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Was vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu halten ist

Gestern hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seinen Beschluss bekannt gegeben, den Antrag der 3 Gerichte, das Cannabisverbot neu zu bewerten, abzuweisen. Mit dem Urteil von 1994 sei bereits alles gesagt worden, das heißt, die Strafbarkeit von Cannabisdelikten stehe mit der geltenden Rechtslage bzw. dem Grundgesetz nicht in Konflikt. Dass das BVerfG kein Problem erkennt und die Richtervorlagen (Anträge zur Prüfung von Gerichten) nicht einmal behandelt, sondern von vornherein abweist, ist ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die durch das BtMG kriminalisiert werden. Aber: Es gibt Gründe, die Kritik an der Entscheidung des BVerG (und den Richter*innen des BVerG) begrenzt zu halten.

  1. Der Zeitpunkt könnte der schlechtsmögliche sein, oder eventuell doch ganz ok.

  2. Der Beschluss mag politisch gefärbt scheinen, ist aber eigentlich recht unpolitisch.

  3. Die Anträge haben ein paar Mängel, die möglicherweise hinreichend waren, sie abweisen zu müssen.

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Zunächst der Link zum Beschluss und zwei Artikel, die ihn zusammenfassen:

Der Zeitpunkt

Die Botschaft des BVerG mag nun zu einem sehr schlechten Zeitpunkt kommen. Ich habe es selbst befürchtet, dass es die Stellungnahme zu einem Zeitpunkt veröffentlichen wird, in dem es die politische Debatte beeinflussen wird. Egal, was inhaltlich eigentlich genau beschlossen wurde, die Abweisung kann nun von Leuten, die den Legalisierungsbestrebungen negativ gegenüber stehen, ausgeschlachtet werden. Schaut man sich den Wortlaut aber an, ist der Zeitpunkt nicht unbedingt so schlecht. Lieber jetzt als dass nach der Legalisierung festgestellt wird, dass eine Weiterführung des Verbots genauso rechtmäßig wäre. Denn was im Wesentlichen beschlossen wurde, ist, dass man sich politisch raushalten möchte. Der vielleicht wichtigste Satz ist:

"Es ist Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, Strafnormen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen."

Weiter heißt es in dem Absatz:

"Rechtspolitische Forderungen nach einer „besseren Cannabispolitik“ sind daher generell nicht geeignet, die Entscheidung des Gesetzgebers im Hinblick auf ihre Erforderlichkeit zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zwecks verfassungsrechtlich tragfähig in Zweifel zu ziehen. Gesicherte kriminologische Erkenntnisse, die geeignet wären, den Gesetzgeber zu einer bestimmten Behandlung einer von Verfassung wegen gesetzlich zu regelnden Frage zu zwingen oder doch die getroffene Regelung als mögliche Lösung auszuschließen, zeigen die Vorlagen nicht auf."

Das BVerG will sich politisch raushalten. Die in den Anträgen vorgelegten Erkenntnisse der letzten 30 Jahre reichen für das BVerG nicht raus, bei einer Sache einzugreifen, die es beim Gesetzgeber und in der demokratischen Aushandlung verortet. Anders gesagt: Das BVerG hat sich gestern nicht gegen die Legalisierung ausgesprochen und auch nicht für das Verbot.

Wie politisch ist der Beschluss also?

Die Überschrift der tagesschau "Bundesverfassungsgericht hält an Cannabisverbot fest" ist falsch. Korrekt ist, dass das BVerG gestern die Anträge der 3 Gerichte abgewiesen hat.

In der Pressemitteilung listen die Richter*innen eine Menge Gründe für die Ablehnung auf. Sie beurteilen nicht das Cannabisverbot per se, sondern ob die Anträge berechtigt sind. Sie gehen von dem Wortlaut der Anträge aus.

Das Stigma und die Drogenirrtümer in den Köpfen der meisten Menschen sind nicht zu unterschätzen. Es wäre wünschenswert, wenn man sich sicher sein könnte, dass die Richter*innen möglichst frei davon sind und es gibt guten Grund zu der Annahme, dass sie es nicht sind. Man kann dem BVerG historisch ansehen, dass seine Interpretationen des Rechts mit dem Zeitgeist gehen. Mir wurde gestern die Jung und Naiv Folge mit Andreas Voßkuhle (Öffnet in neuem Fenster) empfohlen, um diese Gefärbtheit einzuordnen. Ich habe die Folge selbst noch nicht gehört/angeschaut, aber gebe den Tipp direkt auch mal an euch weiter. Die Begründung, dass 1994 bereits alles gesagt worden sei (das Urteil von 1994 war bereits schwach), ist ein Hinweis darauf, dass es eine Färbung der Interpretation gibt. Allerdings bin ich mir aktuell aber nicht sicher, wie der Aspekt zu gewichten ist. Das kann ich nicht einordnen. Beurteilungen durch Fachleute werde ich mit euch teilen. Es ist nicht nur relevant, das Strafrecht und die Gesetze zu verstehen, sondern auch die Arbeitsweise des BVerG. Das BVerG lehnt die Anträge aus einigen formellen Gründen ab.

Was beanstandet das BVerG?

Eine Menge. Hier ist nochmal der Link zum Beschluss:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-065.html (Öffnet in neuem Fenster)

Ich kann das im Einzelnen nicht beurteilen und reiche euch alles nach, was auch mir helfen wird, die Begründungen einzuordnen. Aber nochmal, um es festzuhalten: Es handelt sich um eine Abweisung der Richtervorlagen (der 3 Anträge). Es ist kein Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Cannabisverbots, außer der Bezugnahme auf das Urteil von 1994. Es ist keine politische Einmischung an sich, außer in dem Maß, wie sie in einer populitischen Debatte zu einer solchen gemacht wird.

Was mich interessieren würde:

  • Ist es möglicherweise ein Mangel, dass nur Cannabis beanstandet wurde und die Begründung der Antragssteller nicht konsequenterweise alle Erkenntnisse über Substanzen des BtMG der letzten 30 Jahre aufgeführt hat?

  • Wären die Anträge erfolgreich gewesen, wenn sie nicht auf ein politisches Generalurteil über das Cannabisverbot abgezielt hätten (das BVerG möchte unpolitisch sein und das ist ja was Gutes), sondern eine einzelne Norm beanstandet hätten?

  • Ist es wirklich nur das Stigma, das weitere Richter*innen von der Unterstützung der Anträge abgehalten hat oder hätten mehr Richter*innen eine andere Formulierung der Anträge unterstützt?

Letztlich ist der Beschluss zwar kein Rückenwind für die Legalisierung, aber eben auch keine Ablehnung. Unterm Strich ist die politische Aushandlung zentral und man sollte diesen Beschluss über die Abweisung der Anträge nicht überbewerten.

Wie geht es euch damit? Hat meine Einschätzung weitergeholfen oder seht ihr etwas anders? Welche Fragen habt ihr an die Sache?

Danke, dass ihr mich unterstützt! Meldet euch bei Rückfragen zu diesem Beitrag oder Fragen zu anderen Themen oder Ereignissen der deutschen und internationalen Drogenpolitik immer gerne! Es gibt hier unter dem Beitrag eine Kommentarfunktion, also lasst eure Gedanken auch direkt gerne da. Liebe Grüße, heute aus Wien!

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