Ankommen, Abtauchen, Umkehren
Roadtrip Teil 4: Geschichten, Gedanken und triathletische Schwimmkurse
Eigentlich habe ich diese Woche nicht viel zu sagen, denn ich bekomme nichts mit. Die Pageviews auf meinen letzten Roadtrip-Text (Öffnet in neuem Fenster) waren gering, also halte ich mich kürzer. Normalerweise entsteht diese Kolumne hier im Laufe der Woche. Ich lese, notiere mir Eindrücke und Überlegungen. Denke über all die Dinge nach, die so um mich herum passieren und am Ende der Woche entsteht ein RauschVonWorten (Öffnet in neuem Fenster). Nun ist es so, dass hier nicht viel ist. Ich schaue aufs Meer und da ist: nichts. Nur blau. Das Blau des Meeres geht in das Blau des Himmels über. Ich könnte über Blautöne schreiben, aber ehrlich, das interessiert nun wirklich niemanden.
Geschichten
Viele meiner Texte, so auch mein Roman Manuskript (Öffnet in neuem Fenster) entstehen, weil ich den Geschichten der anderen zuhöre. Ich lausche, mische und schreibe um und neu. Manchmal erkennt sich jemand wieder. Manchmal sagen einige, „oh mir geht es genauso“. Freundinnen wiesen mich auch schon daraufhin, dass die Dinge sich doch ganz anders zutrugen, als ich es geschrieben habe.
In dieser vierten Reisewoche verlassen wir Ligurien, fahren entlang der Küste an der Insel Elba vorbei, bis in die Maremma Ebene – einst sumpfig, jetzt fruchtbar – bis nach Grossetto. Wir wandeln auf Medici-Pfaden durch die engen Gassen der Altstadt, trinken Wein und essen Pizza – Italien, wie es sein soll! Am Hafen vor Porto Stefano sind wir aufgeregt wegen der Fährüberfahrt nach Giglio. Als mir dann auf der Fähre der Wind um die Nase weht und das Haar zerzaust, spüre ich das Glück der Freiheit in all meinen Poren. Das hier ist der südlichste Punkt unserer Reise, weiter runter fahren wir nicht. Es liegt schließlich auch noch die Heimreise vor uns. Aber ich weiß genau, dass diese kleine Insel, die wir mit dem Auto in 15 Minuten überqueren, für viele kalte Herbst-und Wintertage mein Sehnsuchtsort wird. Das Zelt unter Pinien mit dem Blick aufs Blau und eine surreale Palme, schaue ich abends in die Sterne und bin einfach nur zufrieden.
Mein Mann liest Cicero und ich entdecke beim Durchblättern ein Porträt von Leslie Jamison. Vor allem an ihrem Bild bleibe ich hängen, denn es ist nahezu perfekt. Ich schreibe bewusst nahezu perfekt, denn sie ist sorgfältig geschminkt und in Szene gesetzt, aber beim genauen Hingucken fällt mir ein Detail besonders ins Auge: ihre Fingernägel. Roter, abgeplatzter Lack, alles andere als vorzeigbar manikürt. Nachdem ich den Text dazu gelesen habe, frage ich mich, ob sie das bewusst so entschieden hat? Denn sie ist alles andere als perfekt, obwohl das Bild von ihr eigentlich etwas anderes darstellt. Will sie vielleicht mit ihren Nägeln zeigen, wie unperfekt sie ist? Oder geht es doch um den letzten Satz des Porträits: „Nicht jede Geschichte muss edel oder originell sein.“ Manchmal sind Geschichten auch einfach normal und deswegen erkennen wir uns wieder. Abgeplatzter Nagellack ist wunderbar realistisch, denn selten hält ein Lack länger als drei Tage. Ich habe fast immer abgeplatzte Nägel und bin dankbar um dieses Foto.
Unser Platz befindet sich am gegenüberliegenden Ende der Insel Giglio. Von runden glatten Steinen steigen wir ins Meer hinab und gleiten direkt in die Tiefe. Bunte Fische, wenige verlorene Muscheln und Seegras begleiten unsere Schnorchelausflüge. Hier machen die Italiener Urlaub. Und dennoch gibt es einige wenige Landsleute, die sich hierher verirrt haben. Wir erkennen sie zuerst an der Nespresso-Kaffeemaschine, die sie auf ihren Quechua Campingschrank stellen. Als ich das entdecke wende ich mich ab und hoffe, sie erkennen mich nicht als Deutsche. Wie können sie ins Kaffee-Land schlechthin solch eine Maschine mitbringen? Das ist Verrat! Ich schäme mich fast, dass wir auch Deutsche sind. Aber eigentlich geht es mich ja nichts an, schalt ich mich. Und dennoch, Unmengen an Müll machen die Dinger! Wahrscheinlich sind die beiden sehr jung und haben noch keinen gescheiten Espresso getrunken? Vielleicht sollte ich ihnen einfach morgen früh einen Kaffee bringen. Ich habe es bis jetzt nicht getan, aber ich habe mich mit ihnen unterhalten und was soll ich sagen, sie sind jung und lieb. Das erinnert mich an meine Vorurteile vom Gardasee (Öffnet in neuem Fenster) und ich gelobe erneut Besserung!
