Ökosysteme Teil 1: der Fluss
Hallihallo aus Kopenhagen,
hier bin ich ja gerade, weil mein Mann mir geschenkt hat, dass wir meinen heutigen Geburtstag hier feiern. Und weil Geburtstag und Geschenke ja Hand in Hand gehen, kriegen heute alle die ausführliche Ausgabe Schreibers Naturarium – auch die kostenlosen Mitglieder. Juhu! 🥳
Ich habe mir überlegt, dass ich gerne immer mal wieder Ökosysteme vorstellen möchte. Es wird also wieder eine Serie wie bei den norddeutschen Landschaften (Öffnet in neuem Fenster) geben, aber nicht hintereinander, sondern immer mal wieder — es gibt so viel zu entdecken! Fangen wir heute mit einem meiner liebsten Ökosysteme an, dem Fluss. Ich wohne in Hamburg ja selber direkt an einem Fluss, der Tarpenbek. Das Reiher-Bild am Anfang dieses Artikels ist von dort, und auch hier seht ihr einen Abschnitt:
Bevor es mit dem “ernsten” Teil losgeht, hier ein paar Rate- und Schätzfragen für dich – die Auflösung findest du am Ende der Ausgabe! :)
Welcher ist der längste Fluss der Erde?
Wie lang ist dieser längste Fluss?
Wie kurz ist der kürzeste Fluss der Welt?
Welcher Fluss führt das meiste Wasser?
Wie tief ist der tiefste Fluss?
Welcher ist der längste Fluss Deutschlands?
Und welcher ist der Kürzeste?
So, genug gerätselt. Jetzt geht’s los:
Was ist ein Fluss?
Ein Fluss ist im Grunde genommen ein natürliches, fließendes Gewässer, das stetig Wasser von seiner Quelle bis zu seiner Mündung transportiert – sei es ins Meer, in einen See oder in einen anderen, größeren Fluss. Anders als ein Bach, der meist nur wenige Meter breit und vergleichsweise flach ist, führt ein Fluss in der Regel deutlich mehr Wasser und besitzt ein größeres Einzugsgebiet – also jene Fläche, aus der sämtliches Regen- und Grundwasser in diesen Fluss gelangt. In manchen Definitionen heißt es, ein Bach wird zum Fluss, sobald er die Marke von fünf Metern Breite und etwa eineinhalb Metern Tiefe überschreitet. Ganz genau festgelegt ist das jedoch nicht; letztlich kommt es vor allem auf die Wassermenge und die Größe des Gebiets an, aus dem das Gewässer seine Zuflüsse sammelt. Für die Elbe habe ich es hier mal grob eingezeichnet: Sie entspringt im tschechischen Riesengebirge auf über 1300 Metern Höhe und mündet dann hinter Hamburg bei Cuxhaven in die Nordsee. Ihr Einzugsgebiet speist sich aus einer Menge anderer Flüsse (z.B. aus Moldau und Saale) und beträgt insgesamt 148.300 km², was durchaus beachtlich ist. In Mitteleuropa rangiert sie damit auf Platz 4 hinter Donau, Weichsel und dem Rhein.
Flüsse sind faszinierende Lebensadern unserer Landschaft und man hat das Gefühl, sie seien schon immer “irgendwie da” gewesen, oder? Aber natürlich gab es auch eine Zeit, in der es keine Elbe gab, keinen Main, keine Donau und eben auch keine Tarpenbek. Deshalb schauen wir uns doch zuerst mal an, wie so ein Fluss entsteht.
Mehr und tiefergehende Artikel erhalten, mir eine Geburtstagsfreude machen und tolle Goodies abstauben:
Eiszeiten und Niederschlag – wie Flüsse entstehen
Flüsse entstehen nicht einfach so von heute auf morgen – ihre Bildung dauert oft viele Tausende oder Millionen von Jahren. Dabei wirken eine Menge Prozesse zusammen, durch die aus kleinen Rinnsalen schließlich mächtige Ströme entstehen. Aber wie genau passiert das? Woher kommt das Wasser? Welche Rolle spielen Berge und Täler? Wie haben Eiszeiten die Flussbildung beeinflusst? Und warum ändern Flüsse immer wieder ihren Lauf? Genau diese Fragen schauen wir uns jetzt an.
Zutat 1: Wasser
Zunächst einmal braucht es Wasser. Das klingt banal, ist aber entscheidend. In Regionen mit ausreichend Niederschlag – ob Regen oder Schnee – kann sich Wasser in Senken sammeln und langsam über die Landschaft fließen. Es sickert oft zuerst in den Boden, um später an einer Quelle wieder auszutreten. Diese Quellen speisen kleine Bäche, die sich nach und nach vereinen und schließlich einen Fluss bilden. Das Ganze funktioniert wie ein verzweigtes Wurzelsystem: Aus winzigen Rinnsalen entsteht mit der Zeit ein immer größerer Strom.
