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Redensarten Nr. 11 - Wenn der Schneider Radau macht

Liebe Redensarten-Freundinnen und Freunde,

willkommen zu meinem elften Newsletter.

Heute geht es wieder um ein paar umgangssprachliche Ausdrücke und Redensarten, die sehr häufig verwendet werden. Kaum jemand weiß allerdings, woher sie stammen, und da kommt oft Erstaunliches zum Vorschein.

Beginnen möchte ich mit einem Ausdruck, den ich kürzlich neu recherchiert habe: "Radau (Öffnet in neuem Fenster)" in der Bedeutung "Lärm, Geschrei". Oft ist der Begriff eher abwertend gemeint, und man bringt damit seinen Unwillen und Genervtsein zum Ausdruck. Z. B. kann man sagen: "Die Kinder machen heute wieder ganz schön Radau!" Das Wort wird aber auch verwendet, um lautstarken Protest zu bezeichnen oder wenn jemand oder etwas sonst wie Unruhe erzeugt. Dementsprechend gibt es die "Radaubrüder (Öffnet in neuem Fenster)" - das sind Krawallmacher aller Art: lärmende Kinder, pöbelnde Betrunkene, politisch Radikale oder sonst jemand oder etwas, das Lärm erzeugt.

Quelle: depositphotos.com (Öffnet in neuem Fenster)

Die Herkunft des Wortes ist nicht vollständig klar, man weiß aber, dass es in den 1870er Jahren in der Berliner Umgangssprache entstanden ist. Einige meinen, das Wort sei lautmalend - also das entstehende Geräusch nachahmen - was ich nicht ganz nachvollziehen kann. Logisch erscheint mir dagegen, dass es aus einem wissenschaftlichen Werk stammt, das 1869 veröffentlicht wurde: "Die Lehre vom Schall" von Rudolph Radau. Das klingt jetzt wie ein Witz, ist aber keiner:

Quelle: www.digitale-sammlungen.de (Öffnet in neuem Fenster)

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Studenten, die das Werk lesen mussten, sich einen Scherz daraus gemacht haben, den Verfasser des Buches und den Lärm gleichzusetzen. Radau ist auch ein deutscher Nachname, bei dem allerdings die erste Silbe betont wird, beim Radau wird dagegen die letzte Silbe betont. Das könnte daher rühren, dass Rudolph Radau als Mathematiker und Astronom Deutscher war, der aber lange Zeit seines Lebens in Frankreich lebte - und im Französischen wird die letzte Silbe eines Wortes betont.

Eine ebenfalls sehr häufige Redensart ist "jemandem eins auswischen (Öffnet in neuem Fenster)". Es bezeichnet eine kleine Racheaktion oder einen Streich, meist allerdings ohne der anderen Person ernsthaft zu schaden. Die Herkunft ist allerdings nicht ganz so harmlos, denn sie soll sich ursprünglich auf einen Schlag durch eine schnelle "wischende" Bewegung der Waffe beim Fechten beziehen. Es gibt eine alte Tradition bei "schlagenden" Studentenverbindungen, durch einen Fechtkampf seinen Mut zu beweisen.

Mensur zwischen einem Mitglied des kurzlebigen Corps Guestphalia (rechts) und des Corps Rhenania (links) in Tübingen, 1840 (Quelle (Öffnet in neuem Fenster))

Diese sogenannte Mensur (Öffnet in neuem Fenster) unterliegt heute strengen Regeln, um ernste Verletzungen zu vermeiden. Sie hat auch zu anderen Redensarten geführt, wie z. B. "jemandem eine Abfuhr erteilen (Öffnet in neuem Fenster)".

Hierzu passt auch der umgangssprachliche Ausdruck "jemandem eine wischen (Öffnet in neuem Fenster)", also ohrfeigen. Das ist nicht der einzige, der das Putzen mit Ohrfeigen und Prügel vergleicht: In der saloppen Umgangssprache finden wir auch Ausdrücke wie die "Abreibung (Öffnet in neuem Fenster)”, "jemandem die Fresse polieren (Öffnet in neuem Fenster)", "jemandem eine scheuern (Öffnet in neuem Fenster)", "wienern (Öffnet in neuem Fenster)" oder "wichsen (Öffnet in neuem Fenster)" (wobei letzteres Wort heute meist in einer anderen Bedeutung gebraucht wird).

Quelle: depositphotos.com (Öffnet in neuem Fenster)

Dies dürfte daran liegen, dass man bei beiden Tätigkeiten etwas mit der Hand bearbeitet, und bei hartnäckiger Verschmutzung geht man dabei auch ziemlich unsanft vor.

Im Fechtkampf hat auch die Redewendung "jemandem einen Streich spielen (Öffnet in neuem Fenster)" seinen Ursprung. Das sind heimliche Handlungen, um der anderen Person zu necken und zu verspotten. Ich erinnere mich noch an meine Kindheit, da gab es das "Schellenkloppen" (Klingelstreich): Man klingelte an der Haus- oder Wohnungstür und verschwand schnell, sodass die betreffende Person vergeblich die Tür öffnete. Streiche in diesem Sinn sind also eher harmlos.

Ursprünglich ist ein Streich ein Hieb mit der Waffe. Aus dieser Bedeutung ist auch die Redewendung "auf einen Streich (Öffnet in neuem Fenster)" oder "in einem Streich (Öffnet in neuem Fenster)" hervorgegangen, was bedeutet: gleichzeitig oder auf einmal.

Bernburg (Saale), der Märchengarten, das tapfere Schneiderlein (Quelle (Öffnet in neuem Fenster))

Geprägt wurde diese Redensart durch das Märchen "Das tapfere Schneiderlein (Öffnet in neuem Fenster)" der Gebrüder Grimm, das in Deutschland jeder kennt. Darin prahlt ein Schneider damit, sieben Fliegen mit einem einzigen Schlag totgeschlagen zu haben. Er ist so stolz darauf, dass er auf seinen Gürtel mit großen Buchstaben "siebene auf einen Streich!" stickt und in die Welt hinauszieht. Die Riesen und Menschen, denen er begegnet, verstehen das falsch und denken, es handele sich nicht um Fliegen, sondern um Menschen, die er auf einmal totgeschlagen habe.

Am Schluss möchte ich Euch noch auf meine Videos hinweisen. Mittlerweile habe ich zwei Stück gemacht und auf Youtube veröffentlicht. Auf meiner Videoblog-Seite (Öffnet in neuem Fenster) erfahrt ihr, worum es bei den Videos geht.

Schaut mal rein!

Ich würde mich auch dafür interessieren, ob sie Euch gefallen, denn ich frage mich immer: Für wen mache ich die? Für Fremdsprachler, die vor allem die Bedeutung von Redewendungen wissen wollen? Die könnten vielleicht überfordert sein, wenn ich die Herkunft erkläre. Oder mache ich die für Muttersprachler? Die kennen meist schon die Bedeutung, interessieren sich aber für die Herkunft. Vielleicht langweilen sie sich, wenn ich die Bedeutung erkläre.

Was meint Ihr?

Viele Grüße,

euer Peter vom Redensarten-Index

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