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Good bye Gender Pay Gap

Kürzlich hat das Bundesarbeitsgericht ein wegweisendes Urteil gesprochen: Gleiche Bezahlung ist keine Verhandlungssache. Somit können Frauen, die bei gleicher Leistung weniger verdienen als ihre Kollegen, die Lohndifferenz einklagen. Was bedeutet dies für die Architektur?

Für die Schließung des Gender Pay Gaps hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seiner Entscheidung eine wichtige Entscheidung gefällt. Endlich ist es nicht mehr Verhandlungssache, wer mehr verdient, sondern es kommt allein auf das Leistungsprofil an. Die Reaktionen auf diesen Meilenstein in Richtung Lohngerechigkeit erscheinen zum Teil mittelalterlich. Es scheint in der DNA des Kapitalismus zu liegen, dass Verhandeln an sich eine geldwerte Leistung ist. Diese Betrachtung lässt strukturelle Diskriminierung außen vor, denn hartes Verhandeln gilt als unweiblich, und Frauen vermeiden Verhalten, das sie weniger weiblich erscheinen lässt.
Obwohl ich selbst gerne verhandle, kann ich mir so ganz nerviges Fordern und Nachhaken nicht so recht vorstellen - erst recht nicht ohne Grundlage. Ein Freund mit Personalverantwortung schilderte mir, die Männer hätten ständig einen Fuß in seiner Tür, alle paar Wochen forderten sie eine Gehaltserhöhung. Die Frauen hingegen arbeiteten fleißig und forderten weniger bis nichts. Warum solle er Ihnen mehr zahlen, wenn sie nichts forderten? Das wäre nicht wirtschaftlich.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Öffnet in neuem Fenster) kommentierte zur Entscheidung des BAG "Frauen müssen von erfolgreichen Lohnverhandlungen männlicher Kollegen profitieren." Dieses Framing fand ich abenteuerlich - schließlich profitierten Männer statistisch auch davon, dass ihr Verhalten positiv goutiert und ihnen als Breadwinner wohlwollend mehr zugestanden wurde. Und womöglich auch, weil ihren Kolleginnen weniger zugestanden wurde. Wären extrem fordernden Männern die gleichen Gehaltserhöhungen gewährt worden in dem Wissen, dass ihren vier Kolleginnen damit das gleiche Geld zugestanden hätte? Wohl eher nicht - einige Arbeitnehmer haben genau von diesem System aus mangelnder Transparenz, Sonderwünschen und der Benachteiligung von introvertierteren Menschen und Frauen profitiert.  

Beim Blick auf die Debatte scheint mir, dass wir es immer noch mit dem Schatten der Hausfrauenehe aus dem Westdeutschland der 1950er-Jahren zu tun haben. Steuerlich ablesbar ist diese Kategorisierung immer noch an den Lohnsteuerklassen III und V. Dabei gibt es viele Gründe, den Gender Pay Gap endlich zu schließen:

  • Altersarmut ist weiblich

  • Zehn Jahre nach dem ersten Kind verdienen Mütter 61% weniger als ein Jahr vor der Geburt

  • In etwa jede dritte Ehe wird geschieden

  • Von ca. acht Millionen Familien sind 18% alleinerziehend 

  • Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen

  • Es ist ungerecht, Frauen für die gleiche Leistung weniger Geld zu zahlen

  • Das Narrativ des Breadwinners ist überholt und schadet strukturell auf allen Ebenen

Im Buch (Öffnet in neuem Fenster) habe ich darüber geschrieben, dass die fiskal- und familienpolitischen Anreize der Bundesregierung wie das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung sowie Minijobs erwiesen dazu beitragen, dass Frauen weniger verdienen.
Länder, die diese strukturellen Hürden schon vor längerer Zeit abgebaut haben, stehen heute anders da: Schweden hat einen Gender Pay Gap von 11% (2020). Ein aktueller Artikel im Tagesspiegel (Öffnet in neuem Fenster) zur Situation in Schweden macht deutlich, von welchen Schritten der Vergangenheit das Land heute profitiert: 

  • Abschaffung des Ehegattensplittings 1971

  • Flächendeckender Ausbau einer hochwertigen und flexiblen Kinderbetreuung

  • Gesellschaftliche und strukturelle Unterstützung von Vätern, die in Elternzeit gehen möchten

Im Ergebnis sind einige langfristige Entwicklungen in Schweden zu beobachten, die auf einen Abbau der strukturellen Hürden hindeuten. 

