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Langstrecke 1

Von Zimmermädchen und Geburtstagsgedanken

„Ich war Zimmermädchen in einem Kaff am Oderhaff, als ich Mutter wurde.“ Diesem Satz aus einem meiner Instagram-Posts verdanke ich meinen Weg in diesen Raum hier.

Er entstand spontan, er entstand wie alle guten Dinge aus einer Laune heraus, einem Überschwang, einem Zuviel. Eigentlich wollte ich das Buch einer französischen Künstlerin empfehlen, auch das Foto dafür war schon gemacht. Eine Textsammlung, die mit dem fragilen Empfinden zwischen Offenbarung und Verwirrung spielt. Ich setzte mich mit einem Morgenkaffee auf den Balkon, es war der Tag, nachdem mein erstes Kind achtzehn Jahre alt geworden war. Und je mehr ich darüber nachdachte, was Sophie Calle preiszugeben vorgab und stattdessen verbarg, umso mehr drängte aus mir heraus, was ich anlässlich meines eigenen Mariaseins in genau diesem Moment dachte. Und daraus wurde dann ein Post, Sophie musste warten.

Und nun erscheint es mir nur folgerichtig, dass dieser Text jetzt hier noch mal einen Platz bekommt. Was hab ich an jenem Morgen Ende Juli Buchstaben hin und her geschoben, um bei Instagram nicht die erlaubten Zeichen zu überschreiten und dann in den Kommentaren weiterschreiben zu müssen. Und jetzt freue ich mich über meine erste Langstrecke hier, den Prototyp also, der frei zugänglich für alle sein wird. Schließlich übe ich noch und ihr sollt wissen, wo der Startpunkt unserer Reise ist und ob ihr überhaupt mit mir kommen wollt. 

Hier ist er also, der Text, der mich hierher geführt hat, ergänzt um all das, was ich euch für diesen zarten Anfang nun noch erzählen will:

