Kröten und Sommerluft
Vom Gefühl, die Tür eines lächelnden Hauses aufzuschließen
Eine Stufe, noch eine, ich habe den Schlüssel schon in der Hand. Als ich ihn ins Schloss stecke, hakt es kurz, eine Drehung, noch eine und dann die Tür heranziehen. Mit einem letzten kleinen Druck springt sie auf.
Vertrauter Geruch dringt in meine Nase, ich schaue in den kleinen runden Spiegel gegenüber der Haustür und bekomme kurz einen Schreck: Ich bin doch ziemlich braun geworden, da muss ich lachen. Der Blick ins Wohnzimmer macht aus meinem kleinen Lächeln ein breites Grinsen. Auf dem Tisch ein Bild „Schön, dass ihr wieder da seid, wir haben euch so vermisst.“ Meine Mama hat fünf Wochen fast täglich gegossen und uns etwas eingekauft. Unsere lieben Freunde-Nachbarn haben Gin dazu gestellt und ein Schweinchen gemalt „Schwein gehabt, dass wir neben euch wohnen“ steht drauf.
Ich bin ehrlich gerührt und muss mich beherrschen nicht zu weinen. Das Kind stürmt jetzt an mir vorbei, überfliegt die Briefe, freut sich über die Bibi und Tina Zeitschrift und rast die Treppe nach oben in ihr Zimmer. Das Haus knarrt und ächzt, ja, denke ich, die Ruhe ist wieder vorbei. Und das Haus scheint mit zuzuraunen, als würde es tief einatmen. Vor allem als ich die Terrassentür öffne, holt es kräftig Luft.
Und da stehe ich. Vor mir erstreckt sich mehr ein kleiner Dschungel, als ein Garten. Ein lautes „MAAAAAMAAAAA“ holt mich aus meinen Gedanken und dringt in meine Ohren. Oben am Fenster winkt mein Kind wie verrückt und strahlt mich an. Sie ist froh, dass sie ihr Zimmer wieder hat. Mein kleiner Wirbelwind streckt mir lachend ihre Kuscheltiere entgegen, die freuen sich wohl auch sehr, dass es im Bettchen nicht mehr so langweilig ist.
Ich drehe mich im Kreis, betrachte den Rosenbusch, als sich zwei Hände auf meine Schultern senken „wir sind wieder da“, sagt mein Robi und küsst mich auf den Hals. Gemeinsam bestaunen wir die zwei Äpfel an den zwei Apfelbäumchen, den sehr vollen Brombeerbusch, der sich beinahe selber unter seinem Gewicht begräbt und den Efeu, der unseren Garten unsichtbar für andere macht. Behutsam pflücke ich eine sehr dunkelrote Beere ab, stecke sie mir in den Mund und lasse den süßsauren Geschmack vorsichtig am Gaumen zergehen. Meine Sinne ziehen sich zusammen und ich spüre den blauen Saft an meinen Mundwinkeln. Herrlich.
Der Gatte ist schon wieder im Haus verschwunden, als ich langsam wieder zurückgehe. Meine Hände streichen über Blätter und Gräser, meine Füße lassen sich vom langen Rasen sanft kitzeln. „Der Sauerteig (Öffnet in neuem Fenster) lebt noch“, höre ich es voller Freude aus der Küche rufen. Offensichtlich hat der gute Bruno es in der hintersten Ecke des Kühlschranks tatsächlich geschafft. Ich streiche meinem liebsten Bäcker sanft über den Arm und freue mich auf die frischen Brötchen am Wochenende.
Die Stufen der Treppe knarren leise als ich hinauf gehe. Behutsam setze ich einen Fuß vor den anderen, ich will langsam ankommen. Genauso langsam wie wir gereist sind, will ich zurückkehren in die Realität. Ich bin nervös. Nervös, mein Schreibzimmer zu betreten. Viel Freude, Wut, Schweiß und Tränen habe ich hier in den letzten Monaten gelassen. In den vergangenen Wochen wollte ich all die schlechten Gefühle hinter mir lassen, die Last von Corona abwerfen und den Druck loswerden.
Ich traue mich noch nicht, werfe zuerst einen Blick ins Bad, der alte Gummibaum hat zwei neue Blätter bekommen. Ich öffne das Fenster. Hier muss überall Luft rein! Im Schlafzimmer lasse ich mich aufs Bett sinken. Weich und gemütlich scheint es unter mir zu kichern „ich war einsam ohne euch“. Vorsichtig taste ich mich nach nebenan, streiche über das Holz der Galerie, gehe hinüber zu meinem kleinen Schreibtisch, an dem ich fast nie sitze. Ich arbeite meistens auf dem Boden, schreibe im Liegen oder auf dem Sofa.
Meine nackten Füße wandern über den weichen Teppich, darunter knarrt eine Diele. Eine gute Freundin sagte mal, es höre sich an, als würden kleine Kröten in unserem Haus wohnen. Seitdem spreche ich denen manchmal gut zu, sie sollen sich nicht so aufregen, wenn im Haus Hektik ist, denn dann sind sie besonders laut. Jetzt scheinen sie mir eher zu sagen „mach dir keine Sorgen, es wird besser“.
Ich wünsche mir das sehr! Dann öffne ich auch hier das Fenster, warme Luft weht durch meine Haare. Noch ist der Sommer im Haus. „Bleib noch ein wenig“, flüstere ich dem Wind zu und atme tief ein. Dann höre ich meine Tochter rufen und steige die Treppen ins Dachgeschoss hinauf.
Dieser Text ist jetzt zu Ende, weil ich für meine erste Lesung noch üben muss. Ich bin freudig nervös und hoffe, dass es gut wird.
Drückt mir die Daumen, genießt die warmen Brisen und bleibt leicht&lebendig,
Eure Heli