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Wenn ich ein Vöglein wär

Ein Rausch aus der Vogelperspektive

Die Bilder wackeln, draußen ist es staubig, die Erde rot-braun. Menschen laufen barfuß oder in Latschen durch den Dunst. Man sieht förmlich die Hitze. Ich spüre das Wackeln des Busses. Die Hütten, an denen der Bus vorbei rumpelt, sind mehr Bretterbuden als eine ernsthafte Behausung. Ein stetiges Treiben – aus einer anderen Welt, die mir Sophie da eröffnet. Wie gebannt scrolle ich durch ihre Bilder und Videos und bin erschrocken und fasziniert zugleich. Wir haben ausgemacht, dass sie mir jeden Tag einige Stichpunkte schickt und Fotos dazu. Aus den ein bis drei Eindrücken sind viele geworden und Bilder, die ich immer wieder anschauen muss.

Sophie ist in Uganda. Ein Land mitten in Afrika. Ich muss das erst mal recherchieren, wohin genau sie da reist und wie die Hauptstadt heißt. Kampala finde ich schnell heraus und das Uganda eingefasst ist in Kenia, Tansania, Ruanda, den Südsudan und die demokratische Republik Kongo. Ich wusste, sie würde von dort nicht in der Lage sein, meinen Rausch zu illustrieren, aber sie würde das Bedürfnis haben, ihren Urlaub darzustellen. So beschlossen wir, es gibt einen Rausch zum Bild. Erst Illustration und ich schreibe dazu.

Nun sitze ich hier also mit Sophies Flut an Eindrücken und versuche ihr Tagebuch in einen kleinen runden Text zu fassen. Einmal Flucht aus dem Alltag, raus aus dem grauen Berlin und (in Gedanken) rein in die bunte Welt Afrikas. Die Farben, die Geräusche – und vor allem die Tiere scheinen es ihr angetan zu haben. Ich spüre förmlich, wie sie den Blick auf die vielen bunten Vögel schärft und dann erreicht mich genau das: Die Illustration eines Vogels. Ich stelle mir vor, wie das possierliche Tierchen durch die Gegend flattert und sich alles von oben anschaut, Sophie dabei beobachtet, wie sie sein Land entdeckt. Er breitet seine Flügel aus, rot, blau, grün und gelb leuchten vor meinem inneren Auge. Und plötzlich fliegen auch die Worte in meinen Kopf, durch meine Finger, auf die Tastatur, hinein in diesen Rausch.

Andere Welt

Ich stelle mir vor, ich wäre ein Vogel, aber nicht ein Black Capes King Fisher, wie Sophie ihn für diesen RauschVonWort gezeichnet hat, sondern ein bee-eater. Von dem erzählt sie mir voller Begeisterung, und als ihr Vogel-Guide bei einer Safari von den Eigenschaften des bee-eaters erzählt, musste sie wohl sofort an mich denken. Dieser Vogel ist einer der Buntesten Europas und bevorzugt warmes Klima. Man trifft den Bienenfresser immer in Kolonien, er sitzt mit Artgenossen auf herausragenden Ästen und beobachtet. Immen in Gesellschaft, immer in Hab-Acht-Stellung, wo was los sein könnte. Die jüngeren Vögel sind eher grau mit schmutzigen Sandfarben. Ich bin auch jung geblieben  (;-)) und meine Haare nach wie vor „schmutzig (Öffnet in neuem Fenster)“.

Wäre ich ein Vogel, ich wäre also ein bee-eater und ich würde Sophie bei ihrer Reise beobachten, wie sie am Flughafen von Kampala ankommt und die Eindrücke sie schon gleich zu Beginn verschlingen. Sie saugt alles auf, nimmt die Dinge dazwischen wahr und kann die Augen nicht vom Geschehen dieses fremden und exotischen Landes lassen. Sie ist begeistert und fasziniert von den Menschen. Von Anfang an liebt Sophie die Farben, schon im Flieger von Kairo studiert sie genau die Henna-Zeichnungen auf den Händen der Frauen, „wie in Schokolade getaucht“, wird sie mir später erzählen. Kleine Ornamente und winzige Symbole zieren die Hände. Obwohl der Stil eher grob, flächig, unsauber, sehr einfach und scheinbar kindlich ist, ist es doch beeindruckend. Schwarz umrandete Augen und volle Lippen ziehen Sophie magisch an.

Als sie im Haus ihrer Freunde ankommt, sitzt der bee-eater im Busch im Garten. Wundert sich über Sophies staunende Augen, denn sie hat noch nie eine sogenannte Gated Community betreten. Hier gibt es viele Türen und Tore, die von Angestellten geöffnet werden. Als bee-eater getarnt beobachte ich Sophie, wie sie durch den Garten streift, langsam die Füße in den weichen Rasen setzt und dann kurz die Beine im Pool baumeln lässt. Kazzoo kommt angerannt und springt an ihren Beinen hoch, sie krault ihn, scheint ihn zu mögen. Ich bekomme ja immer einen Schreck, wenn er nach mir oder meinen Kumpanen schnappt. Jetzt schlürft Sophie Prosecco, dass machen diese Menschen oft, wenn sie irgendwo ankommen. Und dann schlafen sie bis Mittags.

