Ernst Engelbrecht - Einbrecher (1924)
Berlin-Wedding, 1931. Kösliner Straße.- Polizisten mit Hund bei der Kontrolle eines Passanten. Bundesarchiv, Bild 183-H29544 / Unknown author / CC-BY-SA 3.0
Polizeiberichte haben eine ganz eigene Sprache - und wie dieser Bericht aus dem Berlin der 20er zeigt, gibt es diese schon eine ganze Weile. Der Polizist als pflichtbewusster Hüter des Gesetzes beschreibt in klaren, präzisen Worten, die dann irgendwie zur Fachsprache werden, seine Abenteuer im Kampf gegen das Verbrechen. Der Abenteuerbericht als bürokratisches Protokoll, aber mit dem Stolz der erfolgreichen Tat. Die nüchtern sachliche Wikipedia-Zusammenfassung der Handlung des Actionfilmes.
Der Text stammt aus einem gemeinsamen Buch des Berliner Kriminalkommissars Ernst Engelbrecht und des Journalisten Leo Hellers aus dem Jahr 1924. Dieses war lange vergriffen - selbst antiquarisch war es nicht greifbar und ich habe es auf etwas nerdige Art und Weise besorgen müssen (Öffnet in neuem Fenster). Mittlerweile gibt es zum Glück eine Neuauflage (Öffnet in neuem Fenster).
Es ist Nacht, die Uhr der Zionskirche hat gerade die zweite Stunde verkündet. Ein feiner Schnee rieselt herab und bedeckt Häuser und Straßen mit einer leichten weißen Decke. Einsam und still liegt die Brunnenstraße, sonst, bei Tag, von Tausenden spielender und lärmender Kinder bevölkert. Aus der Ferne hört man das Rollen der letzten Stadtbahnzüge, und nur wenige Passanten durcheilen die Straße, sich frierend und fröstelnd in ihre meist zu dünnen Kleider verkriechend.
Plötzlich ein scharfknackendes Geräusch, welches den einsamen Mann, der die Brunnenstraße heraufkommt, zusammenfahren läßt. Er hemmt seine Schritte und horcht, aber wieder ist alles stille wie zuvor. Dennoch geht er nicht weiter, sondern tritt in einen Torweg und läßt seine Augen die Straße weiter herauf schweifen. Doch nichts ist mehr zu hören, und schon will er seine Beobachtungen aufgeben und weitergehen, als er aus dem Kellereingang des benachbarten Hauses ein Gesicht ihm entgegen "spannen" sieht. Nun ist ihm alles klar, sein Ohr hat ihn nicht getäuscht, und er weiß, daß das Geräusch, welches ihn zur Beobachtung veranlaßte, vom scharfen Aufbrechen einer Tür kam. Jetzt weiß er, daß Einbrecher am Werke sind, und daß das Gesicht, welches aufmerksam vom Kellereingang "herspannte", der Einbrecher ist oder einer von ihnen. Er überlegt. Ein Zufall hat ihm, dem Kriminalwachtmeister B., auf seinem Heimweg die Einbrecher zugeführt, und er will sie überraschen und festnehmen. er weiß, daß ihm keine Hilfe werden kann, menschenleer liegt jetzt die Straße vor ihm. In wenigen Sekunden ist seine Dienstpistole schußfertig, und vorsichtig tastet er sich am Hause entlang zum Kellereingang. Als er um die Ecke in den Eingang hinunterspäht, vernimmt er dumpfe Schläge und flüsternde Stimmen, welche ihm beweisen, daß er es zumindest mit zwei Einbrechern zu tun hat. Ein Kriminalbeamter kennt aber keine Furcht, und die Pflicht erheischt von ihm, den Zufall zu nutzen und die Einbrecher festzunehmen. Diese sind scheinbar wieder sorglos an der Arbeit, sie fühlen sich so sicher, daß der Aufpasser, welcher vorher aus der Tür "spannte" , sich wieder in den Keller hineinbegeben hat. Der Beamte lächelt still vor sich hin. Womöglich hat er gerade die