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NEUNERs #005

What a week! Saure Zeiten. Zum Einstieg in diese Ausgabe deshalb eine Grundlage, sozusagen eine Ration Pantoprazol für den Kopf.

„Es geht immer um die Warnung vor der geschlossenen Gesellschaft.“

„Mich interessiert über das zu schreiben wie man mit allem fertig wird.“

Beide Zitate stammen von Helga Schubert aus einer Lesung mit Gespräch zu „Vom Aufstehen - Ein Leben in Geschichten“ auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin im Jahr 2021.

https://youtu.be/HvG0lGCQUrc?feature=shared (Öffnet in neuem Fenster)

Empörung!?

Selbstverständlich sollte man sich nicht in der Empörung erschöpfen lassen. Sie sollte nicht ablenken von dem, was “wirklich” passiert und sozusagen „ernster“ ist als provokante Sprüche oder Gesten. Denn das passiert schnell und schneller angesichts der katalytischen Funktionsbedingungen der sozialen Medien in nervösen Zeiten unter pausenloser Ablenkung und Anspannung. “What if the Attention Crisis Is All a Distraction?” fragt der New Yorker (Öffnet in neuem Fenster) anlässlich des am 28. Januar erscheinenden Buchs “The Sirens' Call: How Attention Became the World's Most Endangered Resource” (Öffnet in neuem Fenster) von Chris Hayes.

Es scheint ein Spiel zu sein, in dem Provokation und damit Empörung (Öffnet in neuem Fenster) für die Populist*innen wie für die Big Tech-Besitzer (vor allem wenn sie, wie nun in den USA, zunehmend ein und dieselben sind) bislang verlässlich auf immer mehr Gewinn hinauslaufen. Ein Spiel, mit dem man Aufmerksamkeit nach einfachen Regeln offenbar endlos reproduzieren kann.

Wird die Empörung zum Prinzip (Öffnet in neuem Fenster), folgt ein “Stakkato der Erregung (auf) das jeweils nächste”, führt die Dauererregung zur Abstumpfung. Und ich kann die Warnungen wie von Sascha Lobo gut nachvollziehen: „Redet lieber über »Stargate« als über Musks rechten Arm (Öffnet in neuem Fenster)“. Denn “sollte es wie angekündigt umgesetzt werden, wird Stargate eines der größten Infrastrukturprojekte in der Geschichte der Menschheit” (Kreye, SZ (Öffnet in neuem Fenster)) und “kann als Angriff auf die Ökonomie des Restplaneten verstanden werden” (Lobo).

Dennoch muss sich Empörung auch gegen die schiere Provokation richten. Der Hitlergruß (Öffnet in neuem Fenster) von Musk als jüngstes Beispiel, so dümmlich und drogenberauscht dieses Signal an die Alt-Right-Rotten für sich genommen sein mag, ist inakzeptabel. Er steht für immer für „die Industrie des Todes und des Selbstmords“ (Carlo Levi, Die doppelte Nacht), für unbarmherzige, unfassbare Gewalt.

Erwin Blumenfeld: Grauenfresse, 1933

Und gleichzeitig steht die Empörung der strategischen Ebene ja auch nicht wirklich entgegen. Empörung alleine reicht zwar nicht aus, aber sie muss Teil der Strategie und des politischen Handelns werden. Denn sie hat eine enorme Kraft, zumindest viel mehr Kraft und Moment als die Provokation.

„Das Grundmotiv der Résistance war die Empörung. (…) »Ohne mich« ist das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann.“

Stéphane Hessel, Empört Euch!

Empörung darf eben nur nicht dazu führen, dass man die knallharten Interessen hinter den Provokationen übersieht, dass man auf Nebelkerzen hereinfällt. Und: Ja, Empörung sollte das konstruktive Streiten (Öffnet in neuem Fenster) nicht verdrängen.