Ich habe viel nachgedacht in den vergangenen Nächten. Nicht mal verzweifelt, das kenne ich auch, aber diesmal war es eher … erstaunt, verwundert, erinnernd, auf gute Weise nachdenklich eben. Über dieses letzte Jahr in meinen Dreißigern, das gerade angebrochen ist und über dieses seit gestern achtzehnjährige Kind, das weiterhin zu mir gehört, wohin es auch wachsen oder gehen mag. Über (Um-)Brüche und Wunden – und natürlich Wunder. Über tiefstes Glück und größte Unsicherheit.
Ich war Zimmermädchen (ein Wort wie aus einem anderen Jahrhundert) in einem Kaff am Oderhaff, als ich Mutter wurde. Das Baby hat seine ersten Wochen in einer Großküche verbracht, in der ich völlig kenntnisfrei im allerheißesten Sommer tiefgefrorenen Zander für Fahrrad fahrende Touristen briet. (Fragt mich, woher meine Fisch-Aversion kommt, Teil 1 von 2.) Und ja, in diesem Dorf, das im Sommer zu einem Drittel aus Touris und zu einem Drittel aus Nazis – das letzte Drittel Omis würde bald von reichen Berliner*innen abgelöst werden, aber da wäre ich dann zum Glück schon weg – besteht, hat ein Zimmermädchen nun mal die sieben Zimmer und dazugehörigen Bäder geputzt, schlimmstenfalls alle achtzehn Betten bezogen, Wäsche gewaschen, Frühstück gemacht, nachmittags aufgetauten Pflaumenkuchen und dreifarbiges Eis auf der Terrasse serviert, Zander (oder Maultaschen, don't ask) gebraten und abends Bier gezapft. Und dazwischen den Rasen hinterm Haus gemäht. Ich war dieses Zimmermädchen. Zwei Winter und drei Sommer lang. Ich war Maria für alles. Es war nämlich sonst keiner da. Zumindest in den Wintern, was überraschend schön war, bis ich beschloss, dass diese Einsamkeit ein Kind vetrug, aber das ist eine andere Geschichte. Für das gezapfte Bier gab es übrigens zwei Abrechnungsmodelle: Die Übernachtungsgäste, die meist auf dem Oder-Neiße-Radweg Richtung Usedom unterwegs waren, blieben nur eine Nacht. Das bedeutete, dass sie spät und stets hungrig ankamen und gern schon im Morgengrauen nach einem unnatürlich reichhaltigen Frühstück schrecklich gut gelaunt weiterradeln wollten. Sie mussten zwei zwanzig pro Glas zahlen und erledigten das in der Regel unter großen Lobesbekundungen für solch moderate Preise am nächsten Morgen mit der Zimmerrechnung (in bar natürlich). Während sie meinem gänzlich radwanderuninteressierten Morgen-Ich ihre Tagesroute entgegendeklinierten, grübelte ich angestrengt, wie aufwendig die Zimmerreinigung nach einer muskelschmerzbedingt komatösen Nacht schon sein konnte. Wenn ich Glück hatte, ging es schnell und ich konnte mit dem Baby eine lange Mittagspause machen, bevor der nächste Schwung platter Hintern vom Velo stieg und Ausrufe idyllischer Verzückung durch den baufälligen Hinterhof hallten. Die Dorfbewohner*innen hingegen zahlten eins fünfzig pro Bier und durften anschreiben. Mario, Hannes und Zahra (ja, genau nach Ich-weiß-es-wird-einmal-ein-Wunder-geschehn-Leander) mussten es sogar, also anschreiben. Weil sie aber immer mal wieder abbezahlten, was sie eben erübrigen konnten, sorgte Jean Pierre im Gegenzug dafür, dass wir ihnen im Winter, wenn wir die Kneipe ausnahmsweise einen Abend lang mal nicht öffneten, einen halben Kasten Bier in den offenen Wäscheschuppen stellten – zur verantwortungsvollen Selbstbedienung, wie er sagte. Aber zurück zu meinem Kind und in die überhitzte Küche des ohnehin überraschenden Jahrhundertsommers: Als ich das schreiende Baby nach dem Servieren der Fische (an mittelmäßig gelungenen Bratkartoffeln, natürlich) schweißgebadet aus dem Körbchen nahm und sah, dass es die ganze Zeit eine heruntergefallene Kuchengabel unter dem Oberschenkel pieksen hatte, wusste ich, dass das so nicht funktioniert. Mit uns. Für uns. Und ich ging.
Trotzdem fehlt mir vieles an diesem Ort noch heute immer mal wieder und es ist kein Zufall, dass ich sechs Jahre später zurückkehrte, kurz, um genau dort zu heiraten.
Dazwischen aber die Jahre, als ich nicht wusste, wie ich uns beide, das Kind und mich, von HartzIV gut versorgen kann, sie haben sich eingeschrieben und begründen in vielen Dingen meinen Pragmatismus. Die vielen innigen, überfordernden, glückseligen, anstrengenden, einzigartigen, vertrauten, befremdlichen, zehrenden, energetisierenden, beängstigenden und bestärkenden Momente in so vielen Jahren Mutterseins begründen den Rest.
Es wird einfacher, möchte ich den ganz frischen Müttern gern zurufen, aber es steht mir nicht zu. Denn noch muss ich schauen, was als Nächstes kommt. 

Hier gehts nochmal zum Ursprungspost:

https://www.instagram.com/p/CR54P11rRhV/?utm_source=ig_web_copy_link (Öffnet in neuem Fenster)

Was in den kommenden Texten zu erzählen bleibt: Was macht man im Winter dort oben am Haff? Und was rechtfertigte es überhaupt, die Kneipe einen Abend lang geschlossen zu lassen? Woher kommt der zweite Teil meiner Fisch-Aversion? Ist es schöner, ein Kind im Prenzlauer Berg als in der Uckermark großzuziehen? Oder leichter? Aber ich ging doch gar nicht nach Berlin? Was kommt überhaupt als Nächstes? Und wo kommt es eigentlich her? 

Ich freue mich sehr, wenn ihr Freude an diesem Text hattet und gespannt auf weitere persönliche Langstrecken von mir seid und wir gemeinsam dieses Abenteuer hier erleben.

Für Rückmeldungen und Austausch aller Art bin ich immer dankbar. Und natürlich darüber, wenn ihr hier Mitglied werdet und mich auf die eine oder andere Weise unterstützt, um mir Zeit für diesen wunderbaren Raum zu ermöglichen.

Eure Maria

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