gefährlichen Einbrecher vor sich, welche vom Keller oder Hausflur aus die Wände durchbrechen, um in die Geschäfte oder Wohnungen zu gelangen. Bisher war es noch nicht gelungen, diese Einbrecher zu überraschen und festzunehmen. Ihm war vielleicht das Glück hold, er konnte beweisen, daß er ein ganzer Kerl und tüchtiger Beamter war. Aber was tun? Allein, ohne Hilfe in den Keller gehen, wäre wahnwitzig und Hilfe ist nirgends zu finden. Hilfe schnell herbeiholen, ist auch nicht möglich, denn er kann nun nicht weichen, er muß dieser Bande auf den Fersen bleiben. Plötzlich unten schlürfende Schritte. So schnell er sich auch ducken und an die Hauswand pressen konnte, der Einbrecher im Keller hat ihn gesehen und ist blitzschnell zurückgewichen. Sofort hört auch das Geräusch im Keller auf. Der Kriminalbeamte hat jetzt keine Wahl mehr und "hier Kriminalpolizei, Hände hoch, herauskommen!" ruft er in den Keller. Unten lautlose Stille. Noch einmal wiederholt der Beamte die Aufforderung. Und wieder ist es zunächst ruhig. Aber schon einige Sekunden später drängen zwei, drei, vier Männer aus dem Keller heraus, die beiden vordersten ihre Pistolen schußfertig in der Hand. Jetzt heißt's schnell handeln, und ein Schuß aus der Pistole des Beamten sagt den Einbrechern, daß vor ihnen ein Mann steht, der entschlossen ist, es auch mit vieren aufzunehmen. Der vorderste Einbrecher erwidert das Feuer und dringt sofort auf den Beamten ein, während die übrigen drei eilends das Weite suchen. Drei, vier Schuß auf beiden Seiten verfehlen ihr Ziel. Da fühlt der Kriminalbeamte einen Schlag unterhalb der Brust und gleich darauf einen heftigen Schmerz, der ihn seine Verwundung ahnen läßt. Trotzdem verfolgt er die fliehenden Verbrecher und gibt noch weitere zwei Schüsse auf sie ab. Er glaubt einen getroffen, er glaubt einen Aufschrei vernommen zu haben. Dann verläßt ihn die Kraft, und besinnungslos bricht er zusammen.
Die Schüsse haben die Nachbarschaft alarmiert, eine Droschke bringt den bewußtlosen Kriminalbeamten zur Unfallstelle, wo der Arzt mehrfache Darmverletzungen durch Unterleibsschuß und einen Knieschuß feststellt. Eine Morphiumspritze und dann sofort weiter zur Universitätsklinik. Hier schütteln die Ärzte des Nachtdienstes bedenklich den Kopf, benachrichtigen aber sofort ihren Chefarzt. Und dieser alte Herr säumt nicht, sondern eilt hilfsbereit um 3 Uhr nachts zur Klinik, um, wenn möglich, ein Menschenleben zu retten. Nur eine sofortige Operation kann helfen und er zögert nicht.
Inzwischen wird durch den Kriminalkommissar des Nachtdienstes die Mordkommission benachrichtigt, welche ihre Feststellungen sofort aufnimmt. Am Tatort ist nur festzustellen, daß die Einbrecher versucht haben, von dem Keller, einem Kohlenkeller, aus, die Decke zum darüberliegenden Goldwarenladen zu durchbrechen. Nichts haben die Verbrecher zurückgelassen, kein Fingerabdruck, keine Spur kann hier zu ihrer Ermittlung führen. Durch den Kriminalkommissar des Mordbereitschaftsdienstes werden alle weiteren Ermittelungen in die Wege geleitet, Zeugen festgestellt und verhört. Es wird die übliche Bekanntmachung aufgesetzt, und schon in den frühen Abendstunden fordern die roten Plakate an den Litfaßsäulen Berlins das Publikum auf, die Bluttat betreffende Beobachtungen der Mordkommission mitzuteilen.