Gedanken
Ganz anders läuft es hingegen mit Marika und Lemo, sie sprechen uns zuerst an: „Ihr seid auch aus Deutschland, oder?“ Ja sind wir und am zweiten Abend sitzen wir schon zusammen und trinken Vino Frizzante. Sie erinnern mich an Freunde von uns und nachdem wir die ersten wichtigen Themen, wir sind keine Corona-Leugner, bereits geimpft, tragen FFP2-Masken und wählen grün, geklärt haben, lachen wir viel, führen Grundsatz-Debatten und gehen gemeinsam Essen. Vielleicht sollten alle Campinggäste eine Art Zertifikat an ihre Zelte hängen, dann würde man keine Zeit für die falschen Gesprächspartner verschwenden. Der Gedanke kommt nicht von mir, sondern von Sophie Dannenberg, sie schreibt ebenfalls im Cicero über beiläufige Entdeckungen.
„Wir brauchen wieder eine Art Ablasshandel. Man müsste sich eine in jeder Hinsicht unverdächtige politische Haltung kaufen können. Dafür bekommt man ein digitales Zertifikat. Das kann ich dann online an meine Texte als Signatur anhängen oder in der S-Bahn vorzeigen.“
Wir schaffen es dann doch auch ohne Zertifikat und schwelgen irgendwie in anderen Sphären. Hier gibt es kaum oder gar kein Internet, ich weiß auch nicht, ob dieser WortRausch online geht. So lässt Giglio mich träumen und Wünschen nachhängen. Ich stelle mir vor, wir könnten einfach noch länger so weiterreisen. Aber mit diesen Gedanken bin ich alleine. Meine zwei Lieblingsmenschen haben langsam Sehnsucht. Ich spüre das. Mein Mann schmachtet jedem ansehnlichen Rennrad (Öffnet in neuem Fenster) hinterher und mein Herzens-Mädchen kann den Blick von spielenden Kindergruppen nicht abwenden. Außerdem bekommt ihr Gesicht ein undefinierbares Strahlen, wenn Nonnas und Nonnos mit ihren Enkeln kuscheln. Wir sind an einem Umkehrpunkt und ich frage mich, ob uns diese Reise verändert hat. Sind wir demütiger geworden, nachdem wir endlich wieder „frei“ gelassen wurden? Dankbarer? Covid hat uns auf jeden Fall Bescheidenheit gelehrt: Jeden Tag Geschirr spülen, keine eigene Toilette oder Dusche, Wäsche machen am Waschbecken und mit nur einer Flamme kochen. Macht nix, Hauptsache nicht in den eigenen vier Wänden sein. Ich habe schon ein bisschen Angst den Rückweg anzutreten, auch wenn er aus einer weiteren Reisewoche besteht, in der wir Freunde treffen. Gemeinsam Urlaub machen, im Ausland, was für ein Luxus.
Triathletische Schwimmkurse
Was machen Schwimmlehrer, wenn sie „arbeitslos“ sind? Sie bieten neuen Campingbekanntschaften, die soeben erklären, dass sie nicht Kraulschwimmen können, einen kleinen Schwimm-Crahkurs an. Wir machen mit. Unser Kurs besteht aus einen Teil, in dem wir Wassergefühl vermittelt bekommen, einem Theorieteil und natürlich dem praktischen Kraulschwimmen-Kurs.
Alles beginnt mit Tieren: Wir sollen uns wie Enten durchs Wasser „gaaken“, dann wie verzweifelte Hunde auf der Jagd nach ihrem Stöckchen durch die Wellen paddeln, um anschließend einen Schaufelraddampfer nachzuahmen. Jetzt hab ich aber nicht erwähnt, dass wir auch das Gefühl in einer Badewanne zu liegen bekommen sollen und uns dabei mit den Armen irgendwie vorwärts fuchteln. Kaum vorstellbar wie das alles gehen soll, aber es hat geklappt. Der Höhepunkt des Wassergefühl-Kurses ist die Rakete, bei der wir, wie Raketen eben durchs Meer schießen sollen. Wir sind eher verwirrte Seegurken, die mehr wollen als sie können. Aber vor allem hatten wir endlos viel Spaß, haben vor lauter Lachen Unmengen van Salzwasser geschluckt und am Ende beschlossen, dass wir noch mehr Schwimmkurs wollen.
Der letzte und dritte Teil war dann das „echte“ Schwimmen. Oder viel mehr ein bisschen besseres Hundepaddeln. In einer Hand eine leere Wasserflasche und mit der anderen die Kraul-Bewegungen. Wir haben uns im Rahmen unserer Möglichkeiten sehr bemüht und sind nicht ertrunken stellen wir prustend fest und beschließen den Beinschlag auf morgen zu verlegen.
Zum Schluss gibt es Pizza, ist ja klar. Ich bin froh, diese Zeit hier zu haben, dankbar für meine Impfung, für diese Reise, für das Gefühl angekommen zu sein und wieder abzutauchen in das Leben. Am Ende müssen wir umkehren, zurückkehren und uns wieder zurechtfinden.
Eins bin ich auf jeden Fall nach dieser Woche: leicht&lebendig. Ich schicke euch was davon!
Eure Heli