Zum Hauptinhalt springen

Christentum und rechte Logiken 

Der Begriff „Apokalyptik” wird unterschiedlich verstanden. Landläufig sind Apokalyptiker Typen, die mit bombastischen Unheilsvisionen Angst machen und dann auf irgendwelche Termine starren bis zum Weltuntergang. Sie haben dabei unterschiedliche Szenarien, wann, wer, wie, wo… allen gemeinsam ist. Heute geht es mir um Apokalyptik und rechte Verschwörungserzählungen.

Wie du weißt versuche ich an konkreten Beispielen eine neue, metamoderne Lesart deutlich zu machen.

  1. Problem definieren: ungeschminkt wahrnehmen , was weh tut

  2. Pro/Kontra der Ursachenanalyse: wie geht man bisher klassisch damit um? Wie verstehen wir das Problem bisher? Gibt es andere Deutungen

  3. Besserer Lösungsvorschlag: Wie verstehe ich mit meiner historisch-narrativen Brille das Ganze und wie wird daraus eine metamoderne „Lösung?

  4. Lösungsverstärkung (Bewertung der Lösung): bestimmt kann ich noch an einem konkreten Fallbeispiel plausibel machen, wie die neue Lesart der Wirklichkeit nützt.

Andere Apokalyptische Erzählungen
Apokalyptische Erzählungen und rechtes Verschwörungsdenken

Problem Apokalyptik

Also die Apokalyptiker Typen, die mit bombastischen Unheilsvisionen Angst machen und dann auf irgendwelche Termine starren bis zum Weltuntergang… Und ups, das Ende rückt (zufällig gerade jetzt, wo dieser Apokalyptiker lebt) nach biblischen belegbaren Zeichen in der Geschichte/Gestirnen sehr nah. Alles lädt ein, sich eine verschworene Gemeinschaft zum Überleben zu suchen (Prepperalarm!) und irgendwie passiv auf den großen Bang Gottes zu warten, bis das Unheil an ihnen vorübergegangen ist und an den Feinden Gottes vollzogen wird… Die Einladung ist: Zu welcher Gruppe willst du gehören? Zu den Geretteten oder den Verlieren dieser Apokalypse? 

Die Forschung zum Neuen Testament sagt es differenzierter und auch anders. Mit unserer historisch-narrativen Sicht gibt es einen anderen Move. Aber so ungefähr müsste Apokalyptik landläufig gedacht werden.

Die sehr wichtige Frage heute ist: Wie anfällig solche klassischen Narrative für aktuelle Verschwörungsvorstellungen sind. Das möchte ich im nächsten Schritt jetzt kurz zusammenfassen mit einem Artikel von Samuel Epp (S. 296ff) in „Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten.”

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-7530-6/topoi-und-netzwerke-der-religioesen-rechten/ (Öffnet in neuem Fenster)

Anknüpfungspunkte für Verschwörungsglauben im evangelikal-pietistischen Milieu

  1. Pro/Kontra der Ursachenanalyse: wie geht man bisher klassisch damit um? Wie verstehen wir das Problem bisher? Gibt es andere Deutungen?

Während, wie auch in der Gesamtbevölkerung, nur ein Teil der evangelikal-pietistischen Christ:innen als verschwörungsgläubig bezeichnet werden kann, gibt es in diesem Milieu verbreitete Motive, die den Glauben an Verschwörungserzählungen zumindest zu erleichtern scheinen und diesen Überzeugungen gegenüber dem »gewöhnlichen« Verschwörungsglauben einen besonderen »Spin« verleihen. Dazu gehören der Glaube an einen apokalyptischen Weltuntergang, ein eklektischer Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie eine religiös untermauerte Fokussierung auf sexual- und identitätspolitische Themen, die als Anknüpfungs- und Einstiegspunkte für Verschwörungsglauben verstanden werden können. Darüber hinaus geht Verschwörungsdenken auch in den untersuchten Gruppen häufig mit der Aktivierung antisemitischer Topoi einher.Bevor auf die Selbstdarstellungen der drei Gruppen eingegangen wird, soll zunächst eine Einordnung der gemeinsamen Narrative vorgenommen werden.