Digital, libertär und maskulin

Big Tech hatten wir oben schon. Ihre zentralen Köpfe waren bei der Amtseinführung von Trump prominent auf der Bühne zu sehen. Sie sind deshalb derzeit auch in deutschsprachigen Medien stark angesagt:

In diesem Zusammenhang vier Literaturhinweise.

Denn das, was da mit Musk und Co aufkommt, ist ja nicht nur empörend, sondern meist auch überraschend platt. Adrian Daub schaute schon 2020 auf den irritierend klapprigen Überbau der Cyberlibertären.

https://www.suhrkamp.de/buch/adrian-daub-was-das-valley-denken-nennt-t-9783518127506 (Öffnet in neuem Fenster)

“Wie libertäre Menschen denken” (Handelsblatt (Öffnet in neuem Fenster), Untertitel: “In Döpfners Hirn”, sic!) beschreibt das (mir noch unbekannte) Buch “The Individualists” (Öffnet in neuem Fenster).

https://press.princeton.edu/books/hardcover/9780691155548/the-individualists?srsltid=AfmBOoq5w2ecbB_s8xcwXi4aZTvUzfWrIWBVHvhfw6IfNuR0vcRSt3LI (Öffnet in neuem Fenster)

Da verbinden sich Interessen der unternehmerischen Expansion mit denen rechter Politikunternehmer, die seit Jahren “Ressentiments bedienen, um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren, eigene Narrative erschaffen, um »Message Control« auszuüben und Kritik als Fake News abzutun”. Natascha Strobl analysiert die Methoden rechtsradikaler Bewegungen und Organisationen.

https://www.suhrkamp.de/buch/natascha-strobl-radikalisierter-konservatismus-t-9783518127827 (Öffnet in neuem Fenster)

Nicht umhin kommt man bei dieser Konstellation und angesichts der ganzen Eierköppe um die Bedeutung “politischer Männlichkeit”, die stark gekränkt zu sein scheint: »Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken«, appellierte einer von der AfD. Und “Mark Zuckerberg fordert mehr »maskuline Energie« in Unternehmen” (Öffnet in neuem Fenster).

https://www.suhrkamp.de/buch/susanne-kaiser-politische-maennlichkeit-t-9783518127650 (Öffnet in neuem Fenster)

Ja, Männer. Anscheinend gibt es wenig Neues unter der Sonne.

Victor Brauner: The Strange Case of Monsieur K. (Ausschnitt), 1933

Das Problem bei diesen ganzen Figuren ist, dass sie immer zugleich lächerlich und gefährlich sind. Wie Monsieur K. des Surrealisten Victor Brauner (Öffnet in neuem Fenster), wie die Akteure in “Noch wach?” (Öffnet in neuem Fenster) von Benjamin von Stuckrad-Barre oder wie die “soldatischen Männer” mit ihrem “weißen Terror” bei Klaus Theweleit (Öffnet in neuem Fenster).

https://www.deutschlandfunk.de/klaus-theweleit-maennerphantasien-grausame-maenner-wie-kurz-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Fangesang

Dua Lipa hat einen Buchclub (Öffnet in neuem Fenster) und Olga Tokarczuk (Öffnet in neuem Fenster) war zu Gast.

Reinald Goetz pflegt nun einen Instagram-Account (Öffnet in neuem Fenster).

Herlinde Koelbl sprach auf BR3 über ihren “Blick in die Seele der Menschen” (Öffnet in neuem Fenster) (Wdh. 2024).

In Aussicht

Im Lenbachhaus München läuft noch bis 30. März die Ausstellung “Aber hier leben? Nein Danke. Surrealismus + Antifaschismus” (Öffnet in neuem Fenster). Von dort stammen auch die Fotos oben.

Das Hans Otto Theater in Potsdam zeigt im Januar und Februar “Blutbuch” (Öffnet in neuem Fenster) nach Kim de l’Horizons Roman.

Outro

Danke für den Durchstieg.

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