Die Straße verwirrt die Neuankömmlinge, ständig springen sie erschrocken zur Seite, wenn Bodas (so genannte Motorcycle Taxis) vorbei gerauscht kommen oder die Autos sehr dicht an die Fußgänger heran fahren. Daran wird sie sich noch gewöhnen, hier gibt es keine Bürgersteige. Abends beobachte ich sie noch lange, weil sie wach liegt und an die Decke starrt. „Ich konnte am ersten Abend kaum einschlafen, weil ich die vielen neuen Eindrücke verarbeitet habe und Stichpunkte für dich gemacht habe“, erklärt Sophie mir später am Telefon.

Intensive Geräusche

Bee-eater sind überall. Und so sehe ich Sophie erst in Jinja wieder. Sie springt aus dem Auto, streckt sich und hüpft auf und ab. Sie spuckt ein Stück Zuckerrohr aus, das man bei Straßenhändlern kaufen kann. Wenn man ein Stück abgebissen hat, kaut man das Zuckerrohr heraus und spuckt den restlichen holzigen Strunk einfach aus dem Fenster. Weiter geht es direkt zum Nil, dem längsten Fluss der Erde. Ich flattere fröhlich hinterher und sie lächelt und lauscht immer wieder nach der beeindruckenden Geräuschkulisse. Sophie beobachtet aufmerksam uns Vögel und es sieht aus, als fände sie uns sehr schön. Mein Bauch und meine Brust sind türkis, am Kopf und am Rücken bin ich braun, das leuchtet in der Sonne beinah wie Kupfer und meine Augen sind schwarz eingestreift. Ich sehe aus, als würde ich eine Maske tragen. Angekommen in ihrer Safari Unterkunft steht Sophie noch sehr lange am Fenster und genießt den atemberaubenden Ausblick auf den Nil.

Der Fluss fließt ruhig dahin, als würde er sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Mittendrin immer wieder kleine Dschungelinseln mit wilder Natur drumherum. Und obwohl es keinen Sonnenuntergang gibt, weil es so diesig ist, ist die Stimmung unheimlich friedlich. Wegen des grauen Himmels auch irgendwie betrübt, aber doch romantisch. Abends sitzen die Freunde noch mit ihren Gastgebern zusammen und lauschen der Geräuschkulisse Afrikas. Maggy erklärt etwas über die vielen Vögel und zeigt auch auf mich. Ich sage „Zwitscher“ und flattere davon.

Schwebender Fluss

Ich verliere Sophie aus den Augen. Sie schickt mir zwar jeden Tag Gedanken-Schnipsel, aber Corona im Haus bringt mich mehr aus dem Fluss, als ich mir eingestehe. Als Sophie zurück ist, telefonieren wir gleich am nächsten Tag. Ich erzähle ihr von meiner Idee, als bee-eater mitzureisen und sie findet es toll. Ich bin motiviert und so schlüpfe ich noch einmal in die Rolle des Vögelchens und stelle mir vor, wie es wäre, meine Illustratorin bei ihrer Raftingtour auf dem Nil zu begleiten. Ich kenne sie und weiß, wie abenteuerlustig sie ist. Sophie nimmt jede Rutsche mit und tanzt am liebsten die verrücktesten Tänze (Öffnet in neuem Fenster).

Die Gegensätze in Uganda könnten größer kaum sein. Neben Kindern mit Babys auf dem Arm, die am Straßenrand sitzen und Lehmhütten, gibt es die eingezäunten Villenviertel. Menschen auf Ladeflächen fahren neben Taxen mit verdunkelten Scheiben. Kleine enge Minibusse mit Unmengen an Menschen und voll beladen mit Gepäck tuckern mit durchgestylten Motorcycle Fahrern in Anzugjacke und Rayban Brille auf einer Sandpiste. Zum Frühstück bekommt jeder eine Rollex, das sind Roller Eggs, aber die Ugander nennen es so und freuen sich über ihren Scherz.

Die Stromschnellen im Nil sind nicht ohne und es hebelt Sophie aus dem Boot. Alle sind unter dem Boot, wuchten sich aber erfolgreich wieder hoch. Voller Adrenalin geht es weiter. Zwei, drei, vier Stromschnellen waren anders, dichter beieinander und länger. „Und dann wurde es magisch,“ erzählt mir Sophie und kommt ins Schwärmen. „Der Moment des Floatens. Wir sprangen ins Wasser und ließen uns auf dem Nil treiben.“ Als sie mir davon erzählt, habe ich das Gefühl dabei zu sein. Ich fühle Sophies Element, schwebe neben ihr auf dem Wasser, lasse mich auf dieser perfekten Mischung aus Salz und Wasser treiben, wir wirbeln um eine sehr lange Kurve und ich tauche auf, werde wieder zum bee-eater, denn ich habe ein bisschen Angst im Wasser. Aber Sophie wäre am liebsten bis nach Ägypten gefloatet.

Ich bin froh, dass sie nicht hinweg geschwebt ist und am Ende mit dem Flieger wieder sicher auf europäischen Boden landete. Es gäbe noch so viel mehr zu beschreiben. Und auch des bee-eaters Neugier ist noch nicht befriedigt, aber das würde hier den Rahmen sprengen. Vielleicht gibt es noch mal einen zweiten Teil aus der Sicht des bee-eaters auf Sophies Uganda Abenteuer. Für heute soll es das aber erst mal gewesen sein.

Bleibt leicht&lebendig, Helen

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Das letzte Wort geht an meine wunderbare Illustratorin, die mich zu diesem Rausch inspiriert hat und diesen King Fisher illustrierte:

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