Und hier kommt die Architektur ins Spiel. Denn zwei Punkte, die ich in der Architektur für stark wirksam halte, haben sich in Schweden verändert:
1. Abbau der Präsenzkultur. Wiebke Ankersen schildert im genannten Interview: 

"Wenn in Schweden ein Mitarbeiter oft bis spät abends im Büro sitzt, würde man nicht sagen, oh, ist der aber fleißig - sondern jemand würde hingehen und fragen: Schaffst du deine Arbeit nicht? Hast du Probleme? Oder: Hast du kein Leben?"

2. Da Väter öfter und länger in Elternzeit gehen, ist für Arbeitgeber die Wahrscheinlichkeit bei ihnen ähnlich hoch wie bei jungen Frauen, dass sie perspektisch mal wegen Kindern ausfallen.

In der Architektur tragen aus meiner Sicht noch viele weitere strukturelle Gründe dazu bei, dass Frauen* in der Summe schlechter Fuß fassen können. Dennoch bleibt die gleiche Bezahlung ein wichtiges Argument der Wertschätzung - und man kann aktuell jungen Frauen gar nicht genug Argumente geben, in der Branche zu bleiben. Denn mit dem Fachkräftemangel auf der einen Seite und einer GenZ, die neu auf das Arbeitsleben blickt, spitzt sich die Situation für viele Büros weiter zu. Es könnte perspektivisch immer schwieriger werden, junge Frauen für den Beruf zu gewinnen. Strukturelle Nachteile werden zwar langsam bekannt, aber viele Büros haben noch nicht gegengesteuert. Und um eine offenere Kultur zu entwickeln braucht es Zeit.
Das macht die Verhandlungslage gut. Ich bin kein Fan davon, sich männliche Attribute anzueignen, solange die Gesellschaft etwas anderes von Frauen erwartet. Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, die Dinge ruhig, konkret und konstruktiv anzusprechen. Dabei merkt frau* auch gleich, ob die Chemie stimmt und welche Haltung das Büro in punkto Chancengleichheit einnimmt. Eine gute Entscheidungshilfe, denn was nützt das tollste Büro, wenn die Strukturen nicht mithalten. Folgende Fragen sind z.B. hilfreich: 

  • Wird leistungsbezogen bezahlt?

  • Ist Gehalt ist verhandelbar? Bedeutet das, es wird nach dem Verhandlungserfolg bezahlt?

  • Verdiene ich genausoviel wie meine männliche Kollegen?

  • Nach welchen Kriterien wird befördert?

  • Werden diese Kriterien regelmäßig evaluiert?

Die Situation war nie so günstig.
Viel Spaß beim Verhandeln wünsche ich euch.

herzlich, Karin

Buch- und Artikelempfehlungen

"Es ist selbstverständlich, dass Väter Elternzeit nehmen. Was Deutschland von Schweden lernen kann." (Öffnet in neuem Fenster) Hierzu hatte Dorothee Nolte im Tagesspiegel vom 12.02.2023 mit Wiebke Ankersen und Christian Berg von der Allbright Stiftung (Öffnet in neuem Fenster) gesprochen.

Und solange der Gender Pay Gap nicht geschlossen ist, lohnt es sich um so mehr, das Geld gut anzulegen. Girls Just Wanna have Funds. A Feminist Guide to Investing (Öffnet in neuem Fenster) schließt die Lohnlücke, bis die Klage durch ist ;-) 

Hier findest du Schwarzer Rolli, Hornbrille (Öffnet in neuem Fenster) oder Black Turtleneck, Round Glasses (Öffnet in neuem Fenster).  

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01.03.2023, Bonn  
Workshop zur Equal Care Day-Konferenz (Öffnet in neuem Fenster)   

07.03.2023, Düsseldorf
Buchvorstellung bei RKW Architektur+

08.03.2023, Hamburg  
Buchvorstellung und Panel, BDA Hamburg  

27.04.2023, Aachen  
Vortrag in der Reihe ArchitektINNENwelten (Öffnet in neuem Fenster)

28.04.2023, Karlsruhe
Buchvorstellung Architekturschaufenster (Öffnet in neuem Fenster)

30.04.2023, Dortmund
Lesung mit Leslie Kern (CA)

02.05.2023, Potsdam  
Buchvorstellung mit dem Perspektiv;wechsel, FH Potsdam  

24.05.2023, Antwerpen
Lesung im Book Club der PAF Community

31.05.2023, Koblenz
Buchvorstellung FH Koblenz

21.07.2023, Paderborn
Buchvorstellung und Kunst in der märz Manufaktur (Öffnet in neuem Fenster)

Bei Spotify gibt es eine lustige Playlist zu Schwarzer Rolli, Hornbrille (Öffnet in neuem Fenster) mit aktuellen feministischen Liedern und welchen aus den 1990er-Jahren. 

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