Neben Niederschlag spielt auch das Schmelzwasser von Gletschern eine zentrale Rolle, das Thema hatten wir ja jetzt schon ein paar Mal. Diese riesigen Eismassen entstehen in Hochgebirgen und kalten Regionen, wenn sich über lange Zeit Schnee ansammelt und zu Eis verdichtet. Während der letzten großen Eiszeiten bedeckten Gletscher halb Deutschland, und das Wasser muss danach ja auch irgendwo hin. Mit der Erwärmung nach diesen Kälteperioden schmolz das Eis ab und setzte gewaltige Mengen Wasser frei. Dieses Wasser formte nicht nur große Seen, sondern auch breite Flusstäler, die teilweise bis heute erhalten geblieben sind. Im ersten Teil der norddeutschen Landschaften haben wir ja über Kaltzeiten gesprochen, und daher kennst du vielleicht schon diese Grafik, die ich jetzt etwas für Flüsse modifiziert habe:
Zutat 2: Gefälle
Damit Wasser fließen kann, braucht es irgendeine Form von Gefälle, also einen Höhenunterschied, der das Wasser abwärts Richtung Meer, See oder tiefer gelegenes Land treibt. In Gebirgen ist das Gefälle oft sehr groß, weshalb Flüsse dort schnell und reißend ins Tal stürzen – ich liebe diese Gebirgsströme wie diesen hier in den Alpen in der Nähe des Fernsteinsees, den ich im Mai 2018 fotografiert habe:
Im Flachland ist der Höhenunterschied natürlich meist geringer. Dadurch fließen die Flüsse langsamer und haben mehr Zeit, sich ihren Weg zu suchen. Gebirgsbäche bilden daher oft rauschende Kaskaden, während Flüsse im Flachland gemütlicher fließen und große Schleifen, sogenannte Mäander, bilden:
Zutat 3: Gestein
Nicht nur das Wasser formt Flüsse, sondern auch der Untergrund, durch den sie sich fräsen. Dabei spielt die Erosion, also das ständige Abtragen von Gestein, eine zentrale Rolle: Fließendes Wasser reibt sich am Flussbett, löst dabei Sand oder Steine heraus und formt so im Laufe der Jahrhunderte tiefe Täler oder weite Auen – über die sprechen wir gleich noch. An den Stellen, an denen das Wasser schnell fließt und auf hartes Gestein wie Granit trifft, entstehen meist tiefe Schluchten. In langsameren Abschnitten überwiegt die seitliche Erosion, so dass breitere Täler und geschwungene Mäander wie der auf dem Bild oben entstehen, denn weicheres Gestein wie Ton oder Sandstein wird leichter abgetragen. Das Sediment – all das Material, das der Fluss abträgt und an anderer Stelle wieder ablagert, wie Sand, Kies oder Schlamm – formt ebenfalls so eine Flusslandschaft. An den Mündungen großer Ströme kann so ein Delta entstehen – ein fächerförmiges Gebiet aus vielen verzweigten Flussarmen, die ins Meer oder in einen See münden. Dort, wo das Wasser langsamer wird, lagern sich größere Mengen an Material ab, was allmählich neue Landmassen und kleine Inseln schafft. Das bezeichnet man auch als Gleithang: Das sind die Stellen, wo Sedimente abgelagert werden. Der Gegensatz dazu ist der Prallhang, an dem Material durch die Erosion abgetragen wird:
Besonderer Fall: Unterirdische Flüsse
In Karstlandschaften, die vor allem durch kalkreiche Gesteine geprägt sind, entstehen Flüsse nicht immer nur an der Oberfläche. Kalkstein löst sich unter dem Einfluss von Wasser relativ leicht auf, sodass im Untergrund nach und nach ausgedehnte Hohlräume und ganze Höhlensysteme entstehen. Statt an der Oberfläche zu bleiben, kann das Wasser durch kleine sogenannte Schlucklöcher (“Ponor”) in diese unterirdischen Räume eindringen und dort zum Teil über weite Strecken fließen. Mancherorts existiert oberirdisch nur ein kleines Rinnsal, während sich unterirdisch ein gewaltiger Fluss ins Gestein gegraben hat. An anderen Stellen tritt das Wasser dann wieder zutage und bildet neue Quellen oder Bäche, die sich wieder in den sichtbaren Flusskreislauf eingliedern.
Hier siehst du einen unterirdischen Fluss in Slowenien:
Tatsächlich habe ich auf einer Exkursion mal so einen unterirdischen Wasserlauf gefunden. Es war ein Bach, der plötzlich im steinigen Grund verschwand. Das Bachbett war dann an der Stelle trocken, das Wasser ist einfach im Boden versickert. Ungefähr 50 Meter weiter trat das Wasser wieder aus dem Boden aus. Das sah ungefähr so aus:
Wie ist ein Fluss aufgebaut?
Jeder Fluss hat seinen ganz eigenen Charakter, und dennoch lassen sich grundlegende Abschnitte und Zonen ausmachen, wenn man ihn von der Quelle bis zur Mündung betrachtet und gleichzeitig seinen Querschnitt unter die Lupe nimmt. Schauen wir uns doch mal an, wie diese Zonierungen aussehen und warum sie für die Lebewesen und die Ökologie eines Flusses so wichtig sind.
Von Rinnsal bis zum Strom: Die Längsgliederung
Du erinnerst dich: Weiter oben habe ich ja beschrieben, dass in den gängigsten Definitionen ein Fließgewässer als Fluss gilt, sobald es mehr als fünf Meter breit und etwa eineinhalb Meter tief ist. Reicht die Länge schließlich mehrere hundert Kilometer und mündet das Gewässer ins offene Meer, spricht man auch gern von einem Strom.
Gleichzeitig gliedern sich Flüsse anhand ihres Verlaufs in verschiedene Abschnitte: Den Quellbereich (mit wenigen, kleinen Zuflüssen), den Oberlauf (in der Regel noch steiles Gefälle, höhere Strömung), den Mittellauf (gemäßigtes Gefälle, meist breiteres Tal) und den Unterlauf (geringes Gefälle, sanfte Strömung), und am Ende folgt die Mündungsregion, die oft eine Delta-Form annimmt, wenn der Fluss ins Meer strömt. In der wissenschaftlichen Terminologie (etwa nach der Wasserrahmenrichtlinie) bezeichnet man die Quellregion auch als Krenal, die schnell fließenden Abschnitte als Rhitral und die langsameren Unterläufe als Potamal.
In der Praxis gibt es dabei keine starren Grenzen, sondern fließende Übergänge. Dennoch hilft diese Einteilung, um grob zu verstehen, wie sich die Bedingungen in einem Fluss von der Quelle bis zur Mündung verändern.
Die Fischregionen
Wir können den Aufbau eines Flusses noch besser verstehen, wenn wir die Fischfauna als Maßstab nehmen. Denn unterschiedliche Fischarten haben jeweils eigene Ansprüche an Strömung, Sauerstoff- und Nährstoffgehalt, Temperatur und Substrat. Im deutschsprachigen Raum ist es deshalb üblich, die klassischen Fischregionen zu unterscheiden.
