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Die guten Tage

Warum Trauerreden Liebesgeschichten sind.

Konfetti-Regen, grelle Lichter und Gegröle von draußen dringen an meine Ohren. Drinnen sitze ich mit zwei Freundinnen, meinem Mann und meiner Tochter und wir überlegen, welche Blei-Figürchen wohl welche Vorhersage sein könnten. 2021. Wie soll es werden, fragen wir uns und sind erfreut und geängstigt zugleich. Wir befinden uns im Lockdown, die Schulen bleiben vorerst geschlossen und ich frage mich, ob ich jemals wieder richtig tanzen gehen werde. Eine kleine Sorge, ein winziger Wunsch im Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Es wird über Impfstoff gemunkelt und ich schreibe am ersten Januar meinen ersten RauschVonWort: Das Konfetti ist tot (Öffnet in neuem Fenster).

Das Jahr startete mit Schnee. Ganz still und heimlich wurde es plötzlich kalt und als ob es uns zeigen wollte, „ich kann auch schön sein“, packte der Winter alles in Watte. Drei Wochen fuhren wir nicht Auto, hatten wir ja wegen des ausfallenden Winterurlaubs keine Winterreifen aufgezogen, bewegten uns mit Schlitten vorwärts und zogen die Skihandschuhe zum Schneemann bauen an. Eigentlich war es sehr schön, wenn wir in unserem tiefsten Inneren nicht doch ahnten, dass dieses Jahr uns viel abverlangen würde. An dieser Stelle schreibe ich eine Art Jahresrückblick und überlege, wie ich es anstelle. Eine Trauerrede soll es werden, denn die Trauerrede für meine Oma (Öffnet in neuem Fenster) hat am meisten Leser_innen (auch jetzt noch) kontinuierlich bewegt. Ich möchte an dieser Stelle 2021 zu Grabe tragen und dabei den Momenten des Jahres gedenken.

Harter Start

Es begann mit Homeschooling, mit Arbeitsplänen, mit Video-Konferenzen und hartem Lockdown. Ein kleiner Lichtblick waren die ersten Impfungen, die zum Jahreswechsel durchgeführt wurden, allerdings nur für bestimmte Risikogruppen. Ich lechzte nach diesem Pieks, ich wollte mich wieder sicher fühlen, ich wollte so gerne wieder mit meinen Freundinnen zusammensitzen, ich wollte keine Tests mehr machen. Dieses Nase bohren war nicht so schlimm, aber eben auch ein bisschen lästig. Ich wollte meine Tochter davor bewahren (wenn ich mir überlege, mit welcher Routine und Lässigkeit sie sich jetzt dreimal in der Woche testet, wird mir ganz anders – ein Ende ist nicht in Sicht). Und ich wollte so gerne wieder tanzen (Öffnet in neuem Fenster), mich schütteln und zappeln und frei fühlen. Keine Angst vor Fremden, Drinks an einer Bar bestellen und allen ins Gesicht lachen. Es dauerte noch.

Ich vermisste den Sommer, das Reisen und das Meer. Jeden Tag schaute ich Fotos an, erinnerte mich an den Strand und die Hitze des Südens. Aber in Spanien und Italien wütete Corona, die Bilder aus Mailand und Madrid, die leeren Straßen, die singenden Tenöre auf den Balkonen, noch immer habe ich Tränen in den Augen, wenn ich daran denke. Wohl aber gab es Dinge, die mich aus dieser Lethargie retteten. Es gibt Menschen, die machen einem das Leben leichter. Sie sind Teil meines Alltags und bringen mich zum Lachen. Dazu gehört definitiv mein Mann und in den ersten Wochen des Jahres war es seine Liebe zum Holz (Öffnet in neuem Fenster), die uns nicht nur eine warme Hütte bescherte, sondern auch ordentlich Holz davor. Endlich mal. Das war auch für mich eine ganz neue Erfahrung. Bei uns waren so im Haus oft sommerliche Temperaturen. Wir verbrachten die Nachmittage jetzt im Bikini vor dem Kamin. Wir versuchten und hofften das Beste. Wenn wir eins lernten, in diesem Jahr dann das beste draus zu machen.

Aber die Angst blieb. Erst in den letzten zehn Jahren habe ich mich langsam daran gewöhnt, überhaupt ohne Kortison zu leben. Zeit meines Lebens bekam ich schlecht Luft (Öffnet in neuem Fenster)und Corona ist ja bekanntermaßen eine Infektion, die auf die Lunge geht. Meine eigenen Worte rührten mich, saßen die Erinnerung an die DDR-Kuren doch noch sehr fest und sie waren nicht schön. Aber ich trug die Kämpfe mit meinen Dämonen aus und versuchte (Achtung) das beste draus zu machen. Anlässlich des Frauentages im März (Öffnet in neuem Fenster) gab es wieder eine erste Ausstellung für mich – draußen. Anfang April wagten wir uns das erste mal wieder in den Urlaub. Natürlich nicht richtig, aber ein bisschen, schließlich hatten wir eine Beziehungskrise (Öffnet in neuem Fenster) zu überwinden.

Hoffen ist erlaubt

In diesen Tagen, als es langsam heller wurde, kam auch die erste Impfung für meinen Mann. Einer war also sicher. Meine Eltern waren durch, Kinder sollten ungeimpft bleiben, schließlich ist ihr Immunsystem frisch und beständig. Ich wollte unbedingt, ich wollte wieder in den Urlaub und ins Kino. Ich wollte alles und es gab keinen Termin. Ich spürte, wie Corona mich veränderte (Öffnet in neuem Fenster) und wusste, das ist nicht gut. Ich begann schwarz zu malen und dunkel zu denken. Es wurde Mai und meine Tochter war noch immer zu Hause. Jeden Tag hieß es Schulsachen auspacken: Pläne abackern.
Kontrollieren.
Tränen.
Wut.
Verzweiflung.
Unser aller Geduld war am Ende und ich beschloss, nichts mehr zu machen. Ich legte mein Roman-Manuskript in einem verdeckten Ordner ab, weinte um unsere Urlaubspläne und sagte der Tochter „Homeschooling ist jetzt vorbei (Öffnet in neuem Fenster)“.

Wenn man ganz unten ist, kann es nur noch aufwärts gehen, richtig?! Der Wechselunterricht kam, der Mann stieg wieder aufs Rad (Öffnet in neuem Fenster) und fuhr zur Arbeit und ich hatte sagenhafte drei Stunden am Tag für meine Arbeit. Nun ist Schreiben ein Job, der viel aus nicht schreiben besteht, aus Pause machen, Nachdenken, aus unterwegs sein, zuhören, Geselligkeit, ablenken - die Ideen kommen nicht vom im Schreibkämmerlein sitzen. Es war echt schwer, aber ich hoffte und meine Mama organisierte auch mir endlich die erste Impfung. Ich weinte hinterher, endlich würde es besser werden.

Für einen Fototermin wagte ich mich wieder in die Stadt, nicht mit der Bahn, aber ich traf fremde Menschen und lernte wieder mal: Menschen brauchen Menschen (Öffnet in neuem Fenster). Geselligkeit ist meine Stärke und langsam konnte ich hoffen, dass sie vielleicht zurückkehren würde. 2021 war beinahe zur Hälfte rum und wir wagten zu hoffen, dass es doch noch gut werde. Wir planten sogar Urlaub. Und ich traf meine Freundinnen wieder – in echt. Mit anfassen (Öffnet in neuem Fenster), an einem Tisch, was für ein erhabenes Gefühl. Wir tranken Crémant und waren glücklich, sehr glücklich. Ab jetzt wurde es besser, der Frühling hielt Einzug, tauchte alles in wärmeres Licht, lies uns im Garten sitzen und grillen und auch die Triathleten liefen wieder um die Wette. Ich entdeckte meine neue, alte Liebe zu Neoprenanzügen (Öffnet in neuem Fenster) und erinnerte mich an meine Oma (Öffnet in neuem Fenster), die nun schon ein Jahr gestorben war.

Veränderungen

Nachdem ich nun wunderschöne Bilder für meine Webseite hatte, brauchte es auch für den RauschVonWorten eine neue Aufmachung. Sophie rief mich an und erzählte mir, dass sie so gerne wieder öfter illustrieren würde. Das Zeichnen fehle ihr so sehr. „Willst du meine Kolumne illustrieren?“, fragte ich sie ungläubig. Ja, sie wolle mal eine Probezeichnung machen, vielleicht gefällt es mir ja. Ich dachte ich höre nicht richtig und schrie durchs Telefon: „JAAAAAAA.“ Ich brauchte keine Probezeichnung, ich wusste ich möchte das. Diese Suche nach einem passenden Bild nervte mich jedes mal, mir ging es um den Text und die Worte, ich mag auch keine Selfies. Aber ich liebe Sophies Illustrationen.
Die zweite Impfung bekam ich zwei Tage bevor wir uns auf die Reise Richtung Italien (Öffnet in neuem Fenster)machten. Sechs Wochen (Öffnet in neuem Fenster), Auto, Zelt, Sonne, Strand und Meer. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen und begann 2021 immer mehr zu mögen. Nach dem Tiefpunkt geht es aufwärts. Und ich sprang ins Meer (Öffnet in neuem Fenster), schwamm im Glück und genoss das Leben (Öffnet in neuem Fenster) und das Reisen. Und doch wusste ich tief in meinen Inneren wir würden zurückfahren müssen nach Berlin und es könnte wieder dunkel werden.

Natürlich kehrten wir zurück, unser Garten war ein Dschungel (Öffnet in neuem Fenster) und es gab wieder Veranstaltungen, sogar mit mir. Ich holte mein Manuskript (Öffnet in neuem Fenster) hervor und las daraus vor. Es war überwältigend, ich war so stolz, ich konnte was, ich hatte etwas geschafft und obwohl es schon wieder nicht mehr warm genug war für mich, schwebte ich ein bisschen durch diese letzten Monate des Sommers. Sogar die Schulen öffneten (Öffnet in neuem Fenster) wieder ganz. Ich hatte jetzt komplette Vormittage für mich und Zeit zu planen, zu denken, rauszugehen.  Mein Triathlet radelte zur Ostsee (Öffnet in neuem Fenster). Alles in allem war ich immer zufriedener mit 2021. Ich mochte es mittlerweile sogar. So viel gegensätzliche Gefühle musste ich lernen, so viel hoffen und bangen ertragen und so viel Stimmungen und Gedanken denken. Am Ende lernte ich unheimlich viel über mich, meinen Mann, über die Menschen in meiner Nähe und aus meiner Familie. Wir lernten uns alle besser und anders kennen in diesem Jahr. Abgründe taten sich auf, aber besondere Fähigkeiten traten in den Vordergrund. Ich unternahm meine erste kleine Reise wieder alleine und besuchte meine beste Freundin (Öffnet in neuem Fenster), die Mama geworden ist. Ich verliebte mich in ihr Baby und in 2021. Ich dachte, wie kann ein Jahr schlecht sein, wenn es solche schönen Schöpfungen hervorbringt.

Das Ende naht

Es wurde kühler, die Sonne strahlte nicht mehr so hell und der Wahlkampf überschattete alle Gedanken an Corona. Wir zehrten vom Sommer und konnten ihn einfach nicht gehen lassen – nicht schon wieder Dunkelheit, dachte ich und buchte Flüge auf eine kanarische Insel. Und es kam noch besser, wir verbrachten die letzten Sommertage in Gesellschaft mit Freunden (Öffnet in neuem Fenster)! Als wir wieder in Berlin landeten, war der Herbst in vollem Gange, die Parteien stritten sich, die Corona-Zahlen stiegen unaufhörlich und die Kinder setzten die Masken wieder auf. Es wurde dunkler und auch 2021 wollte wieder zeigen, dass es keine Jahr zum Lieben ist. Aber ich war noch nicht fertig mit diesem Jahr, wollte beweisen, dass es immer Schönes gibt und das alles gut werden kann. Ich besuchte meine Illustratorin (Öffnet in neuem Fenster), meine Freundin Sophie und wir gingen TANZEN. Endlich. Ich schwebte, schwebe noch heute bei der Erinnerung an zwei durchfeierte Nächte, in denen ich mich sicher fühlte. Fremde Gesichter und tanzende Menschen machen mich glücklich.

Eine Woche musste ich mich von diesem Wochenende erholen. Ich litt lachend, denn nichts ist so schön wie eine Erschöpfung, die von was kommt, was viel Spaß gemacht hat. Aber das Jahr war noch nicht zu Ende, es wollte beerdigt werden. 2021 hatte uns eigentlich aufgegeben, es wollte uns Menschen loswerden, zwang uns wieder nach Hause. Die bereits Geimpften waren zu wenig, um das Leben wieder wie gewohnt leben zu können. Aber ich war noch nicht fertig, ich hatte immer noch keinen Verlag für meinen Roman und meine eigenen Erwartungen drohten mich zu erdrücken. Ich musste mich befreien (Öffnet in neuem Fenster). Und ging in den Baumarkt (Öffnet in neuem Fenster).

„Nun ist aber Schluss!“, sagte die Dame am Hot Mojito Stand zu uns, als wir 22 Uhr noch immer auf dem Weihnachtsmarkt standen und plauschten. Der mit der blauen Bommelmütze (Öffnet in neuem Fenster) wurde von Minute zu Minute süßer und ich wollte doch gar nicht nach Hause fahren. Also blieb ich, bis heute.
Das ist keine Trauerrede geworden, das ist eine Liebeserklärung an eine Hassliebe. Und auch die Trauerrede für meine Oma ist am Ende nichts anderes als eine der schönsten Liebesgeschichten, die es im Leben gibt: vom Enkelkind und der Oma. Obwohl 2021 hart war und ich es mit Freude in andere Sphären schicke, hatte es also seine guten Tage. Belassen wir es dabei und gestehen auch diesem Jahr zu: Es war nicht alles schwer, vieles war leicht und sehr lebendig, Helen

Das war der letzte RauschVonWorten in diesem Jahr! Natürlich nicht ohne Illustration von Sophie Schäfer. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

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