Als Pflegekraft zu streiken ist allerdings nicht so einfach, weil einem Aufhören mit der Care-Arbeit mit Stigma begegnet wird, das gilt auch für bezahlte Pflegekräfte. In Bonn versuchte die Uniklinik, die Streiks mit einer Verfügungsklage zu stoppen, und scheiterte. Jetzt will die Uniklinik gegen das Urteil vorgehen.

Außerdem wird bei jedem Pflegestreik den Pflegekräften vorgeworfen, auf Kosten der Patient*innen zu streiken – selbst Ärzt*innen fallen den Pflegekräften in den Rücken. Ich sage mal so: Wer nur während der Streiks an Patient*innen denkt, sollte mal lieber den Mund halten. Ihnen geht es nämlich nicht um Patient*innen – wenn es so wäre, hätten sie sich längst für das Ende der Pflegekrise eingesetzt anstatt für das Ende der Streiks. Natürlich läuft die Versorgung aktuell nicht reibungslos, weil gestreikt wird – das ist auch der Sinn der Sache: Es geht darum, der Gesellschaft klar zu machen, dass ohne die Arbeit der Pflegekräfte nichts läuft, dass es um Leben und Tod geht! Allerdings ist es nicht der Streik, sondern die Pflegekrise, die tötet: Patient*innen, die eigentlich hätten nicht sterben müssen, sterben, weil sie in chronisch unterbesetzten Krankenhäusern Deutschlands nicht gut genug versorgt werden können. Wer will, dass Patient*innen gut versorgt und gepflegt werden, muss Pflegekräften in ihren Forderungen entgegenkommen.

Wer streikenden Pflegekräften vorwirft, auf Kosten der Patient*innen zu streiken, nimmt sie auf Kosten der Patient*innen in eine moralische Geiselhaft. Also bleibt stark, liebe Pflegekräfte, und streikt für bessere, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, damit wir leben können.

Ich bitte um Entschuldigung, dass der Betreff und Teaser der Mai-Ausgabe irreführend waren – da stand »Ukrainekrieg«, aber im Newsletter war keine Zeile darüber. Das war kein Clickbaiting, sondern liegt an meiner Arbeitsweise.

Ich habe im besten Fall vier Wochen für die Vorbereitung diesen Newsletters. Sobald ich mit der Arbeit beginne, lege ich einen Post im Steady-Backend ab und bearbeite diese Datei, deren Veröffentlichung für den 15. des Folgemonats geplant ist. Ich muss auch immer einen Betreff und Teaser schreiben, ohne dass der Inhalt vollständig fertig ist. Manchmal ändert sich der Inhalt und ich muss daran denken, alles dementsprechend zu korrigieren. Als ich die vorige Ausgabe fertigmachte, hatte ich eine andere Kolumne im Sinn, daran liegt also der Fehler.

Wie gesagt: Im besten Fall vier Wochen Zeit. Diesmal hatte ich nur einen Tag: Drei Wochen lang war ich krank, dann habe ich geheiratet und machte übers WE einen kleinen Ausflug mit meinem Lieblingsmenschen. Deshalb fällt diesmal das Kurzinterview »Drei Fragen« aus. Im Juli fällt der Newsletter ganz aus, eine Art Sommerpause.

Die Kolumne schrieb Melike Berfê Çınar über das Selbstverständnis mancher weißer Deutschen und ihren schädlichen Umgang mit Diskriminierung: »Wenn ihr zuhört, kann eine Wahrheit nicht überhört werden: Zwischen mir und euch liegt Hoyerswerda. Liegt Hanau. Halle. Liegt die Bitterkeit, nach der alles schmeckt auf der anderen Seite der Durchmischung. Und während ich mit der Galle im Mund abwarte, ob ich die Kraft für eine Auseinandersetzung finde, passiert bei euch gar nichts, ihr redet munter weiter.« Die gesamte Kolumne findest du unten.

