Ampel, aber sexy
Schumachers Woche #2
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Fast unkokett: Für einen Boomer wie mich, der sein journalistisches Leben vorwiegend für Papier publizierte, bedeutet dieses Experiment zugleich Ehre, Aufregung, Spaß und Horizonterweitern, also Leben.
So, und nun geht´s los. Sieben Tage, sieben Perlen mit Micky Beisenherz, Suse Schumacher, Korbinian Frenzel, Rieger, Mülla und Astra, dem scheuen Reh und einer sexy Ampel.
Viel Spaß wünscht
Hajo Schumacher
Analyse der Woche
Mit dem wunderbar unaufgeregten Korbinian Frenzel analysiere ich die Lage nach den Landtagswahlen in Stuttgart und Mainz. Fazit: Ampel, aber sexy.
Der Tag auf Deutschlandradio Kultur (Öffnet in neuem Fenster)
Bild der Woche
Alles Rieger oder was?
Am eher unspeaktakulären Kleist-Park in Berlin entdeckte ich diese Parole.
Wer oder was mag gemeint sein: Hermann Rieger, die 2014 verstorbene Physiotherapeuten-Legende des HSV? Das schwäbische Möbelhaus? Aber nein: Es geht um die Rigaer Straße 94, der besetzte und seit Jahren umkämpfte Altbau in Berlin-Friedrichshain. Wir wissen nicht, was aus diesem Wohnprojekt wird, aber eines steht fest: Unser Regierenda Bürgameista hat damit bald nichts mehr zu tun, er tritt bei dieser Abgerodnetenhaus nicht mehr an. Rieger bleibt, Mülla geht.
Podcast der Woche
"Lanz und Lauterbach sind Moderna Talking" – ich mag gehobenes Geblödel. Und Micky Beisenherz ist ein Meister dieser unterschätzten Diszplin. In unserem Mutmach-Podcast "Wir" ziehen Suse Schumacher, Micky und ich die große 1-Jahr-Corona-Bilanz: Wohin mit Karl Lauterbach (Kanzlerkandidat)? Was tun mit Dieter Bohlen (Impfstoffbeschaffung?) Wie finden wir Jan Böhmermann? Und: Bringt PaarPodcasten mehr Stress, mehr Nähe oder beides? Viel Spaß.
Wir: Arbeit, Liebe, Leben Der Mutmach-Podcast der Berliner Morgenpost (Öffnet in neuem Fenster)
Analyse der Woche
Das Bleierne, das über dem politischen Berlin liegt, kennen wir Älteren aus den späten neunziger Jahren, als Helmut Kohl nicht gehen mochte. Das Gute daran: Das Land wählt sich aus der Bräsigkeit, gern auch ohne die notorische Union.
„Danke, es reicht!“
Derzeit ist ein seltenes Naturschauspiel zu beobachten: Wechselstimmung legt sich übers Land. Können sich die Deutschen eine Regierung ohne die Regierungspartei CDU vorstellen?
Die wunderbare Heimtücke, die ein Wahl-Slogan versprühen kann, ballte sich 1998 in vier Worten: „Danke Helmut, es reicht!“. Ganz Deutschland kapierte die Botschaft, selbst die härtesten Fans von Bundeskanzler Helmut Kohl ertappten sich dabei, wie sie, wenn auch widerwillig, nickten. Sicherheitshalber flankierte Schröder den anstehenden Kanzlerwechsel mit einem „Veränderung ohne Risiko“, was ähnlich sinnig klingt wie Waschen ohne Wasser. Egal, die zur Überversicherung neigende deutsche Seele war beruhigt. Denn Veränderung mögen die Wähler nicht; es sei denn, der Überdruss ist mächtiger. Ist es 2021 wieder soweit?
Im CDU-Kernland Baden-Württemberg können sich die Wähler offenbar eine Regierung ohne CDU vorstellen. Amtsinhaber Kretschmann verkörpert christlich-bürgerliche Stabilität, die FDP bedient das Herzensthema Wirtschaft, eine gestutzte SPD lässt sich ertragen. In Kohls Heimat Rheinland-Pfalz wird die CDU ebenfalls nicht gebraucht. Langsam gewöhnt sich Deutschland an den Gedanken, dass eine Ampel auch im Bund zu überleben sei; Schröders Rotgrün hat das Land ja auch nicht umgebracht.
Nach 16 Jahren Merkel ist es wieder soweit. Ein ungewöhnlich seltenes Naturschauspiel namens „Wechselstimmung“ ergreift die Bundesrepublik. Ein Regieren ohne Angela Merkel, ohne Armin Laschet, womöglich gar ohne Union, die seit Gründung der Republik über 50 Jahre das Kanzleramt bewohnt hat, scheint denkbar. Das Land wünscht neues Personal, berechenbar, aber agiler als jene Truppe, deren Müdigkeit durch die Pandemie noch schmerzhafter zu spüren ist.
„Sie kennen mich“, sagte die Kanzlerin im letzten Wahlkampf. Was damals Kontinuität signalisierte, klingt heute wie eine Drohung. Nach der vierten Staffel „Die Protestantin“ ist der Überdruss größer als die Sehnsucht nach Beständigkeit. Wobei nicht ganz klar ist, ob das Land nur merkelmüde ist oder auch CDU-satt.
Die Parallelen zu den bleiernen Jahren von 1994 bis 1998 sind, Covid hin oder her, erschreckend: Damals wie heute kämpfte eine mitleiderregend uninspirierte Truppe vorwiegend mit sich selbst. Die Kanzlerin immerhin ist schlau genug, Kohls Fehler nicht zu wiederholen und in einem Unverzichtbarkeitswahn ein fünftes Mal anzutreten.
Und nun? Seit den beiden Landtagswahlen drängen sich für den Bundestag ein CDU/CSU-freies Koalitionsmodell auf - die Ampel. In dieser Dreierkonstellation wäre es möglich, mit etwa 20 Prozent der Stimmen das Kanzleramt zu erobern. Ein wirtschaftsaffiner Kraftprotz der Schröder-Klasse ist nicht in Sicht, dafür wäre die FDP wieder dabei. Aber ließe sich das Land auf eine mutmaßliche Kanzlerin Annalena Baerbock ein, falls die Grünen vor der SPD landen? Oder profitiert ausgerechnet Olaf Scholz von einer gemäßigten Wechselstimmung, die da lautet: Ampel meinetwegen, aber nicht auch noch grün geführt?
Die Alternative zur Ampel hieße Schwarzgrün unter, höchstwahrscheinlich, CDU-Chef Laschet, der das Kunststück fertig bringen muss, sich deutlich von Angela Merkel abzusetzen, gleichwohl Stabilität zu verheißen und eine innerlich disparate Union zusammenzuhalten.
Signalisiert der katholische Westmann Laschet nach einer protestantischen Ostfrau Veränderung genug? Brächte der grüne Koalitionspartner mit seinem unverbrauchtem Personal und einer bislang ungewöhnlich hohen Führungsprofessionalität genügend der magischen Energie namens „frischer Wind“? Geplant ist Schwarzgrün schon lange, viele der möglichen Koalitionäre kennen sich noch aus Bonner Tagen. In Baden-Württemberg und Hessen hat sich dieses Modell bewährt.
Feststeht: Die Abenteuerlust der deutschen Wähler hält sich in Grenzen, deswegen sollten Reizworte wie „Reform“ vorsichtig dosiert werden. Der alte Fuchs Schröder hat 1998, in der letzten Wechselstimmung, die Tonlage vorgegeben: „Wir wollen nicht alles anders machen, aber vieles besser“. Das ist genug Aufregung.
Der Hit der Woche
"Ich wollt' ich wär' immun" singen die Happy Disharmonists.
https://youtu.be/bqTgX_oBAhs (Öffnet in neuem Fenster)"Es schimpfte kein Gendarm, nähm ich Dich in den Arm" (Öffnet in neuem Fenster)
Der Kommentar der Woche
Für RadioEins (RBB) habe ich die Unsicherheiten um den Impfstoff von AstraZeneca kommentiert.
