„Sie sind wohl keine Thomas-Mann-Leserin, was.“
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In letzter Zeit bin ich (mit dem Hund) oft im Schlosspark Charlottenburg unterwegs. Ich habe mich dieser Woche dabei sehr lebhaft daran erinnert, wie ich das erste Mal in diesem Park war: Es war im Rahmen meiner Ausbildung zur Buchhändlerin. Vermutlich im dritten Lehrjahr, also sehr wahrscheinlich 2009. Wir hatten die Aufgabe einen Berliner Verlag zu interviewen und ich hatte mich für Das Arsenal entschieden und den Verleger Peter Moses-Krause in seiner riesengroßen Charlottenburger Altbauwohnung besucht, die auch sein Verlagsbüro war. Er führte den Verlag gemeinsam mit seiner Frau Jutta Siegert. Man kann sich das so romantisch vorstellen, wie es wohl nur sein kann: Eine helle, geräumige Wohnung mit viel Licht, das durch die großen Fenster fiel, Regale, die sich an endlos scheinenden Fluren entlang über die ganze Etage zogen, Bücherstapel auf dem Boden, auf Tischen und Sesseln, auf jeder freien Fläche. Zwei Menschen, die viel gesehen hatten und sich, wie im Gespräch schnell klar wurde, trotzdem eine Zartheit und einen Humor bewahrt haben, die das Lesen liebten und die dafür lebten. Ich hatte den Verlag wegen seiner wertvollen Arbeit für jüdische und jüdisch-deutsche Themen gewählt, wegen seiner dezidiert politischen Haltung, wegen seines essayistischen Schwerpunkts und weil sie Franz Hessel im Programm hatten. Ich saß nun da, in dieser beeindruckenden Bücherwohnung, lauschte, staunte, trank Kaffee, machte unzählige Notizen und hatte mir die beiden im Geheimen kurz als meine Eltern vorgestellt. Was für ein Leben wäre das geworden? Aber ich will eigentlich auf etwas anderes hinaus:
Nach den ersten anderthalb Stunden, die Peter Moses-Krause (der leider 2023 achtzigjährig verstorben ist) mir mit köstlichen Anekdoten aus der Gründung und Verlagsgeschichte hat wie im Flug vergehen lassen, sah er auf die Uhr, rief den Hund (ich verstand nicht ganz, wie er ihn rief, dachte: komischer Name) und lud mich für den Rest der Geschichten noch ein, ihn auf seiner täglichen Mittagsrunde durch den Park zu begleiten. Es war Frühling, wir liefen gemütlich über kleine und große Straßen und dann durch den wirklich schönen Schlosspark, er erzählte weiter. Der Hund, schon älter, noch viel gemütlicher als wir, trottete leinenlos und höchstens mittelmäßig motiviert, aber nicht ohne Charme hinter uns her. Es war längst nicht alles erzählt, natürlich nicht, aber irgendwann musste ich zurück zur Schönwasser Allee, die Kinder abholen, ah Moment: Singular, es war erst ein Kind. Der Verleger wollte ebenfalls wieder nach Hause und rief den Hund: Bauschan. Ich hatte mich wirklich schon die ganze Zeit gefragt und gab es nun zu: Wie heißt er? Das ist aber ein seltsamer Name. Sein Blick war ungläubig, aber nicht ganz und gar unfreundlich. Doch er stellt fest: Sie sind wohl keine Thomas-Mann-Leserin, was. Ich glaube, da gab es kein Fragezeichen. Touché.
Abends las ich nach. Las die Geschichte nach in der Erzählung Herr und Hund. Ich hatte damals noch keinen eigenen und kann erst jetzt verstehen, was Thomas Mann uns — die wir nichts so sehr fürchten, wie die unsäglich peinlichen Begegnungen mit anderen Hunden, aber auch sonst keine angemessenen Worte finden für die Liebe und die Genervtheit, wie dieser Dichter für unsere Herzenstölen — was er uns da für ein Geschenk gemacht hat.
Doch dies, der leichte, anekdotische Erzähler Thomas Mann, ist eben nur eine kleine Facette dieses Schriftstellers, dem ich aus völlig unsinnigen Prinzipien (als hätte ich in dieser Sache etwas zu sagen!) lange den Geniestatus schlicht durch ausdauernde Ignoranz aberkennen wollte.
Natürlich hatte ich früher Thomas Mann gelesen, genauso wie
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