Zum Hauptinhalt springen

Guten Tag, werte Lesende!

Entschuldigen liegt gerade im Trend. Deswegen bitte ich all jene um Verzeihung, die diesen Newsletter wider Willen bekommen haben. Ich dachte, dass frühere V.i.S.d.P.-AbonnentInnen vielleicht Spaß finden an einem innovativen Produkt aus der Esser/Schumacher-Hitschmiede. Falls nicht: Einfach zurückmailen mit dem Betreff "unsubscribe". Danke.

Gutgemeint, Aufregen, emotionale Restbestände – genau darum geht es diesmal. Mit dabei sind außer der Kanzlerin der wunderbare Ranga Yogeshwar, Professor Clemens Fuest (Münsteraner), die Frage, ob Geldgier in der DNA der Union verankert ist und der Mut, die letzte Phase der Pandemie einfach als das zu betrachten was sie ist – surreal.

So, und jetzt: Hoch die Wände, Wochenende. 

Ich wünsche viel Gelassenheit und wenig unsubscribe.
Hajo Schumacher

Der falsche Fehler der Woche

Ehrenhaft, dass die Kanzlerin einen Kniefall von Brandtscher Dimension hingelegt hat. Sie hat sich leider für die falschen Fehler entschuldigt. Die vergurkte Osterruhe bildete ja nur den vorläufigen Endpunkt eines zwölfmonatigen Fehlerdominos. Eine richtigere Entschuldigung hätte etwa so geklungen: „Wir waren vor einem Jahr zu selbstgewiss, weil wir damals die erste und bislang einzige Strategie erfolgreich umgesetzt hatten: flatten the curve. Alles dicht. Das können wir. Von da an haben wir mit unserer Selbstüber- und unterschätzung leider viel vermasselt. Eine App hätte Kontakte aufzeichnen, Impftermine und Ergebnisse von Selbsttests verwalten können. Wir können ja auch Abschaltvorrichtungen für Auspuffe. 

Es ist mir übrigens unangenehm, dass mein Kanzleramtsminister Helge Braun halböffentlich erklärt, die Menschen in Südostasien würden so eine Technik zuverlässig bedienen, wir Deutschen dagegen eher flunkern. Außerdem hätten wir eine Produktion für Masken und Schnelltests aufbauen sollen; Promilletests gibt’s auch an jeder Tanke. Schließlich könnten wir den Menschen mehr zutrauen, zum Beispiel unseren Physiklehrern, die mit ihren Schülern Lüftungsanlagen bauen, die nicht das Stromnetz zerfetzen. Eine Anleitung hat das Max-Planck-Institut vor zehn Monaten veröffentlicht, mit Teilen für 200 Euro aus dem Baumarkt. Zudem ist mir peinlich, dass unsere legendäre Kultusministerkonferenz keine nennenswerten Konzepte für Unterricht in der Pandemie geleistet hat - wenn man den Saftladen einmal braucht. Vielleicht besser so, sonst hätten wir Lehrerinnen und Kita-Kräfte vorneweg impfen müssen. Das wäre bestimmt schief gegangen.

Ich gelobe: Bei der nächsten Pandemie werden wir Pläne in den Schubladen haben wie Singapur, wir werden wie die Chilenen überall Impfstoff bestellen statt hochnäsig über russische oder chinesische Vakzine zu grinsen. Und wir werden komplexere Aufgaben an Fachleute delegieren anstatt alles selbst zu machen. Hat schon beim BER nicht geklappt. Immerhin wissen wir jetzt, wo wir stehen, nicht nur fußballerisch: im Mittelmaß.“

Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost

Die Doppelkolumne der Woche

Gibt so Phasen, wenn die Geschehnisse das Tipptempo überholen. Am Dienstag hatte ich mich in meiner Kolumne "Politik auf der Couch" der Frage gewidmet, ob die Korruptionsfälle der Union eine unglückliche Ballung von Zufällen darstellen oder ein Systemproblem. Dann die Entschuldigung der Kanzlerin, historisch oder nicht. Also noch eine Kolumne. Eigentlich wollte ich über das Wahlprogramm der Grünen spotten. Rationales Schreiben ist schon schwer genug, rationelles ist mir fast nie gelungen. Deswegen hier, kommentarlos hintereinander weg, die beiden unredigierten Manuskripte. 

