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Putzen, Pipi, Papa

Ich hatte einen Traum wie „WIR“ mit „PRIMA AUSSICHT“ „KONKRET“ im Wohnwagen sitzen

Ich bin mir sicher, er sieht den Dreck einfach nicht. Vor meinem inneren Auge läuft eine Maus durch die Küche, dann durchs Wohnzimmer und verschwindet durch die halb offene Terrassentür. Ich war einmal in New York und während ich mit meinem Ex-Freund biertrinkend auf dem Sofa des Hostels saß, sahen wir eine Maus auf der Arbeitsplatte der Küche entlang laufen. Seelenruhig naschte sie herumliegende Krümel und verschwand dann wieder in einer dunklen Ritze. Wir haben dieses Putzproblem öfter. Dabei bin ich wirklich kein Putzteufel, ich bin auch nicht besonders ordentlich. Aber bestimmter Dreck widert mich einfach an. Gelbe Kalkränder zum Beispiel am hinteren Teil der Armatur der Spüle. Oder Fettspritzer hinter dem Herd, die sich festkleben. Ganz schlimm ist auch dieser feine Kaffeestaub, den die Kaffeemühle produziert. Überall kleben und fliegen winzige schwarze Punkte.

Ich putze nicht oft, ich koche nicht mal oft. Mein (gefräßiger Triathlon- (Öffnet in neuem Fenster)) Mann kauft mehr ein und kocht häufiger. Er räumt sogar hinterher auf. Aber die kleinen Dinge, die die ewig festkleben, die sieht er nicht. Bekleckerte Küchenschränke, krustige Griffe und ein schmieriger Boden. Er fegt auch, aber der Boden sieht aus wie in einer Großküche. Ich ekele mich davor. Und das wiederum führt dazu, dass ich nicht mehr gerne koche. Der Mann wundert sich dann und ist zurecht leicht genervt, dass er sich so viel allein um das Essen kümmert. Ihr werdet denken, ich hab eine Macke, dass ich mich beschwere, wenn er kocht, er bäckt übrigens auch, darüber habe ich schon mal geschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Aber wisst ihr, wie Hefe-oder Sauerteigreste auf einem Spültisch aussehen? Wie flüssig gewordener Kaugummi-Schleim. Das ist echt ekelig.

Sehen ja, stören nein

Mit den anderen Reinigungsaufgaben im Haus haben wir einen Deal: Mein Mann saugt Staub, ich putze die Bäder. Er kocht Marmelade, ich mähe den Rasen und gieße den Garten. Aber schon als wir in seiner WG verkündeten, dass wir zusammenziehen würden, war das Erste, was eine seiner Mitbewohnerinnen zu mir sagte: „Na dann viel Spaß, putzen kann er überhaupt nicht. Mach dich drauf gefasst.“ Mir war das natürlich egal, ich war verliebt und obendrein schwanger, meine Hormone waren voll auf ihn eingestellt. Einmal erklärte er mir, dass seine Mitbewohner:innen ihn so nervten mit putzen, dass er die Kosten für eine Reinigungskraft komplett übernehmen würde. Aber das wollten sie nicht. Ich machte mir erst mal keine Gedanken. Wir zogen zusammen, gründeten eine Familie. Ich war im Rausch. Erst später erinnerte ich mich an Noras Worte.

Ich googelte das Problem und war glücklich, dass ich damit offenbar nicht allein war. Ich sprach mit meinen Freundinnen darüber. Diejenigen, die mit Männern einen Haushalt teilen, wussten Ähnliches zu berichten. Das Ausmaß war mal schlimmer oder eben auch weniger dramatisch, aber immer vergleichbar. Eine sagte sogar: „Mein Mann würde erst auf die Idee kommen, das Klo zu putzen, wenn ich anfange, bei den Nachbarn auf die Toilette zu gehen.“ Und das Problem ist bei den wenigsten nicht, dass ihre Männer sich beim Pinkeln nicht hinsetzen würden. Dieses Problem haben wir – welch Glück – auch nicht, da hat die Schwiegermuddi einen guten Job gemacht! Vor allem, wenn Frauen mit im Haushalt leben, wird sich hingesetzt, leider gibt es andere Mitglieder meiner Familie, die sich daran nicht halten. Männer, wir können nicht anders, wir können nicht im Stehen pinkeln, ihr aber wohl im Sitzen! Also macht es, damit wir nicht in eurer Pisse hocken müssen.