DAS „KLASSISCHE” APOKALYPTISCHE WELTBILD

Verschwörungsglaube und apokalyptisches Denken bzw. apokalyptische Ängste liegen nahe beieinander. Dieser Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und »Millenarismus« wurde bereits 1964 von einem der wichtigsten Wegbereiter des Forschungsfeldes »Verschwörungsglaube«, Richard Hofstadter, festgestellt. Dennoch ist diese Verbindung, nach Michael Barkun, einem weiteren wichtigen Wegbereiter, so offensichtlich sie doch auf der Hand liegen mag, keine einfache (vgl. Barkun 2013: 9). Beide Ansätze sind stark dualistisch und schreiben das Böse einer im Geheimen agierenden Kraft zu. Darüber hinaus hätten diese Ansätze auch ähnliche Funktionen. Beide aktivieren symbolische Ressourcen, die Gesellschaften helfen das Problem des Bösen zu definieren, weshalb sie sich häufig gegenseitig verstärken (vgl. ebd.: 10).

Die (symbolische) Offenheit der als Begründung herangezogenen Bibelstellen bietet zudem die Möglichkeit, diese relativ frei auszufüllen (vgl. ebd.: 56). Unter christlichen Millenarist:innen, die auf das Kommen eines Antichristen warten, hätten sich dabei zwei Strategien herausgebildet:

• Die einen würden versuchen Charakteristika des Antichristen zu identifizieren, um ihn bei seinem Kommen zu erkennen (vgl. ebd: 41). Diese Strategie, die immer wieder neue potentielle Antichristen identifizierte, war in der Regel sehr stark durch antisemitisches Denken geprägt und identifizierte jüdische Menschen häufig mit diesem erwarteten Antichristen (vgl. ebd.: 41–55). Samuel Epp: Verschwörungsglaube im evangelikal-pietistischen Milieu (S. 297)

• Eine zweite Strategie fuße auf der Annahme, der Antichrist würde die Herrschaft auf der Erde übernehmen und brauche hierfür entsprechende Strukturen (vgl. ebd.: 43–44). Diese Strukturen identifizierten entsprechende milleniaristische Gruppen z.B. in der League of Nations, der nachfolgenden UN, aber auch in Technologien wie der Computertechnik, implantierten Microchips oder einem universellen Barcode (vgl. ebd.: 45).

Blickt man auf das zu untersuchende Quellenmaterial, scheint sich Barkuns Beschreibung kaum überholt zu haben.

Thorsten Dietz fasst die Funktion apokalyptischen Denkens folgendermaßen zusammen: »Apokalyptischer Politik geht es nicht um sozialen Zusammenhalt, Integration und Interessenausgleich. Apokalyptische Politik denkt von der Verhinderung vermeintlicher Gefahren her. Sie will Gefahren abwenden ... (Öffnet in neuem Fenster) und Bedrohung ausschließen« (Dietz 2022: 236). Dabei werden beispielsweise eine globalisierte Moderne, die Postmoderne, neue technologische Errungenschaften aber auch die ungewohnt schnelle Entwicklung eines Impfstoffs gegen COVID-19 als große Gefahr wahrgenommen. Statt einer kritischen, aber dennoch realistischen Analyse des Phänomens wird hier, geprägt durch ein verängstigtes Weltverhältnis, übersprungsartig die Warnung vorweggenommen. Dies führt in einen Teufelskreis aus Angst, Warnung und verstärkter Angst angesichts einer sich immer weiter verschlechternden Welt.

Unsere historische-narrative Deutung der Apokalyptik

Ein besserer Lösungsvorschlag: Wie verstehe ich mit meiner historisch-narrativen Brille das Ganze und wie wird daraus eine metamoderne „Lösung?

Ja, gibt es. Abgrenzen möchte ich mich deutlich von dieser eben skizzierten Version der angstüberladenen oder Angst erzeugenden Apokalyptik.