Forellenregion: Sie liegt meist im Oberlauf, wo das Wasser klar, kühl und sauerstoffreich ist. Der Untergrund besteht aus Fels und Kies, und nur Arten, die eine starke Strömung mögen, kommen hier gut zurecht. Neben Bachforellen trifft man zum Beispiel Koppen und Bachneunaugen an.
Äschenregion: In diesem Abschnitt nimmt die Fließgeschwindigkeit etwas ab, das Wasser wird wärmer und der Sauerstoffgehalt sinkt leicht, während der Nährstoffgehalt steigt. Neben der Äsche finden sich Barben, Haseln (der Fisch, nicht der Baum ;-)) oder Gründlinge. Das Substrat besteht noch immer größtenteils aus Kies und Steinen, aber der Fluss ist bereits etwas breiter.
Barbenregion: Hier hat der Fluss meistens eine moderate Strömung, die Wassertemperaturen steigen weiter an, und der Grund kann aus Kies, Sand oder Feinsediment bestehen. Neben der Barbe findet man Brachsen, Zander oder Rotaugen. Die Ufer sind oft nicht mehr ganz so steil, und Auen können sich ausbilden – über die schreibe ich gleich noch.
Brachsenregion: In diesem ruhigeren Abschnitt wird das Wasser tendenziell trüber, wärmer und nährstoffreicher. Fische wie Brachse, Güster oder Flussbarsch dominieren, während die Strömung deutlich nachlässt. Der Fluss mäandriert oft stark oder weitet sich zu größeren Becken aus.
Kaulbarsch-Flunderregion: Dieser Teil liegt meist in den Mündungsdeltas, wo sich das Flusswasser mit dem Einfluss von Ebbe und Flut oder zumindest dem Brackwasser des Meeres vermischt. Man spricht dann von Tideeinfluss (Tiden = Gezeiten). Tierarten wie Kaulbarsch, Flunder oder Aal halten sich hier auf, weil sie unterschiedliche Salz- oder Brackwasseranteile verkraften.
Querschnitt: Vom Wasserkörper bis zur Aue
Betrachten wir nun den Fluss im Querschnitt, also vom Wasser über das Ufer bis hin zur angrenzenden Landschaft. Da gibt es erst einmal den eigentlichen Wasserkörper, klar. Direkt am Boden befindet sich das Flussbett, das aus Gestein, Kies, Sand oder Schlamm besteht. In den Zwischenräumen dieser Sedimente liegt das hyporheische Interstitial – also das Hohlraumsystem zwischen den Kieseln oder Steinen, gewissermaßen auch das Flussbett. Dieser Bereich trennt den Wasserkörper vom Flusswasser, und dort halten sich zahlreiche Kleinlebewesen auf, etwa Insektenlarven, Flohkrebse oder Mikroorganismen. Da finden wir auch die Eier der Kieslaicher, um die es gleich noch genauer geht.
Kies- und Schotterbänke oder Sandbänke treten an meist flacheren Stellen oder bei niedrigem Wasserstand auf und bilden zeitweise oder dauerhaft kleine Inseln. Hier finden sich verschiedene Pionierpflanzen und oft auch Insekten, die auf sandige oder kiesige Böden spezialisiert sind. Bei Hochwasser können diese Bänke überflutet und neu geformt werden – du siehst: ein sehr dynamischer Lebensraum.
Uferzone und Auen
Unmittelbar am Ufer gibt es Steilufer- und Flachuferbereiche. An Steilufern kann das Wasser immer wieder Boden abtragen, das hatten wir weiter oben schon angeschaut. An Flachufern hingegen bilden sich teils Röhrichtzonen, wo Schilf und Binsen wachsen und Libellenlarven oder Wasserschnecken reiche Nahrung finden.
Jenseits der direkt vom Wasser beeinflussten Zone liegen die Feuchtwiesen oder Auen. Sie werden je nach Hochwasserstand regelmäßig überflutet, was zu besonders nährstoffreichen Böden führt. Die Auen schauen wir uns jetzt mal genauer an, weil sie ein wunderbarer Lebensraum sind – vor allem die Auwälder.
Ein besonderer Lebensraum: Die Auen
Auwälder sind eng mit Fließgewässern verbunden und bilden mit ihnen einen Ökosystemkomplex. Ein Auwald entsteht, wenn ein Fluss regelmäßig über die Ufer tritt und das umliegende Land immer wieder überschwemmt. Bei Hochwasser werden Sedimente und Nährstoffe in die Aue transportiert, wodurch ein besonders fruchtbarer Boden entsteht. Im Laufe der Zeit siedeln sich dort Bäume an, die auf periodisch überflutete Standorte spezialisiert sind. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Weichholzaue und Hartholzaue. Die Weichholzaue liegt näher am Fluss und wird häufiger überschwemmt. Hier dominieren schnellwüchsige Gehölze wie Weiden oder Pappeln, die eine hohe Toleranz gegenüber wechselnden Wasserständen aufweisen. Gemeinsam mit Teilen der näher am Fluss liegenden Gehölzfreien Aue bilden sie die sogenannte Amphibische Zone, also eine Zone mit wechselnden Wasserständen (deshalb auch als Wechselwasserzone bezeichnet). In der Gehölzfreien Aue finden kannst du beispielsweise Schilf entdecken. Knöterichgewächse, Pestwurz, Brennnesseln oder Gänsefuß.
Etwas weiter vom Fluss entfernt liegt die Hartholzaue, die nur bei sehr hohen Wasserständen überflutet wird. Hier sind die Böden meist fester, sodass Eichen, Berg-Ahorne, Ulmen und Eschen bessere Chancen haben, tief zu wurzeln. Zwischen diesen Baumarten wachsen Sträucher und eine artenreiche Kraut- und Staudenflur, die sich ebenfalls an die gelegentlichen Überschwemmungen angepasst hat – Beispiele dafür sind Pfaffenhütchen, Traubenkirschen, Waldreben, Hopfen oder Efeu. Durch die unterschiedlichen Wasserstände entstehen so eng verzahnte Lebensräume, in denen sich sowohl lichtliebende Pionierpflanzen als auch schattenverträgliche Pflanzen entwickeln können.