Sturm aufs Kapital

Tauchen derzeit im Bundestag nur zufällig einige blöde Fälle von Nebengeschäften auf? Oder hat das Bescheidenheits-Regime der Kanzlerin eine systemische Geldoffenheit der CDU überdeckt? Über die wahren Werte der Union.

Ging der CDU-Nachwuchs einst auf seine gesponserte Lustreisen, musste einer aus der Truppe stets Spott ertragen. Der Christian, lästerten die jungen Herren, der habe nur schäbige Sakkos. Eindruck machen in den feinen Hotels der Welt, das war den Mitgliedern des Andenpakts wichtig. Der Christian, Nachname Wulff, wurde später Ministerpräsident und Staatsoberhaupt.

Manche Andenpaktierer haben die Politik lukrativer genutzt: Elmar Brok als Verlags-Lobbyist und EU-Abgeordneter, Matthias Wissmann als Bundesminister und Automobil-Lobbyist, Kurt Laik als langjähriger Boss des CDU-Wirtschaftsrats und Roland Koch, erst Ministerpräsident, dann glückloser CEO von Bilfinger&Berger. Später nahm der Klub Friederich Merz auf, einst Unions-Fraktionschef, dann Blackrock-Repräsentant, und Reinhard Göhner, vom Staatssekretär zum Arbeitgeberpräsident. 2018 kam Armin Laschet hinzu, von dem nicht ganz klar ist, ob er der katholischen Soziallehre oder dem Wirtschaftsflügel näher steht. Geld war der zentrale Wert dieser machtvollen Runde; „Wirtschaftskompetenz“ bedeutete immer auch: Kasse machen. Und die Parlamente waren der Eingang zur Kasse. Roland Koch erklärte einst spöttisch, dass Politik „selbstgewählte relative Armut“ bedeute. Noch deutlicher wurde CSU-Maskenprofiteur Alfred Sauter, der seinen Sitz im Landtag als Nebentätigkeit bezeichnete.

Der wohlstandsaffine Andenpakt war Spaßtruppe und parteiinterne Supermacht zugleich: 2002 verhinderte der Clan die Kanzlerinnenkandidatur Angela Merkels. Eine protestantische Ostfrau, die wäre noch zu ertragen gewesen. Aber sie war kulturell anders, so gar nicht geldfixiert, sie fand Wissenschaft spannender als Wirtschaft, fuhr Golf statt S-Klasse, zog einfachen Riesling dem roten Protzstoff vor. Merkels Bescheidenheits-Regime legte sich ab 2005 wie ein gigantisches Feigenblatt über die Partei. Was brodelte darunter? Nur dumme Zufälle, die gerade ans Licht kommen? Oder gehört die Geldoffenheit zur DNA der CDU?

Die Nähe zur Wirtschaft ist seit jeher Merkmal der Union. Sucht ein mittelständischer Unternehmer Gleichgesinnte und Kontakte, dann wird er kaum bei Grüns oder SPD anklopfen, die FDP ist nicht überall präsent. Das ist auch gar nicht schlimm. Politik braucht Kontakt in alle Kreise. Die Nähe zu Unternehmen oder Diktatoren bedeutet für Politiker allerdings einen permanenten Charaktertest. Was Doping für den Spitzensportler ist Geld für den Volksvertreter: Verlockung, leicht zu haben, gut zu verschleiern. Feuert der Finanzminister auch noch die Corona-Bazooka ab, klingt das wie der Startschuss zum Raubzug. Wer kennt Maskenmenschen, Logistiker, Banker in Liechtenstein? So offen steht der große Honigtopf nur einmal im Leben.

Dagegen kennt die Demokratie ein starkes Mittel: Transparenz. Die Abgeordneten der Union haben jegliche Versuche torpediert, Nebeneinkünfte offen zu legen. Sonst hätte sich Jens Spahn vielleicht überlegt, ob er sich als Obmann im Gesundheitsausschuss an einer Lobbybude für die Pharmabranche beteiligt, als Finanzstaatssekretär an einem Steuer-Startup und als Pandemie-Minister an stark riechenden Vergaben ohne Ausschreibung, ob er mit einem Spendendinner haarscharf unter der Meldepflicht geblieben wäre und den Preis einer 4-Millionen-Villa zu verschleiern versucht hätte. Jeder Vorgang für sich mag erklärbar sein, aber die Ballung weckt Misstrauen. Transparenz hätte geholfen.