Ich dachte ja lange, dass Mann den Dreck nicht sieht. Aber das ist wohl nicht der Fall, denn laut einer Studie sehen Männer Schmutz genauso wie Frauen auch. Ich dachte ja immer, meinem Mann fällt das alles gar nicht auf. Ich fragte ihn direkt, nachdem ich diese Studie gelesen hatte, und siehe da, er weiß durchaus, dass der Küchenboden nicht so sauber ist. Der Unterschied ist nur, es stört ihn nicht. Auch sind wohl die Erwartungen anders. Wenn Frauen putzen, geht man davon aus, dass es hinterher wie neu ist. Männer hingegen werden schon gelobt, weil sie nur den Besen in die Hand nehmen. Da fällt mir gleich meine Oma (Öffnet in neuem Fenster) mit ihrem Satz „Helen hat so ein Glück mit ihrem Mann, was der alles macht“ wieder ein.

Putzen wird politisch

Aber warum ist das so? Warum wird denn von Frauen nach wie vor erwartet, dass sie putzen und Männer werden wegen jedem „Pups“ den sie im Haushalt machen, zum Himmel gelobt? In einer neuen Videoreihe des rbb24 mit dem schönen Namen „Jetzt mal konkret“ spricht die Journalistin Teresa Bücker darüber, wie ungerecht noch immer die sogenannte Care-Arbeit (Sorgearbeit, sprich Haushalt und Kinder) in Hetero-Beziehungen verteilt ist. In gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist das übrigens anders. Über fünf Stunden sind Frauen durchschnittlich am Tag damit beschäftigt, Heim und Kind in den Griff zu bekommen. Ihre Partner hingegen nicht mal halb so viel. Ich gehe in mich, mein Mann kauft auf dem Rückweg von der Arbeit ein, kommt nach Hause und kocht. Er macht die Wäsche und bäckt Brot. Bei uns ist das viel besser verteilt, ich bin sehr dankbar. Obwohl es von außen betrachtet anders scheint, aber die Waschmaschine steht nun mal im Carbon-Keller (Öffnet in neuem Fenster), da gehe ich selten hin. Das Chaos da unten ist für mich kaum zu ertragen. So haben wir im Grunde eine Win-Win-Situation: Ich mische mich in sein System zwischen Sportkleidung, Rädern und Waschmaschine nicht ein und im Gegenzug muss ich mich nicht um die Wäsche kümmern.

Ich finde das in Ordnung. Mein Mann auch. Aber alles, was unsere Tochter, die Schule, ihre Hobbys und Betreuung angeht, die Organisation unseres Alltag mache ich. Das fällt nur nicht so auf. Was hingegen auffällt, wenn ich mal drei Tage wegfahre. Wieder die Stimme meiner Oma „Helen hat es gut, dass er sie wegfahren lässt“. Meine Oma war eine der liebsten Menschen, die ich kenne, aber sie gehörte definitiv einer anderen Generation an. Was mich aber dennoch erschreckt, sind diese Fakten: Frauen sind von ihrer unbezahlten Sorgearbeit so erschöpft, dass ihnen die Zeit für sich selbst für eine Karriere und damit auch Geld fehlt. Der sogenannte Gender Care Gap ist riesig und jetzt wird putzen nämlich politisch:

„Eine ganz offensichtliche Folge dieses Unterschiedes ist Stress und Erschöpfung. Denn Mütter haben keinen Feierabend und oft sogar noch eine Nachtschicht.“, sagt Teresa Bücker.

Die Belastung ist bei Alleinerziehenden besonders hoch, sie haben mitunter ein höheres Stresslevel als Manager:innen. Chronischer Stress kann zu Herz-Kreislauf Erkrankungen führen. Die unbezahlte Arbeit macht, dass Frauen weniger Geld zur Verfügung haben und später eher von Armut betroffen sind. Bei Paaren mit Kindern arbeiten 68 Prozent der Frauen in Teilzeit.