Und es kommt einer, der etwas wissen will. Er ist selbst Verbrecher, ein alter Straßenräuber, und weiß nichts Genaues. Ihn lockt nur die ausgesetzte Belohnung. Er erzählt, daß er in der letzten Nacht, in der Nacht nach der Bluttat, in der Eberswalder Straße einen Wagen gesehen habe, der in scharfem Trabe an ihm vorbei in die Danziger Straße eingebogen sei. In dem Wagen habe ein Mann gelegen, der leise gewimmert und geschrien habe. Der Wagen habe vorher vor den Häusern der Nummern ...... der Eberswalder Straße gehalten, und eine auffallend korpulente Frau habe dann aus dem Hausflur des Hauses Nr .. derselben Straße dem Wagen nachgeschaut. Das ist alles, was der Mann weiß, und weiter unterstützt keine andere Mitteilung die Polizei.
Der Mordbereitschaftsdienst setzt aber sofort an. Es gelingt zunächst, zu ermitteln, daß in dem angegebenen Hause tatsächlich eine auffallend dicke Frau wohnt und daß diese Frau schon längere Zeit im Verdacht steht, Beziehungen zu Verbrechern zu unterhalten. Dem Kriminalkommissar, dem Leiter des Mordbereitschaftsdienstes, genügt das, er greift zu. Auf zweimaliges Klopfen öffnet ein Kind, Mutter sei oben im Vorderhause und pflege dort ein diphtheriekrankes Kind. Also weiter ins Vorderhau. Die "Dicke" öffnet selbst. "Wir sind Kriminalbeamte, Sie wissen ja, weshalb wir kommen", sagt der Kriminalkommissar, "sagen Sie nur hübsch die Wahrheit, dann ist's für Sie besser. Wenn Sie die ganze Wahrheit gesagt haben, können Sie vielleicht hierbleiben. Aber hüten sie sich, uns etwas vorzumachen, wir sind schon gut unterrichtet. Nun erzählen Sie!" Leichenblaß wird die Frau. "Um Gottes willen, ich will ja alles sagen, nur schonen Sie meinen Mann! Der ist Vorsitzender der ... Vereinigung, und den würde der Schlag treffen."
Nach einer viertelstündigen Vernehmung der Frau sind die Beamten im Bilde, sie wissen, daß der angeschossene Einbrecher der Arbeiter Z. ist, welcher die letzte Nacht zu einem seiner Komplizen in Sicherheit gebracht und nach der Schliemannstraße transportiert wurde. "Ich weiß aber nicht, wo das Haus ist, ich weiß nicht, ob ich's wiedererkenne, ich war nur einmal dort, um was abzugeben", jammerte die Frau.
Die Frau weint und schreit "ich habe solche Angst und sehen Sie sich vor, Herr Kommissar, die drei anderen haben alle Pistolen im Bett und haben geschworen, daß sie sich nicht festnehmen lassen, sondern jeden Polizeibeamten niederschießen werden". Auf dem Wege zur Schliemannstraße erinnert sich die Frau, daß an der Tür der Wohnung ein Name wie etwa "Wohlmuth" gestanden habe. In der Straße selbst bezeichnet sie drei Häuser, genau könne sie es nicht sagen. In diesen drei Häusern werden nun sofort Ermittelungen angestellt, und kaum zehn Minuten später können die Kriminalbeamten Dräger, Bauer und Martini feststellen, daß im fünften Stock des Hauses Nr ... eine Familie Wollmüller wohnt, und daß dort jemand krank zu sein scheine, denn sie hätten vor einer Viertelstunde nach der Adresse eines Arztes gefragt und diesen bestellen lassen.
