Zum Hauptinhalt springen

So weit so gut

Ich finde die Aufregung wegen einer einstweiligen Verfügung aus Karlsruhe völlig überzogen. Gut, dass dieses Gesetz dann irgendwann kommt. Die Modernisierung der Heizungen ist überfällig und besser, man regelt das auch eine zeitgemäße Art und Weise. Das Pariser Abkommen und das Urteil zum Klimaschutz binden die Gesetzgeber, das sind alles keine neuen Erfindungen.

Aber es ist schon merkwürdig, wie nervös und unruhig sich die Ampel vor der Sommerpause gibt. Als hätten sie nicht mit Gegenwind gerechnet. Die Gegner freuen sich darüber und die Unterstützer sehen zu. Und die FDP? Bereitet sie einen Wechsel vor? Sie ist nicht in der Koalition nicht außerhalb, sondern verspielt all ihre Vorteile.

Manchmal kommt es mir vor, als werde eine linksliberale und grüne Regierung immer noch irgendwo als freche Ausnahme gesehen, eine von der Union geführte Bundesregierung hingegen als die Regel. Als sei die Ampel so etwas wie die Münchner Räteregierung, eine Clique von Fantasten, die mit woken Experimenten unsere schöne Bundesrepublik verkritzeln. Bei vielen Bundesbürgern ist die Vorstellung vom eigenen Land mit Kindheit und Jugend verbunden, als alles so schön langweilig war: die Kohl Jahre, die wenigen Fernsehsender, kein Internet. Heute ist es nicht mehr so und es ist damals nicht so gewesen, aber es gibt eine politische Sehnsucht nach einem imaginierten Früher, eine regressive und manchmal aggressive Verweigerung von Präsens und Futur.

Aber wenn wir uns in die Gegenwart trauen und in anderen Ländern umsehen, können wir zufrieden in den Sommer segeln.

Weder erlebt Deutschland die Spannungen wie in Frankreich, wo Vandalismus und Rassismus clashen, noch müssen wir die dauernden Lügen ertragen, unter denen die Freunde in Österreich und im Vereinigten Königreich so stöhnen.

Und auch die internationale Lage wird wenn noch nicht besser, so auch nicht schlimmer. Donald Trump kommt juristisch immer stärker unter Druck, ich denke nicht, dass seine Kandidatur noch irgendwo hinführt. Putin hat sich in seiner Beziehungskiste mit Prigoschin verheddert und gleicht einem König beim Schach, der mit nur noch zwei Bauern übers Feld zieht. Gewinnen kann er nicht mehr und seine Zeit läuft ab.

Auch bei vielen anderen Themen, die so schwer beweglich schienen, tut sich etwas: Wir bekommen ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz, das hoffentlich auch in Europa diese verfahrene Debatte löst. Klimaschutz ist zunehmend Teil des Alltags. Überall im Land sieht man Balkonanlagen oder Dächer mit Photovoltaik, auch im Straßenbild mehren sich die elektrisch angetriebenen Fahrzeuge. ( Ich bin wo es geht mit dem zu leihenden E-Scooter unterwegs, in größeren Städten mit einem solchen Fahrrad – einfach perfekt.)

Seltsam ist, dass in den Medien europaweit die Vorstellungen der Zurück in die alte Zeit weißer männlicher Dominanz-Fraktion so dominieren. Es so wenig Leidenschaft gibt, für die bessere Zukunft, die uns erwartet, sondern immer dieses Zaudern. Immer diese Angst.

Denn es sieht eigentlich, endlich wieder gut aus.

Vor einigen Jahren durfte ich Cynthia Fleury an ihrem Lehrstuhl für Philosophie in Paris besuchen. Sie lehrt und forscht aber nicht an einer Universität dort, sondern in einem Krankenhaus.