Es gehört zu den großen Paradoxien in der Geschichte der CDU, dass ausgerechnet Christian Wulff aus dem Präsidialamt gejagt wurde. Von 21 Verdachtsfällen damals, Codewort „Bobbycar“, blieb ein Freispruch übrig. Als einer der wenigen Andenpaktierer hat Wulff keinen lukrativen Lobbyjob, er arbeitet als Rechtsanwalt, sitzt der Deutschlandstiftung Integration vor und ist Präsident des Deutschen Chorverbandes. Kurz: Wulff führt offenbar ein anständiges Leben, wie vermutlich viele CDU-Mitglieder. Die gibt´s es ja auch noch.

Die Kanzlerin, die nichts spürte

Sie führe naturwissenschaftlich, hieß es über Angela Merkels Regierungsstil. Genau das ist in der Pandemie das Problem, wenn Agieren verlangt ist und nicht Reagieren.

Faszinierend, wie ein Auftritt zugleich Größe und Zwergenhaftigkeit signalisieren kann. Natürlich zeugt es von Format, wenn die Bundeskanzlerin eingesteht, dass das Osterchaos „einzig und allein mein Fehler“ war. Es gibt Regierungschefs, die noch den größten Bockmist anderen in die Schuhe schieben. Insofern: Chapeau, Frau Merkel. Auf der anderen Seite geht es nicht um einen einzelnen dummen Fehler, sondern um eine Kette von Fehlleistungen, die aus einer zwölf Monaten währenden Führungsschwäche resultieren. In der Pandemie sind Instinkt und Risikobereitschaft gefragt, ausgerechnet die beiden Eigenschaften, für die Angela Merkel nicht bekannt ist.

Das Problem ist das reaktive Entscheiden der Kanzlerin, ihr oft gelobter nahezu naturwissenschaftlicher Führungsstil, geprägt von Zuwarten und Abwägen. Die promovierte Physikerin Merkel hat in zahllosen Experimenten eine Methode entwickelt, die sie durch fast vier Legislaturperioden getragen hat. Diese Methode ging so: Erst, wenn eine Mehrheit im Volk demoskopisch zu messen war, hat sie entschieden, dann, wenn das Volk soweit war, quasi nachlaufend. Ehe für alle, Fukushima, Rente – es war nie das Parteiprogramm die Richtschnur, sondern die Umfragen, selbst in der Finanzkrise. Was damals nach Chaos aussah, war in Wirklichkeit übersichtlich. Die Menschen sorgten sich um ihre Spareinlagen, die Märkte um den Domino-Effekt, sollte eine marode Bank alle anderen mit in den Abgrund reißen. Also: Bazooka für die Banken, auch wenn verrottete Institute am Leben gehalten werden. Plus: Garantie für die Spareinlagen. Damit war die Spitze der Krise gebrochen, der Rest war Reparieren.

Eine Pandemie dagegen braucht Entscheidungen, die sich mit Demoskopie nicht absichern lassen. Was wollen die Menschen? Keine Infektion, keine Beatmung, keine italienischen Verhältnisse. Okay. Aber können Umfragen eine oftmals flatterhafte Stimmung im Volk fassen, die zwischen Hildmann, Homeoffice und Urlaubsreife hin und her wackelt? Entsprechend peinlich verlief eine um die andere Ministerpräsidentenkonferenz, in denen bei Duplo satt Beherbergungsverbote und Malle-Sausen diskutiert wurden. Es wurde kollektiv nachlaufend reagiert oder: das Führen verweigert. Kein Instinkt, kein Gespür, kein Mut, über den Tag hinaus zu denken. Liegt noch keine Umfrage vor.