Unterstütze Saure Zeiten und werde Mitglied! Über Steady (Öffnet in neuem Fenster) oder Patreon (Öffnet in neuem Fenster) kannst du meine Arbeit dauerhaft unterstützen. Einmaliger Support über Paypal (Öffnet in neuem Fenster) ist ebenso möglich. Mitglieder bekommen mein Leseheft „Deutschland schaff' ich ab. Ein Kartoffelgericht“ mit Widmung als Geschenk.

Fragen, Anmerkungen und Kritik jederzeit gerne an contact@sibelschick.net

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Viel Spaß! 🍋

Liebe Grüße    
Sibel Schick

Lyriker Dincer Gücyeter gewann den Peter-Huchel-Preis 2022. Jetzt möchte er eine*n junge*n Lyriker*in unterstützen: »ich hab das pommesgeld für die nächsten zwei jahre zur seite gelegt, einen teil für family, einen teil für ELIF (Öffnet in neuem Fenster), alles gut.

2000 € will ich gerne als eine kleine motivation an eine*n junge*n kolleg*in weitergeben. lyrik kann nur gedeihen, wenn es von einer hand in die andere weitergegeben wird. deshalb bitte ich, an script@elifverlag.de 10-20 gedichte zu schicken. keine langweiligen exposés (die lese ich eh nie), keine erklärungen, alles unnötig, das gedicht wird schon alles sagen. stichwort: peterdincer.« 

Mehr dazu auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster).

Die Journalistin und Autorin Juliane Streich gab eine Fortführung von »These Girls« heraus: »These Girls, Too. Feministische Musikgeschichten« ist beim Ventil Verlag (Öffnet in neuem Fenster) erhältlich. Auch ich durfte mit einem Text beisteuern, in dem ich von meiner Jugendliebe zu der türkischen Musikerin Özlem Tekin erzähle. Spoiler: Es war eine große Liebe! 

Angesäuert

Von Melike Berfê Çınar

Es kann nur besser werden, wenn das mächtige Beschwichtigen und Abwiegeln aufhören.

Immer, wenn ich neue Menschen kennenlerne, die nach meinem ersten Eindruck ihre Ausschluss- und Abwertungserfahrungen an einer Hand abzählen können, bin ich dauerangespannt und überaufmerksam. Das merke ich vor allem daran, dass die Anspannung nachlässt. Und das tut sie, wenn sich diese Menschen durch irgendwelche Aussagen halbwegs links verorten. Queer. Empathisch. Dann weiß ich, dass ich die ganze Zeit auf die Katastrophe gewartet habe, dass mir eine unbedachte Äußerung mitten ins Herz fährt und die ganze Kennenlernerei massiv blockiert oder gar unmöglich macht. Allerdings wartet der Abgrund selten weit weg.

»Habt ihr bei der (Kiezschule) keine Angst vor Homophobie?« sagen sie und fahren fort: »Stimmt denn da die Durchmischung?« Sie verstehen nicht, dass sich mir vor Wut die Kehle zuschnürt. Wie erkläre ich das jetzt? Und warum erkläre ich überhaupt? Doch, verdammt, ich rechne immer wieder mit Queerfeindlichkeit, überall. Und mit Sexismus. Und Rassismus. Und Fettfeindlichkeit. Natürlich. Die Frage, die mich interessiert, lautet aber: »Wie kommt ihr darauf, eure verinnerlichten rassistischen Annahmen auf mich zu projizieren und das als Sorge um mein Wohlbefinden zu verpacken?«

Und ihr meint es ja nur gut. Ihr seid die Guten, ganz wirklich. So lange ihr aber denkt, dass die so stylische Vielfalt im gentrifizierten Viertel eine Bedrohung darstelle, haben wir noch sehr viel zu reden, bevor wir einander verstehen. So lange ihr denkt, da wo weniger Personen of Color sind, gibt es weniger Queerfeindlichkeit, haben wir ein Problem. So lange ihr Menschen durch eure Annahmen und Zuweisungen ihre Vielfältigkeit absprecht und sie vor allem in eurem erlauchten Kreis der belesenen Gap-Year-Reisenden seht, haben wir ein Problem. Und wir müssen reden. Vor allem, weil ihr die Guten seid.

