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Konzentriert euch!

Fördert die deutsche Industrie ein Leben im Zen?/Sind die Konservativen eine aussterbende Spezies?/Der mediale Sterbeschatten

"Wenn sie bei solchen Wolken nicht nachdenken können, wann dann?" fragte unser Philosophiedozent FW Veauthier und nannte es "Philosophenwetter!"

Als diesen Sommer das zweite Küchengroßgerät Mucken machte, blieb ich noch cool. Gerade eben musste ja der Kühlschrank ausgetauscht werden, was also sollte wohl mit der Geschirrspülmaschine sein, zumal sie ja von Miele kam, der Marke, die immer alle empfehlen. Der erste Techniker, der schon nach zehn Tagen Zeit hatte, drückte einige Knöpfe und bestellte Ersatzteile. Mit deren Hilfe wollte er prüfen, wo das Problem liegt, und dann werde man weitersehen. Wochen später hatte ich immer noch nichts gehört, zwei Kollegen aus der gleichen Firma kamen und öffneten eine Hinsehklappe für Fachleute, die ihr Kollege aber nicht genutzt hatte. Sie kamen, sahen und befanden, dass das Ding unrettbar sei. Die bestellten Teile, die ohnehin noch nicht da waren, seien nutzlos. Ein Ersatz sollte Wochen dauern. Ich konnte die Frist immerhin durch eine knappe Beschwerdemail auf zwei Wochen verkürzen, schließlich haben wir in dem Betrieb schon oft bestellt. Grund für den Schaden war übrigens, meinten die Fachleute, zu häufige Nutzung. Und wir wurden vor dem Ökoprogramm gewarnt: Müssen man zwar anbieten, sei aber teuer, wenig effektiv, dauere sehr lange und führe zum vorzeitigen Exitus auch dieser Maschine. Und keine Tabs verwenden. Miele-Geschirrspüler also am besten nur von außen feucht abwischen und nicht einschalten. So wirbt die deutsche Industrie für den Degrowth und mein nächstes Buch: Zen in der Kunst des Spülens per Hand.

In der letzten Woche bezeichnete CDU-Kandidat HG Maaßen die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen als „Propaganda“ und die Bild bezeichnete eine Möglichkeit zur Meldung von Steuersündern im Netz als „Steuer-Stasi“. In den USA belegen die Republikaner ihre politischen Mitbewerber oder auch nur die Befürworter von Impfungen regelmäßig mit Beleidigungen aus dem Kontext von Stalinismus und Nationalsozialismus - siehe auch diesen beunruhigenden Post von Jonathan V. Last (Öffnet in neuem Fenster).  Einmal offenbart das ein erschütterndes Maß an Unwissen über die Geschichte des Totalitarismus im breiteren Publikum – aber woher sollte das Wissen darüber auch kommen? Seit Jahrzehnten gab es keine modernen, populären  Erzählungen davon. Aber davon abgesehen scheint mir darin ein Muster zu liegen: Diese Ausdrücke haben einen Sinn: Sie legitimieren ein grenzenloses Widerstandsrecht. Gegenüber den Agenten totalitärer Systeme sind alle Tricks erlaubt.  Statt des politischen Wettbewerbs in einer gemeinsam bewohnten Republik entfesselt man einen kosmischen Krieg in einem digitalisierten, globalen Medienmarkt.  Das, was man als Konservativismus kannte, mutiert zu einer politischen Lava,  in der Gesetze zu Optionen schmelzen, Impfungen zu Teufelszeug und alle, die einem nicht genehm sind, zu Nazis, Taliban oder die Bolschewiken. Das verschärft die Gefahr rechter Gewalt und wirft die Frage auf, auf welches gemeinsame Staatsgefüge sich diese Leute noch beziehen? In einer Republik muss man ja auch mit Menschen anderer Meinung und dem Rechtsstaat klarkommen. Da bildet sich etwas Neues heraus, eine globalisierte, digitale Anarchie von rechts. Die CDU hat immer dagegen gehalten, aber was, wenn sie in die Opposition rutscht und Julian Reichelt einflüstert? Diese Wahl kann sich noch als folgenreicher erweisen, als man in der Banalitöät der nun behandelten Themen vermuten möchte. Aufmerksamkeit und Konzentration ist nötig, nicht erst in der Kabine. 

Recht unbeachtet blieb der Tod des legendären italienischen Schauspielers Nino Castelnuovo (Öffnet in neuem Fenster) vor einigen Tagen. Sein Werk ist beeindruckend: Er spielte mit Catherine Deneuve in dem Klassiker „Les Parapluies de Cherbourg“, in „Rocco und seine Brüder“ von Luchino Visconti und auch im „Englischen Patienten von Anthony Minghella.

Über ihn und das italienische Kino wäre manches zu schreiben gewesen, allerdings starb er am selben Tag wie Jean-Paul Belmondo, dessen Würdigung allein in Frankreich nochmal locker 88 Jahre dauern wird (Zu recht, zu recht).

Erinnert mich an ein Gespräch, dass ich in diesem Sommer mit einem in Deutschland sehr berühmten Menschen unter einem Baum führte: „Wenn der jetzt umfällt“ meinte er grinsend, „wer steht dann morgen in der Zeitung?“.

Das Schicksal des Sterbetagschattens beleuchtet der große François Morel (Öffnet in neuem Fenster) in seiner wie immer augenblicklich legendären Freitags Kolumne auf France Inter (en français!)

Kopf hoch!

Nils Minkmar

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