Nolte Notizen | 4. August 2023
Liebe KLup-Freund:innen,
seit gestern Abend haben wir definitiv das Interesse unseres Publikums für den Weltjugendtag (WJT) gedeckt. Allerdings weniger mit Nachrichten über den Papst und Berichten über Bischofspredigten, sondern mit einem handfesten Skandal. Von dem werden in Lissabon vermutlich so viele Menschen gar nichts mitbekommen haben, aber für mindestens drei war das, was sie erlebt haben, massiv.
Wir haben davon erfahren, haben nachrecherchiert und Reaktionen eingeholt, und am Ende stand ein Artikel unseres Volontärs Paul Hintzke (Öffnet in neuem Fenster), den bis zu diesem Zeitpunkt, an dem ich diesen Newsletter schreibe - also rund 24 Stunden nach Veröffentlichung mehr als 8.000 Menschen gelesen haben.
Worum geht's?
In einer Eucharistiefeier, an der vor allem deutsche oder deutschsprachige WJT-Pilger:innen in Lissabon teilnahmen - darunter eine ganze Reihe aus dem Bistum Münster - hat ein wohl aus Österreich stammender Priester mindestens drei Gottesdienstteilnehmenden die Handkommunion verweigert, mindestens zweien stattdessen die Mundkommunion aufgedrängt - obwohl sie durch ihre wie bei uns üblich zusammengelegten Hände deutlich signalisiert hatten, dass sie das Allerheiligste in ihren Händen empfangen möchten. Diesen Priester hat das aber ganz offensichtlich nicht interessiert. Im Gegenteil: Ein Teilnehmer berichtet, der Geistliche habe ihm die Hostie in den Mund gedrückt. Eine Teilnehmerin fühlte sich völlig unfähig, überhaupt anders zu reagieren, als den Mund zu öffnen.
Um es klar zu sagen: Hier geht es schlichtweg um Übergriffigkeit. Ich halte das für eine Form geistlichen Missbrauchs. Das Allerheiligste, die Gegenwart der Liebe Gottes (!) im gewandelten Brot, dazu zu missbrauchen, einen Menschen zu etwas zu zwingen, was er nicht will - und das aus einer Haltung vermeintlicher oder auch tatsächlicher Überlegenheit (die Kommunikanten konnten sich offenbar nicht wehren): das ist tatsächlich "Missbrauch klerikaler Macht", wie es der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun im Anschluss bewertet hat.
Natürlich: Fakt ist, dass die Mundkommunion in der katholischen Kirche nach wie vor eigentlich "state of the art" ist - also die eigentlich übliche Form des Kommunionempfangs. In vielen Ländern ist das großenteils bis heute üblich. Papst Paul VI. hat allerdings schon 1969 in einem "Indult" eine Ausnahmeregelung für Deutschland und Frankreich erlassen. Und 2004 hat der Vatikan festgelegt, dass einzig und allein der Kommunizierende festlegt, in welcher Form er die Kommunion empfangen möchte. Selbst im Petersdom in Rom habe ich das nicht anders erlebt.
Der Priester aus Österreich musste davon ausgehen, dass in dieser vornehmlich aus deutschen oder deutschsprachigen Jugendlichen bestehenden Gottesdienstgemeinde die Handkommunion die übliche Form ist. Dies nicht zu akzeptieren, sondern schlichtweg zu untersagen und ihnen die Mundkommunion aufzudrängen, hat nichts, aber auch gar nichts mit irgendeinem dann gern einsetzenden Gerede von würdige(re)m Eucharistie-Empfang zu tun, der angeblich nur so möglich ist. Daran ist nichts mehr würdig. Im Gegenteil. Einem Menschen gegen seinen Willen irgendetwas in den Mund zu geben, also gewissermaßen in den Körper eines anderen Menschen zu greifen, ist wortwörtlich ein Eingriff - das ist in höchstem Maß gewaltvoll. Dies aus klerikaler Überheblichkeit und einem desaströsen Amts- und Eucharistieverständnis auch noch mit dem Allerheiligsten zu tun, überschreitet alles.
"Wer die Kommunion empfängt und auf das Wort 'Leib Christi' 'Amen' sagt, ist würdig, sie zu empfangen."
Gut, dass wir direkt auch eine Reaktion unseres münsterischen Weihbischofs Christoph Hegge erhalten haben, der in Lissabon dabei ist und das Verhalten seines priesterlichen Mitbruders für ein "No-Go" hält. Zugleich weist er sehr gut darauf hin, dass weder der betreffende Geistliche noch jedweder Kommunionhelfer der Einladende ist, sondern allein Christus. Mit Hegges Worten: "Wer die Kommunion empfängt und auf das Wort 'Leib Christi' 'Amen' sagt, ist würdig, sie zu empfangen." So einfach, so würdevoll, so theologisch pointiert, so respektvoll und so fromm kann das sein.
Von diesem Vorgang jedenfalls erfuhr in Lissabon der Jüngste unseres Teams, unser Volontär Paul Hintzke, und schrieb den nicht nur für ihn extrem erfolgreichen Beitrag. Ich freue mich sehr über seine journalistische Wachheit und nicht zuletzt über sein Netzwerk, das er hervorragend nutzen konnte. Am Ende haben - erst heute, aber immerhin - auch die Kolleg:innen von katholisch.de über diesen Vorfall berichtet (Öffnet in neuem Fenster).
Das ist noch nicht alles ...
Neben dem großen "Aufregerpotenzial" bewegt mich eine weitere Dimension zutiefst - und ich habe darüber vor zwei Wochen bereits geschrieben, als wir von den zwei Ordensfrauen berichtete (Öffnet in neuem Fenster)n, welche die Missbrauchs-Hinweistafel in der Paderborner Bischofsgruft so massiv kritisierten: Es entsetzt mich zutiefst, wie 13 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland (in Österreich übrigens noch deutlich früher, erinnert sei etwa an den damaligen Wiener Kardinal Groer) und nach intensivster Auseinandersetzung damit, was Machtmissbrauch ist, was Klerikalismus - wie wenig all die dadurch gewonnen Erkenntnisse und Einsichten bei manchen Geistlichen angekommen sind. Offenbar - einmal mehr - besonders bei Ordensgeistlichen. Mehr noch: Sie werden offenkundig negiert. Und einmal mehr ist es offensichtlich einer, der sich eher äußerst konservativen Ansichten zugehörig fühlt.
Es sind dies oft dieselben, die Reformen mehr oder wenige als Gedöns abtun, sie als "Missbrauch des Missbrauchs" bezeichnen, Reformorientierten Spaltungsabsichten unterstellen und letzten Endes die aus der Sorge um die Authentizität der Verkündigung unserer Botschaft geborenen Anstrengungen, heute glaubwürdig Kirche zu sein, als nicht mehr katholisch diskreditieren. Und die dies in einer Unbefangenheit und unverfrorenen Selbstsicherheit tun, die nahezu fassungslos macht. Hier gilt - wie ganz genauso im gesellschaftlich-politischen Bereich: Die Grenze des eigentlich Unsagbaren wird weiter nach rechts verschoben, Beleidigungen und Übergriffigkeiten werden für normal oder sogar besonders würdig und berechtigt dargestellt. Und die eigentlichen Retter des Abendlandes sind die eigentlich Verfolgten. Wie gut dieses Treiben funktioniert, sehen wir dieser Tage einmal mehr im Gewese um den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Wir sehen es aber in nicht minder gefährlichem Ausmaß in der Tatsache, dass eine mindestens rechtspopulistische Partei namens AfD es in Umfragen satt auf Platz zwei in der deutschen Wählergunst geschafft hat.
Das, was da in Lissabon geschehen ist, als das zu benennen, was es ist, gehört zu den Lektionen, die die Missbrauchsskandale gelehrt haben sollten: Es ist Gewalt. Das haben wir getan. Das hat Paul getan. Einer, der wie weit mehr als die 500.000 Jugendlichen in Lissabon, die Kirche von morgen ist.
Was unser großartiges Team dort gemeinsam mit dem Newsroom in Münster, sonst noch an diversen Großartigkeiten vom Weltjugendtag berichtet hat, findet ihr übrigens hübsch gebündelt hier. (Öffnet in neuem Fenster)
Guet goahn!
Markus Nolte (Chefredakteur Online)