Es geht in historisch-narrativer Perspektive auch um Geschichtsdeutung, aber eben weder abstrakt der Kampf „Gott versus Teufel” (alles himmlischer Mythos) abgelöst von konkreten politischen Bedingungen, sondern ganz irdisch-konkret symbolisieren apokalyptische Narrative politische Gegenwarten mit der Hoffnung: Israels Gott, der seinVolk wieder herstellen will und das Imperium (in diesem Fall ROM) in nächster Nähestürzen wird, um Frieden für alle herzustellen durch eine gerechte Regierung des JHWH-Vertreters (konkret: Jesus, als himmlischer KYRIOS, König oder besser Kaisergestalt im römischen Kontext). 

Ja, es gibt in den biblischen apokalyptischen Texten das dualistischeWeltbild, aber im Kontext der antiken Zeit im 1. Jahrhundert gelesen wird hier ein unterdrücktes kleines Gottesvolk (aufgrund göttlicher Versprechen, es zu bewahren) zuerst selbst am Maßstab der eigenen Bundestreue gemessen. Gott vertritt Israel und Satan das römische Imperium.

Apokalyptik ist zuerst übrigens vor allem Selbstkritik an Einzelhandlungen oder politischen Verhaltenslogiken! Dabei richtet sich Kritik an die herrschende kleine Oberschicht des eigenen Volkes geschieht (Priester, Könige usw.).

Die Propheten oder Apokalyptiker ab dem 2. Jh. vor Christus, und auch die christlichen Apokalyptiker Jesus, Paulus im 1. Jh. n. Chr. und die Mehrheit der Jesusbewegung des 1. Jahrhunderts (Johannäische Texte eher wenig, aber immer noch mit deutlichen Spuren!)… Also diese Menschen versuchten im Erzählen des jüdischen Narrativs von derHoffnung einer politisch-geschichtlichen Wendung zu erzählen, wie es schon im Exil und der Rückkehr eines Restes von Israel erlebt wurde.

Wichtig: 

  • eine innergeschichtliche Wendung wie das jüdisch-babylonische Exil eine innergeschichtliche Unterdrückungsstory erzählt.

  • eine innergeschichtliche Lösung: Ein neuer davidischer König wird das Volk Israel wieder herstellen und im Schutz und Lebensraum in turbulenten politischen (und spirituellen! = Götterwelten) Zeiten geben. 

  • es war keine überzeitliche Botschaft für die „Rettung der Welt!“, sondern eine nahzeitliche gute Nachricht der „Rettung der Juden des 1. Jh.“ im Kontext imperial-römischer Unterdrückung. 

Mit dieser Brille macht jede Deutung einer möglichen Wiederkunft des Jesus für uns heute keinen Sinn mehr, da dieser theologische Begriff „Wiederkunft” sich mit dem Herrschaftsanbruch des jüd.-messianischen Gekreuzigten in Rom (unter Kaiser Konstantin) Gestalt gegeben hat. Eine Dritte Wiederkunft Jesu wäre nach biblischen Narrativen nicht zu erwarten. 

Eine neue Community in Metakrisenzeiten

Hier nund meine Lösungsverstärkung (Bewertung der Lösung): An einigen konkreten Fallbeispielen mache ich plausibel, wie diese neue Lesart der Wirklichkeit nützt:

Vielleicht können wir aber von diesen apokalyptischen Stories und Erfahrungen der ersten Christen als leidende Zeug:innen für eine bessere Zukunft modellhaft lernen für unsere Umbruchszeiten einer Metakrise (Öffnet in neuem Fenster). Sie waren widerstandsfähig, haben inklusive Überlebensgemeinschaften gebildet: interkulturell und gleichberechtigt – sie waren Ankerpunkt für entwurzelte Vertriebene im Imperium, die sich in den Städten sammelten. Das haben Walter Faerber und Peter Aschoff wunderbar in ihre kleiner Broschüre beschrieben: Evangelium, Gottes langer Marsch durch seine Welt. (Öffnet in neuem Fenster)

Welche Hoffnungen und Erwartungen realistisch (mit dieser Glaubensperspektive, dass der Volksgott JHWH sein Volk retten kommt) für unsere Zeiten auslösen könnte, ist heute meiner Meinung nach umstritten, weil zu klären ist: 

  • wer ist „sein Volk” heute? Eventuell sind diese Menschen nicht identisch mit „der Kirche”!? Ich denke an die Prophetinnen der Apokalypse Greta Thunberg u.a.,

  • und in welchen lokalen Kontexten ist welche Hoffnung plausibel? Für das klimatisch mildere Deutschland sicher andere als für das überheiße Spanien! Niemand kann sich sein Lokalklima aussuchen, alle müssen mit ihren Kontexten klarkommen. So ist Glaube und Hoffnung mehr geprägt von der Lokalität als wir bisher mit unserem „mystisch-überzeitlichen” Evangelium der Rettung der Seele uns einbildeten.

