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Danke, schon viel besser!

Einstiegsversuche:

Am Sonntag erwachte ich alleine in meinem Bett.

XX erwache ich am Sonntagmorgen in meinem Bett.

Ich liege am Sonntagmorgen in meinem Bett.

Traurig wache ic

Der Tag muss gut werden, also stehe ich auf.

Der Tag wird spitzenmäßig.

Wäre ich mit diesem Newsletter zusammen, hätte er mich längst verlassen.

Ich war heute zweimal im Theater!

Bertolt Brecht. Bitte brecht freundlich. Brecht so.

 

Der Newsletter wird meinen Tag sehr schön machen, denke ich/ glaube ich/ hoffe ich. Sonntagmittag. Ich stehe an der Pforte vom Berliner Ensemble, weil ich am Morgen überlegt hatte, worüber ich als nächstes in meinem Newsletter schreiben könnte. Ich lag auf der Seite vor meinem Bildschirm und klickte auf das Angebot einer Führung durch das gesamte Haus des Berliner Ensembles. Allein schon der Name "Berliner Ensemble". Ich wollte ja längst mal hinter die Kulissen eines Theaters blicken. Und da stehe ich nun wenig später in einer Gruppe von Menschen, die immer dahin guckt, wo der Finger hinzeigt.

Ich denke, das wird ne Qual. All die schönen Informationen, wie soll ich die denn im Newsletter unterbringen? Das wird doch zu lang für die Leute. Vielleicht stichpunktartig.

Tür auf zum Saal. Der Finger zeigt auf die Stahlwand auf der Bühne, die vor Brand schützen soll. Der Eiserne Vorhang, 130 Jahre alt. Der Finger zeigt über der Loge zum preußischen Wappenadler. Bertolt Brecht hat ihn mit roter Farbe durchstreichen lassen. Der Finger zeigt nach unten zu den Luftzugschächten. Sind keine Luftzugschächte, ist die Fußbodenheizung. Funktioniert seit 100 Jahren. Der Finger zeigt nach oben zum Kronleuchter. Zweimal im Jahr wird der runtergelassen und sauber gemacht. Treppe hoch. Wir gehen auf die Bühne. Finger links, rechts, oben, überall. Und schließlich gehen wir unter die Bühne. Treppe runter.

Der Keller gefällt mir am besten. Ich schreibe am schönsten über den Keller.

Der Keller ist verwinkelt, staubig, blau beleuchtet, dicke Holzbalken gehen in alle Richtungen. Ein Holzbalkenlabyrinth sozusagen. Der Finger zeigt auf zwei kleine Treppen, die hoch zur Bühne führen, falls ein Spieler von unten auf die Bühne soll oder von oben runter, erklärt der Finger. „Hier darf während einer Probe oder Aufführung nicht gesprochen werden“, fügt der Finger hinzu. Die Drehbühne ist nämlich sehr dünn. „Warum steht'n da ne Waschmaschine?“, fragt jetzt ein anderer Finger. Die Antwort: Max und Moritz haben sich immer so eingesaut, mit Teig und Kleister, sodass die Kostüme nicht durchs Haus getragen werden durften, sondern gleich hier unten gewaschen wurden. Der Finger, jetzt wieder der mit der schönen Stimme, zeigt auf die Maschinerie der Drehbühne. 32 Hartgummiräder von alten, sowjetischen Panzern sind zu sehen. Die Geschichte: 1945 fuhr Brecht zu der Kaserne einer sowjetischen Truppe. Dort versuchte er den Soldaten die Räder irgendwelcher Panzer für seine Drehbühne abzuquatschen. Die Soldaten schickten ihn zunächst weg. Dann fuhr Helene Weigel zu den Soldaten und bot ihnen private Theateraufführungen im Tausch gegen die Räder an. Jetzt drehen die Räder da immer noch die Bühne.

Großartige Anekdote. Hier muss die Führung im Newsletter enden. Ich verzichte auf die abrundenden Worte. Was könnte ich schreiben, was besser als eine Drehbühne mit 32 Hartgummiräder wäre?

Rüber ins Restaurant. Außenterrasse. Mit Blick auf Wasser und Schiffe und Brücke. Was ich da lese, will der Kellner wissen. Mein Name sei Gantenbein, sage ich und komme mir reichlich bescheuert vor, wie ich da jetzt so mein Buch hinhalte.

Eselsohr/ „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht. Jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung."

Dampfer, die an mir vorbeifahren: eine Adele, eine Belvedere, die City of Berlin, die MS Rummelsburg, auf einem steht "Sowas von Berlin", auf einem anderen "Arise Grand Show"

Notizen im Handy durchgehen:

Erste stück: iphigenie taurus

Eiserner Vorhang 130Jahr?

1945 preußischer Adler durchgestrichen berliner bär blieb

Kronleuchter Staffel 1 folge 14 babylon berlin

Panzerräder abgequatscht für drehbühne

Im tausch gegen hartgummiräder

Sowjetische truppen panzer 1945

Kostümraum: Schuhe sehen ungetragen traurig aus

Viele regenschirme

Es stinkt

Was tun mit stinkender kleidung

Theatertrick im geheimen newsletter

Ich bin richtig gut drauf und habe solche Lust auf Theater. Nicht zurück ins Berliner Ensemble, da war ich ja heute schon. Was spielen die überhaupt? Ich nehme mein Handy und wische den Spielplan entlang. Clockwork Orange. Ach schau an, am Mittwoch Mein Name sei Gantenbein. Vielleicht gehe ich rüber ins Deutsche Theater. Wisch, wisch. Heute Abend Oedipus von Sophokles. Möchte ich das? Auf keinen Fall. Also weiter. Tagebuch eines Wahnsinnigen von Nicolai Gogol. Und dann wird es sehr eigenartig. Ich lese: Dirk und ich. Von und mit Marcel Kohler. Klick. "Dirk und ich ist ein Abend über Erfolge und Niederlagen, über Höhenflüge und Panikattacken und über einen der größten Sportler unserer Zeit." Ein Ein-Schauspieler-Theaterabend über Dirk Nowitzki. Danke, ja. JA!

Ich habe noch gut drei Stunden Zeit bis zur Vorstellung. Also laufe ich den Schiffbauerdamm runter, höre dabei Ed Sheeran, setze mich vorm Gorki unter eine Kastanie auf eine Bank, höre Luciano Pavarotti, liege auf einer Wiese neben dem Berliner Dom, höre Glocken, laufe wieder zurück zum Schiffbauerdamm, videotelefoniere mit dem Sohn, zeige dem Sohn die Dampfer, der Sohn zeigt mir den Wald. Schließlich sitze ich auf dem Platz vorm Deutschen Theater und beobachte einen Typen im schwarzen Rock, der am bodentiefen Fenster steht, die Lippen ab und zu bewegt und ansonsten cool raucht. (Ich glaube, es ist Oedipus.)

Hier ist natürlich die Frage, ob ich den Theaterabend in einen zweiten Newsletter packe (länger) oder noch hinten dranhänge (kürzer). Ich denke, ich runde besser den Tag mit dem Abend ab. Außerdem entsteht immer Druck, habe ich bemerkt, wenn ich im Newsletter ankündige, worüber ich als nächstes schreibe.

DIRK UND ICH. Dirk und ich fängt mit einem kleinen Stand-Up an. Und ich lache laut in meiner ersten Reihe sitzend. Und dann sagt Marcel Kohler/ sinngemäß:

"Ich habe mal drei Tage hintereinander nicht geschlafen, weil ich dachte, wenn ich die Augen schließe, ich vielleicht niemals wieder aufwache und da habe ich mir dann NBA-Spiele angeschaut. So begegnete mir Dirk Nowitzki."

In der Box vom Deutschen Theater passen nicht sehr viele Leute rein. Vielleicht sind wir nur 30 Zuschauer in dieser kleinen Box. Vielleicht bin ich da aber auch ganz alleine plötzlich. Dirk und ich und ich. Vorne liegt nur ein Matratze, in die sich Marcel Kohler mit seinem Laptop legt, hinter ihm ist eine Leinwand, die NBA-Spiele und Dirk Nowitzki zeigen. Einmal liest er sogar aus Thomas Pletzingers The Great Nowitzki vor und ich will rufen, da ist die Bibel!, halte aber natürlich meinen Mund. Marcel Kohler steht wieder auf, zieht sich Basketballschuhe und Trainingsanzug an. Und er spielt den Wahnsinn, den man erlebt, wenn man nicht schläft, ohne dass es wahnsinnig wirkt, sondern nachvollziehbar. Seht mich an! Okay. Etwas stimmt nicht mit mir. Sehen wir. Und zwar grundlegend. Ja. Wie er das Ding wohl zu Ende bringt, frage ich mich, als plötzlich Basketbälle von hinten fliegen, die Marcel Kohler der Reihe nach versucht zu fangen. (Es endet mit Gänsehaut.) Guter Spieler, gutes Stück!

Auf dem Nachhauseweg höchst zufrieden mit dem Newsletter-Tag und Lana del Rey auf den Ohren. Kein Hahn krähte, aber es wäre schön gewesen, wenn einer gekräht hätte.

Bühnenbild

 Anmerkung der Redaktion: Führungen im Berliner Ensemble (Öffnet in neuem Fenster)das nächste Mal am 11.06. Dirk und ich (Öffnet in neuem Fenster) im Deutschen Theater am 2.6., 3.6., 24.6.

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