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MCP Der Literatur-Newsletter #11 Juni 2022

Liebe Leser*innen,

diese rasende Zeit! Ich werde immer ganz wehmütig, wenn der 21. Juni vorbei ist und doch liegen die besten Wochen sicher noch vor uns: Lange, hoffentlich endlos lange Sommersonntage, die wir lesend verhängematten, auf Parkbänken und in schattigen Cafés in bester Gesellschaft guter Bücher sitzen werden, laue Sommerabende, an denen wir mit Freund*innen und Verbundenen darüber im Gespräch sind, mit welchen Büchern wir gerade die Welt bereisen und die absolut fabelhafte Frage beantworten dürfen, welche Lektüre wir wohl mit an den Strand nehmen wollen, an den Waldsee direkt vor der Tür oder ans türkisblaue Meer. Was für eine Aussicht! Die Frühjahrsprogramme der Verlage sind erschienen, mit den Herbstbüchern hat alles noch Zeit. Wir Buchhändler*innen fühlen uns angesichts der eintrudelnden Leseexemplare noch nicht unter Zeitdruck gesetzt, sondern sind ganz im Jetzt und dankbar, weil vieles gerade so eine Leichtigkeit vermittelt, die ab August mit den explosionsartigen Erscheinungsterminen ... naja, darüber sprechen wir dann. 

Lieblingsbuch im Juni

Völlig zur rechten Zeit kommt für mich Frank Heiberts brillante Übersetzung von George Saunders neuem Buch „Bei Regen in einem Teich schwimmen“ (Öffnet in neuem Fenster). Seit „Lincoln im Bardo“ (ebenfalls genial übersetzt von Frank Heibert) gehört George Saunders für mich zu den allerhellsten Sternen meines literarischen Universums. Sein neues Werk trägt den Untertitel: Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen. Und genau darum geht es. Auf 544 Seiten hält Saunders den sprühendsten, inspirierendsten Literaturkurs ab, den ich mir in Buchform vorstellen kann. Er unterrichtet seit zwanzig Jahren eine Master Class im Creative-Writing-Programm der Syracuse University und gibt einen Kurs zu russischen Erzählungen des 19. Jahrhunderts. Dort werden innerhalb von drei Jahren Erzählungen gelesen, anhand derer die neuen, aber ohnehin begabtesten, vielversprechendsten Autor*innen ihr Gefühl fürs Lesen und Schreiben nochmal schärfen sollen, ihren Blick auf Literatur nochmal genauer prüfen können. Völlig sympathisch sagt Saunders gleich zu Anfang, dass es ihm nur darum geht, diesen ohnehin schon großartigen Studierenden dabei zu helfen, ihren ikonischen Raum zu erlangen. „Auf diesem Niveau wird gutes Schreiben schon vorausgesetzt; das Ziel lautet, die handwerklichen Mittel zu erlernen, mit denen sie frech und froh sie selbst werden können.“ 

 Nicht die besten, nicht die handwerklich perfekten Erzählungen, sondern die sieben, die ihn am meisten bewegt und berührt haben, die Erzählungen, die Saunders einfach besonders liebt, finden nun Eingang in dieses Buch und anhand derer schenkt uns Saunders sozusagen den Kurs zum Selberlesen. Dabei ist das Buch überraschend interaktiv, Saunders geht mit einer eigenen Neugier und Freude an die sieben Erzählungen, die einfach mitreißend ist.  Übrigens sind alle sieben Texte komplett abgedruckt, sind ganz unkompliziert und selbstverständlich Teil des hier vorliegenden Buches, es ist also keine weitere Bibliothek erforderlich.

Dieses Buch macht verliebt in Literatur! Und vor allem ist es für Vielleser*innen genauso geeignet, wie es die Wege für all jene öffnen wird, die sich bisher für außerhalb stehend oder unzureichend geübt betrachtet haben, wenn es um die Beurteilung literarischer Kriterien geht. Es ist ein Buch für alle, die das Lesen lieben! Und für alle, die es noch lieben lernen möchten! 