Zehn Minuten später stehen die Kriminalbeamten, der Kommissar mit seinen vier Getreuen, vor der Tür, deren Schild ihnen "Wollmüller" entgegengrinst. "Hier hilft nur Frechheit", sagt der Kommissar und beauftragt die vier Beamten, vor der Tür zu warten und erst auf sein Rufen zu folgen. Der Kommissar selbst schiebt sich eine Hornbrille auf die Nase und steckt die gespannte und entsicherte Pistole in die Manteltasche. Mit der Linken öffnet er die Tür, welche in die Küche führt. Die Tür ist unverschlossen, vom einzigen Bett aus schreckt ein Bursche empor, dessen Hand versteckt unter das Kopfkissen greift. "Ich bin der Arzt, wo ist der Kranke?" fragte ruhig der Kommissar. Die Spannung im Gesicht des Mannes löst sich, er steigt aus dem Bette und öffnet die Stubentür. "Der Arzt!" ruft er in das Zimmer und geht dem Kommissar voran. Ein widerlich süßer Geruch nach Jodoform strömt dem Kommissar entgegen. Im Zimmer selbst drei Betten. Während in zwei Betten die lauernden Augen der Verbrecher dem Kommissar entgegenstarren, liegt im dritten Bett ein wachsbleicher Mann, der wimmert und stöhnt: "Ach, Herr Doktor, helfen sie mir, ich habe solche Schmerzen, mich hat jemand in den Rücken geschossen!"
"Lassen Sie mal sehen", antwortete der vermeintliche Doktor, und dann zu den drei anderen, "Los, helft mir mal, hebt mal Euern Freund hoch!" Alle drei zeigen sich willfährig und greifen hilfsbereit zu. Sie fassen ihren Genossen und heben ihn hoch. Der "Doktor" geht scheinbar interessiert auf die andere Seite des Bettes zwischen die drei Genossen und ihre Betten, in welchen sie ihre Pistolen verborgen haben, reißt dann plötzlich seine Pistole aus der Tasche und donnert den drehen "Kriminalpolizei, Hände hoch!" entgegen. Die übertölpelten Verbrecher lassen den Verwundeten fallen und machen Miene, sich auf den Kommissar zu stürzen, als auch schon die anderen vier Kriminalbeamten hereindringen und schnell alle Verbrecher überwältigen. Die drei werden gefesselt und mit dem Verwundeten nach dem Polizeipräsidium gebracht. In allen vier Betten finden die Beamten, unter dem Kopfpolster versteckt, geladene Pistolen. Eine weitere Durchsuchung fördert große Mengen Schokolade, Stoffe, Seide, Schuhe und Lebensmittel hervor, zu deren Verladung ein besonderes Fuhrwerk erforderlich ist.
Eine Stunde später können die Festgenommenen in der Klinik dem noch hoffnungslos daniederliegenden Kriminalbeamten gegenübergestellt werden. Dieser erkennt alle drei mit Sicherheit wieder, insbesondere den größten von ihnen mit seinem kurzen hellen Raglanmantel.
Während der verwundete Einbrecher sofort dem Lazarett des Untersuchungsgefängnisses überwiesen wird, folgen nun auf dem Polizeipräsidium die Vernehmungen der anderen drei Verbrecher. Sie können nicht lange leugnen und müssen zugeben, den versuchten Einbruch in das Goldwarengeschäft begangen zu haben. Alles Andere bestreiten sie zunächst, müssen aber dann auf die Ermittelungen und Feststellungen der Kriminalpolizei hin noch weitere 16 Einbrüche gestehen. Auch ihre Hehler und noch weitere drei Komplizen können ermittelt und festgenommen werden. Die aus sieben Köpfen bestehende Einbrecherbande war als "Schrecken des Nordens" bekannt und gefürchtet. Ihre Spezialität bestand darin, daß sie in den meisten Fällen die Mauerwände und dann Keller, Flur oder vom höheren Stockwerk aus den Fußboden, Wände oder Decke durchbrach. 16 Einbrüche gaben sie zu. Wieviel Einbrüche mögen wohl sonst noch auf das Konto dieser Einbrecher-Kolonne zu setzen sein!
Die Einbrecher sind in Haft und harren ihrer Aburteilung. Der pflichttreue Kriminalbeamte ist dauerndem Siechtum verfallen, er ist ein Opfer seines Berufes geworden, wie so viele vor ihm.