Ein Gedenken, das unbequem bleiben muss
Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz – doch die Opferzahl war längst ins Unermessliche gewachsen. Rund 1,5 Millionen Menschen, darunter etwa eine Million Jüdinnen und Juden, wurden hier ermordet. Diese Zahl belegt nicht nur die Brutalität des deutschen Vernichtungsregimes, sondern auch dessen industriellen Charakter. Auschwitz steht als unvergängliches Symbol für den Holocaust, für die unbarmherzige Vernichtungsideologie eines Systems, das seine Opfer nicht nur physisch auslöschen wollte, sondern auch ihre Erinnerung, ihre Identität und ihren Platz in der Geschichte. Bis heute fordert dieser Ort von uns, die Lektion der Geschichte zu begreifen, die Verachtung für diese Ideologie nie wieder aufkommen zu lassen und das Unvorstellbare in seiner ganzen Tragweite zu benennen.
2025 jährt sich das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz zum 80. Mal – eine Zahl, die zum Nachdenken anregen sollte. Die Erinnerung an Auschwitz und den Holocaust gilt nach wie vor als Mahnung für die Menschlichkeit. Doch das bloße Erinnern ist längst nicht mehr genug. Der Gedenktag hatte ursprünglich das Ziel, die Anfänge der Unmenschlichkeit zu hinterfragen und uns wachsam zu halten. Doch diese Anfänge sind längst nicht nur Geschichte – sie finden sich in den Kommentaren im Netz, auf den Straßen und auch in den Parlamenten.
Das Gedenken als politische Bühne
Jedes Jahr nehmen Politiker:innen aller Parteien den Tag zum Anlass, sich als Verteidiger:innen des Gedenkens zu präsentieren. Die einen betonen die „Einzigartigkeit der deutschen Verantwortung“, die anderen lassen sich vor Mahnmalen ablichten – symbolische Gesten. Besonders absurd wird es jedoch, wenn die AfD, eine Partei, die wiederholt durch geschichtsrevisionistische Aussagen aufgefallen ist, die Opfer des Holocaust betrauert. Dieselbe Partei, die Stolpersteine als „Schuldkult“ verunglimpft und eine „180-Grad-Wende der Erinnerungskultur“ fordert, reiht sich in die Riege der Gedenkenden ein. In Coswig bei Dresden wurde der AfD-Redner Felix Kokot vorgeschlagen – für die städtische Gedenkveranstaltung zur Befreiung Auschwitz. Ein weiteres Beispiel für das problematische Geschichtsverständnis der Partei, das sich in der Relativierung des Antisemitismus und der Verharmlosung des Nationalsozialismus manifestiert.
Der „externalisierte Antisemitismus“ der AfD
Die AfD hat eine besondere Haltung zum Thema Antisemitismus entwickelt: Sie externalisiert ihn, indem sie ihn nur dort thematisiert, wo er angeblich aus den Reihen gesellschaftlicher Minderheiten oder der politischen Linken kommt. Der „deutsche Antisemitismus“ bleibt für die Partei ein Phantom, während sie gleichzeitig das Bild einer angeblich jüdisch dominierten Weltverschwörung verbreitet. In Wahrheit trägt die AfD zu einem „modernisierten Antisemitismus“ bei, der geschickt in die Narrativen einer internationalen autoritär-nationalistischen Revolte gegen die Demokratie eingefügt wird. Alleine von Oktober 2022 bis Oktober 2023 äußerten sich AfD-Funktionäre immer wieder antisemitisch – besonders Björn Höcke, der bei einer Demonstration die „Globalisten“ anprangerte, ein Codewort für eine jüdische Weltverschwörung. Was einst als verschwörungstheoretischer Unsinn galt, wird heute von einer breiten Öffentlichkeit gehört und ernst genommen. Die AfD trägt ihren Teil dazu bei.
Alexander Gauland bezeichnete die NS-Zeit als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte. Wolfgang Gedeon behauptete, deutsche Gerichte seien vom Zionismus beeinflusst und weder frei noch unabhängig. Alice Weidel bezeichnete Hitler als Kommunisten und Björn Höcke nannte das Berliner Shoah-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“. Die AfD hat also längst eine Haltung zum Gedenken entwickelt – doch diese ist zutiefst problematisch. Denn in ihrem Wahlprogramm wird das Thema Judentum nur im Kontext der Bedrohung durch den Islam behandelt – eine Haltung, die antimuslimische Ressentiments schürt und den Antisemitismus der Partei noch deutlicher macht.
Gedenken mit Haltung
In diesem Jahr steht die Gedenkfeier zu Auschwitz zurecht im Zeichen der Überlebenden. Ihre Erfahrungen und Erlebnisse sind der wahre Maßstab für das Erinnern, sie tragen die Last des kollektiven Gedächtnisses. Es ist eine Feier des Widerstands gegen das Vergessen. In diesem Kontext gehört das Wort nicht den Politiker:innen. Besonders im Angesicht des laufenden Wahlkampfs muss der Tag vor hohlen Floskeln und politischen Manövern geschützt werden. Die wiederholte Nähe der AfD zur Geschichtsverfälschung, gepaart mit dem anbiedernden Verhalten von Merz und der CDU, die um Stimmen im rechten Spektrum buhlen, lenken vom eigentlichen Gedenken ab. Diese Versuche, das Gedächtnis für politische Interessen zu missbrauchen, dürfen nicht den Raum einnehmen, den die Stimmen der Überlebenden einfordern.
Das Erinnern an Auschwitz muss mehr sein als eine bloße Gedenkveranstaltung. Es verlangt nach einer aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte und ihrer Relevanz für die Gegenwart. Wer Auschwitz gedenkt, ohne sich gegen die zunehmende Bedrohung jüdischen Lebens zu stellen, verweigert sich der wahren Bedeutung des Gedenkens. Das Erinnern muss unbequem bleiben – es fordert dazu auf, nicht nur der Vergangenheit ins Auge zu sehen, sondern auch die aktuellen Formen des Antisemitismus klar zu benennen und zu bekämpfen. Es ist ein Appell, Verantwortung zu übernehmen und Haltung zu zeigen. Diese Haltung endet nicht mit dem 27. Januar. Sie muss sich im Alltag manifestieren – im stetigen Widerstand gegen Hass, Ausgrenzung und Intoleranz, in all ihren Facetten. Mit den Worten von Max Mannheimer:
„Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“
Es ist unsere Verantwortung, uns immer wieder zu erinnern und aktiv für eine Welt einzutreten, in der solche Unmenschlichkeiten keinen Platz haben. Und das erfordert ein entschlossenes Entgegentreten der AfD und anderer rechter Kräfte, die mit Hetze und Hass versuchen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu zerstören.