Es ist ein Buch, das alle Schreibenden lesen sollten. Und alle, die Schreibende unterrichten oder beurteilen. Und wie Saunders (und Heibert) es schaffen, dass ein Buch über die Literatur von Anton Tschechow, Iwan Turgenjew, Leo Tolstoi und Nikolai Gogol nicht voller Alter-weißer-Mann-Problematik ist, dass es nicht didaktisch oder von oben herab klingt, sondern zugänglich und einladend und dazu ermutigend, das eigene Denken und Urteilen anzufachen, dass es als gelesener Kurs so lebendig wirkt, das ist ein eigenes literarisches Wunder.

„Vladimir“ (Öffnet in neuem Fenster) ist das Debüt von Julia May Jonas. In der deutschen Übersetzung von Eva Bonné ist es bereits im März erschienen, aber das geliebte Peter-Hujar-Cover, das sich gefühlt zwanghaft Zugang zu meinem Aufmerksamkeitszentrum verschaffen wollte, musste bis zum Juni warten. Und ich bereue jede Sekunde, die ich verstreichen ließ, diese grandiose (namenlose) Protagonistin kennenzulernen, mit der ich nur zu gern einen Abend bei meinem neuen Lieblingsitaliener verbringen würde. Was für eine tolle Erzählstimme, die mir in ihrem zarten Spott und ihrer selbstanalytischen Klarheit sofort sympathisch war! Die Literaturprofessorin ist Ende 50 und seit zwanzig Jahren mit John verheiratet, der ebenso wie sie an einem kleinen College an der Ostküste der USA unterrichtet. Die Ehe ist unaufgeregt und lau, die gemeinsame Tochter längst aus dem Haus, die Karrieren sind solide, als Schriftstellerin hat sie den Durchbruch aber nie geschafft und lässt alles Wollende nun längst gut sein. Es gibt keine Überraschungen, damit sind beide zufrieden. Die Ich-Erzählerin ist mit Johns Affären einverstanden. Nicht nur aus Großzügigkeit, auch aus Desinteresse möchte sie in ihrem eingerichteten Alltag ansonsten nicht gestört werden und verzeichnet das bewusst als emanzipatorischen Akt. Da taucht Vladimir Vadinski auf. Der Junior-Professor ist Anfang 30 und zieht mit seiner Frau und der kleinen Tochter neu in den Ort. Zeitgleich mit einem Verfahren, das einige Studentinnen (mit denen John während ihres Studiums Affären hatte), in Gang bringen, verfällt unsere Ich-Erzählerin mit einer unerwarteten Heftigkeit dem zwanzig Jahre jüngeren Vladimir, verfällt ihrem eigenen Begehren, das sie so nicht mehr in sich vermutet hatte. Mit einem sezierenden Blick auf sich selbst, mit unfassbar klugem Witz schreibt sie von der vermeintlichen Absurdität dieses Begehrens und bricht damit endlich ein Tabu bezüglich der Lust und Körperlichkeit von Frauen jenseits der Lebensmitte. Frauen im Alter, Selbstbestimmung, Mutterschaft, pures weibliches Begehren, aber auch #MeToo und der Literaturbetrieb werden hier verhandelt von einer Erzählerin, deren Blick auf sich selbst zwischen verständlicher Eitelkeit und großer Ehrlichkeit immer beeindruckend klar ist. Eine längst überfällige Perspektive, so klug und witzig erzählt, dass ich selbst das etwas überdrehte Ende nur zu gern verzeihe.

Zu Gast

Eine Premiere, liebe Leser*innen! Wir haben Gäste! In dieser neuen Kategorie werde ich ab und an Menschen einladen, über ihre Herzensprojekte zu schreiben und euch ihre Arbeit mit eigenen Worten vorzustellen. Ich könnte nicht glücklicher sein, dass den Anfang hier heute eine Übersetzerin macht, die ein von ihr übersetztes Buch empfiehlt, das eure ganze Aufmerksamkeit verdient hat. Ich bin seit Jahren fasziniert von der Arbeit, die von Übersetzer*innen (meist) im Hintergrund geleistet wird, damit wir Bücher aus anderen Sprachen ganz selbstverständlich lesen können. Und ich freue mich enorm, wenn sie davon offen berichten. Also, Bühne frei für Ulrike Brauns, die euch etwas über die von ihr übersetzte Hannah Gadsby erzählt.