Und so ist der Streit mit dem Partner über Care-Arbeit auf einmal ein politisches Problem. Was können wir also in unserer Gesellschaft dafür tun, um diese Lücke zu schließen? Folgende Vorschläge wurden zusammen getragen:

  • Elternzeit für Männer muss ausgeweitet werden.

  • Der Verdienst von Frauen muss angeglichen werden (im Durchschnitt sind es 18 Prozent weniger Gehalt).

  • Die Abschaffung des Ehegattensplittings kann dazu beitragen, dass sich der Gender Pay Gap schließt.

  • Ausbau der Kinderbetreuung mit einer besseren Bezahlung der Erzieher:innen und vor allem mehr Anerkennung.

Es braucht außerdem einen Kulturwandel in den Unternehmen. Damit sich beide Partner gleichermaßen um die Care-Arbeit kümmern können, schlagen einige Experten:innen vor, das Vollzeit-Modell zu überdenken und auf 30-35 Stunden zu verkürzen. Teresa Bücker sagt:

„Damit mehr Männer ihren Beitrag zur Care-Arbeit leisten können, brauchen sie mehr Zeit und mehr gesellschaftliche Anerkennung.“

Wenn ihr mehr darüber wissen wollt: Ich packe den Link zum vollständigen Video an das Ende dieses Rausches.

Zwei Bücher, gleicher Mut

In ihrem autobiografischen Debüt-Roman „Prima Aussicht“ kauft die Autorin Judith Poznan einen Wohnwagen. Es ist ihre Reaktion darauf, dass ihr Freund erst mal kein zweites Kind möchte. Die Ich-Erzählerin ist davon überzeugt, dass es ein stabiles Umfeld braucht, damit das Kind „normal“ aufwachsen kann. Aber das Erste, was mir beim Lesen im Bezug auf meinen WortRausch diese Woche auffällt, ist die einseitige Arbeit am Wohnwagen. Judith streicht, macht sauber, pflanzt Rosen und organisiert so den Sommerurlaub. „Prima Aussicht“ ist ein fantastisches Buch über Familienleben, Liebe, Beziehungen, Vergangenheit und den Mikrokosmos eines Campingplatzes in Brandenburg.

Wunderbar ehrlich legt die Autorin die Fakten vom Zusammenleben auf den Tisch. Es wird gestritten, geliebt und vor allem gelebt. Sie beschreibt außerdem sehr bildlich und detailliert die Luft in ihrem Bauch, die dort nach einer Kaiserschnittgeburt verblieben war. Aufgeblasen wie ein Ballon schreibt sie eingängig darüber, wie sie einen Einlauf bekam und wie es ihr dabei erging. Genau diese Szene trug Judith auch bei der Lesung am vergangenen Mittwoch in der Stadtbibliothek Friedrichshain-Kreuzberg vor. Sie wird rot, windet sich, kichert wie ein kleines Mädchen, immerhin kehrt sie gerade ihr Innerstes nach außen und sagt:

„Jetzt lese ich diese Buchstelle schon zum dritten Mal vor und noch immer kann ich mich nicht zusammenreißen und schäme mich so sehr.“

Ich finde es sehr mutig und ich freue mich, denn auch in meinem Roman-Manuskript (Öffnet in neuem Fenster) gibt es eine Kacke-Szene. Ja, das ist menschlich und wir sollten viel mehr über all diese Dinge sprechen, die so wichtig sind.

Reden wir also, sind offen, hören uns gegenseitig zu und lieben uns alle einträchtig. Letzteres ist Blödsinn, das weiß ich wohl. Aber noch ein Buch ist mir diese Woche begegnet. Louisa Dellert hat „WIR“ geschrieben. Mit folgendem Untertitel: Weil nicht egal sein darf, was morgen ist. Im ersten Kapitel schreibt Louisa:

„Feminismus bedeutet nicht alle Männer über einen Kamm zu scheren oder sie gar zu hassen. Feminismus bedeutet, auf strukturelle Probleme hinzuweisen, die sich über die Jahre nicht verbessert haben. Ich wünsche mir gleiche Rechte und Freiheiten und mehr Selbstbestimmung für alle Menschen – unabhängig von ihrem Geschlecht."