Ein intakter Auwald ist auch Lebensraum für eine Vielzahl von Tierarten. Vögel brüten geschützt im dichten Kronendach, Amphibien und Reptilien finden Unterschlupf in kleinen Wasserlöchern oder feuchten Mulden. Auch Säugetiere wie Biber oder Wildschweine fühlen sich in einem Auwald wohl, denn sie finden ausreichend Nahrung und gute Versteckmöglichkeiten. Kleinsäuger profitieren von der krautigen Bodenvegetation, die ihnen Blickschutz bietet und den Zugang zu Sämereien und Insekten ermöglicht. Insekten und Spinnentiere wie Milben spielen eine besondere Rolle, da sie sich in den Laub- und Totholzschichten stark vermehren und zur Bodenbildung beitragen. Diese Mischung aus Gehölzen, Feuchtwiesen, Kleingewässern und Totholzstrukturen ist typisch für einen Auwald und macht ihn zu einem der artenreichsten und produktivsten Lebensräume entlang eines Flusses!
Auwälder schützen uns
Ein Auwald erfüllt eine ganze Reihe von Funktionen, die auf den ersten Blick nicht alle offensichtlich sind. Eine der wichtigsten ist der natürliche Hochwasserschutz: Bei Hochwasser kann sich das Flusswasser in den Auen „ausbreiten“, bevor es Siedlungen und landwirtschaftliche Flächen erreicht. Das wirkt wie ein großer Schwamm, der große Wassermengen puffert und langsam wieder abgibt. Die Böden in einem Auwald sind oft sehr feinkörnig und können große Mengen Wasser speichern. Außerdem wachsen dort Pflanzen, die an Überschwemmungen angepasst sind und das Wasser nicht sofort abführen, sondern vorübergehend halten. Richtig gut! … eigentlich. Das Problem: In Mitteleuropa sind viele dieser Auenwälder längst verschwunden. Über Jahrhunderte hinweg wurden sie gerodet oder trockengelegt, um Flächen für Landwirtschaft oder Siedlungsbau zu gewinnen. Mit dem Bau von Deichen hat man den Flüssen den Spielraum genommen, sich auszubreiten. Kommt es jetzt zu Hochwasser, kann es sich nicht mehr ausbreiten. Zwischen den Deichen steigt es an, und durch diesen schmalen Raum und das immer heftiger nachschiebende Wasser entsteht ein reißender Hochwasserstrom, der immer weiter Richtung Unterlauf drückt – ein Albtraum für Siedlungen in dem Bereich, denn die werden dann überflutet.
Deshalb ist es für den Hochwasserschutz entscheidend, zumindest einen Teil der Auen zu renaturieren oder auszuweisen, damit sie wieder überflutet werden können. Das bedeutet zwar, manche Flächen nicht mehr so intensiv landwirtschaftlich zu nutzen, doch dafür erhält man natürliche Rückhaltebecken, die Hochwasserspitzen abschwächen und den Schutz von Städten und Siedlungen verbessern. Leider wird das nicht für alle Auen klappen, denn oft sind die Stelle, an denen die Deiche errichtet wurden, besiedelt. Das Kind ist jetzt in den Brunnen gefallen und es ist eine bisher ungelöste Frage, wie man damit umgehen soll.
Die Fließgeschwindigkeit beeinflusst Lebensräume
Kein Fluss gleicht dem anderen, und auch der Fluss selbst ist in seinem Verlauf unglaublich vielfältig. Wenn du an einem ruhigen Flussabschnitt spazieren gehst, siehst du oft hohe Erlen und Weiden, die so dicht am Ufer stehen, dass ihre Wurzeln teilweise im Wasser stehen. Genau diese Baumschicht ist der Schlüssel dafür, dass dort nicht das ganze Ufer immer weiter weggespült wird: Die Wurzeln stabilisieren den Boden, halten alles zusammen und schaffen gleichzeitig ein schattiges Mikroklima. Ähnliches gilt für die dichten Röhrichte – also Schilf und Binsen –, die in den flacheren Uferzonen wachsen. Hier finden Libellenlarven und Wasserschnecken reichlich Nahrung und Schutz. Mit etwas Glück kannst du sogar Molche oder Kröten entdecken
In gemächlich strömenden Abschnitten sammelt sich Laub und anderes organisches Material, das allmählich zersetzt wird. Davon profitieren zahlreiche Kleinlebewesen wie Flohkrebse, Köcherfliegenlarven und Wasserkäfer, die diese organischen Reste entweder als Nahrung oder als Versteck nutzen. Wo die Strömung noch weiter nachlässt und gerade so reicht, um feinen Schlamm wegzutragen, setzen sich größere und schwerere Partikel auf dem Grund ab. Solche Stellen sind für Kieslaicher wie Barben oder Forellen ideal, weil sie ihre Eier gerne auf hartem Untergrund ablegen. Der Kies sorgt dafür, dass die Eier ständig von klarem, sauerstoffreichem Wasser umspült werden und sauber bleiben. Andere Fische, sogenannte Krautlaicher, bevorzugen Pflanzen als Ablageort. Auch in Seiten- und Altarmen eines Flusses ist es oft so, dass das Wasser nur noch schwach fließt, was Jungfischen und Amphibien eine gut geschützte Kinderstube bietet: in den flachen Tümpeln und Buchten sind sie weniger gefährdet und können sich in Ruhe entwickeln. Wasservögel wie Enten, Blesshühner oder Reiher finden in diesen ruhigen Gewässern optimale Bedingungen zum Gründeln oder Jagen. Einige Vogelarten nisten auch gern direkt im dichten Uferbewuchs.