Ulrike Brauns schreibt: 

Ich bin seit 2004 Übersetzerin, angefangen habe ich als Untertitlerin, seit 2010 übersetze ich überwiegend Literatur. Darunter eine Reihe von Jugendbüchern, Krimis, Thrillern, Fantasy, aber auch das eine oder andere Sachbuch/Biografie. Das jüngste Sachbuch heißt Zehn Schritte Richtung Nanette (Öffnet in neuem Fenster), geschrieben hat es Hannah Gadsby und erschienen ist es bei Rowohlt Polaris.

Hannah Gadsby wurde 2018 schlagartig weltweit bekannt durch ihr Netflix-Special Nanette, das einen ziemlichen Nerv traf, weil die Veröffentlichung in die Hochphase der #metoo-Debatte fiel. Wie der Titel verrät, beschreibt sie in ihrem Buch die Entstehungsgeschichte ihres Specials, die eng mit ihrem Leben verwoben ist. Ohne Hannah keine Nanette. Ohne Nanette keine Hannah. Dennoch steckt in dem Buch so viel mehr, weshalb ich es für eine der relevantesten Veröffentlichungen seit Langem halte. Gadsby beschreibt ihre Kindheit in einem kleinen Ort an der Nordküste Tasmaniens, die unter anderem von Armut und Engstirnigkeit und der zehn Jahre währenden öffentlichen und toxischen Debatte über die Abschaffung der homosexuellenfeindlichen Gesetze geprägt war. Just diese Debatte sollte Gadsbys Lebensweg noch nachhaltig beeinflussen, weil der ganze Hass zu internalisierter Homophobie führte, die natürlich nicht vereinbar ist mit dem Entdecken der eigenen Andersartigkeit. Aber das war nicht der einzige Stein, der Hannah auf dem Weg zu sich selbst im Weg lag. Weil sie eine Frau ist, blieben ihr lange mehrere Diagnosen verwehrt, die ihr das Leben immens hätten erleichtern können, und so lesen wir von Unfällen (vielen, vielen Brüchen), von Sport, von Depressionen, von Mobbing, von Missbrauch, von gewalttätigen Übergriffen, von dem immerwährenden Wunsch, die Welt und die Menschen zu verstehen, um besser auf diesem Planeten agieren zu können, weil sich ihre innere Welt so wenig mit der äußeren vereinbaren ließ. Bei aller Schwere findet sich so viel Humor und Witz, sie ist eben nicht umsonst eine so erfolgreiche Comedienne.

Es ist ein bewegendes Zeitzeugnis und zeigt so authentisch, was in Menschen passiert, die marginalisiert werden. Und wie absurd und verletzend es ist, Hinz und Kunz dabei zuhören zu müssen, wie sie über die Daseinsberechtigung anderer diskutieren. Als wären Homosexuelle Menschen zweiter Klasse.

Noch nie hat mich die Übersetzung eines Projekts so mitgenommen, weil ich als Lesbe viele dieser Ausgrenzungserfahrungen kenne und teile. Und ich erst durch die Lektüre und Arbeit an Zehn Schritte Richtung Nanette die Tiefe und Schwere queerer Scham verstanden habe. Wie so einiges andere. Wenn ich jetzt ein kleines, eigentlich unschuldiges Video von einem amerikanischen Talkshow-Host sehe, der vor einer Jury bestehend aus drei anderen Männern gegen eine 14-Jährige antritt, klingt halt so deutlich nach, wie potentiell gefährlich es für eine Frau und ein Mädchen ist, das einzige weibliche Wesen in einem Raum voller Männer zu sein.

Zehn Schritte Richtung Nanette ist klug, witzig, interessant, informativ und – es gibt einfach kein passenderes Wort – unglaublich relevant. Und es regt sehr zum Nachdenken an.

