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Eine von hier

Ein Rausch über die frühen Morgenstunden am Meer

Wenn wir auf der Insel sind, haben wir an den meisten Tagen ein festes morgendliches Ritual: Entweder geht mein Mann laufen oder ich rolle meine Yogamatte aus. Dann gehen er und das Mädchen zusammen zum Bäcker. Die Lauf-Tage sind die auch Tage, an denen wir schon vor dem Frühstück am Meer sind. Mit den Beach-Tennis-Schlägern und Badesachen im Gepäck schlendern wir unsere Straße entlang und genießen die Ruhe, bevor das geschäftige Treiben der Einheimischen startet. Einige sind gerade dabei die Tische und Stühle der Cafés herauszustellen, Rollos werden hochgeschoben und Bürgersteige abgefegt. Ganz langsam bewegen wir uns durch die Straße, vorne schauen wir aufs Meer und stellen mit Freude fest, das Ebbe ist. Bei Ebbe spielen wir besser, dann ist der Strand größer und der Ball tippt auf. Wir rennen dann auch schneller.

Die Atmosphäre in den Morgenstunden mögen wir besonders gerne. Bevor die Sonne alles in gleißendes Licht taucht, wenn sie sich noch hinter den Häusern versteckt, ist es beinahe magisch. Der Strand ist noch leer, einige wenige haben sich schon zum Baden versammelt und vereinzelt suchen Tauben nach den letzten Krümeln des vergangenen Tages. Und das sind auch die Momente, in denen sich Grüppchen mit älteren Damen formatieren. Im Sand liegen dann lauter kleine, lustige Häufchen nebeneinander: Mit bunten Handtüchern abgedeckte Taschen und Latschen, die den fröhlichen Abuelas (deutsch: Omas) gehören. Einige schwimmen und andere dehnen sich oder laufen einfach nur durchs Wasser. Meistens sind sie in Gruppen zu dritt, viert oder noch mehr unterwegs. Selten alleine und fast nie mit Männern. Ab und zu ist mal ein einzelner Mann dabei, aber wie Ehepartner sehen die nicht aus. Überhaupt sind die Männer eher alleine morgens am Strand und tun sehr fit, gehen zügig am Strand entlang, joggen, versuchen Liegestütze oder etwas anderes sehr Sportliches. Aber die Damen, die sind schon morgens in geselliger Runde.

„Hola Guapa“, rufen sie sich zu.
„Buenas Dias Maria, Valeria, Alma“, und dann gehen sie gemächlich aufeinander zu und umarmen und herzen sich.
„Que tal? (Wie geht’s)“ und „Si sie, bien.“

Wenn sich alle begrüßt haben und der erste Klatsch und Tratsch ausgetauscht wurde, formieren sich die Abuelas in einem Kreis und das Schauspiel beginnt: Sie singen, klatschen, werfen die Hände in die Lüfte und strampeln im Wasser. Als würden sie eine Choreografie aufführen. Eine gibt den Takt vor und stimmt das Lied an, die anderen stimmen ein. Im Schein des frühen Morgenlichts sind sie nicht alt und gebrechlich, sondern viel mehr leicht und beschwingt. Um sie herum kräuseln sich seicht die Wellen und ihr Singen und Jubeln dringt bis vor an die Promenade. Es ist ein wunderbares Schauspiel, dem ich ewig beiwohnen könnte. Am Liebsten würde ich mitmachen. Später, denke ich, wenn ich auch eine Abuela bin, reihe ich mich ein. „Auaaaa“, rufe ich dem Mädchen zu, der Tennisball hat mich am Kopf getroffen und reißt mich aus meinen Gedanken. „Mama, wenn du eine alte Hulda bist, kannst du da auch mitmachen!“, ruft mir mein Mädchen zu. „Jetzt weiter spielen.“