Wer wohnt denn da?
Im Wasser
Flüsse beherbergen eine unglaubliche Vielfalt an Lebewesen. Am Gewässergrund tummeln sich viele Kleinstlebewesen wie Köcherfliegenlarven oder Eintagsfliegen. Sie verstecken sich zwischen den Steinen, denn gerade dort ist die Strömung etwas schwächer und der Sauerstoffgehalt hoch genug, um da gut wohnen zu können. Diese Larven sind wichtige Zersetzer von Pflanzenresten und Blättern, die vom Ufer ins Wasser fallen. Besonders toll finde ich die Köcherfliegenlarven, weil die sich zur Tarnung und zum Schutz ihrer weichen Körper aus gefundenen Materialien einen Panzer bauen:
Hinzu kommen Flohkrebse, die sich gerne in Hohlräumen zwischen den Kieselsteinen aufhalten. Einheimische Flusskrebse graben sich auch gern in die Gewässersohle ein, sofern genügend feiner Schlamm vorhanden ist.
Im Tiefwasser finden sich viele größere Fische, die sowohl Strömung als auch Deckung suchen. In schnelleren, kühleren Flüssen sieht man Forellen und Äschen, die sich an klare, sauerstoffreiche Gewässer angepasst haben. Je weiter man flussabwärts gelangt, desto eher trifft man auf Barben, Nasen (ja, das sind wirklich Fische, hehe) und Döbel. In ruhigeren Abschnitten können sich Hechte oder Zander verstecken, die geduldig auf ihre Beute lauern. Noch tiefer, also da, wo das Flussbett so richtig schön schlammig wird, wühlt sich die Quappe (ein Knochenfische) durch. Mancherorts tritt der Edelkrebs auf, sofern er nicht von gebietsfremden Krebsarten verdrängt wurde – das Thema hatten wir im Artikel über Neobiota (Öffnet in neuem Fenster). Krebse nutzen gern Steine, Wurzelstöcke oder kleine Höhlen als Tagesversteck und gehen nachts auf Futtersuche. Muscheln wie die Malermuschel oder die Große Teichmuschel filtern das Wasser und sorgen so für eine natürliche Klärung.
Im freien Wasser, dem mittleren Bereich, halten sich gern Fische in größeren Schwärmen auf: Rotaugen, Rotfedern oder Brachsen ziehen umher und ernähren sich von Plankton, Algen und Kleintieren. Mancherorts gesellen sich Alande oder Barben hinzu, wenn die Strömung moderat ist und es genug Sauerstoff gibt. Auch winzige Krebstierchen, Wasserflöhe oder Zuckmückenlarven treiben hier, bis sie eine geeignete Stelle zum Verpuppen finden. Dank ihrer freien Drift im Wasser können sie rasch neue Bereiche besiedeln. Fische wie der Rapfen oder der Rapfenverwandte (in manchen Gegenden auch Schied genannt) machen Jagd auf kleinere Fische, die in dichten Schwärmen schwimmen, um sich vor Fressfeinden zu schützen. In größeren, langsameren Strömen kann man zudem Welse antreffen, die oft in tiefen Gumpen oder unter eingestürzten Uferkanten ruhen.
In den Flachwasserzonen, wo man selbst bei geringem Wasserstand noch mit Gummistiefeln oder hochgekrempelten Hosen umherwaten kann, gedeihen zahlreiche Wasserpflanzen. Die Wasserpest bildet lange, dichte Matten, in denen sich Jungfische tummeln. Unterwasserpflanzen wie Hornblatt oder Tausendblatt filtern das Licht und bieten ebenfalls gute Verstecke. Zusätzlich wurzeln Sumpf-Schwertlilien und Pfeilkraut im seichten Uferbereich. Frösche, Kröten und Molche nutzen genau diese Zonen, um ihren Laich abzulegen: Das Wasser ist hier wärmer als in der Strömung und birgt weniger Räuber. Libellenlarven lauern im Schutz der Pflanzenstängel auf Beute, bis sie sich verpuppt haben und als schillernde Flugakrobaten über der Wasseroberfläche auf Brautschau und Jagd gehen. Die Larven der Gelbrandkäfer und auch Wasserskorpione jagen im flachen Uferbereich, wo sie Kaulquappen oder kleine Fische erbeuten.
Am Ufer
Unmittelbar am Übergang zwischen Land und Wasser bilden Schilf, Binsen oder Seggen eine dichte Barriere, die die Erosion mindert und einer Vielzahl von Tieren Unterschlupf bietet. Hier siedeln sich gerne Schnecken an, die wie winzige Kühe die Algen von Steinen, Pflanzen und Totholz abweiden. Zwischen den Pflanzenstängeln findet man Molche, die in den sonnigen Morgenstunden nach Nahrung suchen. Auf herabgefallenen Ästen oder Steinen finden Moose und Flechten ideale Wachstumsbedingungen, da sie ständig von feuchter Luft umströmt werden. Genau hier, in den Moospolstern, leben auch die Bärtierchen – winzige, extreme Überlebenskünstler, die sowohl längere Trockenheit als auch andere harte Bedingungen überstehen, indem sie als kleine Tönnchen in eine Art „Schlafzustand“ verfallen – die Kryptobiose. In meinem Buch Abschied von Hermine habe ich da ausführlicher drüber geschrieben. Sobald die Bedingungen wieder stimmen, erwachen sie und setzen ihr Leben fort, als sei nix gewesen.
Bäume wie Weiden, Erlen und Pappeln prägen in vielen Regionen das Uferbild. Ihr weit verzweigtes Wurzelwerk hält das Ufer zusammen, spendet Schatten und kühlt das Wasser an heißen Tagen. In den Kronen brüten Wasservögel wie Graureiher oder Kormoran, in den steilen, sandigen Uferabbrüchen graben Eisvögel ihre Röhrentunnel. Wer im Morgengrauen leise ist, hört vielleicht den Biber an jungen Zweigen knabbern. Auch der Fischotter ist wieder häufiger anzutreffen, nachdem er lange Zeit durch Bejagung und Umweltgifte fast ausgerottet war.