Ausgerechnet der Hasardeur Boris Johnson hat vor einem Jahr gezeigt, was Agieren in einer Pandemie bedeuten kann. Womöglich sogar auf dem Wege des Nachdenkens erkannte der britische Premier, wegen der vielen Toten massiv unter Druck, dass nur flächendeckendes Impfen aus der Pandemie führt. Was braucht man dafür? Impfstoff, Strategie, Geld, Freiheit, Kontakte, aber auf keinen Fall viel Verwaltung. Also lagerte Johnson das Impfen aus an eine Frau, die eine wichtige Ressource mitbrachte: Kompetenz. Freie Hand und freies Geld bekam sie obenauf. Diese Entscheidung war nie demoskopisch abgesichert. Aber sie war richtig, gefällt mit erstens Nachdenken und zweitens Instinkt. Man nennt es Agieren. Oder Führen. Von vorn. Nicht nachlaufend. Solche Entscheidungen sind mutig, weil der Anführer ins Risiko geht. Kein Handlungsstil für den Alltag, sondern für vielleicht nur ein Prozent aller Entscheidungen, leider oft die wichtigen.

Impfstoff, Pandemie-Unterricht, Schutz der Risikogruppen, die beste Corona-App der Welt – es hätte so viele Bereiche gegeben, in denen Risiko, Ausprobieren, Freude am Neuland gefragt gewesen wäre. Warum nicht den Wirtschaftsexperten Friedrich Merz zum obersten Maskenbeschaffer der Nation ernennen? Merz ist international verdrahtet, platzt vor Energie, kann mit Geld umgehen. Stattdessen ersäuft ein überfordertes Ministerium erst in Hunderten von Anträgen und dann in einem Haufen überbezahlten Schutzschrotts.

Die gute Nachricht: Diese Regierung wird abgelöst. Die schlechte Nachricht: Erst in fünf Monaten. 

Tweet der Woche

https://twitter.com/hajoschumacher/status/1374666496266362886 (Öffnet in neuem Fenster)

Der Anlagetipp der Woche

Ich fand Professor Sinn immer ein wenig anstrengend. Clemens Fuest, Sinns Nachfolger als Chef des Ifo-Instituts, ist mir deutlich näher in seiner erdig-westfälischen Art. Für das London Speaker Bureau, Deutschlands beste Agentur für Vortragskünstler, habe ich mit Fuest über die ökonomischen Aspekte der Pandemie gesprochen, seine Sympathie für No-Covid, sein Nein, falls die nächste Kanzlerin ihn bittet, Sherpa im Kanzleramt zu werden und ihm sogar Anlagetipps entlockt. Geld haben wir ja alle in Mengen gerade.

https://youtu.be/04ygKSUntq8 (Öffnet in neuem Fenster)

Die Wutmüdigkeit der Woche

Für meinen Haussender Radioeins habe ich dafür plädiert, dass sich jede/r von uns um Klimaschutz kümmert, vor allem um den Schutz des gesellschaftlichen Klimas. Inzwischen haben wir alle kapiert, dass die Politik die Kontrolle verloren hat. Wir können jetzt rumzetern oder uns einfach um uns selbst kümmern. Und zwar möglichst freundlich bitte.

Über Wutmüdigkeit und die Kraft der Gelassenheit (Öffnet in neuem Fenster)

Das Foto der Woche

Dieses Graffiti begegnete mir auf einem meiner Ausläufe im Grunewald. Um welchen Code handelt es sich? QAnon jetzt auch bei Wildschweinen?  Rätselhaft jedenfalls. Deswegen gefiel's mir.

Die Einsichten der Woche

Mein Berufswunsch lautete schon als Knirps: Universalgelehrter. Hat leider nicht geklappt. Zum Glück gibt es Ranga Yogeshwar, auch in der Pandemie ein sehr gefragter Gesprächspartner von Politikern, CEO's und TalkmasterInnen. Ranga kann auf vielen Gebieten mitreden, nicht nur in seiner Kerndisziplin  Physik. In unserem Mutmach-Podcast "Wir" erklärt Ranga Yogeshwar, was wir von Chile lernen können, warum viel zu viel Preußen durch Berlin weht und weshalb unsere Kinder ein disfunktionales auf Hierarchie und Mißtrauen gebautes Gesellschaftssystem im Rekordtempo umkrempeln werden.

WIR - der Mutmach-Podcast der Berliner Morgenpost mit Ranga Yogeshwar (Öffnet in neuem Fenster)

Prallvolle Woche. Müde Schreibkraft. Deswegen eine kleine Osterpause. Die Woche drauf geht's weiter.

Herzlich,   
Hajo Schumacher

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Schumachers Woche und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden