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Neue Wege auf alten Pfaden

Ein kommunikativer Rausch über Neuanfänge

Neuanfänge sind eine gute Sache. Meistens, wenn sich dann alles irgendwie zueinander fügt. Das hat bestimmt auch etwas mit dem Frühling zu tun. Am Ende des Winters denke ich immer, diese Kälte und Dunkelheit wird nie aufhören, ich werde ertrinken in der Schwere des Winters. Als es endlich besser wird, kam der Krieg und zieht doch wieder hart an der gerade neu errungenen Leichtigkeit. Und auch Corona hört nicht auf, machen wir uns nichts vor. Es vergeht kein Tag, an dem es in meinem erweiterten Freundeskreis nicht einen neuen Fall gibt. Manche kämpfen noch immer mit Husten und Geschmacksverlust. Andere sind erschöpft und pausenlos müde.

Und trotzdem macht diese Frühlingssonne etwas mit mir. Die winzigen bunten Blümchen schauen überall heraus, als wollten sie mir etwas zuflüstern: „Sei mutig“, raunen sie mir zu. „Lass dich nicht einschüchtern, du kannst mehr, als du denkst.“ Ja, möchte ich sagen, mache ich. Wenn ihr bei Frost kommt, kann ich das auch. Aber der Wind weht mir noch immer kalt entgegen – sobald die Sonne verschwindet – als wollte er sagen: Freu dich nicht zu früh, meine kalte Hand kann sich jederzeit wieder senken. Es ist fast April, der Wind hat recht. Er wird seinen Winter noch nicht so schnell aufgeben. Aber gerade scheint mir die Sonne ins Gesicht, ich muss meine Jacke ausziehen.

Manchmal ist es komisch. Das Leben ist komisch. Ich sitze in der S-Bahn und fahre auf einem Weg, den ich mal sehr verfluchte, denn ich fuhr diesen Weg einst jeden Tag. Jeden Tag pendelte ich von Berlin nach Potsdam. Ich hatte sogar eine Kolumne genau darüber. Sie hieß: „Von Berlin nach Potsdam“ und erzählte Geschichten aus der Bahn:

Situationen, die ich beobachtete.
Gespräche, die ich belauschte.
Dinge, die ich erlebte.

So lernte ich auch meinen Mann kennen (Öffnet in neuem Fenster) – in der Bahn. Ich saß also wieder in der Berliner Rumpelkiste und fuhr nach Babelsberg. Damals arbeitete ich bei einem lokalen Anzeigenblatt, heute ich auf dem Weg zu einer sogenannten Transferagentur. Und dabei werde nicht ich transferiert, sondern Bildungsmanagement. Mich wollen sie als Texterin engagieren. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nicht aufgeregt, ein sehr erhabenes Gefühl, kann ich nur sagen. Ich habe nichts zu verlieren, ich bin auf diesen Job nicht angewiesen, ich kann jederzeit Nein sagen. Gut, dass können die auch, aber darin besteht schließlich immer die Gefahr, wenn man selbstständig arbeitet. Dafür werde ich dann auch am Strand arbeiten, so der Plan.

Zurück zur Bahnfahrt, denn ich muss über mich selber lachen, als ich feststelle, was ich als erstes mache: Lauschen.

„Na habt ihr keine Orientierungsgespräche?“
„Für unsere Ebene ist das Schwachsinn.“
„Wenn die wollen, können sie.“

Drei Damen im mittleren Alter, kurze praktische Frisuren, Bordeaux-farbene Steppjacken, Schuhe mit dicken Absätzen, ausgewaschene Jeans: Sie sind sich irgendwie ähnlich. Ob sie denselben Job haben?

„Hat sich an eurem Bahnhof schon etwas getan?“
„Nee, die Brücke ist immer noch gesperrt.“
„Ach, dass das immer so lange dauern muss.“

Ich werde Berichte für eine Publikation verfassen, in denen es um die Kommunikation zwischen verschiednen lokalen Institutionen gehen wird. Politik und Verwaltung sollen enger zusammen rücken. Könnten diese drei Damen vielleicht meine Leserschaft sein? Sitzen sie in einem Amt an einem großen Schreibtisch und versuchen den Kontakt zwischen regionalen Brandenburger Unternehmen mit Schulen herzustellen?

Wie so oft im Leben geht es um die richtige Kommunikation miteinander. Kommunizieren machen wir alle pausenlos und doch nicht richtig. Wobei mir das vor allem innerhalb von Familien immer wieder auffällt. Da wird nicht ehrlich gesprochen oder aneinander vorbei geredet. Oder man versteht sich falsch. Ich glaube, das liegt daran, dass man sich Familie eben nicht aussucht. Freunde und Freundinnen, mit denen man sich nicht versteht, die verlässt man wieder. Die Familie nicht, die bleibt. Eine gute oder bessere Kommunikation würde uns allen an der einen oder anderen Stelle richtig gut tun. Ich glaube, das würde vieles einfacher machen.

Ich schaue aus dem Fenster, hänge meinen Gedanken nach und genieße diese Fahrt mit der Bahn. Erst war ich unsicher: Dieser Auftrag ist nichts für mich, das kann ich nicht, dachte ich. Und im gleichen Moment auch wieder, ich habe ja nichts zu verlieren. Meine Illustratorin ruft mich an und sagt: „Ich mache es.“ Hä, ich stehe völlig auf dem Schlauch.
„Was willst du machen?“ Was hatte sie vor, wieder Afrika (Öffnet in neuem Fenster) oder nach Tirol auswandern?
„Ich ziehe aus, ich nehme die Wohnung.“
„Glückwunsch, Glückwunsch. Super Entscheidung.“ Ich freue mich, hatten wir doch kürzlich erst eine pro-und-kontra Liste erstellt, auf der alles gegen die neue Wohnung stand. Manchmal ist es Zeit, neue Dinge zu starten, sich zu trauen und auch das zu machen, wo man unsicher ist. Ja genau, das mache ich jetzt auch. Ich habe einen neuen Auftrag und Sophie zieht um.
„Aber wie erkläre ich das meinen Mitbewohner*innen (Öffnet in neuem Fenster)?“, klagt Sophie.
Ha, da ist sie wieder, die schwierige Kommunikation!
„Sei einfach ehrlich, sag Ihnen du hast Lust auf was Neues. Der Frühling kommt ja dieses Jahr auch schon im Winter.“ Also wir auflegen

Manchmal kommt eben alles anders, denke ich noch. Ich wollte ja auch nie nach Berlin zurück, geschweige denn aus Neukölln raus. Dann hoppigaloppi in den Friedrichshain. Und nach Adlershof. Ernsthaft? Eine Querstraße neben meinen Eltern? Unfassbar, dass ich das gemacht habe – und jetzt bin ich so glücklich wie an keinem anderen Wohnort bisher. Ein neuer Weg auf einem alten Pfad. Zurück nach Köpenick und doch vorwärts. Zurück nach Babelsberg zu einem neuen Job.

Ich bekomme eine Nachricht von Tilli: Ich habe den Job! schreibt sie.
Schon wieder was Neues, erst ist sie vor einem halben Jahr Mama geworden (Öffnet in neuem Fenster) und jetzt traut sie sich auch noch einen neuen Job anzufangen. Ich bin stolz auf sie.

Es ist Frühling. Zeit für Neuanfänge. Zeit, neue Wege zu beschreiten. Eine andere Freundin ist übrigens frisch verliebt, sie erzählte mir vom Küssen – auch eine schöne Form der Kommunikation. Kennt man schon und ist doch immer wieder neu.

Was ich vor allem diese Woche gelernt habe, ist, dass es völlig in Ordnung ist, auch mal zurück zuschauen. Ich mache ja auch wieder Technikjournalismus, ganz klassisch, wie einst studiert, nur auf neuen Kanälen. Es ist wunderbar. Und nur weil man an einen scheinbar alten Ort zurückkehrt, heißt das nicht, dass es auch rückwärts geht. Es geht immer vorwärts, egal auf welchen Wegen, im besten Fall leicht&lebendig, und ruhig öfter mal küssend?!
Helen

Mit einer Illustration von Sophie Schäfer:

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