Redensarten Nr. 12 - Küsschen, Küsschen
Liebe Redensarten-Freundinnen und Freunde,
willkommen zu meinem zwölften Newsletter.
Heute geht es um eine der schönsten Dinge, die man zu zweit so machen kann: dem Küssen.
Doch der Kuss, also das Berühren mit den Lippen, ist nicht gleich Kuss. Abhängig davon, wer wen auf welchen Körperteil wann und bei welchem Anlass küsst, hat es völlig unterschiedliche Bedeutungen. So kann er als zeremonielle Handlung, z. B. als Begrüßungsritual, als Zeichen der Liebe, der Freundschaft, der Ehrerbietung und auch der Unterwerfung verstanden werden. Und natürlich spielt das Küssen auch für Liebespaare bei Erotik und Sex eine große Rolle.
Fuß
Das Küssen der Füße ist ein uraltes Ritual der Unterwerfung und der Demut gegenüber einem weltlichen oder religiösen Herrscher und wurde bis in die frühe Neuzeit praktiziert. Er hatte vor allem symbolische und juristische Bedeutung.
Carlo Lasinio: Eine Frau kniet nieder, um den Fuß von Papst Pius VII. zu küssen, mit einer Menschenmenge hinter ihr (1814-50) (Ausschnitt) (Quelle: commons.wikimedia.org (Öffnet in neuem Fenster))
Heute ist das Ritual fast gänzlich verschwunden. Eine Ausnahme wäre Papst Franziskus, der es gelegentlich als Zeichen religiöser Demut vollzieht - so am Gründonnerstag 2024 in einem Frauengefängnis in Rom, als er Insassen im Rahmen der traditionellen Abendmahlmesse die Füße gewaschen und geküsst hat.
Dann gibt es den Fußkuss natürlich auch bei Sexualpartnern im Rahmen erotischer Liebesspiele.
Erhalten hat sich das Ritual in der Redewendung "jemandem die Füße küssen (Öffnet in neuem Fenster)" (sich anbiedern / erniedrigen / einschmeicheln / unterordnen, sich jemandem unterwürfig zeigen). Sie kann auch Dankbarkeit ausdrücken. Oft finden wir sie in der Möglichkeitsform (Konjunktiv): "Ich könnte ihm die Füße küssen". Natürlich eignet sich die Geste auch gut für den ironischen Gebrauch, so wie im folgenden Beispiel: "Wem muss man hier die Füße küssen? Oder anders gefragt: Wie erreicht man den Support?"
Hand
Daneben gibt es den Handkuss, der als Ritual meist nur angedeutet wird. Als Geste bei der Begrüßung des galanten Herrn gegenüber einer feinen Dame war er früher in gehobenen Kreisen häufig, ist aber heute kaum noch in Gebrauch. Ein Beispiel wäre der Wiener Opernball, der als gesellschaftliches Großereignis einmal jährlich stattfindet ("Küss’ die Hand...").
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In der Schweiz und in Österreich gibt es die Redewendung "zum Handkuss kommen (Öffnet in neuem Fenster)" (zum Zuge kommen / an die Reihe kommen). In Österreich wird sie überwiegend ironisch im negativen Sinn verwendet: für etwas Unangenehmes herangezogen werden (z. B. bezahlen müssen, benachteiligt werden). So heißt es z. B. auf der Webseite einer Autoreparaturwerkstatt unweit von Graz: "Sollten Sie nun bedauerlicherweise zum Handkuss gekommen sein, würden wir uns freuen, wenn Sie uns als Ihre Werkstatt wählen" (Quelle (Öffnet in neuem Fenster)). Diesen Satz würde in Deutschland niemand verstehen.
Ansonsten hat sich der Handkuss als Zeichen der Wertschätzung und Huldigung auch in der redensartlichen Formel "mit Handkuss (Öffnet in neuem Fenster)" niedergeschlagen: Wer etwas "mit Handkuss" tut, tut etwas sehr gern, nimmt z. B. ein Angebot bereitwillig und mit Dankbarkeit an. Ein Beispielsatz wäre: "Derart qualifizierter Nachwuchs wird in vielen Betrieben mit Handkuss genommen".
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Die gleiche Bedeutung hat die Kurzformel "mit Kusshand (Öffnet in neuem Fenster)". Diese wiederum ist eigentlich eine Geste, die meist beim Abschied ausgeführt wird: Man küsst die eigenen Finger und winkt oder bläst diesen Kuss symbolisch der anderen Person zu. Man bringt damit seine Zuneigung oder auch Liebe zum Ausdruck.
