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Chefless

Der Chef stirbt aus / Markus Preiß Angezählt/ TrueDetective/ Kochen im Februar

Seit dem 1. Mai 2021 habe ich keinen Chef mehr. Doch in all den Arbeitsjahren zuvor, da hatte ich schon welche. Einige waren genialisch und anstrengend, andere nur anstrengend und einer auch richtig bösartig. Im Journalismus ist das immer ein spezielles Problem: Eine Redaktion soll als vierte Gewalt den Mächtigen auf die Finger schauen, soll die Meinungsfreiheit ausüben und mitunter im Leitartikel der UNO empfehlen, was nun zu tun ist. Aber intern funktionieren Medienhäuser nicht nach dem Mehrheitsprinzip, sondern nach ihrer eigenen Verfassung und die gleicht sehr oft einer ganz klassischen Pyramide der Macht. Die besten Chefs lassen ihre Leute davon nichts spüren, außer um sie zu fördern und zu schützen. Aber es gibt eben nicht nur beste Chefs.

Ich durfte hochbezahlten Redaktionen angehören, die sehr viele Leserinnen und Leser erreichen – aber in der Frage, wer dieses Ressort leiten soll, war keine Mitwirkung vorgesehen. Die Besitzer des Mediums hätten ihr Pferd zum Ressortleiter machen können. Manchmal wäre das sogar besser gewesen.

Auch Chefs sind Menschen und können noch so gut schreiben, noch so klug sein – wenn sie charakterlich dazu neigen, sich tyrannisch zu benehmen, wird die Zusammenarbeit schwierig. Ich habe mich oft gefragt, ob man das nicht anders organisieren kann. Als ich selbst Ressortleiter war, störten mich jene kurzen Momente, in denen mich legendäre Journalistenkollegen fragten, ob sie früher das Haus verlassen dürfen, sie müssten noch zu Karstadt. Die Zeitung war da längst fertig.

Und mich beunruhigt, wie gern viele Kolleginnen und Kollegen der Meinung der Chefs sind und über deren Witze lachen. Neu ist das Phänomen nicht: Im 16. Jahrhundert gab es den Ausdruck, den Falben streicheln: So nennt man besondere, gelbe Pferde, die sehr teuer waren und sind. Manche näherten sich dem spektakulären Tier und streichelten es bewundernd, in der Absicht, sich beim vermögenden Besitzer einzuschmeicheln. Doch wer auf einem Falben sitzt, das impliziert der Ausdruck auch, mokiert sich über solches Lob. Er weiß selbst, was er sich da geleistet hat und pfeift auf die Schleimer.

Zwei meiner Chefs waren Stars, nämlich Roger Willemsen und Frank Schirrmacher. Die Kommunikation mit ihnen musste man erst lernen. So etwas wie schlichte Kritik drang gar nicht an ihre Ohren. Die musste als Lob daher kommen, dann registrierten sie es auch und waren zur Veränderung fähig. Es gab verrückte und abgründige Momente, dann wieder sehr schöne. Besondere Chefs wie Claudius Seidl und Volker Weidermann, Alexander Gorkow und Laura Hertreiter stehen selbst hinter der Teamleistung zurück, wollen nichts für sich. Alle Energie fließt in das Produkt und lustig ist es auch.

Heute droht der Chef auszusterben. Vor einiger Zeit saß ich mit einer Freundin in einem Café. Sie leitet eine Abteilung in einem Landesministerium, hat sie mit aufgebaut. Es war ihr letzter Ferientag und sie sah ihrem ersten Tag im Büro entgegen. Ich fragte, im Scherz, ob sie dann erstmal durch den Flur stürmt und alle rund macht, wie schlecht gearbeitet wurde. Sie sagte, dass sie so einen Auftritt genau einmal hinlegen könne, danach sei der Flur leer und zwar für immer. Der Arbeitsmarkt habe sich unwiderruflich zugunsten der hochqualifizierten Menschen verschoben. Die kennen den Typ Chef, der die deutsche Gesellschaft seit ewigen Zeiten prägt, nur noch aus der Folklore. Große Firmen versuchen sich schon an kooperativen und ergebnisorientierten Modellen, in denen die Leute sich einfach selbst führen.

Eine gute Entwicklung. Ich habe zu oft erlebt, wie gute Ideen starben, weil der Chef schlechte Laune hatte oder auf dem Holzweg war. Und vermute hier auch eine Ursache der strukturellen Schwäche unserer Wirtschaft: Hierarchie dominiert über Energie, Stabilität über Risiko und die Form über die Freiheit. Ich habe nur wenige Einblicke in die Industrie, aber richtige Innovationen waren hierzulande leider selten, während Entscheidungen so getroffen werden wie anno dazumal. Oder sich in mäandernden Prozessen mit ungewissem Ausgang und diffuser Verantwortung verlaufen. Das Leitbild war nicht Innovation und Wachstum, sondern die Risikovermeidung.

In Frankreich ist es genau so - diese Wirtschaft hat dieselben Probleme. Und wo sie sie nicht hat - in der Mode, den Luxuswaren, der Gastronomie und der Kunst und Kreativwirtschaft - da gibt es aber auch nicht solche autoritären Strukturen.