Dem stimme ich zu, von ganzem Herzen. Danke, liebe Ulrike, dass Du zu Gast warst. Danke, dass Du uns Hannah Gadsbys Buch zugänglich machst und Deine Arbeit so liebst.

Und all die schönen Sätze

Es gibt vielleicht kein melancholisch-romantischeres Sommerbuch als „Der letzte Sommer in der Stadt“ (Öffnet in neuem Fenster) von Gianfranco Calligarich. Der Roman ist 1973 in Italien erschienen und wird derzeit weltweit wiederentdeckt, seit diesem Januar liegt er in der Übersetzung von Karin Krieger auch auf deutsch vor. Diese schöntraurige Liebesgeschichte aus dem Rom der Siebziger Jahre gehört zu der Sorte schönster Prosa, die ein lautes Lesen geradezu verlangt, am liebsten ein Vorlesen. Vielleicht in geliebte Ohren. Vielleicht unter einem Kirschbaum. 

„Denn noch heute kann mich der Gang meines Vaters mehr als alles andere geradewegs in die Kindheit zurückversetzen, noch heute kann ich, sogar in der grünen Weite, die mich jetzt umgibt, wunderbar an seine Seite zurückkehren, wenn ich an seinen kräftigen, weichen und gegen Müdigkeit offenbar gefeiten Schritt zurückdenke, den Schritt der langen Verlegungsmärsche, den Schritt, der ihn sogar irgendwie zurück nach Hause hatte bringen können.“

„Und da werden lichtdurchstochene Sommerabende für euch sein, beschwingte Frühlingsmorgen, Tischdecken in den Cafés wie im Wind flatternde Mädchenröcke, strenge Winter und endlose Herbste, in denen sie euch wehrlos und krank erscheinen wird, erschöpft und voller abgetrennter Blätter, auf denen eure Schritte keinen Lärm machen werden. Und da werden gleißende Freitreppen sein, rauschende Brunnen, verfallene Tempel und das nächtliche Schweigen der entthronten Götter, bis die Zeit jeden Sinn verliert außer dem kindlichen, die Uhren anzutreiben.“

„Sie saß auf der Couch wie ein Zugvogel, der ein Boot gefunden hatte, auf dem er warten konnte, bis das Gewitter vorbei war.“

„Ich fragte mich, ob irgendwas auf der Welt sie zerstören könnte, sie und ihre Zerbrechlichkeit.“

Und zuletzt ist dieser Roman ein interessantes und ermutigendes Phänomen, denn erst bei dem dritten Anlauf seiner Veröffentlichung in Italien, hatte das Buch einen Durchbruch auch in andere Sprachen und begeistert nun fünfzig Jahre später die literarische Welt. Für manche Erzählungen sind wir wohl erst jetzt bereit.

Das schönste Geschenk an mich selbst

Eine Lyrik, auf die man nie vorbereitet ist und die doch so ein erleichtertes Gefühl auslöst, weil endlich eine solche Worte findet, versammelt der neue Gedichtband von Anna Hetzer (Öffnet in neuem Fenster). In „Pandoras Playbox“ (Öffnet in neuem Fenster) befragt sie Ars, Anatomie und Eros nach patriarchalen Trugbildern und schaut mit lesbischer Perspektive auf Körper, Kunst und Kanon. Die wunderschönen Illustrationen von Katja Hoffmann (Öffnet in neuem Fenster) stellen wie immer eine ganz eigene Bildkunst gleichberechtigt neben die Textkunst. Die Gestaltung von Andrea Schmidt (Öffnet in neuem Fenster) ist mal wieder atemberaubend schön.

Ich bin schon eine ganze Weile glückliche Lyrik-Abonnentin vom Verlagshaus Berlin (Öffnet in neuem Fenster) ♥ und freue mich, dass ich ganz automatisch und jederzeit kündbar die sechs bis acht Veröffentlichungen pro Jahr direkt aus dem unabhängigen Verlag in meinen Briefkasten geliefert bekomme. Wenn ihr teilhaben wollt an zeitgenössicher Lyrik und Illustration oder jemanden kennt, der sich darüber freuen würde: Dieses Abo ist eines meiner schönsten Geschenke an mich selbst.

Lebensbuch

Der wunderbare Guggolz Verlag hat gerade hoch verdient einen der drei Hauptpreise des Deutschen Verlagspreises 2022 gewonnen. Das freut mich sehr. Schließlich verdanke ich diesem Haus viele liebste Bücher, vielleicht sogar meine generelle Affinität zu Übersetzer*innen? Auf jeden Fall aber auch ein Lebensbuch:

„Lied vom Abendrot“ (Öffnet in neuem Fenster) von Lewis Grassic Gibbon, in der Übersetzung aus dem Schottischen von Esther Kinsky. 

Lewis Grassic Gibbon (1901 - 1935) ist das Pseudonym von James Leslie Mitchell, dessen „Szenen aus Schottland“ ebenfalls im Guggolz Verlag vorliegen. Ich schätze Guggolz seit dem ersten Programm, den belesenen, wachen Verleger Sebastian Guggolz, der nur Neu- und Wiederentdeckungen aus Nord- und Osteuropa veröffentlicht. Dafür arbeitet er eng mit Übersetzer*innen zusammen und hebt jedes Mal wahre literarische Schätze, die er in Neuübersetzungen und wunderschön gestalteten Ausgaben (Mirko Merkel) vor dem Vergessen bewahrt. Diese besonderen Bücher, dieses Handschmeichlerische, dieses Genaue, dieses Umsichtige, dieses Wertvolle ist für mich ein großes Geschenk und hat deswegen als einziger Verlag einen ganz eigenen Platz in meinem Regal.
Eigentlich will ich kein absolutes Lieblingsbuch unter allen Guggolz-Kostbarkeiten hervorheben, auch wenn mir natürlich manche Texte näher sind als andere – ich bewundere sie wirklich alle. Aber „Lied vom Abendrot“ ist mir wirklich noch näher als alle anderen und bleibt ein Lebensbuch.

Im Osten Schottlands, unweit der Nordseeküste, am Fuße der rauen Mearns liegt die fiktive Ortschaft Kinraddie. Hier wächst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Chris Guthrie auf einem Bauernhof auf.
Ihr Leben ist geprägt von harter Landarbeit, vom strengen Vater, von der ewig mit den kleinen Geschwistern und dem Vieh beschäftigten, kränkelnden Mutter – und trotzdem hat sie als älteste Tochter die Chance, das College zu besuchen, fremde Sprachen zu erlernen, die Literatur zu entdecken, den Blick zu weiten.
Nach dem Tod ihrer Eltern entscheidet sie sich aus freien Stücken, ihrer Liebe zu diesem besonderen Landstrich, seiner Sprache und seinen Menschen zu folgen. So sucht sie nicht eine Stellung als Lehrerin, wie es geplant war, sondern übernimmt die Pacht für den kleinen Hof Blawearie. Sie landwirtschaftet, heiratet aus Liebe ... dann bricht der erste Weltkrieg aus.
Um die scharfe Beobachtungsgabe und den feinen Humor des Autors zu spüren, empfehle ich einfach wärmstens, dieses Buch selbst zu lesen.
Nicht nur die Menschen auf den Nachbarhöfen und diese besondere Landschaft sind weitere Protagonist*innen, die einem beim Lesen sofort ans Herz wachsen, sondern vor allem die außergewöhnliche Sprache, in der Lewis Grassic Gibbon all dies beschreibt.

Die Übersetzerin Esther Kinsky hat wirklich eine Meisterleistung vollbracht, so intuitiv und gekonnt, wie sie die wunderbare Melodie dieses Buches klangvoll ins Deutsche übertragen hat.
Indem sie treffsicher und sensibel Anleihen bei einer Form des Plattdeutschen gemacht hat, wirkt der besondere schottische Dialekt auf ganz wunderbare Weise intensiv, ohne je zu dick aufzutragen. (Ohmdraut und fuchtig sind meine Lieblingsworte gewesen.) Nicht einmal das aufmerksame Glossar ist wirklich nötig, da die Sprachmelodie die Geschichte so natürlich trägt. Das Nachwort von Ian Galbraith ist wie die Anmerkungen zum Autor wie bei allen Guggolz-Büchern eine inspiriernde Orientierung und zeigt, wie aufmerksam und wertschätzend man mit solchen Texten umgehen kann.

Über "Sunset Song" wurde nach dem Erscheinen 1932 gemunkelt, dass es ja von einer Autorin unter Pseudonym geschrieben sein müsse, da sich niemals ein Autor so gut in eine weibliche Protagonistin hätte versetzen können.
Chris Guthrie gehört für mich in eine Riege mit den großen Frauenfiguren der Weltliteratur, mit Jane Eyre, Elizabeth Bennett und Anna Karenina.

Der zweite Teil der Trilogie „Wind und Wolkenlicht“ wurde ebenfalls von esther Kinsky übersetzt und ist im letzten Herbst mit einem Nachwort von Claire-Louise Bennett bei Guggolz erschienen.

Vorfreude auf den Juli

In der Übersetzung der wunderbaren Ursel Allenstein erscheint am 19.7. „Oktoberkind“ (Öffnet in neuem Fenster) von Linda Boström Knausgård. Seit „Willkommen in Amerika“ 2017 übersetzt von Verena Reichel erschien, freue ich mich auf mehr Texte von Linda Boström Knausgård .

Der Klappentext kündigt an: 

Wie es sich anfühlt, in einer Klinik aufzuwachen und der nächsten Elektroschockbehandlung entgegenzusehen – das ist selten Stoff für Literatur. Oktoberkind zeichnet den Weg einer Frau und Schriftstellerin nach, die an diesem Punkt um ihre Erinnerungen ringt. Die Therapie droht diese Erinnerungen, Triebfeder ihres Schreibens, auszulöschen. So bringt sie all ihren Mut auf, um sich alles zu vergegenwärtigen, die Kindheit in der Stadt, die Ehe mit einem berühmten Schriftsteller, das Leben auf dem Land, wo er aufblüht und sie verkümmert, die Geburt der vier Kinder, ihre eigene Arbeit als Schriftstellerin und welche Kraft sie darin findet. Unter den Bildern aus der Kindheit ist das vom Reiten im Ferienlager ein Lichtblick. Im wilden Galopp ist sie glücklich, aber bald muss sie wieder in die Stadt und in den Alltag zurück.
In ihrem autobiografischen und zugleich hoch poetischen Roman dringt Linda Boström Knausgård vor zu den Ursachen für ihren Schmerz und ihr Scheitern, aber auch zu Momenten der Stärke und des Glücks, die sie in kraftvolle, unvergessliche Prosa bannt. 

Liebe Leser*innen, ich danke euch von Herzen für die Aufmerksamkeit. An dieser Stelle lesen wir uns am letzten Sonntag im Juli wieder. Dann gibt es für den August auch wieder einige spannende (online) Veranstaltungen anzukündigen. Im Juli wird gelesen und das Meer besucht, es sind ein paar aufregende Textarbeiten abzugeben und ich will auch endlich wieder mehr auf Steady (Öffnet in neuem Fenster) schreiben. An dieser Stelle nochmal liebsten Dank an alle Unterstützer*innen für euer warmes Verständnis und die Geduld.

Wobei! Eine Veranstaltung für den Juli ist das absolute Highlight zwischen all den zu lesenden Buchseiten, durch die hoffentlich viel Ostseestrand rieseln wird:

Am 16.7. spreche ich für die Buchbox im Zenner Biergarten (Öffnet in neuem Fenster) im Treptower Park mit dem allerliebsten und tollsten Daniel Schreiber (Öffnet in neuem Fenster) darüber, was ihn zur Zeit bewegt und womit er sich seit dem Erscheinen seines unfassbar erfolgreichen Buches „Allein“ beschäftigt hat. Ich freue mich unbändig darauf! Kommt alle!

Ich wünsche euch einen schönen Juli, alles Liebe und ein gutes Lesen

Maria

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