Auge
Ganz ähnlich ist auch die Redewendung "Ich küsse dein Auge / deine Augen (Öffnet in neuem Fenster)". Sie ist ziemlich neu, vorwiegend in der Jugendsprache verbreitet und kann als Abschiedsformel oder Briefabschluss verwendet werden. Sie stammt aus dem Türkischen und wurde von Jugendlichen mit türkischem Hintergrund verbreitet. Sie drückt Dankbarkeit und Respekt aus. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich hält und in der allgemeinen Umgangssprache durchsetzt.
Muse
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Eher scherzhaft ist es gemeint, wenn jemand über jemand anderen sagt, er sei "von der Muse geküsst (Öffnet in neuem Fenster)". Das sagt man, wenn eine Person künstlerisch tätig ist, also z. B. sich der Malerei oder Musik widmet, und dabei sehr kreativ ist. Doch Vorsicht: Die poetische Sprache lädt auch hier zur ironischen Verwendung ein und kann dann bedeuten, dass man jemandes künstlerische Ergüsse gar nicht so kreativ findet.
Viele, die diese Redensart verwenden, wissen gar nicht, dass es sich eigentlich dabei um eine Personifikation (Öffnet in neuem Fenster) (abstrakte Dinge werden als Person gedacht) aus der griechischen Mythologie handelt: Die Musen waren 9 Töchter des Zeus - das Wort "Musik" stammt letztlich von ihnen ab. Sie galten als Göttinnen der Wissenschaft und der nicht handwerklichen sogenannten schönen Künste: Musik, Gesang, Dichtung und Tanz. Heute kennt man den Begriff "Muse" eher in der übertragenen Bedeutung "Kunst, künstlerische Tätigkeit".
Mund und der ganze Rest
VII. Parteitag der SED - 18.4.1967. Erhebende Manifestation der Verbundenheit zwischen der SED und der KPdSU - die Umarmung zwischen dem Ersten Sekretär des ZK der SED, Walter Ulbricht, und dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Leonid Breshnew (Links) (Quelle (Öffnet in neuem Fenster))
Der Kuss auf den Mund ist natürlich die intimste Form des Kusses und - von Ausnahmen wie dem alten sozialistischen "Bruderkuss" (siehe Bild oben) abgesehen - meist Liebespaaren vorbehalten. Das kann ein flüchtiger Kuss zur Begrüßung oder Abschied sein (in Süddeutschland und Österreich auch "Bussi (Öffnet in neuem Fenster)" oder "Busserl (Öffnet in neuem Fenster)", ohne erotische Komponente), oder auch längeres Küssen zur Steigerung der sexuellen Erregung beim Petting oder während des Vorspiels zum Sex.
Die Umgangssprache hat hierfür einige Begriffe parat. So tut man mit jemandem "rummachen (Öffnet in neuem Fenster)" oder "rumschieben (Öffnet in neuem Fenster)" - Ausdrücke, die sich nicht festlegen, was genau gemeint ist (Verhüllung), aber wohl vornehmlich das leidenschaftliche Küssen meinen. Man kann auch den anderen oder die andere "abschmatzen (Öffnet in neuem Fenster)" (abküssen, angelehnt an das Geräusch beim Essen) oder "schnäbeln (Öffnet in neuem Fenster)". Dieser Begriff ist dem liebkosenden Verhalten der Turteltauben (Öffnet in neuem Fenster) entnommen, diese gelten daher auch als Symbol des Glücks und der Liebe.
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Dann gibt es noch das Wort "knutschen (Öffnet in neuem Fenster)", das eine ausgeprägte, oft mit Einsatz der Zunge stattfindende, leidenschaftliche und länger anhaltende Kusshandlung, oft mit enger Umarmung, benennt. Das Wort selbst ist aus "knautschen" (knüllen, knittern, zusammendrücken) entstanden. Das verweist darauf, dass man den Partner oder die Partnerin an sich drückt bzw. den Mund auf den Mund des anderen, was wohl die Intensität und Leidenschaft unterstreichen soll. Deshalb gibt es auch den "Knutschfleck (Öffnet in neuem Fenster)", wenn man nicht aufpasst - ein Bluterguss auf der Haut, der durch heftiges Küssen entstehen kann. Übrigens ist es auffällig, dass im Deutschen viele Wörter mit der Hauptbedeutung "zusammendrücken" mit "kn-" beginnen: kneipen, kneifen, knipsen, knapp, knautschen, knutschen, kneten, knuddeln, knüllen, Knäuel, knittern.
Früher sagte man auch knutschen, wozu man heute kneten, knautschen, quetschen oder zusammendrücken sagen würde. Frischbier z. B. zitiert 1882 den Satz: "Die Kartoffeln werden zu Brei geknutscht". Heute würde man bei diesem Satz verständnislos die Stirn runzeln (Öffnet in neuem Fenster), denn seit dem 20. Jahrhundert bedeutet knutschen nur noch küssen - und wer will schon Kartoffeln küssen!
Viele Grüße,
euer Peter vom Redensarten-Index
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