Im westlich-kolonialen Christentum (heute noch neokolonial geprägt!), wäre z.B. eine Wiederherstellung alter („christlicher”) kolonialer Machtträume (die ganze Welt „gewinnen”) sicher nicht im Geist des Gottes, der sein „unterdrücktes” Volk retten will, aber die egoistischen „Herrschaftseliten” in seinem Volk gleichzeitig „verdammt”, d.h. den gerechten Folgen ihres Verhaltens ausgeliefert sein lässt.

Meine Schlussfolgerungen:

  1. Damit wäre unser Evangelium in westlicher Kultur eher eine Buß- und Drohbotschaft an die kollektiven Reichen & Mächtigen: „Ihr verdient es, dass ihr die Folgen einer ausbeuterischen Gesellschaft zu tragen bekommt, diese Welt, die ihr zu besitzen glaubtet, wird euch entrissen”. 

  2. Am Beispiel der aktuellen deutschen Debatte über Migration verdeutlicht sich das (wie Tazio Müller es hier sagt: (Öffnet in neuem Fenster))„gefühlte schlechte Gewissen: es geht nicht um reale Gefahren, es geht darum, Migrantinnen loszuwerden, sie nicht einmal reinzulassen, sie abzudrängen. Denn diese Migrantinnen stellen unser schlechtes Gewissen dar, sie sind unsere verdrängte Schuld in der Externalisierungsgesellschaft. Und diese Erinnerung suchen wir durch Verdrängung möglichst umfassend loszuwerden.” So erinnert jeder nicht-weiße Mann (in Deutschland) diese, unsere koloniale Geschichte, die jetzt durch die Globalisierung der Folgen (Fluchtursachen) zurückschlägt… 

  3. Ach ja und die aufkommenden rechten Ideologien sind mit dem kolonialen Christentum zwar nicht identisch, aber schlimmer: sie bauen darauf auf und haben die egoistisch-ausbeuterische Fratze perfektioniert.

IN WELCHEM SINN MACHT „APOKALYPTIK” ALSO NUR SINN?

Apokalyptik, die auf das Muster setzt, „alles geht in’ Arsch, das ist auch gut so, weil dann kommt Gottes Rettung zu uns Auserwählten (wer auch immer sich damit dann schmückt)”, lehne ich als eine späte, falsche Deutung des Originals ab. 

Apokalyptik, vielleicht nenn ich es mal mit einer Wortneuschöpfung „Meta-Apokalyptik” (im Sinne von: die Apokalyptik, die die bisherige übersteigt und Gnostizismus (Öffnet in neuem Fenster) hinter sich lässt) als selbstkritische Erinnerung daran, dass die sozialen und politischen Früchte jahrhundertelangen imperialen Christentums zu ernten sind und das die „Auserwählten” (Glaubenden) zur sozial-politischen Buße (also Politikumkehr) aufruft, könnte als Learning aus der biblisch-apokalyptischen Erzählung vielleicht Sinn machen. 

Die Frage bleibt noch in Diskkussion: Welche metamoderne Politik macht Sinn und mit welcher (sicher nicht „billigen”!) Hoffnung? Oder eher mit der Ansage, wie wir in den kommenden Kollapsen nur solidarisch überleben?

Lass uns darüber diskutieren. Du kannst einfach auf diesen Mail antworten und mir deinen Beitrag rüberbeamen. Ich werde alles lesen und in kommenden Newslettern diese Impulse verwenden. Danke für dein Interesse,

mit meta-apokalyptischen Grüßen

Helge

Kategorie Theologie

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Metafit zur Metamoderne und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden