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Vom Wert des Nutzlosen 

Fassadenkletterer der Firma Jade auf dem Arc de Triomphe 16.September 2021

In den letzten Tagen war ich in Paris unterwegs, um über das Christo-Projekt der Verhüllung des Arc de Triomphe zu schreiben. Vor der Rückfahrt ergab sich im Taxi zur Gare de l’Est wieder eine jener Szenen, die in Deutschland unvorstellbar sind. Der Fahrer war schon ordentlich genervt, wie es sich in Paris gehört. Die Bus- und Taxispur war immer wieder durch Liefer-, Baustellen- oder Umzugswagen versperrt, seine Laune sank merklich. Dann hielt uns eine junge Frau auf ihrem Fahrrad auf, die die Spur zum Radweg umgewidmet hatte. Der Mann überholte, liess rechts das Fenster hinunter und meckerte, dass doch auf der anderen, der von uns aus linken Seite des Boulevards ein neuer, stabiler Radweg sei. Die Frau antwortete, dass sie nicht rüberkommt, zu viel Verkehr. Woraufhin sich der Fahrer blitzschnell umsah und den Wagen plötzlich schräg stellte, um die mehrspurige Straße zu sperren und die Radfahrerin durchzulassen. Die Beendigung einer Verkehrsbehinderung mit den Mitteln der Verkehrsbehinderung. Während der übrigen Fahrt erwähnte er sein halsbrecherisches Manöver gar nicht mehr, er fand es völlig normal.

Ich selbst war etwas überwältigt von den Eindrücken am Arc de Triomphe.  Mehr zu Christo und Jeanne-Claude, deren Kunst stets  totally useless sein sollte, in dem sehenswerten Dokumentarfilm von Jörg und Wolfram Hissen "Die Kunst des Verhüllens" (Öffnet in neuem Fenster), der in der arte-Mediathek eingestellt ist.

Noch eine Woche mit dem seltsamsten Bundestagswahlkampf aller Zeiten. Sein Thema, soviel lässt sich jetzt schon sagen, ist er selbst: Was darf man im Wahlkampf? Wer redet am besten darüber, was man im Wahlkampf darf? Und wer sind überhaupt diese beiden Kandidaten und die Kandidatin, die uns fremder werden, je mehr wir sie aus der Nähe betrachten.  In Paris war er kein großes Thema. Wenn ich begann, die diversen Optionen zu erläutern, setzte höfliches Desinteresse ein. Nur die Info, dass Merkel im Amt bleibt, bis jemand Neues gewählt ist, sorgte für Erleichterung.  Dafür ging es dort viel um die Sache mit den australischen U-Booten, den Tod des ehemaligen algerischen Präsidenten Bouteflika und den eigenen Präsidentschaftswahlkampf 2022. Mit einer besonders engen Beziehung zu Deutschland wirbt dort einstweilen niemand im weiten KandidatInnenfeld. Die Welt dreht sich weiter, aber der bundesdeutsche Wahlkampf nimmt es nicht zur Kenntnis. Bald wird man erörtern müssen, was eigentlich schief gegangen ist.

Ich empfehle dazu die zeithistorisch wertvolle Dokumentation von Stefan Lamby  „Wege zur Macht“ (Öffnet in neuem Fenster) – Sie wird mit der Zeit immer wichtiger, weil man schneller vergisst, was man hinter sich lassen möchte.

In Paris hatte ich auch diverse Begegnungen mit diesem jungen Mann, der in meinem Roman eine wichtige Rolle spielt - da allerdings noch nicht in so blendender Verfassung wie sein Standbild auf dem Pont-Neuf . 

"Das Spiel der Katze" ist der Arbeitstitel, spielt 1584  und erscheint in einem Jahr bei S Fischer. 

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