Wenn ihr zuhört, kann eine Wahrheit nicht überhört werden: Zwischen mir und euch liegt Hoyerswerda. Liegt Hanau. Halle. Liegt die Bitterkeit, nach der alles schmeckt auf der anderen Seite der Durchmischung. Und während ich mit der Galle im Mund abwarte, ob ich die Kraft für eine Auseinandersetzung finde, passiert bei euch gar nichts, ihr redet munter weiter.

Das gönne ich euch sogar gerne, die Unversehrtheit an dieser Stelle. Ich gönne euch aber nicht die Ignoranz, mit der ihr zwar schweigt, aber nicht zuhört. Ich gönne euch eure Nicht-Betroffenheit, aber nicht eure gewählte Nicht-Zuständigkeit.

Und ab und an gönne ich stattdessen mir, euch auf eure eigenen Positionen zurückzuwerfen, mal eleganter, mal grumpy und unhöflich.

Melike Berfê Çınar liebt, lebt, lacht, mampft und kämpft seit 1983 in Berlin. Sie ist Referentin in der politischen Bildungsarbeit und Aktivistin. Sie schreibt, seit sie es kann, und liebt Humor, Sonnenschein und mutige Menschen. Sie ist Elternteil und Partnerin, steht auf Loyalität statt Treue und wird solange Feministin sein, wie das Patriarchat Postfeminismus fordert. Melike kannst du auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster) und Twitter (Öffnet in neuem Fenster) folgen.

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Song. Öznur, kurdische Sängerin und Musikerin aus Deutschland, brach einen neuen Single heraus: »Payîn« kannst du dir jetzt auf YouTube (Öffnet in neuem Fenster) anhören. Englische und deutsche Übersetzungen des Songtextes findest du in der Videobeschreibung. Abonniere Öznurs Kanal gleich, es lohnt sich. Mehr über Öznur erfährst du auf kreuzer Leipzig (Öffnet in neuem Fenster) und Instagram (Öffnet in neuem Fenster).

dıl dılerıze deng nakım
xewnê xweda mezın bıkım  
ez te dıle xweda kêm nakım
desmala bina te venakım

Öznur - Payîn (Öffnet in neuem Fenster)

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Buch. »Das Unwohlsein der modernen Mutter« von Mareice Kaiser

»Und vielleicht gibt es auch noch mehr und bessere Worte, die beschreiben, wie anstrengend es in unserer Leistungsgesellschaft ist, ein glückliches Leben zu führen.«

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Podcast.

https://twitter.com/GildaSahebi/status/1531898277863505921 (Öffnet in neuem Fenster)

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Buch. In der vorigen Ausgabe empfahl die kurzinterviewte Schriftstellerin und Journalistin Mithu Sanyal das Buch »Nichts gegen blasen« der Autorin Jacinta Nandi. Hier nochmal warum du unbedingt darauf hören solltest.

Jacinta Nandi ist eine sehr lesenswerte, kluge, humorvolle Autorin. Als ich ihr Buch »Nichts gegen blasen« las, dachte ich mir: Wenn Jacinta weiß, deutsch und cismännlich wäre, wären ihre Bücher als die großartigen autofiktionalen Werke, die sie sind, gefeiert. Auch ihr Buch »Die schlechteste Hausfrau der Welt« (Edition Nautilus) ist lesenswert. Es handelt von einer dysfunktionalen Beziehung, in der Jacintas ehemaliger Freund, der Vater ihres jüngeren Kindes, absolut null Prozent der Kindererziehung und des Haushaltes übernimmt und dies mit seinem Job als Wissenschaftler rechtfertigt. Er beutet Jacintas Arbeitskraft aus und behandelt sie schlecht, und das alles stellt er als Selbstverständlichkeiten dar, weil Jacinta so und so sei, diese Stelle mit Ausreden ausfüllen.

Jacintas nächstes Buch „50 Ways to leave your Ehemann“ erscheint im September bei Edition Nautilus (Öffnet in neuem Fenster). Das Buch »Nichts gegen blasen« findest du bei Ullstein als e-Book und bei Jacinta direkt über Instagram (Öffnet in neuem Fenster) kannst du noch eins der letzten paar gedruckten Exemplare erwerben, sogar mit Widmung.

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