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6 Bedenken, die gegen eine zweckgebundene Abgabe für “Suchtmittel” sprechen

Liebe Leser*innen,

die politische Lage ist gerade extrem stressig und wer meine Kommentare zu Trump’s Drogenkrieg Lesen möchte, findet sie bei Bluesky (Öffnet in neuem Fenster), Instagram (Öffnet in neuem Fenster)und LinkedIn (Öffnet in neuem Fenster). Ich mache hier heute mit euch einen Exkurs zu einem weniger dringlichen, langsameren Thema, das immer wieder mal aufkommt und relativ unstrittig scheint, aber eine genauere Betrachtung verdient.

Dieser Artikel ist für die Mitglieder des Drogenpolitik Briefings (Öffnet in neuem Fenster) letzten Freitag erschienen. Ich mag Paywalls selbst nicht und freue mich über alle Interessierten. Deshalb schalte ich die Analysen nach wenigen Tagen (in der Regel nun Donnerstags darauf) komplett frei, bin aber darauf angewiesen, unter einem Teil meiner Leser*innen weitere Unterstützer*innen zu finden. Aktuell hat das Briefing 20 Mitglieder und 35 weitere Leser*innen.

Die Idee ist, die Suchthilfe über eine quasi zweckgebundene Steuer, eine Abgabe, auf den Verkauf von psychoaktiven Substanzen zu finanzieren (zusätzlich zu öffentlichen Geldern). Etwa die Deutsche Haupststelle für Suchtfragen hat zuletzt eine entsprechende Empfehlung (Öffnet in neuem Fenster) formuliert: “Die Einführung einer zweckgebundenen Pflichtabgabe auf den Verkauf von legalen Suchtmitteln und abhängigkeitserzeugenden Angeboten.”

Diese Forderung entsteht vermutlich aus der Not der chronischen öffentlichen Unterfinanzierung der Suchthilfe und zusätzlichen allgemeinen Sparpolitik. Auch in der Cannabis-Debatte wird die Idee einer zweckgebundenen Steuer von vielen Konsumierenden begrüßt, die ihre Bereitschaft, Verantwortung für Hilfeleistungen zu übernehmen, zeigen möchten.

6 Gründe, die jedoch gegen eine solche zweckgebundene Abgabe sprechen:

  1. Gesundheitsdienstleistungen sind ein Grundrecht. Ihre öffentliche Finanzierung muss daher nicht an Bedingungen wie spezielle Einnahmen geknüpft werden.

  2. Die Unterfinanzierung der Hilfen ist eine politische Entscheidung. Es ist Sparpolitik. Sparpolitik ist eine wirtschafts-, investitions- und finanzpolitische Entscheidung, keine ökonomische Notwendigkeit. Unter Umständen kann Sparpolitik sinnvoll sein, aber in Deutschland ist sie es nicht. Sollte Sparpolitik doch mal wirklich sinnvoll sein, muss dabei nicht an der Erfüllung von Grundrechten gespart werden. Das Problem der Unterfinanzierung braucht also weder mit dem Geld von Konsumierenden noch der Privatwirtschaft gelöst werden.

  3. Die Kopplung von wirtschaftlichen Erfolg an die Grundversorgung ist widersprüchlich. Je mehr Verkauf, desto besser? Strebt man eine Reduzierung schädlicher Verkaufspraktiken durch politische Regulierung noch an, oder nimmt man sie als gegeben hin?

  4. Schon wieder ist die “Schuld”-Frage im Spiel, die Konsumierende als Verantwortliche für die Sucht definiert. Dieses Narrativ, dieses Framing, ist ein Kernproblem, das die Debatten dieser Fachkreise durchzieht. Der Hilfebedarf steigt nicht mit steigendem Konsum, das ist eine falsche Kausalität. “Weil ihr konsumiert, sind andere süchtig, müssen wir Suchthilfe bereitstellen können”. Nein, das ist nicht nur falsch, sondern auch beschämend. Dieser Irrtum muss aufgeklärt werden statt über solch eine Abgaben-Empfehlung weiter bekräftigt. Der Hilfebedarf hängt hauptsächlich mit ökonomischer und sozialer Not, mangelhafter Prävention, ideologischem Vorenthalten wirksamer Gesundheitsleistungen und den Folgen von Kriminalisierung, Stigmatisierung und Illegalität zusammen. (Die Eigenheiten der Substanzen und auch die Art der Bewerbung und des Verkaufs spielen natürlich eine Rolle, aber nicht die alleinige und zum Handel gleich in Punkt 5.) Die Lösung der Unterfinanzierung wirksamer, flächendeckender Hilfe- und Gesundheitsleistungen ist eine gesamtpolitische und gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Die Finanzierung der Suchthilfe ist nicht die Aufgabe der (egal wie umfangreich) Konsumierenden. Dass einige Sucht-Fachverbände psychoaktive Substanzen nicht bei ihrem fachlichen Namen, sondern “Suchtmittel” framen, trägt zur Verwirrung über die Tatsachen zusätzlich bei.

  5. Zur Verantwortung gezogen werden soll, wie es die Tagesschau zitiert (Öffnet in neuem Fenster), der Handel. Wie skrupelos die Industrie der drei Branchen Alkohol-, Tabak- und Glücksspiel sind, ist allgemein bekannt. Sie stehen einem Werbeverbot und anderen überfälligen Regulierungen zum Verbraucherschutz lobbyistisch stark im Weg. Man sollte vermeiden, die Suchthilfe abhängig von eben jenen politisch schon viel zu mächtigen Branchen zu machen.

  6. Die DHS will die Suchthilfe, eigenen Stellungnahmen nach, entstigmatisieren und psychischen Erkrankungen gleichstellen. (Auch das ist diskutabel, aber dazu ein ander Mal. Es gibt viel Kritik zu diesem Ansatz, z.B. hier, mit Anmeldung kostenlos abrufbar (Öffnet in neuem Fenster)). Eine Sonder-Finanzierung von Gesundheitsleistungen steht im Widerspruch zum Ziel der Gleichbehandlung von Patient*innen und Klient*innen im Gesundheits- und Hilfesystem.

Zusammengefasst: Wirksame, flächendeckende, die Menschenrechte wahrende öffentliche Finanzierung der Suchthilfe ist mit politischem und gesellschaftlichem Willen sehr wohl möglich. Statt von Verantwortlichkeiten abzulenken und die Stigmatisierung durch eine Sonderbehandlung des Hilfebedarfs voranzutreiben, könnte man auch das ins Zentrum der Forderungen stellen.

Wie seht ihr das? Denkt ihr, eine zweckgebundene Abgabe auf den Verkauf psychoaktiver Substanzen könnte unter Umständen dennoch sinnvoll eingesetzt werden?

Kategorie Diskursanalyse

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