Emotionen gegen Mathematik (Öffnet in neuem Fenster)
Das Gedicht der Woche
Werner, pensionierter Sonderschullehrer und einer der vielen wunderbaren Zuhörer unseres Mutmach-Podcasts, schreibt jede Woche ein Gedicht, eine Geschichte oder was dazwischen. Seine Zugreise hat mir besonders gut gefallen.
Freitagsgedanken
Von Werner Bartholme
Melde mich aus dem „fahrenden Zug“.
Eingestiegen? - Ewig lang her.
Kommt mir vor wie schon ein Jahr („Wirklich schon wieder ein Jahr“ – Reinhard Mey).
Ankunft Wo? - IRGENWO!
Ankunft Wann? - IRGENDWANN!Aber er rollt, der Zug. Vollbesetzt. Alle drin. Keiner kann raus.
Da gibt es Vordrängler, überforderte Passagiere, diffuse Schaffner, Durchsagen vom Bordpersonal, Verantwortliche im Cockpit (oder wie heißt das bei einem Zug?). Und so viele Mitreisende, die es besser wissen!Zum Glück hatte ich vorab ein eigenes Abteil gebucht. Aber das Gedränge, die Enge, die Hilflosigkeit in den Großraumabteils lässt mich nicht kalt: Kinder, die es nicht mehr aushalten, die ihre Freunde suchen. Auf den Schößen Laptops, die nicht funktionieren (was für ein WLAN-Netz hier im Zug „Deutschland“!) Sie bräuchten Auslauf, Freunde, Natur. Überforderte Eltern, die fast nicht mehr können…Immer wieder kommen die Speisewagenbedienstete mit ihren Wägelchen: Kommen mir vor wie die Dealer früher in der Bahnhofstraße: Die Nachfrage, die den Preis regelt. Jetzt kosten die nötigen Dinge (zB Hygieneartikel) so viel. In welche Taschen wirtschaften die eigentlich? Wer zockt da alles mit ab? Die Wagenführer des C-Abteils wollen sich nun drum kümmern. Aber wer glaubt ihnen noch! Haben doch schon all die Zeit vorher nicht auf Transparenz geschaut und ihre Leute unter die Lupe genommen. („Philipp“ – wie komme ich grade auf diesen Namen? …Man ist sich ja seiner eigenen Sinne selbst nicht mehr sicher...)„Es fährt ein Zug nach nIRGENDWO!“ (Christian Anders)
Ich kann den Song aus dem Bordradio kaum mehr ertragen. Bitte spielt doch mal was anderes zB „Hinter`m Horzont geht`s weiter“ (Udo Lindenberg), „Und immer immer wieder geht die Sonne auf“ (Udo Jürgens), „Über 7 Brücken musst du geh`n“ (Karat), Siebenmeilenstiefel“ (Graham Bonney)….
Es gibt doch so viel Aufmunterndes im deutschen Schlager!Am Schlimmsten sind die Tunnels.
Rein - Raus. Oftmals endlos lang kommen sie mir vor. Und noch enervierender sind dann die Durchsagen vom „Licht am Ende des Tunnels“. O, je!Gut, Ich rege mich wieder ab. Sind schon zu viele Stänkerer und Miesmacher hier mit an Bord. Hilft ja alles nichts.Immer mehr kreisen deshalb meine fiebrigen Gedanken um das IRGENDWANN und das IRGENDWO:
Wie kommen wir da dann aus dem „fahrenden Zug“ raus? Wie kriegen wir wieder Ordnung und Ruhe rein? Schaffen wir es, die Gleise auf Vordermann zu bekommen, die Züge neu zu regeln? Notabteile einzubauen? Die Scheiben zum Wahrnehmen all des Schönen auf den Strecken zu putzen? Proviant für die Fahrt bereit zu halten? Bei Not zu teilen? Auch die anderen fahrenden Züge – in denen es noch viel dramatischer zugeht – nicht zu vergessen?Hör auf, dich verrückt zu machen!, verordne ich mir fiebrig.
Ich wünsche ein wunderbares Wochenende, viel frische Luft, wenig social media, dafür soziales Miteinander im Überfluß.
Herzlich,
Hajo Schumacher