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Zur Begrüßung gibt es Austern

Ich traf mich mit dem Chefredakteur Alfred Kaplinsky Ende April zu einer Krisenredaktionssitzung in seinem französischen Stammlokal Am Schiffbauerdamm 5.

Als ich das Restaurant betrat, standen auf dem Tisch bereits zwei Gläser Champagner und eine riesige Schale mit Austern auf Eis. Ich mag Austern, aber Kaplinsky ist ein richtiger Kenner. Ein Austernprofischlüfer sozusagen, der erkennt unterschiedliche Austernsorten schon mit dem bloßen Auge. Der träufelt seit den 90ern keinen Zitronensaft mehr über das Austernfleisch, wie er erzählte. Kleingehackte Schalotten in Himbeeressig findet er nicht ergänzend, sondern geschmacksstörend wegen des ganzen Meerwassers im Mund, das man doch genießen sollte und wenn überhaupt nur mit Weißwein runterspülen darf. Die kleinen Brottaler beachtete er überhaupt nicht. Niemand sollte Pumpernickel beachten, rief er, aber das ist natürlich eine sehr radikale Ansicht.

Ich schlürfte also taktvoll ohne Zitrone und Schalotten meine Auster, was kein leichtes unterfangen ist, weil man keine Ahnung hat, wo man hingucken soll und es braucht ja nun wirklich urvertrauen, jemandem beim Schlürfen einer Auster in die Augen zu schauen. Jedenfalls sagte er:

Es steht schlecht um den Newsletter.

Ich weiß.

Dem Newsletter fehlt wat im Moment.

Ja, Clint fehlt. Es ist mir unangenehm.

Wat is mit dem?

Den hab ich verloren. 

Verloren?

Wissen Sie, verloren wie ein Portemonnaie, das einem, äh, aus der Tasche gefallen ist. Vielleicht hat man es auch irgendwo liegengelassen. Man weiß jedenfalls nicht, wann man es zuletzt in Händen gehalten hat.

Er guckte irriert.

Aber wat wird denn jetzt aus dem Newsletter?

Das habe ich mich auch gefragt. 

Zum Hauptgang aß ich eine rosa gebratene Entenbrust mit Rote-Beete-Püree, Zuckerschoten und Pommes. Die dunkle Soße dazu war ein Hit, ich konnte mich kaum auf etwas anderes konzentrieren. Ich bin ja ein Soßenmensch, allerdings keine gescheite Weintrinkerin. Rot wäre natürlich passend gewesen, aber der Weißwein schmeckte mir einfach. Und dann hob Kaplinsky seine Hand und rief zum Kellner: "Me voici!" Der Kellner in einer langen, weißen Schürze kam herbei geeilt. Kaplinsky: "Excusez-moi, nous aimerions commander un vin nouveau, s'il vous plaît." Leider sprach der Kellner gar kein Französisch.

Sieh zu, dass dein nächster Freund gerne ins Theater geht.

Also Herr Kaplinsky, ich kann sehr gut alleine ins Theater gehen!

Wat?

Ich habe nun endlich eine Karte für Eurotrash in der Schaubühne bekommen. Mit Joachim Meyerhoff. Anfang Juli ist das. Die Karte bekomme ich bald mit der Post zugeschickt.

Was ich Kaplinsky in diesem Zusammenhang nicht erzählte: Ich habe mir eigens dafür ein schönes Kleid gekauft. Der Junge sagte, es sei sehr schick, als ich überlegte und das Kleid von draußen schließlich mit in den Laden reinnahm, um es anzuprobieren. Wirklich mitten im Laden, weil die Umkleide so lange von einer blonden Frau mit Hut besetzt war. Ich zog das Kleid dann einfach über T-Shirt und Hose. Das ist ein guter Stretch, sagte ich zum Jungen. Darin werde ich ins Theater gehen.

Herr Kaplinsky, ich freue mich auf das Stück.

Diese Frauen von heute! 

Die Krönung nach dem Hauptgang war dann eine solide Mousse au Chocolat. Minze und Beeren waren mit dabei als wären sie gute Freunde von der Mousse. Eine grüne Paste wurde einmal rund um den Teller geschmiert von der ich nicht sagen kann, was genau sie war, außer dass das Grün wirklich was hermachte. Kaplinsky bestellte sich die Crème Brûlée. Wahrscheinlich weil sie direkt am Tisch karamellisiert wird und Kaplinsky wiederum ein Mensch ist, der so etwas aufregend findet. Kaplinsky:

Er kam im Newsletter vor, aber er war nicht dieser Newsletter. 

Nein, das war er nicht. 

Ick mochte den.

Ich liebte ihn.

Und jetzt?

Naja, hasse ich Udo Jürgens.

Dit klingt jesund!

Langsam schaute ich ungeduldig aus dem Fenster raus zum Bahnhof. Bald würde ja mein Zug nach Neuruppin gehen. Herr Kaplinsky, ich muss jetzt wirklich los meinen Zug erwischen, sagte ich. Kaplinsky nippte an seinem Gläschen Portwein und war schon ganz beschwippst. Und dann sagte er, ach, ach nach Neuruppin in die Fontanestadt! Und dass Fontane sich da drüben auf der Weidendammer Brücke verlobt hätte. Mit der Emilie Rouanet. Er schlug dann noch vor, dass wir nun einmal im Monat eine Redaktionssitzung hier am Schiffbauerdamm 5 machen sollten, jetzt da es um den Newsletter so schlimm bestellt sei und wir ja nun schon so weit runter mit dem Niveau sind, dass wir, ich zitiere, "kitschije Vampir-Filme" besprechen.

Anmerkung der Redaktion: Theodor Fontane und Emilie Rounat verlobten sich 1845 auf der Weidendammer Brücke, nähe der Friedrichstraße. Fünf Jahre später heirateten sie. Der Recherche nach zur Folge musste die Ehe einige Ehekräche, Kindesverluste und finanzielle Krisen aushalten. Es gibt einen Ehebriefwechsel seit der Verlobung zwischen den beiden, mal romantisch, mal streitend, der über ein halbes Jahrhundert lang andauerte. Am 20. September 1898 schrieb Fontane seinen letzten Brief an Emilie und starb noch am gleichen Abend.

Meine süße liebe Emilie – Mein Herzensmann – Meine liebe Mila – Mein teurer Mann – Meine liebe, arme Herzens-Frau – Mein innigst geliebter Mann – Mein liebes, süßes Herz – Mein einzig geliebter Mann – Meine liebe Frau – Geliebter Theo – Liebe Frau – Mein lieber Theo.

(Anreden via Deutschlandfunk Kultur aus "Emilie und Theodor Fontane. Eine Ehe in Briefen", erschienen bei Aufbau.)

Robert Pattinson liest

Robert Pattinson liest

Liebe Leser und Leserinnen,

bitte vergebt mir das Durcheinander der letzten Wochen, es spiegelt nichts anderes als mich selbst. Aber es wird sich schon wieder alles richten. Die Krönung von König Charles III. muss eigentlich noch nachbereitet werden! The Batman, das können wir schnell vom Tisch nehmen, kann ich nicht empfehlen. Ein guter Film, aber sie haben nur behauptet Robert Pattinson würde darin vorkommen. Ich sah immer nur ein halbes Gesicht, die Enttäuschung darüber kann sich wohl jeder denken. Das war's für heute.

Immer verzweifelt, aber niemals hoffnungslos. Herzlich, Judith

Ein Kleid.

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