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Schlabber schlabber und weg damit!

Ich sitze in einem blau-schwarz kariertem Holzfällerhemd in einem Aufnahmestudio voller Bildschirme
Der Autor in einem Studio beim Deutschlandradio in Berlin

Anfang der Woche war ich eine Stunde lang in der hr2-Radiosendung “Menschen und ihre Musik (Öffnet in neuem Fenster)” zu Gast. Der Moderator Niels Kaiser sprach mit mir vor allem über das kürzlich erschienene “Schleichwege zur Klassik”-Buch (Öffnet in neuem Fenster) und spielte von mir ausgewählte Musik. (An dieser Stelle eine Extrabegrüßung an alle, die über das Buch in diesem Newsletter gelandet sind!)

Hier könnt ihr die Sendung komplett nachhören (Öffnet in neuem Fenster) (und sogar runterladen für spätere Verwendung).

Herr Kaiser fragte mich vor der Sendung, ob ich mich als “Klassik-Influencer” sehe und da musste ich ziemlich verdattert antworten, dass ich für meine Aufgabe gar keine Bezeichnung hätte, weil ich ja eigentlich nie über mich als jemanden spreche, der über klassische Musik spricht (oder schreibt). Ich habe den Begriff des “Influencers” bei Steady (Öffnet in neuem Fenster) (wo ich Mitgründer bin) auch immer gemieden. Dort helfen wir unabhängigen Medienschaffenden beim Geld verdienen. Diese Leute werden auch manchmal Creators genannt, was schon merkwürdig genug klingt, aber der Influencer hat einen ganz besonders fiesen Beigeschmack. Es klingt nach Manipulation, nach Leuten, deren Job es ist, Einfluss zu nehmen auf bestimmte Zielgruppen, idealerweise mit dem Ziel, ihnen etwas zu verkaufen. Zu verkaufen habe ich natürlich auch etwas (Mitgliedschaften (Öffnet in neuem Fenster) zur Unterstützung dieses Newsletters und natürlich Bücher (Öffnet in neuem Fenster)), also sollte ich meinen Dünkel vielleicht etwas unauffälliger tragen. Weshalb es dann für mich auch okay war, als “Klassik-Influencer” bezeichnet zu werden. Man weiß ja, was gemeint ist.

Womit wir wieder beim Thema wären: Der Dünkel der Klassikfans ist ja ein großes Problem bei der Klassikvermittlung. Mir schrieb ein Bekannter neulich: “Am Ende überwiegt bei mir immer die Angst, dass das, was ich da ggf. höre, dann doch nur der massentaugliche Kram ist und die schlechten Interpretationen.” Er ist damit nicht allein, solche Sorgen höre ich oft. Als ob man sich, in dem man das Falsche hört, den Geschmack verdirbt, sich auf eine merkwürdige Art, durchs Hören, vergiftet.

Mein Vater saß mal mit einem Winzer zusammen und fragte ihn, wie sein doch bestimmt sehr besonderer Zugang zum Wein so ist, worauf er achte, was ihm wichtig sei und so weiter. Der Winzer guckte meinen Vater unverwandt an und sagte: “Ja, schlabber schlabber und weg damit!“

Nun kann man beileibe nicht alle Musik leicht wegschlabbern, aber ein bisschen weniger Gewese um den richtigen Zugang ist sicherlich keine schlechte Idee, zumal in Gegenwart von Leuten, die guten Willens sind, aber noch am Anfang ihrer Reise durch die Musikgeschichte stehen.

Ich denke, dass es anfangs völlig egal ist, welche Aufnahme eines Werks man sich anhört. Die Unterschiede wird man zu Beginn eh kaum erkennen und auch nicht würdigen können. Wenn man ein Stück dann lieb gewonnen hat, kann man ja immer noch verschiedene Interpretationen (Öffnet in neuem Fenster) miteinander vergleichen. Ja, es ist wichtig, dass klassische Musik interpretiert werden muss und will, aber das soll keine Hürde sein für die, die gerade erst einsteigen.

Mit welcher Musik soll man denn anfangen? Eine Möglichkeit ist die Musik, die ich zu “Menschen und ihre Musik” mitgebracht habe. Ich durfte ziemlich genau eine halbe Stunde Musik auswählen und es hat mir eine diebische Freude gemacht, Sätze aus Werken ganz unterschiedlicher Epochen zusammenzusuchen, die am Ende zusammen genau dreißig Minuten lang sind. Ich entschied mich für vier Stücke, die auch im Buch vorkommen – und zwei weitere (ein Sextett von Ferdinand Ries, in dem meine Mutter die Harfe spielt und ein sehr altes Werk aus dem 17. Jahrhundert von Heinrich Ignaz Franz von Biber, das immer noch ganz frisch klingt). Wer nicht die ganze Sendung hören mag oder die ganzen Werke hinter den einzelnen Sätzen sucht, findet hier die Playlist:

https://open.spotify.com/playlist/5RFeRJ3UAGbzRUeQ2tk4zX?si=6a272e18a460405c (Öffnet in neuem Fenster)

Tatsächlich war ich übrigens nicht in Frankfurt beim Hessischen Rundfunk zur Aufzeichnung der Sendung, sondern wurde aus einem Studio des Deutschlandradios in Berlin zugeschaltet. Auf dem Gebäude, das übrigens so groß ist, dass es in zwei Berliner Bezirken gleichzeitig steht, prangt immer noch das RIAS-Logo (“Rundfunk im amerikanischen Sektor”). Ich betrat es neben einem Lieferwagen durch den Hintereingang hineinspazierend, weshalb mich niemand am Einlass sah. Ich ging also ohne Besucherausweis, quasi als blinder Passagier an Bord dieses ARD-Radiotankers. Erst auf dem Heimweg fiel mir auf, dass ich, völlig unbeabsichtigt, einen Schleichweg ins Radio genommen hatte.

Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel

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