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Konflikt und Chaos

KI-Prompt: Straßenszene in Berlin mit einem großen Graben in der Mitte der Fahrbahn

Geschichte zu studieren bedeutet, sich früh mit sehr unangenehmen Menschen auseinandersetzen zu müssen. Meine Theorie dazu: Ein Fach, in dem die höchste berufliche Aussicht eine Professur ist, führt dazu, dass genau die es nach oben schaffen, die sehr genau wissen gegen wen sie spitze Ellenbogen einzusetzen haben und wem sie den akademischen Honig ums Berufungskommissionsmaul zu schmieren haben. Wer dann am Ende auf einer regulären Professur landet, erlebt das erste Mal in seinem wissenschaftlichen Leben irgendeine Form von Freiheit – im Sinne eines unbefristeten Arbeitsvertrages und einem überaus auskömmlichen Gehalt. Nach oft über 20 Jahren im universitären System schaffen es nur sehr charakterstarke Personen, da nicht ein wenig durchzudrehen.

Und damit kommen wir zu Götz Aly, der sich, folgt man der Anglistin Susan Arndt (Professur in Bayreuth), kräftig daneben benommen hat (Öffnet in neuem Fenster). Es ging um die Umbenennung (ich schreibe sie hier einmal aus, danach wird ohnehin nicht mehr davon die Rede sein) Berliner Mohrenstraße, gegen die Aly publizistisch und dann auch juristisch vorgegangen und vor dem Berliner Verwaltungsgericht unterlegen war. Arndt hingegen befürwortet die Umbenennung (und möchte den Begriff nicht reproduzieren, weshalb sie vom „M-Wort“ spricht), und offenbar fand die ZEIT das so spannend, dass sie ein Streitgespräch/Doppel-Interview vorschlug – das dann Arndt zufolge scheiterte, weil Aly sich schlecht benahm und die ZEIT-Journalisten ihn nicht bremsten.

Ich formuliere das mal vorsichtig: Menschen, die sich schon ein paar Jahre im Bereich der Zeitgeschichte bewegen, dürften von dieser Schilderung nicht außerordentlich überrascht sein. Es gehört zur Initiation in unser Fachgebiet, irgendwann Geschichten über Götz Alys Kommunikations- und Verhandlungsstil zu hören, über deren Wahrheitsgehalt wir im jeweiligen Einzelfall natürlich keinen Beweis führen können. Gleichzeitig schwingt auch immer eine Hochachtung über sein wissenschaftliches Arbeiten mit, das aber, trotz Habilitation am Otto-Suhr-Institut, nie mit einer Professur belohnt wurde: Aly kann das mit den Ellenbogen, aber nicht das mit dem Honig.

Keiner der Beteiligten bekleckert sich in dieser Angelegenheit mit Ruhm. Nehmen wir an dass die Situation so war wie geschildert gilt das natürlich zuvorderst für Götz Aly, der Meinungsverschiedenheiten allzu oft als persönliche Beleidigung wahrzunehmen scheint, es gilt aber auch für Susan Arndt, die sich in ihrer Kolumne in einen völlig schiefen Vergleich zwischen antirassistischer Arbeit und veganer Ernährung verrennt, der völlig verkennt, dass es vielleicht sogar legitime Argumente für eine Beibehaltung des alten Straßennamens geben kann. Ebenso fehlt in ihrer Schilderung das nicht unwichtige Detail, dass sie mit Aly schon zuvor in einem Konflikt stand: 2009 saßen sie sich inhaltlich gegenüber in der Diskussion um die Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (Öffnet in neuem Fenster)“. Kernelement damals waren unterschiedliche Erwartungen: Die Ausstellungsmacher:innen (und eine weite Öffentlichkeit) erwarteten eine Ausstellung, die dieses bis dahin wenig bekannte Thema in großer Breite erläutern würden, die als Räumlichkeit geplante „Werkstatt der Kulturen“ und große Teil der antirassistischen Bildungsarbeitsszene in Berlin aber eine Ausstellung über die vergessenen Opfer des Zweiten Weltkriegs in (ehemaligen) Kolonien. Konkret wurde der Konflikt dann durch das geplante Abhängen von Plakaten, die die Kollaboration von Arabern mit den Nationalsozialisten thematisierten. Götz Aly empfand das als „antiaufklärerisch“ und als „Übermaß von Gesinnungsethik“, Susan Arndt hingegen wertete die Plakate als Versuch, deutsche Schuld zu relativieren (Öffnet in neuem Fenster). Woraufhin, da sind wir wieder bei den Ellenbogen, Aly aus der Haut fuhr und behauptete, dass zum Ende des Weltkriegs „jedes Dorf in Südwestdeutschland von Vergewaltigungen durch schwarze Soldaten“ berichten könne, was natürlich und unzweifelhaft unwahr, ahistorisch und rassistisch ist. Da gibt es meines Erachtens keinen Interpretationsspielraum.

Bleibt die Frage, warum Arndt es fünfzehn Jahre später hat drauf ankommen lassen, dieses Gespräch zu führen. Bei Focus Online schreibt sie, das klinge „nach einer Diskussion, die geführt werden muss“ – dabei ist die ja schon lange geführt, alle Argumente sind ausgetauscht, und es gibt einen juristischen Beschluss. Vielleicht lag hier der Grundfehler: Bei der Annahme, dass der Austausch von Argumenten in dieser Angelegenheit noch zu einer Verständigung führen könnte, wo aber faktisch die publizistischen Fronten so verhärtet sind, dass sich ohnehin nichts mehr bewegt.

Womit wir bei der ZEIT wären, die sich nun seit Jahren im Dogma des erleuchteten Zentrismus suhlt und vollkommen unironisch glaubt, wenn man nur allen gleichermaßen zuhören würde, würde das bessere Argument gewinnen. So eine Haltung, die sich aus der völligen Abwesenheit von Haltung speist, kann aber letztlich nur dazu führen, dass derjenige Gesprächspartner „gewinnt“, der die größte Lust an der Eskalation hat. Arndt scheint das nicht gewesen zu sein, und jetzt haben wir den Salat – was sich übrigens auch in der Kommentarspalte ablesen lässt, denn mit postkolonialen Standpunkten werden Focus-Online-Leser:innen (naja: Leser) sonst höchstens als nacherzähltes Zerrbild konfrontiert. Eine Bereitschaft, sich auf Arndts Argumente zumindest einzulassen (sie zu übernehmen verlangt ja niemand) ist auch dort nicht zu spüren. Also haben wir nun einen Streit gehabt, und am Ende hat sich nichts bewegt. Nicht besonders hoffnungsstiftend.

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