Heute freue ich mich, meine Arbeitstage selbst zu gestalten. Kleiner Nachteil: Beim Abendessen fällt der Klassiker “Stories von meinem verrückten Boss” weg. Du rätst nie, was er heute wieder gemacht hat. Frank Schirrmacher schickte mal eine SMS in die Runde: “Habe jmd getroffen: Einen Toni Marshall ? Früher Schlager, jetzt Lyrik. Machen wir groß.” Und dann begann bei uns das große Grübeln: Analyse und Interpretation von Schirrmacher-SMS.

Aus dem gegenwärtigen politischen Schlamassel gibt es nur einen europäischen Ausweg. Aber wie tritt die Bundesrepublik in Europa auf? Manchmal werde ich in französischen Runden gebeten, die Linie des Kanzlers zu erklären. Das ist schwierig, aber es geht. Besser wäre, er würde sie selbst erklären oder jemand anderes würde das für ihn tun. Ich habe das Buch von Markus Preiß sehr gerne gelesen. Es ist eine meinungsstarke Chronik der letzten Jahre seit der Coronakrise und kommt zu einem nuancierten Urteil. Preiß ist frustriert von der deutschen Unentschlossenheit, vom Zögern und Zaudern, wo historische Klarheit nötig gewesen wäre. Er bringt dafür viele gute Geschichten aus seiner Zeit als Brüssel-Korrespondent und stichhaltige Belege. Aber, auch das wird klar, es ist dafür nicht zu spät. Die Zeitenwende ist gekommen. Was machen wir daraus?

In den letzten fünf Wochen war ich öfter mal unausgeschlafen und das lag an einer Serie. True Detective Staffel 4: Night Country ist weit mehr als das. Es ist ein aufwühlendes Erlebnis, eine Reise durch Nord-Alaska, also das Ende der Welt und der Eingang in das Reich der Toten und eine Meditation über letzte Fragen. Gleich zu Beginn geht es um eine Frauenzunge auf dem Boden eines Labors und man verspürt starke Hannibal-Lecter Vibes. Einige Folgen habe ich gleich zwei Mal geschaut und mir Notizen gemacht. Es ist ein durch und durch perfekt komponiertes, feministisches Werk und ein bedeutendes Kunstwerk unserer Gegenwart.

Das Genre des Cop-Krimis ist bloß die vertraute mediale Gestalt wie ein gemütliches altes Taxi, in dem man Platz nimmt, um ganz woanders anzukommen. Alles kommt vor: Die Kultur der indigenen Völker Alaskas, die koloniale Ausbeutung der Ressourcen, die Grenze zwischen Geist und Körper, die Wiederkehr aus dem Reich der Toten, ein einäugiger Eisbär und eine elektrische Sponge-Bob-Zahnbürste. Nun ist es nicht so, dass in dieser Serie alle Männer Mörder wären. Es gibt auch Schläger, Betrüger und korrupte Typen. Eine einzige männliche Figur ist durch und durch positiv, aber die ist tot und spukt umher. Es fallen Sätze, die, wetten?, Klassiker des zeitgenössischen Gesprächs werden: “Sie ist nicht sehr gut mit Menschen, an denen ihr etwas liegt” sagt ihre Tochter über Denvers, von Jodie Foster gespielt. Und eine weise, ältere Frau seufzt einmal: “Das wird wohl wieder eine von diesen Nächten, was?” Da wurde sie gebeten, eine Leiche im ewigen Eis verschwinden zu lassen. Zuvor muss der Brustkorb aufgebrochen werden, damit die Luft entweicht und der Tote versinkt. Routine in Alaska.

Es ist ein kühner Blick in unsere Zukunft, in der die Beziehungen zwischen den Geschlechtern völlig anders funktionieren und eine Rückbesinnung auf Szenen, die vielleicht nur geträumt waren. Night Country ist ein Meilenstein im Werk von Jodie Foster und eröffnet eine neue Ära der Fernsehkunst. Was wir den Westen nennen, ist heuchlerisch und brutal. Aber diese Kritik über den Westen kommt aus dem Westen. In China, Iran und Russland wird alles dafür getan, dass solche Serien nicht entstehen. Denn dort sind mächtige Frauen der Feind. Und vice versa.

https://www.youtube.com/watch?v=2cG9LFffRhA (Öffnet in neuem Fenster)

In dieser Woche war ich schon ganz auf Frühling eingestellt, wollte mit dem Rad rausfahren und schwimmen gehen, sogar einmal ins Kino. Doch das Wetter, die Arbeit und äußere Umstände cancelten all das und zwar weiträumig. Eines Morgens tauchten Handwerker auf und entfernten die Gästetoilette. Am nächsten Tag zerstörten sie unabsichtlich auch das verbliebene WC, bevor sie es dann unter großer Mühe wieder ersetzten. Baulärm, Feinstaub, dazwischen die fluchenden Katzen. Februar eben. Wenn nichts mehr geht, kochen geht immer.

https://www.theguardian.com/food/2024/feb/18/five-ways-with-chicken-recipes-moro-sam-and-sam-clark (Öffnet in neuem Fenster)

Und natürlich auch eine fleischlose Variante:

https://madame.lefigaro.fr/recettes/bourguignon-vegan-aux-champignons-sans-boeuf-271218-162821 (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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