Um Flüsse herum
Sobald man sich einige Meter vom Wasser entfernt, ändert sich das Mikroklima. Hier befinden sich die teilweise überschwemmten Auenwiesen, ein Paradies für Insekten. Hummeln und Wildbienen profitieren von der hohen Blütendichte, Schmetterlinge wie Admiral oder Kleiner Fuchs schnabulieren an Nektarpflanzen. Gleichzeitig wachsen auf naturnahen Flächen Frühjahrsblüher wie Märzenbecher oder Sumpfdotterblume. Zahlreiche Pilzarten zersetzen am Boden das Holz umgestürzter Äste oder Bäume. In diesem wechselhaften Milieu tummeln sich auch größere Säugetiere: Wildschweine durchwühlen den Boden nach Pilzen und Würmern, Rehe streifen auf der Suche nach zarten Trieben durch Auwälder, Füchse oder Waschbären wagen sich nachts an die Ufer, um nach Beute wie Mäusen oder unvorsichtigen Jungvögeln Ausschau zu halten.
In den angrenzenden Feldern und Wiesen kann man Kiebitze dabei beobachten, wie sie den feuchten Boden nach Samen Würmern durchstochern. Gerade im Frühsommer bilden sich dort seichte Pfützen, in denen sich Kaulquappen und Insektenlarven sammeln. Der Weißstorch zieht seine Runden über solche Wiesen, immer auf der Suche nach Fröschen und Kleintieren. Mitunter entdeckt man Graugänse, die ihre Küken am Flussufer großziehen, bevor sie den Vogelzug antreten, um im Herbst wärmere Gefilde aufzusuchen. Luchse findet man eher selten in direkter Flussnähe, dafür jedoch Füchse, Marderhunde oder Iltisse, die sich von Kleinsäugern wie Mäusen ernähren.
Ökosystemdienstleistungen
Flüsse sind wahre Allrounder, wenn es um die Bereitstellung sogenannter Ökosystemdienstleistungen geht. Damit bezeichnet man Leistungen der Natur, von denen wir Menschen direkt oder indirekt profitieren. Dazu gehören der bereits erwähnte Hochwasserschutz durch Auen, die Bodenfruchtbarkeit durch regelmäßige Überschwemmungen oder die natürliche Reinigung des Wassers durch Mikroorganismen im Flussbett. Auch kulturelle Aspekte gehören dazu, etwa wenn ein Fluss als Naherholungsziel zum Wandern oder Kanufahren einlädt. All dies sind Ökosystemleistungen – wertvolle Leistungen der Natur, die unser Leben und unsere Gesellschaft entscheidend bereichern. Schauen wir uns mal die wichtigsten davon bei den Flüssen an:
Wasserversorgung: Viele Städte und Gemeinden beziehen ihr Trink- und Brauchwasser direkt oder indirekt aus Fließgewässern. Bäche und Flüsse sammeln Regen-, Grund- und Schmelzwasser aus ihrem Einzugsgebiet und führen es zu Tal.
Hochwasserschutz: Intakte Flüsse und vor allem ihre Auen wirken als natürliche „Überlaufbecken“ bei starken Regenfällen oder Schneeschmelzen, siehe oben. Wenn das Wasser in überflutungsfähige Bereiche ausweichen kann, wird die Abflusswelle verringert und die Hochwassergefahr für flussabwärts gelegene Gebiete sinkt. Die Wassermassen versickern dort teilweise im Boden, werden gebremst und können langsam wieder abfließen. Ohne diese Rückhalteflächen steigt die Gefahr, dass große Wassermengen in kürzester Zeit durch begradigte Flussläufe Richtung Städte rasen und Schäden verursachen. Das haben wir in den letzten Jahren ja leider häufiger erleben müssen.
Bodenbildung und Sedimentablagerung: Überschwemmungen bringen ständig neue Sedimente in die Auen, die auf den Flächen abgelagert werden. Feinmaterial wie Ton, Schluff und Sand sorgt für fruchtbare Böden, die reich an Nährstoffen sind. Das führt zu üppigem Pflanzenwachstum und unterstützt die Landwirtschaft in angrenzenden Regionen. Gleichzeitig werden bei den Hochwassern Schadstoffe aus dem Wasser teilweise im Boden gebunden.
Da sind wir auch direkt bei den Nährstoff- und Stoffkreisläufen: Flüsse transportieren Stickstoff, Phosphor und viiiiiel organisches Material teils über hunderte oder tausende Kilometer hinweg. Dadurch werden Nährstoffe verteilt, die an anderer Stelle das Wachstum von Pflanzen und Algen fördern können. In den Auen wiederum zersetzen Mikroorganismen und Bodentiere einen Teil dieser organischen Fracht, und deshalb sind die Böden dort auch immer so wunderbar fruchtbar … was wir uns zunutze gemacht haben, weshalb wir alles abgeholzt und dort Landwirtschaft gestartet haben, WELL … das ist natürlich nicht so dolle, siehe Thema Hochwasserschutz.
Selbstreinigungsfunktion: Durch Strömung, Sauerstoffeintrag und die Aktivität von Mikroorganismen besitzen naturnahe Flüsse eine hohe Fähigkeit zur Selbstreinigung. Organische Verbindungen können abgebaut oder in anderer Form wieder in die Nahrungsnetze eingebunden werden. Voraussetzung für diese natürliche „Kläranlage“ ist allerdings, dass das Gewässer nicht überlastet wird – weder durch zu hohe Einträge aus Abwässern noch durch übermäßige Verbauung, die wichtige Habitate im Flussbett und an den Ufern zerstört.
