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Im Bonusmonat

Der Fall Grumbach/Epidemie der Einsamkeit/Serie Stonehouse/Slater tröstet

Am 11. Oktober 1980 fand in Pont-l’Évêque in der Normandie die Traumhochzeit des Jahres statt: Alain Delon nahm Teil, Isabelle Adjani war erschienen und die Trauzeugen hießen Pierre Bergé und Françoise Sagan.

Philippe Grumbach, langjähriger Chefredakteur des Nachrichtenmagazins L’Express, heiratete seine Freundin Nicole. Grumbach war einer der einflussreichsten Journalisten Frankreichs, mit einem guten Draht, ja einer Freundschaft zum Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing.

Als Grumbach 2003 hochgeehrt verstarb, nannte man ihn einen Aristokraten der Presse. Denn er war nicht nur Autor und Chefredakteur, sondern auch Filmproduzent und Berater. Ein Alpha Journalist und Mann der Zeitgeschichte. Henri Nannen plus Rudolf Augstein – naja, eine Stufe darunter. Aber nur knapp.

Doch da war noch mehr. Das Magazin L’Express, das es immer noch gibt, wenn auch mit weit geringerer Relevanz als seinerzeit, berichtet über die Entdeckung eines Historikers mit dem schönen Namen Cyril Gelibter (Öffnet in neuem Fenster). Der promoviert in Diplomatiegeschichte und untersucht den Nachlass des KGB Chefarchivars Wassili Mitrochin. 1990 hatte er sich nach England abgesetzt, seine Akten liegen nun in Cambridge. In denen spielt für Frankreich ein Agent namens Brok eine zentrale Rolle, seit 1946 und bis in die achtziger Jahre. Eine Topquelle. Das war schon länger bekannt. Aber eben nur der Deckname. Gelibter liest, forscht, vergleicht. Kein Zweifel: Brok ist Philippe Grumbach.

Nun hat sein einstiges Blatt dieses Doppelleben enthüllt. Nicole, seine Witwe, hat es unterdessen bestätigt. Kurz nach seiner Enttarnung hat er es ihr erzählt.

Grumbach war ein französischer Jude, hat den Krieg in den USA überstanden und kehrte mit der Army zurück nach Frankreich. Kommunistische Sympathien waren nicht bekannt, er galt eher als Mann der Gaullisten. In seinen Artikeln findet sich keine Tendenz zur Kreml- Apologie.

Er tat es - das ist der Forschungsstand heute - wegen des Geldes. Und, wäre in guter Kenntnis solcher Männer meine Vermutung, um sich wichtig zu fühlen.

Es könnte ein kuriose Anekdote sein, ein mediengeschichtlich amüsanter Archivfund. Aber diese Welt ist noch die unsere. Mehr denn je arbeitet die russische Führung wie ein Geheimdienst, mit Desinformation und Korruption. Und immer noch haben wir keinen Schimmer, wer Geld nimmt und wie oder wo es fließt.

Putin manipuliert aber auch ganz offen. Er bannt unseren Blick, ist dauernd auf allen Bildschirmen. Sein Genre ist das Theater des Schreckens. Seine Untaten vollzieht er langsam, mit Ankündigung. Und lässt uns in der Illusion, wir könnten nichts dagegen tun. Es sind sadistische Inszenierungen: Wir müssen zusehen. Hoffnung soll schwinden, Widerstand schrumpeln und ein als Realpolitik getarnter Zynismus obsiegen. So erzeugt Putin den Spezialeffekt seiner Unbesiegbarkeit. So, möchte er uns Glauben machen, ist die Welt: Gewalttätig, geldgierig und der Stärkere siegt. Aber es stimmt nicht, die Menschen sind gegen ihn. Er würde eine faire Wahl haushoch verlieren.

In Wahrheit ist Putins Russland schwach, lebt nur von unserem zögerlichen Staunen und gelähmtem Grusel. Die Beschlagnahmung der russischen Konten im Ausland, die Regulierung der sozialen Medien und die Strafverschärfung und Verfolgung von Sanktionsumgehungen wären gute erste Schritte. Dort hinsehen, wo die Schwächen des russischen Regimes liegen – nicht dorthin, wo sie unseren Fokus gerne hätten.

Höchste Zeit, diesem Spuk den Stecker zu ziehen.

Der Zuspruch, den seltsame Bewegungen wie die Gilets Jaunes, die Tea-Party, die Coronaleugner und sonstige sektenartige Clubs erfahren, ist nicht allein durch russische Korruption zu erklären. Irgendwie wirken die westlichen Demokratien schwach auf der Brust. Die Idee der offenen Gesellschaft wird angegriffen und kaum jemand verteidigt sie.

Ich denke da oft, wenn ich nach Ursachen frage, in Richtung der eklatanten Vermögensdifferenzen, aber es gibt auch andere Ansätze. Die Epidemie der Einsamkeit, oder der nur noch digital vermittelten Kommunikation, trägt auch dazu bei, dass die Öffentlichkeit so seltsam fieberträumend wirkt und jeglicher Idealismus so müde. Und auch hierfür trägt der digitale Kapitalismus der sozialen Netzwerke eine Verantwortung. Eines Tages mag uns der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Digitalisierung so evident erscheinen wie heute der zwischen Röntgenstrahlen und Krebsgefahr. In der Frühzeit dieser Technik aber warben moderne Schuhgeschäfte mit Apparaten, die die Passform von Schuhen per Röntgenaufnahme abbilden können.

Dieser Artikel von Derek Thompson hat dazu einige sehr alarmierende Befunde.

https://www.theatlantic.com/newsletters/work-in-progress/ (Öffnet in neuem Fenster)

Diese Serie beleuchtet einen mir ehrlich gesagt unbekannten Fall aus dem UK der sechziger Jahre und wirkt sehr vielversprechend. Jede Serie mit Matthew Macfadyen, dem Tom aus Succession, würde ich mir ansehen ( Ihn allerdings - wie derzeit in allen Innenstädten zu bewundern - als das Gesicht von Mercedes zu casten ist gewagt: Er ist bekannt für seine Rollen als schmieriger Opportunist, der alles tun würde um beispielsweise ein deutsches Luxusauto fahren zu dürfen. Soll ja so Vorurteile geben…)

https://www.arte.tv/de/videos/112253-001-A/stonehouse-1-3/?trailer=true (Öffnet in neuem Fenster)

Nicht mehr Winter, noch nicht Frühling. Aber kalt. Wenn man morgens das Haus verlässt, blickt die eine Katze mitleidig, die andere resigniert angesichts menschlicher Unbelehrbarkeit. Februar ist ein Bonusmonat, den man so angenehm wie möglich absolvieren sollte.

https://www.theguardian.com/food/2024/feb/11/nigel-slaters-recipe-for-chicken-and-mushroom-casserole-plus-a-mint-and-kefir-ice (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch

ihr

Nils Minkmar

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