Als ich letztens meine Tochter von der Musikschule abholte, bekam ich ein Gespräch zweier Eltern mit. Sie unterhielten sich über das Gendern und wie überflüssig sie das fänden. Er sagte: „Mit der Kanzlerin gehe ich ja noch mit, aber muss denn der Schornsteinfeger jetzt auch dieses dämliche IN bekommen!?“ Er schien wirklich empört, seine Gesprächspartnerin sagte nichts, lächelte nur verlegen. Ich konnte nicht anders, ich musste mich einmischen. Ich erklärte ihm meinen Standpunkt, dass Kinder so lernen würden, bestimmte Berufe seien möglicherweise nur für Männer. Er (er, stellte sich übrigens als Lehrer heraus) war der festen Überzeugung, dass man das doch heutzutage wüsste, dass Frau auch alles werden kann, was sie möchte. Das war doch früher auch schon so. Wieso sollte das denn plötzlich anders sein und das ganze Gendern sei doch komplett überflüssig. Ich war schockiert. Er als Mann kann doch gar nicht wissen, wie es ist, wenn einem bestimmte Berufe verwehrt bleiben. Ich fragte ihn, was er denn machen würde, wenn ihm plötzlich eine Schornsteinfegerin gegenüber stehen würde. „Darum geht es doch jetzt nicht“, erklärte er bockig und drehte sich von mir weg.

Es sind nicht alle Männer so, ich weiß das auch. Louisa schreibt weiterhin, dass diese Denkmuster aber nach wie vor weit verbreitet sind und man ihnen immer wieder begegnet, und das nicht mal so selten. Und solange es diese gibt, werden sie auch immer weitergegeben. Und das ist ein Problem. Ich denke an “WIR”, als sich der Lehrer später doch noch mit einem Lächeln bei mir verabschiedet und mir ironisch „Viel Erfolg weiterhin“ wünscht. Ich bin froh, mich eingemischt zu haben und ein bisschen stolz.

Diese Woche habe ich mich mit drei starken Frauen befasst, von denen ich viel gelernt habe. Aber eines ist mir vor allem im Kopf geblieben: Wir müssen miteinander reden! Als ich mit diesem WortRausch hier fertig bin, habe ich nebenbei die Küche gewischt, aufgeräumt und im Garten gegossen. Eine Stunde Fitness-Hüpf absolviert und die Übernachtung der Tochter bei ihrer Freundin in die Wege geleitet. Und das Wichtigste: Ich habe mir eine Lösung für die Küche überlegt. Abends spreche ich mit meinem Mann.

Wir putzen jetzt einmal im Monat zusammen, wischen den Boden, schrubben die Ecken und das alles in Unterwäsche. So wird putzen sexy, auch wenn es sich erst mal anders anhört. Denn wenn die alltäglichen Dinge des Lebens geklärt sind, ist wieder Raum und Zeit und Liebe da. Wir sehen, was der andere tut und was wir als Familie schaffen können. Die Wertschätzung steigt wieder. Wir gönnen uns sogar was beim Putzen und trinken dabei richtig guten Rotwein. Am Ende sind wir angenehm angesäuselt und vor allem wieder leicht&lebendig, Eure Heli.

Zum Weiter- und Nachlesen:

Hier findt ihr die vollständige Studie. (Öffnet in neuem Fenster) 

Teresa Bücke und rbb24 "Jetzt mal konkret" (Öffnet in neuem Fenster)

Beide Bücher möchte ich ausnahmslos empfehlen:

Louisa Dellert "WIR" Weil nicht egal sein darf, was morgen ist. (Öffnet in neuem Fenster)

Judith Poznan "Prima Aussicht" (Öffnet in neuem Fenster)

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Die Illustration hat Sophie Schäfer gezeichnet.

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