Lebensraumangebot: Flüsse und ihre Auen sind bekannt dafür, besonders viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten zu beherbergen. Von kiesigen Flachstellen über strömungsreiche Rinnen bis zu ruhigen Altarmen ergeben sich auf engstem Raum höchst unterschiedliche Nischen. Daraus resultiert eine hohe Biodiversität: Fische, Amphibien, Wasservögel, Insekten und wasserliebende Pflanzen finden jeweils genau die Bedingungen, die sie brauchen! Solch eine Vielfalt macht einFlusssystem widerstandsfähig gegenüber äußeren Einflüssen und Problemen wie dem Klimawandel.
Klimaregulierung und Kohlenstoffspeicherung: Flüsse und ihre Auen sind nicht nur Wasser-, sondern auch Kohlenstoffspeicher. In den Böden einer Aue lagern sich organische Substanzen ab, die über lange Zeit hinweg durch hohe Wasserstände gebunden bleiben können. Zudem wirken Wasserflächen lokal kühlend, was in heißen Sommern ein spürbar angenehmes Mikroklima schafft.
Erholungs- und Kulturwert: Ob Radausflüge entlang der Ufer, Kanutouren im Mittellauf oder gemütliche Spaziergänge in den Auenwäldern – Flüsse bieten vielfältige Freizeit- und Naturerlebnismöglichkeiten. Viele historische Städte sind an großen Flüssen entstanden, was sich noch heute in ihrer Architektur und Kultur widerspiegelt. Die Speicherstadt bei uns in Hamburg ist ein Touristenmagnet, weil diese Wasserarchitektur wirklich sehr schön ist. Auch hier in Kopenhagen ist Wasser ein wichtiger Teil der Stadtarchitektur und Identität dieser Stadt:
Bedrohungen
Seufz. Und los geht’s, aber gehört eben auch dazu, nicht? Schon immer hat der Mensch die Gewässer nach seinen Bedürfnissen gestaltet. Mit der zunehmenden Erwärmung und den oft unvorhersehbaren Wetterextremen des Klimawandels treten jedoch neue Probleme für viele Gewässerorganismen in den Vordergrund. Fische, die an kühlere Temperaturen gewöhnt sind, wie Forellen oder Äschen, leiden in den Sommermonaten zunehmend unter wärmeren Wassertemperaturen und Sauerstoffmangel. Hochsommerliche Hitzeperioden können den Grund so stark aufheizen, dass empfindliche Arten kaum noch überleben können. Bei anhaltender Trockenheit sinkt der Wasserspiegel, so dass Kieslaicher keine ausreichend tiefen Stellen mehr finden, um ihre Eier abzulegen. Wer sich von Insektenlarven ernährt, hat es schwer, denn auch diese Kleintiere leiden unter den höheren Wassertemperaturen und den schwankenden Wasserständen.
Wasservögel, die auf gleichmäßige Wasserstände angewiesen sind, werden auch echt gebeutelt: Starke Regenfälle in kurzer Zeit führen zu heftigen Hochwassern, die Nester an flachen Ufern oder auf Kiesbänken einfach wegspülen. Gleichzeitig verschwinden immer mehr flache Uferzonen hinter Deichen und Spundwänden. Für Uferbrüter wie den Flussregenpfeifer oder den Rotschenkel wird es dadurch eng, denn sie benötigen zum Brüten ungestörte Kies- oder Sandflächen in unmittelbarer Wassernähe. Auch das Nahrungsangebot leidet, wenn plötzliche Sturzfluten wirbellose Kleintiere wegspülen oder stehende Gewässer austrocknen.
In heißen, trockenen Phasen tritt ein weiteres Problem in den Vordergrund: Wenn nur wenig Wasser fließt, reichern sich die Gewässerabschnitte teilweise mit Nähr- und Schadstoffen an. Je weniger Wasser, umso höher ist die Konzentration an diesen toxischen Stoffen. Wenn zu viele Nährstoffe ins Wasser gelangen, wachsen Algen und andere Pflanzen zunächst stark und produzieren tagsüber bei Sonneneinstrahlung Sauerstoff. Nachts hingegen stellen sie keine Photosynthese mehr an und verbrauchen selbst ein bisschen Sauerstoff für ihre Atmung. Stirbt die übermäßig wuchernde Biomasse ab, zersetzen Bakterien das Pflanzenmaterial und verbrauchen dabei zusätzlich Sauerstoff, und das auch echt viel. Steigt auf diese Weise der Verbrauch stark an, während kaum noch Sauerstoff nachgeliefert wird, geraten Gewässerorganismen in akute Bedrängnis. So kann ein scheinbar „blühendes“ Gewässer in kurzer Zeit unter Sauerstoffmangel leiden, was oft zu Fischsterben führt.
Gleichzeitig treten bei durch den Klimawandel steigenden Temperaturen invasive Arten auf, die mit der Hitze besser zurechtkommen als die heimischen Fische. Sie verdrängen einheimische Konkurrenten oder verändern die Nahrungsnetze im Gewässer. Einige wärmeliebende Krebs- oder Muschelarten breiten sich rasch aus und können den heimischen Beständen den Lebensraum und auch die Nahrung streitig machen.
Hinzu kommen Veränderungen, die wir Menschen seit langem vornehmen: Dämme, die den Flusslauf unterbrechen, oder Flussbegradigungen, die die Strömung beschleunigen und wichtige Laichhabitate zerstören. Wo früher ein verzweigtes Netz aus Altarmen, kleinen Inseln und Auenwäldern war, dominiert heute oft ein schnurgerades Bett mit Betonwänden. Uff. Steigt der Wasserspiegel nach extremen Niederschlägen schnell an, können die Fische nicht mehr schnell in Seitengewässer oder überschwemmte Auen ausweichen. Auch Wasservögel finden in solchen Situationen kaum sichere Rückzugs- oder Brutgebiete.
Beschissen, oder? Ja. All diese Faktoren zeigen, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel und die langjährige, teilweise radikale Nutzung des Flusses eng miteinander verbunden sind. Wo natürliche Uferreste und Auen fehlen, potenzieren sich die Probleme, weil das Gewässer kaum noch Pufferzonen und natürliche Rückzugsräume hat. Viele Tier- und Pflanzenarten sind daher gleich mehrfach bedroht – einerseits durch steigende Temperaturen und veränderte Wasserkreisläufe, andererseits durch die Eingriffe, die den Fluss seit Jahrhunderten in enge Bahnen zwingen.
Wie kann man Flüsse schützen?
Der letzte Abschnitt klang deprimierend, aber kein Grund, das Handtuch zu werfen, denn vielen Fließgewässern geht es heute deutlich besser als beispielsweise noch in den 80ern. Hier sind ein paar Beispiele für Projekte, die Flüsse schützen:
Gerne stelle ich Ihnen eine Liste von Projekten zum Schutz von Flüssen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Europa vor, jeweils mit einer kurzen Beschreibung:
Freshwater Challenge: Diese Initiative zielt darauf ab, weltweit 300.000 km Flüsse bis 2030 zu renaturieren, um die Biodiversität zu fördern und die Wasserqualität zu verbessern. Sie wird von einer Gruppe internationaler Organisationen wie dem WWF und der IUCN betreut. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
Projekt FLOW: Dieses Projekt konzentriert sich auf die Wiederherstellung natürlicher Flusslandschaften in Europa, um Lebensräume für gefährdete Arten zu schaffen und Hochwasserrisiken zu minimieren. Es wird von verschiedenen europäischen Umweltorganisationen koordiniert. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
EuroNatur Stiftung – Flussschutz in Europa: Die EuroNatur Stiftung setzt sich für den Schutz der letzten Wildflüsse Europas ein, insbesondere auf dem Balkan. Ziel ist es, wertvolle Flusssysteme als Schutzgebiete zu bewahren und gegen Ausbeutung und Zerstörung zu schützen. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
Projekt RHESI (Rhein – Erholung und Sicherheit): Ein gemeinsames Projekt von Österreich und der Schweiz zur Verbesserung des Hochwasserschutzes und der ökologischen Aufwertung des Alpenrheins zwischen der Illmündung und dem Bodensee. Es wird von der Internationalen Rheinregulierung (IRR) koordiniert. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
EU-Mission „Wiederherstellung unserer Ozeane und Gewässer“: Die Europäische Kommission investiert in Projekte, die zur Wiederherstellung von Meeren und Gewässern beitragen. Dazu gehört beispielsweise das Projekt „Blue Connect“, koordiniert vom Submariner Network for Blue Growth in Berlin, das marine Lebensräume schützt und wiederherstellt. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
Renaturierung der Unteren Havel: Dieses Projekt in Deutschland zielt darauf ab, die Untere Havel und ihre Auenlandschaft zu renaturieren, um die ökologische Vielfalt zu fördern und den natürlichen Wasserhaushalt wiederherzustellen. Es wird vom NABU (Naturschutzbund Deutschland) betreut. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR): Die IKSR ist eine zwischenstaatliche Kommission, die Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins koordiniert. Mitglieder sind unter anderem Deutschland, Frankreich, die Schweiz und die Europäische Union. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
Dam Removal Europe: Eine Initiative, die sich für die Entfernung veralteter und unnötiger Dämme in europäischen Flüssen einsetzt, um die ökologische Durchgängigkeit und die Gesundheit der Flusssysteme zu verbessern. Sie wird von einem Netzwerk europäischer Umweltorganisationen getragen. Infos» (Öffnet in neuem Fenster)
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Auflösung
Welcher ist der längste Fluss der Erde? – Der Nil
Wie lang ist dieser längste Fluss? – 6650 Kilometer
Wie kurz ist der kürzeste Fluss der Welt? – Der Reprua im Kaukasus gilt mit 15-27 Metern Länge als der kürzeste Fluss, allerdings wird das noch debattiert.
Welcher Fluss führt das meiste Wasser? – Der Amazonas mit 206.000 m³ Wasser pro Sekunde
Wie tief ist der tiefste Fluss? – Der Kongo mit rund 220 Metern an der tiefsten Stelle
Welcher ist der längste Fluss Deutschlands? – der Rhein; die Gesamtlänge beträgt 1232,7 Kilometer, 865 Kilometer davon führen durch Deutschland
Und welcher ist der Kürzeste? – die Pader mit nur rund 4 Kilometern Länge
Medien-Tipps
Unsere Flüsse - Wie retten wir Deutschlands Lebensadern? | SWR Doku auf Youtube» (Öffnet in neuem Fenster)
Die Feldberger Seenlandschaft ‒ Geheime Wasserwildnis | Erlebnis Erde Dokumentation auf Youtube» (Öffnet in neuem Fenster)
Beim Bundesministerium für Umwelt kann man tolles Material bestellen, so auch die kleine Gewässerfibel, die man kostenlos per Post oder als PDF erhalten kann» (Öffnet in neuem Fenster)
Eine Broschüre über die Renaturierung von Bächen vom Umweltbundesamt» (Öffnet in neuem Fenster)
Bis zum nächsten Mal! :) Hier siehst du mich und Lorenz 2021 im Harz an der Bode (Öffnet in neuem Fenster), einem sehr schönen Fluss, der viele kleine Wasserfälle hat.
Böse, Margot, Jürgen Ehlers, und Frank Lehmkuhl. Deutschlands Norden: vom Erdaltertum zur Gegenwart. 2. Aufl. 2022 Edition. Berlin: Springer, 2022.
Kühne, Olaf, Florian Weber, Karsten Berr, und Corinna Jenal. Handbuch Landschaft. 2., Überarbeitete und Erweiterte Auflage 2024. Wiesbaden Heidleberg: Springer VS, 2024.
Stolz, Matthias. „Serie Deutschlandkarte: Flüsse und Bäche“. Die Zeit, 12. Dezember 2013. https://www.zeit.de/2013/51/deutschlandkarte-fluesse (Öffnet in neuem Fenster).