Ok, ok, ich schaffe zwei Runden, dann ist meine Aufmerksamkeit wieder woanders. Am Ufer macht sich der angezogene Schwimmer bereit. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und rufe dem Kind zu: „Da ist er wieder.“ Blitzartig dreht sie sich um und wir setzen uns in den Sand, um das neue Schauspiel dieses Morgens zu beobachten. Seinen Neoprenanzug hat er schon an, gerade zieht er sich die Schuhe über. Als die Füße im Gummi stecken, kommen die Hände dran. Er trägt einen Neo mit Kapuze und noch eine Maske. „Vor irgendwas hat er Angst,“ raunt mir mein Mädchen zu. Ich nicke und glotze. „Was meinst du wovor?“, werde ich gefragt. „Puh, ich habe keine Ahnung, vielleicht vor Corona?“ „Aber Mama, doch nicht im Wasser!“ Sie hat recht, das ist Quatsch. Aber vor der Kälte ist auch keine Option, denn es sind bereits 28 Grad. „Möglicherweise will er zwei Stunden schwimmen? Er hat ja auch wieder seine Boje dabei“, schlussfolgere ich abschließend und jetzt nickt mein Mädchen gewichtig.

„Komm, wir gehen auch baden“, fordert sie mich auf. Zu Beginn unseres Insel-Sommers fiel mir das noch sehr schwer. Ich war früh eher steif und faul, meine Glieder waren fest und unbeweglich. Jetzt zum Ende kann ich mir kaum noch vorstellen, dass ich mich angestellt habe. Mein Papa sagte kürzlich: „Genau deswegen ist Onkel Tio trotz seiner Raucherei so alt geworden, weil er hier so viel Zeit verbracht hat.“ Ein bisschen ist es wie dauerhaft auf Kur sein: Immer atmet man die warme salzige Meeresbrise ein, die Hitze ist nicht so trocken und die Weite des Ozeans beruhigt das Gemüt. „Uno, dos, treeeeeeees!“, schreit das Mädchen und schubst mich vorwärts. Ich renne, hüpfe, fliege dem Meer entgegen und schmeiße mich in die Fluten. Die Abuelas applaudieren und ich lache aus vollem Hals. „Bueno“, rufen sie im Chor und widmen sich dann wieder ihrem Gesang.

Wir schwimmen ein Stück Richtung „Barra (Öffnet in neuem Fenster)“, dann plätschere ich ein bisschen vor mich hin und versuche, die zwei Damen zu verstehen, die gerade vorbei kommen. Sie schwimmen nicht, sondern gehen. Es sieht aus wie Aqua-Fitness. Vorhin kamen sie auch schon einmal vorbei. An den Händen haben sie eine Art Pfötchen, Wasser-Pfötchen, mit denen sie sich vorwärts ziehen. Ich verstehe einige Brocken ihres Gesprächs, aber nicht genug. Ich muss einfach besser Spanisch lernen, damit ich irgendwann auch ein Teil dieser morgendlichen Geselligkeit werde. An der Promenade sehe ich meinen Mann vorbeirennen, jetzt läuft er noch bis zum Bäcker und dann holt er uns zum Frühstück ab. „Ich gehe schon mal duschen“, rufe ich nach hinten und sehe nur den Po meines Mädchens aus dem Wasser gucken. Als sie hochschaut, lacht sie und sieht sehr glücklich aus. Langsam wate ich aus dem Wasser und fühle ich mich ein ganz kleines bisschen wie eine von hier. Eine von denen, die hier leben und das Meer und seine Tücken kennen. Eine, die jeden Morgen Zwiesprache mit dem Ozean und den Wellen hält. Ich fühle mich, als würde ich dazugehören und ein wenig ist es ja auch so, nur eben in Teilzeit. Die singenden Abuelas, der angezogene Schwimmer und die Señoras mit den Wasser-Pfötchen sind noch immer im Wasser. Ich lasse sie hinter mir, wünsche ihnen im Stillen einen schönen Tag und hoffe, dass ich diese Leichtigkeit mit nach Berlin nehmen kann.

Bis bald,
Helen

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