Auf dem Weg habe ich mich verlaufen, denn das Hôtel -Dieu, in Paris direkt hinter der Kathedrale Notre Dame gelegen, ist so groß wie ein Stadtviertel und wirkt, als sei Jorge Luis Borges der Architekt gewesen. Ich spazierte sehr lang durch diverse Stationen, einmal beinahe in den OP-Bereich und musste öfter nach dem Weg fragen. Irgendwann stand ich dann vor einer Glastür oben unter dem Dach und Fleury bat mich in ihre Studierstube. Arg beengt, aber mit Blick auf Notre-Dame. Dort erläuterte sie mir ihre Erfahrungen mit ihrer philosophischen Sprechstunde: Nicht nur die Patienten verlangten nach Austausch und Orientierung, sondern vor allem auch die Ärzte und das Pflegepersonal. Man rannte ihr die Bude ein. In ihrer klinischen Praxis machte sie auch jene Beobachtung, die den Kern ihres neuen Buches bildet: Manche Patienten richten sich lieber im Ressentiment ein, als den Weg einer Heilung zu beschreiten. Sie leiden und gefallen sich im Wiederkäuen von Sorgen und widerstehen jedem Versuch, Probleme zu lösen. Diese Mixtur aus Reue, Missgunst und Empörung wird zu ihrem emotionalen Element.

So entstand eines der wichtigsten politischen Bücher der Gegenwart, denn dieses Grundgefühl - warum werden andere bevorzugt/war es früher besser/werde ich nicht meinem Wert gemäß anerkannt - befeuert jene rechten Gruppen, die wir fälschlicherweise Populisten nennen. Es ist keine leichte Lektüre. Man begegnet Max Scheler und Hermann Melville, Franz Fanon und Pierre Bourdieu.Fleury folgt ihrem Motto: Das Subjekt kann. Der Mensch kann. Der Patient kann. - und setzt statt auf die Vermittlung einer Lehre oder einer Moral ganz auf die Aktivierung eigener Gedanken, Lektüren und Empfindungen. Auf Überforderung.

Ich habe mit Georges Simenon und Maigret immer so meine Probleme gehabt. Der Funke sprang nicht über, mir war es oft zu langweilig. Erst in letzter Zeit und vermittelt über Jean-Luc Bannalec konnte ich mich ein wenig annähern. Ähnlich ergeht es mir seit einigen Jahren mit Gérard Depardieu: Er hat wirklich jeden einzelnen Punkt auf der Arschloch-Checkliste gemacht und viele doppelt. X mal haben Kolleginnen ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen. Er wurde der Vergewaltigung bezichtigt. Ist Fan von Putin, von Kadirow. Steuerflüchtling und und und.

Ist es möglich, ihn in der Rolle des Maigret dennoch zu bewundern? Schauspielern tut er eigentlich nicht. Hat kaum Dialoge, grunzt eher. Meist versucht die Kamera, seinen immensen Bauch irgendwie zu kaschieren, etwa durch eine ausgebreitete Zeitung. Aber dennoch ist es ein ganz besonderer Film, durchzogen von einer nicht ausgesprochenen, nicht zu heilenden Tristesse. Jene, die entsteht, wenn man ein Kind begraben musste.

Wie Maigret. Wie Simenon. Wie Gérard Depardieu.

Seit Kurzem bei Amazon Prime zu streamen.

(Kino ist besser, aber in unserer Stadt ist dieses Thema leider ein einziges Elend)

https://www.amazon.de/Maigret-tote-M%C3%A4dchen-Gerard-Depardieu/dp/B0C54GM267 (Öffnet in neuem Fenster)

Frankreich ist arg verwirrt, man liest ja täglich davon. In solchen Zeiten empfiehlt sich ein Umweg über eine britische Publikation, um sommerliche Klassiker zu entdecken. Zu diesem Rezept fällt mir ein, dass die Hersteller des Römertopfs insolvent sind – ich hatte den Römertopf bis zu dieser Nachricht auch völlig vergessen. Aber in der Zeit, als ich noch viel Umzüge machte oder dabei half, habe ich die schweren und zerbrechlichen Dinger oft verflucht. Klassische Staubfänger. Aber nun, da sie ganz aufhören, tut es mir leid, es nicht mal damit versucht zu haben.

Einstweilen schwöre ich auf Le Creuset Töpfe und dieses Rezept versuche ich mal damit.

https://www.theguardian.com/food/2023/may/27/thomasina-miers-provencal-chicken-casserole-new-season-garlic-recipe (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt und Sie die Möglichkeit haben, die Arbeit daran finanziell zu unterstützen, dann können Sie das hier tun:

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Der siebte Tag und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden