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Folge 6: LVI – Giorgia Meloni und die Traditionen der italienischen Rechten

Giorgia Meloni will, dass manche Menschen Angst vor ihrer Regierung haben. 

Zumindest sagt die Chefin der ultrarechten Partei Fratelli d'Italia (FDI) das am 23. September so, in ihrer Abschlusskundgebung des Wahlkampfs (Öffnet in neuem Fenster) für die italienische Parlamentswahl Ende September. 

Das "Machtsystem der Linken" sollte vor einer rechten Regierung Angst haben, sagt Meloni in ihrer Rede auf der Piazza del Popolo in Rom: Politiker, die nicht willens oder in der Lage seien, Italiens Interessen zu vertreten; die "Drogendealer, Diebe, Vergewaltiger und Mafiosi" im Land; die giornaloni, die "großen Zeitungen" (die in Wahrheit a) längst nicht mehr wirklich groß (Öffnet in neuem Fenster) sind und  b) nur zu einem relativ kleinen Teil offen gegen Meloni eingestellt).

https://www.youtube.com/watch?v=wFkimbu-EcE (Öffnet in neuem Fenster)

Die meisten Steuerbetrüger dürften aufatmen

Rund einen Monat später, am 25. Oktober im italienischen Abgeordnetenhaus, macht Meloni dann kaum verhohlen deutlich, wer sich eher nicht vor ihrer Regierung fürchten muss. 

Meloni hält ihre Rede am 25. Oktober als frisch vereidigte Ministerpräsidentin Italiens, als erste Frau in diesem Amt. Sie ist die Chefin eines Kabinetts, das im Parlament getragen ist von einer rechten  Mehrheit aus ihrer FDI, der rechtsnationalen Lega und der rechtskonservativen Forza Italia. 

Meloni spricht vor der Parlamentskammer vor der ersten Vertrauensabstimmung: Anders als in Deutschland und ähnlich wie in Österreich wird die Regierungschefin oder der Regierungschef nicht vom Parlament gewählt – sondern wird erst vom Präsidenten der Republik beauftragt und vereidigt und dann von Abgeordnetenhaus und Senat in einer Vertrauensabstimmung bestätigt.

Ihre Regierung, sagt Meloni in dieser Rede, werde den Steuerbetrug in Italien "unnachgiebig" bekämpfen – und bei den "großen Steuerhinterziehern" anfangen. Für alle anderen gelte für ihre Regierung, man wolle "diejenigen machen lassen,  die etwas schaffen wollen", man wolle Unternehmen "helfen und ihnen das Leben leicht machen – und sie nicht quälen".

Die Botschaft dieser Sätze Melonis war für alle, die sich mit Diskussionen um italienische Finanz- und Steuerpolitik halbwegs auskennen, recht klar: Die meisten Steuerbetrüger in Italien müssen sich wohl keine großen Sorgen machen.

Denn diejenigen, die den mit Abstand  größten Anteil an den jährlich im Land hinterzogenen zig Milliarden Euro ausmachen, sind nach Schätzungen des italienischen Finanzministeriums (Öffnet in neuem Fenster) mit großem Abstand nicht große, sondern kleine und mittlere Unternehmen. Wer unnachgiebig gegen Steuerbetrug vorgehen will, sollte also bei den Betrügern dieser Gewichtsklasse beginnen.

Zumal Meloni in derselben Rede eine pace fiscale in Aussicht stellte, einen "Steuerfrieden". Das ist eine seit Jahren vor allem von rechten Parteien gern genutze Verharmlosung für eine Teil-Amnestie für Steuerbetrüger, die hinterzogenes Geld auf diese Weise straflos und oft auch nicht in vollem Umfang an den Fiskus zahlen können. 

Zwei Tage später im Senat verkündet (Öffnet in neuem Fenster) Meloni auch noch, die auf 2.000 Euro gesenkte Obergrenze für Bargeld-Zahlungen wieder anheben zu wollen.

https://youtu.be/aq2DbYz5fZI (Öffnet in neuem Fenster)

Ja, Meloni spricht in ihrer Rede zur Vertrauensfrage auch über den Faschismus. 

Sie habe "niemals Sympathie oder Nähe zu antidemokratischen Regimen empfunden", sagt sie. "Für kein Regime, einschließlich des Faschismus." Und die 1938 unter dem faschistischen Diktator Benito Mussolini verabschiedeten antisemitischen und rassistischen Rassengesetze seien eine Schande, die für immer auf Italien lasten werde. 

Kurz darauf spricht sie über politische Gewalt – und nennt als einziges Beispiel aus Italien dafür rechte Jugendliche, die "im Namen des militanten Antifaschismus mit Schraubenschlüsseln getötet" worden seien. Kein Wort über den neofaschistischen Terrorismus, er vor allem vom Ende der 1960er bis zum Anfang der 1980er Jahre in Italien dutzende Menschen ermordet hat. 

https://twitter.com/bastianoenrico/status/1515278571924828162?s=20&t=27-Jb5jU9gwpE_kAb1B_fg (Öffnet in neuem Fenster)

Seit den Wochen vor dieser Wahl und erst recht seit dem deutlichen Wahlsieg der Rechten in Italien (Öffnet in neuem Fenster) hat einen großen Teil der Beobachtenden im deutschsprachigen Raum vor allem eine Frage beschäftigt: 

Wie faschistisch ist die Regierung Meloni?

Mit dieser Frage beschäftigt sich die aktuelle Episode des Podcasts, zu dem dieser Newsletter gehört. 

Ich gehe in ihr außerdem der Frage nach, was der italienische Faschismus war, wie er nach dem Ende der Gewaltherrschaft von Diktator Benito Mussolini weitergewirkt hat im Italien der Nachkriegsjahrzehnte. Wie es sein kann, dass in Italien seit Jahrzehnten postfaschistische Politiker Teil der Institutionen sind.

Und warum der Umgang mit der faschistischen Vergangenheit in Italien sich erheblich unterscheidet vom Umgang mit dem Nationalsozialismus in Deutschland.

https://kurzgesagt-italien.podigee.io/6-lvi (Öffnet in neuem Fenster)

Mussolini-Schwärmerei, keine Umsturzfantasien

Die Frage, wie Meloni und ihre Regierung es mit dem Faschismus halten, ist wichtig. 

Diese Frage ist wichtig wegen der persönlichen politischen Geschichte Melonis (die das Nachrichtenportal Il Post in einer Analyse aufgeschlüsselt hat (Öffnet in neuem Fenster), die ich allen Italienischkundigen empfehle): 

Die Geschichte Melonis führt  von rechtsradikalen Jugendorganisationen im Rom der 1990er  und frühen 2000er Jahre über die Gründung der Partei Fratelli d'Italia  im Jahr 2012 bis zu dem Netzwerk aus europäischen Nationalisten wie der spanischen Vox, der ungarischen Fidesz und der polnischen PiS, zu dem FDI gehört. 

In Melonis Partei FdI mangelt es ja auch nicht an Mitgliedern, die ein ziemlich offenes Verhältnis zum Faschismus haben. Zum Beispiel Romano La Russa, Regionalminister in der Lombardei, der wenige Tage vor der Parlamentswahl in Mailand beim Begräbnis eines stadtbekannten Rechtsextremen den von Mussolini eingeführten "römischen Gruß" vollzogen hat (Öffnet in neuem Fenster), mit ausgestrecktem echten Arm und gehobener Handfläche.

Diese Anklänge an den Faschismus sind andererseits aber eher Ausdruck eines fascismo culturale, einer seit Jahrzehnten in der italienischen Rechten verbreiteten politischen Kultur: In Teilen davon gehört es zum guten Ton, sich positiv über den duce Mussolini zu äußern – und über die angeblichen Wohltaten, die sein Regime für Italien bedeutet hat. Auch, weil sie wissen, dass nichts die Linken in Italien so verlässlich auf die Palme bringt wie gelegentliche Mussolini-Schwärmereien.

Ein Mosaik mit dem Wort "Duce" in zwölffacher Ausfertigung, bis heute ohne historische Einordnung sichtbar am Foro Italico nahe dem Olympiastadion in Rom. 

Aber es wäre übertrieben, den meisten dieser lauwarmen Faschismus-Nostalgiker vorzuwerfen, dass sie Italien ernsthaft in ein faschistisches oder faschistoides Regime verwandeln wollen. Italien ist in einem Drittel der vergangenen 30 Jahre von eindeutig rechten Regierungen geführt worden. Die demokratischen Institutionen hat das nicht ernsthaft geschwächt. 

Traditionell wie Berlusconi

Um zu verstehen, in welche Richtung die Regierung Meloni Italien führen will, ist wahrscheinlich eine andere Traditionslinie der italienischen Rechten hilfreicher: die des Berlusconismo,der politischen Tradition Silvio Berlusconis, des langjährigen Ministerpräsidenten Italiens und heutigen Koalitionspartners Melonis. 

Mit ihrer Vertrauensrede vor dem Abgeordnetenhaus macht Giorgia Meloni deutlich, dass sie – die bei dieser Wahl Berlusconis frühere Rolle als stärkste Person der italienischen Rechten übernommen hat – sich dieser Tradition verpflichtet fühlt. 

Die Ankündigungen zur Steuerpolitik entsprechen dem Geist der Regierungen Berlusconi.  Damals äußerte Berlusconi selbst, der später wegen Steuerbetrugs rechtskräftig verurteilt wurde (Öffnet in neuem Fenster), teils öffentlich Verständnis für Bürger, die den Staat betrogen (Öffnet in neuem Fenster) – und ermöglichte Steuerbetrügern mit großzügigen Amnestien (Öffnet in neuem Fenster), straffrei und günstig davonzukommen (Öffnet in neuem Fenster).

Meloni sagt in ihrer Rede, ihre Regierung sei die erste seit 11 Jahren, die ein klares Mandat der Wählerinnen und Wähler habe – und dass sich Italien in den Jahren seither eher nach unten entwickelt habe. 

11 Jahre, das ist die Zeit, die zwischen dem Rücktritt Berlusconis im November 2011 und dem Antritt von Melonis Regierung vergangen ist. 

Meloni verschweigt in ihrer Analyse freilich, dass viele der Abwärtstrends für Italien schon unter Berlusconis Regierung begonnen oder sich fortgesetzt haben: etwa die im europäischen Vergleich peinlich schleppende Entwicklung der Produktivität (Öffnet in neuem Fenster) oder das – innerhalb der EU einzigartige – Absinken der Reallöhne seit 1990 (Öffnet in neuem Fenster)

Auch unter den Ministern und Staatssekretären in Melonis Regierung sind etliche alte Bekannte aus der Zeit des Berlusconismo (Öffnet in neuem Fenster): Außenminister Antonio Tajani war 1994 einer der Mitbegründer von Berlusconis Partei Forza Italia und gilt als einer seiner engsten Vertrauten. Roberto Calderoli (Lega), jetzt Minister für Regionen, war in Berlusconis Regierung von 2004 bis 2006 Minister für Reformen. Ignazio La Russa, Verteidigungsminister in Berlusconis Regierungszeit von 2008 bis 2011, wurde zum Präsidenten des italienischen Senats gewählt.

Zwei Minister der Meloni-Regierung führen die berlusconianische Tradition der Interessenskonflikte (Öffnet in neuem Fenster) fort: Guido Crosetto (FdI), der zuletzt sein Geld als Interessenvertreter des italienischen Verbands der Rüstungsindustrie verdient hat, wird Verteidigungsminister.  Und Tourismus-Ministerin wird Daniela Santanché (FdI), die in diesem Sektor jahrelange Erfahrung gesammelt hat – als Miteigentümerin des Edel-Strandlokals Twiga im ligurischen Küstenort Forte dei Marmi. Zumindest bisher hat Santanché mehrfach gesagt, sie wolle an ihrer Eigentümerschaft des Twiga festhalten (Öffnet in neuem Fenster).

Es gibt  auch erhebliche Unterschiede zwischen Meloni und Berlusconi, der sie 2008 zum ersten Mal auf die große politische Bühne holte, als Jugendministerin in seiner vierten Regierung.

Meloni hat sich – anders als der bekennende Putin-Freund Berlusconi (Öffnet in neuem Fenster) – seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine immer unmissverständlich auf die Seite Kyiws gestellt – und behält diese Linie seither bei. 

https://twitter.com/GiorgiaMeloni/status/1574862655067660295?s=20&t=kIK8BcEpr09Z3p3YvzG_Zw (Öffnet in neuem Fenster)

Und die Distanzierung vom Faschismus, die Meloni in ihrer Rede vor dem Abgeordnetenhaus ausgesprochen hat, war deutlicher als alles Aussagen Berlusconis zu der zwanzigjährigen Gewaltherrschaft. 

Berlusconi hatte in seiner Regierungszeit unter anderem gesagt, Mussolini sei ein "gutmütiger Dikator" gewesen (Öffnet in neuem Fenster) (2003) und er habe "gut regiert" (Öffnet in neuem Fenster) (2013)

Meloni markiert als Mitglied einer postfaschistischen Partei eine größere Distanz zum Faschismus  als Berlusconi, den viele in Deutschland heute als liberalen und proeuropäischen Politiker darstellen. 

Italienische Politik hat oft seine seltsame Ironie.

A presto!

Sebastian Heinrich

Kategorie Mensile

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